Zusammenfassung
Dass die Soziologie etwas zur Analyse nationaler Innovationssysteme beitragen kann und dass ihre Debatten anschlussfähig an Positionen der evolutionsökonomischen Innovationsforschung sind, steht im Zentrum des Beitrags. Es wird die Auseinandersetzung mit Innovation in ausgewählten speziellen Soziologien nachgezeichnet und anhand zweier Dimensionen, der Einbettung und der Koordination, die soziologische Anreicherung des Innovationssystemansatzes diskutiert. Die Dimension der Einbettung durch Netzwerke wird in theoretischer Hinsicht primär an Mark Granovetters Arbeiten festgemacht. Interpersonelle und interorganisationale Netzwerke gelten als soziale Struktur von Marktprozessen. Auf den Innovationssysteme-Ansatz übertragen sind Innovationsprozesse dann als Abfolge spezifischer Phasen darzustellen, deren heterogene Akteurskonstellationen auf Netzwerkbeziehungen basieren. Die Dimension der Institutionen wird anhand von Pierre Bourdieus Theorie der Felder ausgeführt. In sozialen Feldern treten subjektive Handlungsstrategien mit objektiven strukturellen und institutionellen Vorgaben in Verbindung. Felder stellen demnach gesellschaftliche Machtstrukturen und Konfliktkonstellationen dar.
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Notes
- 1.
Im Folgenden werden Differenzen im Verständnis von Innovationssystemen von Nelson, Freeman u. a. auf der einen und von Lundvall, Edquist u. a. auf der anderen Seite weitgehend ignoriert. Die weiteren Ausführungen beschränken sich auf Gemeinsamkeiten der Forschergruppen.
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Richard Swedberg (2008) weist darauf hin, dass vermutlich die Ideen von Max Weber wichtiger waren für die Einbettungsthese als das Konzept von Polanyi.
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Reinhard Zintl (1970) verdichtet die beiden Menschenbilder des homo sociologicus und des homo oeconomicus in einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Organisation und Innovation zum homo sociooeconomicus, der zwar nach individueller Nutzenmaximierung strebt, aber dennoch sozialer Kontrolle unterliegt. Adam Smith (1976, 1976a) verbindet – zwei Jahrhunderte früher – in seinen beiden zentralen Werken individuelles Nutzenstreben (self interest) mit dem Wunsch nach Sympathie und Anerkennung (moral sentiments).
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In diesem Sinne geht es auch um einen Prozess der De-Konstruktion – nämlich sämtliche Vorannahmen über menschliches Handeln als sozial-kulturell überformt zu entlarven.
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Daneben stehen andere Formen der Kooperation, wie die Vergabe externer FuE-Aufträge (ca. 14 %; Anteil sinkt zwischen 1994 und 2004 leicht) oder informelle, partielle Innovationszusammenarbeit (ca.37 %; Anteil bleibt stabil) (Rammer 2007; für eine Typologie von Kooperationsformen auch Sydow und Windeler 1999).
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Eine Kritik, die Florian an diesem Feldkonzept von Bourdieu hat, nämlich, dass die Habitustheorie nicht handlungstheoretisch fundiert ist, und damit die kulturelle und kognitive Rahmung auch in diesem Konzept zu kurz kommt, muss m. E. noch einmal genau geprüft werden. Florians Argument lautet folgendermaßen: „Theorie- und Forschungsdefizite bestehen hierbei insbesondere hinsichtlich der Frage nach der Kontinuität und Transformation von Habitusformen sowie hinsichtlich der Übergänge und des Zusammenspiels zwischen unterschiedlichen Handlungsprinzipien nicht-bewusster und präreflexiver Art (Habitus, Gewohnheit oder Routine) sowie zwischen diesen und den bewusst-reflexiven Handlungsformen (Zweck- und Wertrationalität).“ (Florian 2006, S. 97) Die Lösung sieht er in einem praxistheoretischen Institutionenkonzept.
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Dies stellt eine klare Parallele zum Netzwerkansatz dar. Vgl. auch Raider und Burt 1996.
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Blättel-Mink, B. (2020). Innovationssysteme – Soziologische Anschlüsse. In: Blättel-Mink, B., Ebner, A. (eds) Innovationssysteme. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22343-4_9
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