Zusammenfassung
Die Ausgangsthese zum Kulturindustriekapitel der Dialektik der Aufklärung ist, dass sich Wahrheit und Unwahrheit in Kunst und Kulturindustrie vermischen, wenn auch nicht unbedingt gleich verteilen. Am Zusammenspiel von Kunst, Kulturindustrie und Politik in den 1960er Jahren lässt sich die Aktualisierung des ästhetischen Wahrheitspotenzials exemplarisch veranschaulichen. Umgekehrt zeigt der erneute Strukturwandel der Öffentlichkeit zu einer Post-Truth Democracy, dass Adornos düsterste Deutung der Kulturindustrie, deren Veröffentlich die Co-Autoren der mit der Dialektik der Aufklärung gleichzeitigen Studien zur Autoritären Persönlichkeit seinerzeit abgelehnt hatten, dass sie erst heute wirklich aktuell geworden ist.
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Notes
- 1.
Terminologisch werde ich, obwohl die Sphären sich mittlerweile durchdringen und, wie Adorno sagt, „verfransen“, weiterhin Kunst als professionalisierte Sphäre ästhetischer Spezialisierung und Kulturindustrie als Massenkultur, die durch Medien der Massenkommunikation verbreitet wird, unterscheiden (Adorno 1967a, 158).
- 2.
Das Diktum von 1949 ist 1951 in der Festschrift für Leopold von Wiese erstmals erschienen. Bertold Brecht hatte es in dem sich selbst dementierenden Gedicht An die Nachgeborenen schon in den 1930er Jahren vorweggenommen (Adorno 1973b, 65 f.). Dem Diktum folgte sofort die Generalisierung, dass nach Auschwitz „die gesamte traditionelle Kultur nichtig“ sei (Adorno 1969a, 31), später und wieder mit Bezug auf Brecht: „Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll.“ (Adorno 1973a, 359). Das Diktum darf nicht so verstanden werden, dass Künstler keine Gedichte mehr schreiben sollten, sondern nur noch solche, deren Lyrik (wie die Baudelaires und Celans) „eine ohne Aura“ sei und sich damit als Lyrik selbst dementiere (Adorno 1973b, 477). Zur Komplexität der hochkontroversen Wirkungsgeschichte: Johann 2018.
- 3.
„Kunst verklagt die überflüssige Armut durch die freiwillige eigene; aber sie verklagt auch die Askese und kann sie nicht simpel als ihre Norm aufrichten.“ (Adorno 1973, 66)
- 4.
Zum Verhältnis von wahrheitserschließendem Potenzial und wahrheitsrelevanter Wirkung der Kunst: Wellmer 1983, 176.
- 5.
- 6.
An dieser Stelle der Ausgabe von 1969 steht „Grausamkeit“ anstelle der „Mordlust“ des ersten Privatdrucks von 1944 (vgl. DdA 1987, 163).
- 7.
Das wiederum bestätigt Adornos düstere Vermutung, derzufolge die Authoritarian Personality bereits bei Erscheinen veraltet gewesen sei, weil die gesellschaftliche Realität sich unmittelbar, ohne Vermittlung durch das Bewusste und Unbewusste der sozialen Akteure, sozusagen als reine Systemintegration zur Geltung bringt (Adorno 1948, Gordon 2016).
- 8.
Der russische Begriff der Troika meint einen Wagen, der von drei Pferden gezogen wird, gleichzeitig aber die Übersetzung des romanischen politischen Begriffs des Triumvirats, der schamlos auf begrenzte oder umfassende diktatorische Kompetenzen dreier Männer im Ausnahmezustand zurückgreift.
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Brunkhorst, H. (2019). Der Wahrheitsgehalt der Kulturindustrie – Zur Aktualität der Diagnose Horkheimer und Adornos. In: Schmid Noerr, G., Ziege, EM. (eds) Zur Kritik der regressiven Vernunft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22411-0_12
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