Zusammenfassung
In der Beziehung zwischen Symbolischer Ordnung und sozioanalytischer Reflexion lassen sich zwei Phänomene beobachten: Zum einen werden bei der Reflexion der Symbolischen Ordnung selten sozioanalytische Methoden, sondern eher erkenntnistheoretische oder psychoanalytische Analysemittel angewandt. Zum anderen werden viel zu häufig die Funktionen der Symbolischen Ordnung als Erkennungs- und Verkennungsmomente im Prozess der Entstehung sozialer Ungleichheiten übersehen.
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Notes
- 1.
Das Verhältnis zwischen psychoanalytischer und erkenntnistheoretischer Konzeption der symbolischen Ordnung ist nicht einseitig. Die Erkenntnisse von Psychoanalyse können vielmehr auch für die Erkenntnistheorie fruchtbar sein (vgl. Wörler 2015).
- 2.
Diese Lücke zwischen Realem und Imaginärem bzw. die Unerreichbarkeit des vollständigen Imaginären versinnbildlicht einerseits die menschliche Tragödie, andererseits öffnet sie gerade einen Spielraum für die sexuelle Energie und Libido in ihren verschiedenartigsten Formen.
- 3.
Die Entstehung einer Etablierte-Außenseiter-Figuration zwischen Alt-Eingesessen und Neuankömmlingen in einer kleinen Stadt mit dem Pseudonym Winston Parva verdeutlicht diesen Prozess sehr gut (vgl. Elias und Johnson 1993). Obwohl die Entstehungs- und Entwicklungsprozesse sozialer Ungleichheit eine der wichtigsten Grundlagen der Soziologie von Norbert Elias bilden, geht er bei seiner Analyse der Symbolsysteme kaum auf die Problematik der sozialen Ungleichheit ein. Sein Schwerpunkt ist überwiegend erkenntnistheoretisch, v. a. die Problematik der allgemeinen Theorie der Symbole auf der Grundlage der Natur- und Sozialwissenschaften (vgl. Elias 2002).
- 4.
Als ein kleines, aber sehr fruchtbares Beispiel für die Integration der psychologischen und soziologischen Analysen kann meines Erachtens Norbert Elias Werk über Mozart erwähnt werden (vgl. Elias 1993).
- 5.
Wie Menschen mit diesen Erkenntnissen umgehen und welche für Synthesen und politischen oder gesellschaftlichen Handlungen sie in ihrer Alltagspraxis vornehmen möchten, liegt außerhalb des Aufgabenbereichs der klinischen Soziologie. Auch wenn sie als Teil der Gesellschaft eigene Sichtweisen über die gesellschaftlichen Lösungen formulieren dürfen, sollten diese Formulierungen keinesfalls einen überlegenen Status beanspruchen. Die eigentliche Stärke der Soziologie ist die mühevolle wissenschaftliche Arbeit der Analyse und Veranschaulichung der verborgenen Mechanismen der Herrschaftsverhältnisse und symbolischen Ordnungen.
- 6.
Steinmetz interpretiert das Fehlen psychoanalytischer Theorieelemente in den Analysen von Bourdieu als Ergebnis seiner abwertenden Haltung gegenüber der Psychologie. Seine Vorsicht bei der Integration der Psychoanalyse in sein Theoriegerüst könnte meines Erachtens als Gegenteil von Überheblichkeit interpretiert werden. Diese Vorsicht zeigt möglicherweise gerade seine eigene Bescheidenheit – im Bewusstsein seines eigenen begrenzten Wissens über ein bestimmtes Gebiet. Bourdieu integrierte mehr die Begrifflichkeiten und Denkweisen philosophischer als psychoanalytischen Arbeiten, auch weil er selbst Philosophie studierte und mit philosophischen Texten vertrauter als mit psychoanalytischen war: „I was constantly saying myself: My poor Bourdieu, with the sorry tools you have, you won’t be up the task, you will need to know everything, to understand everything, (including) psychoanalysis. Loic J. D. Wacquant. asked Bourdieu about his position regarding psychoanalysis and why hadn’t pushed it further, Bourdieu responded that he would have needed a second life (to do this). (zitiert in Steinmetz 2006, S. 459) Für mich verdeutlicht dieses Zitat sein Respekt gegenüber der Psychoanalyse und die bevorstehende Aufgabe der Integration seiner sozioanalytischen Studien mit den psychoanalytischen Erkenntnissen. Steinmetz interpretiert die Haltung Bourdieus eher als inneren Widerstand: „Bourdieu’s avoidance of Lacan is thus problematic because so many of Bourdieu’s ideas based on, require integration with, psychoanalysis (especially Lacanian version) … Bourdieu will (always) been a psychoanalytic thinker. But this will have happened very much against his own resistance.“ (Steinmetz 2006, S. 448) Meines Erachtens vergisst Steinmetz, dass sowohl Freud als auch Lacan in erster Linie praktizierende Analytiker waren, und psychoanalytisches Denken nicht nur eine Sympathie für die Psychoanalyse voraussetzt, sondern eine vertiefte Beschäftigung mit dem gesamten Theoriegebäude erfordern würde.
- 7.
Der Marxismus erkennt die Ungleichheiten bzw. den Klassencharakter des Markts und Staates. Beim klassischen Marxismus fehlte jedoch eine Erklärung für den Rassismus, der innerhalb der Klassen (Arbeiterklasse oder Bourgeoisie) Ungleichheiten produziert. Beim modernen Marxismus finden sich einige Erklärungsversuche für den Rassismus. Meines Erachtens ist das Werk von Robert Miles mit dem Titel Capitalism and unfree labour: anomaly or necessity einer der ertragreichsten Beiträge zur Funktion des Rassismus in kapitalistischen Systemen (vgl. Miles 1987).
- 8.
Ich verwende diesen Begriff im Sinne von Pierre Bourdieu über Intellektuelle, „die sich ihrer Doppelzugehörigkeit bedienen, um den spezifischen Anforderungen beider Welten aus dem Weg zu gehen und in jede ihren in der anderen mehr oder weniger wohlerworbenen Status einzubringen …“ (Bourdieu 1998, S. 114).
- 9.
Hier sind die Aussagen von Sloterdijk über den Staat im Kontext der Steuer- und Flüchtlingsfrage zu vergleichen: „Wer eine gültige Sicht auf die Tätigkeiten der nehmenden Hand hätte entwickeln wollen, hätte vor allem die größte Nehmermacht der modernen Welt ins Auge fassen müssen, den aktualisierten Steuerstaat, der sich auch mehr und mehr zum Schuldenstaat entwickeln sollte. Ansätze hierzu finden sich de facto vorwiegend in den liberalen Traditionen. In ihnen hat man mit beunruhigter Aufmerksamkeit notiert, wie sich der moderne Staat binnen eines Jahrhunderts zu einem geldausgebenden und geldspeienden Ungeheuer von beispiellosen Dimensionen ausformte“ (Sloterdijk, FAZ vom 10.06.2009). „Die deutsche Regierung hat sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben“, sagte Sloterdijk im Gespräch mit dem Magazin Cicero. Dem Nationalstaat prophezeit Sloterdijk „ein langes Leben“. Er sei das einzige politische Großgebilde, das bis zur Stunde halbwegs funktioniere (Cicero vom Februar 2016).
- 10.
In der philosophischen Sprache bei Mannheim kann man diesen als Seinsgebundenheit bezeichnen (z. B. Mannheim 1984, S. 24 f.).
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Arslan, E. (2019). Symbolische Ordnung und Fluchtbewegungen: Eine sozioanalytische Reflexion. In: Arslan, E., Bozay, K. (eds) Symbolische Ordnung und Flüchtlingsbewegungen in der Einwanderungsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22341-0_2
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