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Die Einlassanlage von Fußballstadien als Stahl gewordener Imperativ. Situative und übersituative Praktiken des Problematisierens beim Fußball

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Zusammenfassung

In diesem Beitrag geht es um Problemgruppen beim Fußball. Allerdings steht hier nicht die diskursive Kategorie im Zentrum, sondern wir haben uns anhand einer Videointeraktionsanalyse einer eskalierenden Einlasssituation im Bielefelder Stadion der Frage genähert, wie Problemgruppen beim Fußball praktisch hervorgebracht werden. Bei der Analyse der Ereignisse wurde bald ersichtlich, dass nicht nur Fans auf Sicherheitspersonal und Polizeipersonen trafen, sondern dass dieses Aufeinandertreffen in einem bestimmten Raum stattfand, der für den Verlauf der Ereignisse entscheidend war: und zwar der Einlassanlage, welche den Zugang ins Bielefelder Stadion regelt. Diese Einlassanlage wird von uns als ein auf Dauer gestelltes, stählernes und menschliches „Doing Problem Group“ sowie als Knotenpunkt im Netz eines zeitgenössischen Disziplinierungsdispositivs diskutiert.

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Notes

  1. 1.

    Das DFG-Projekt „Emotion. Eskalation. Gewalt. Entwicklung eines video-basierten Verfahrens zur Früherkennung von Emotionsprozessen bei Großveranstaltungen“ beschäftigte sich von 02/2015 bis 01/2018 mit der Frage: Lassen sich Eskalationsprozesse auch automatisch mittels einer beobachtenden Kamera erkennen? Zu den Ergebnissen des Projekts siehe Reichertz und Keysers (2018).

  2. 2.

    Situative Praktiken des Doing Problem Group sind alle die Praktiken, die in konkreten Situation (also hier und jetzt) im Mikro- und Nanobereich des Sozialen eingesetzt werden. Die übersituativen Praktiken des Doing Problem Group sind all jene, die vor und außerhalb der Situation liegen (also im Meso- und Makrobereich des Sozialen), diese aber maßgeblich vordeuten und einen Raum des Möglichen, des Sagbaren und Nichtsagbaren, schaffen.

  3. 3.

    Einzusehen ist das Video unter: https://www.youtube.com/watch?v=3_CcNKPDO4Y (Stand 30.07.2018).

  4. 4.

    Eine ebenso spannender Fall ist es, das Video nicht als Interaktionsprotokoll, sondern als kulturelles Artefakt und mediatisierte Zeigegeste des Feldes zu betrachten. Dann wird u. a. offenbar, dass das Video und seine Rezeption im Internet selbst eine Praxis des Doing Problem Group ist, mittels derer in der entsprechenden Fankultur Geschichten erzählt und Fortgeschrieben werden und Solidaritäten erzeugt werden.

  5. 5.

    So ist anfangs am Eingang von Korridor 3 der Einlassanlage eine Schlägerei im Gange, in die augenscheinlich Ordnerpersonal und Stadionbesucher*innen verwickelt sind. Derweil befinden sich innerhalb der Einlassanlage (s. Abb. 9.1) an verschiedenen Stellen Fans, die noch nicht das Stadion durch die Eingangsanlage betreten haben. So befindet sich in Korridor 2 eine Menschenmenge von ca. 25 Personen, die Gegenstände mit sich führen und aus nicht klar ersichtlichen Gründen sehr lange in diesem Korridor verweilen, ohne dass ihnen, trotz wiederholter Versuche, Einlass gewährt wird.

  6. 6.

    Wer hier zusammenzuckt und glaubt, dass hermeneutische Methoden generell kein Kontextwissen hinzuziehen dürften, ist einem falschen Verständnis des Mantras von „Dummheit als Methode“ (Hitzler 1991) auf den Leim gegangen. Es geht darum, sich dumm zu stellen, nicht dumm zu sein (Reichertz 2016, S. 78 f., 235). Das bedeutet nichts weiter als naiv und offen an die Daten heranzugehen und eine abduktive Haltung (Reichertz 2013) einzunehmen; nicht bereits zu wissen glauben, was die Bedeutung einer Äußerung oder Erscheinung ist.

  7. 7.

    Um den Unterschied zu erklären, lässt sich ein Beispiel wählen, das vermutlich allen Leser*innen dieses Textes ein lebensnahes ist: Zur wissenschaftlichen Kultur gehören die Praktiken des wissenschaftlichen Vortragens ebenso wie die Praktiken, Blätter aneinander zu heften. Dennoch ist die eine zentral, um diese Kultur performativ herzustellen, die andere weniger. Sie steht in einem anderen Zusammenhang.

  8. 8.

    Der Kern jeder Hermeneutik lässt sich trotz all ihrer Unterschiedlichkeiten im Einzelnen mit den Worten von Odo Marquard den Punkt bringen, nach denen die Hermeneutik immer die Suche nach der Frage ist, auf die eine untersuchte Handlungspraxis (aus Sicht des Handelnden) die Antwort ist. „Man versteht etwas“, so Odo Marquard, „indem man es versteht als Antwort auf eine Frage; anders gesagt: man versteht es nicht, wenn man nicht die Frage kennt und versteht, auf die es die Antwort war oder ist“ (Marquard 1981, S. 118).

  9. 9.

    Zur Klassifikation des Störpotenzial verschiedener Gruppen von Fans in A-, B-, und C-Kategorien siehe „Datei Gewalttäter Sport“ unter https://polizei.nrw/artikel/datei-gewalttaeter-sport (Stand 30.07.2018).

  10. 10.

    „Bereits Ende 2013 kurz nach den Turbulenzen um das Gastspiel von Dynamo Dresden und in Vorbereitung auf die Rückrunde der vergangenen Saison hatte es im Bereich nördlich der SchücoArena eine Reihe von Verbesserungen der Sicherheit gegeben, die die Verantwortlichen von Verein, Stadt und Ordnungskräften gemeinsam erarbeitet hatten. Jetzt werden die Provisorien durch dauerhafte Lösungen in Beton und Zaunsystemen ersetzt“ (eingesehen unter: http://www.westfalen-blatt.de/DSC/1663159-Sicherheitskonzept-fuer-die-Schueco-Arena-steht-bis-zum-1.-August-Arminia-baut-fuer-Gaestefans-um, Stand 18.02.2018).

  11. 11.

    Eingesehen unter: http://www.westfalen-blatt.de/DSC/1663159-Sicherheitskonzept-fuer-die-Schueco-Arena-steht-bis-zum-1.-August-Arminia-baut-fuer-Gaestefans-um, Stand 18.02.2018).

  12. 12.

    Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil die Abdeckplatte über den Drehkreuzen verhindert, dass Gegenstände, die länger als 2,20 m sind (also z. B. Fahnenstangen), nicht so einfach ins Innere der Anlage und deshalb auch nicht ins Innere des Stadions gebracht werden können. Wollen die Fans dennoch längere Gegenstände ins Stadion bringen, müssen sie andere Wege suchen, also z. B. die Gegenstände einzeln über die Tore der Anlage heben, oder aber die Sicherheitskräfte müssen dies ausdrücklich erlauben. Weil also die Anlage den Durchlass von längeren Gegenständen nicht vorsieht, längere Gegenstände (Stangen) jedoch zur normalen Ausstattung von Fanaktivitäten gehören, ist in die Anlage ein permanenter Konflikt eingebaut. Gleiches gilt im Übrigen auch für Gegenstände, die für die Drehtüren zu groß sind – wie z. B. Trommeln. Auch sie müssen entweder über die Zäune gehoben oder durch die Tore in Korridor 3 eingelassen werden. Auch hier ist der Konflikt schon in die Anlage eingebaut.

  13. 13.

    Nicht in diese Logik der massiven Vereinzelung durch Schaffung eines unüberwindbaren Hindernisses mit nur einer Zugangsmöglichkeit ist die Anordnung der Streben in Stahlzäunen; diese verlaufen nämlich waagerecht und ‚laden‘ somit geradezu zum Hoch- und Überklettern ein.

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Keysers, V., Meißner, J., Reichertz, J., Spiekermann, N. (2019). Die Einlassanlage von Fußballstadien als Stahl gewordener Imperativ. Situative und übersituative Praktiken des Problematisierens beim Fußball. In: Negnal, D. (eds) Die Problematisierung sozialer Gruppen in Staat und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22442-4_9

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