Zusammenfassung
Das Fluchtgeschehen, das sich im September 2015 Bahn brach, störte die symbolische Ordnung in Deutschland, in der bis dato Flüchtlinge als Problem der Grenzstaaten der Festung Europa betrachtet worden war; nunmehr galt Flucht nach Deutschland als legitimes Anliegen. In dem Aufsatz wird untersucht, wie die Mitte-Rechts-Presse hierauf reagiert hat. Wie in einer Diskursanalyse mittels der Dokumentarischen Methode evident wird, stellte die Mitte-Rechts-Presse (FAZ, Bild, Welt) im Spätsommer/Frühherbst 2015 die Motive der Flüchtlinge als legitim dar, bezeichnete Asylgegner_innen als ‚rechts‘ und ‚rassistisch‘ und apostrophierte die Solidarität für Flüchtlinge als Zeichen eines ‚hellen Deutschlands‘. Dass es sich hier um eine dauerhaftere Verschiebung der symbolischen Ordnung handelt, zeigt sich dann in der Analyse der Berichterstattung zu den Silvesterereignissen 2015/16.
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Notes
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Zur Bedeutung „negativer Klassifikationen“, insbesondere solcher „kategorialer“ Art, die etwa zwischen Mann und Frau, Einheimischer und Migrant_in unterscheiden (im Unterschied zu graduellen Klassifikationen z. B. hinsichtlich der Bildung oder des Einkommens), für die symbolische Ordnung siehe Neckel und Sutterlüty (2008).
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Eine Ausnahme stellten Mitte der 1990er Jahre die innereuropäischen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien dar, die temporären Schutz in Deutschland fanden.
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Alexander (2017) hat den Vorlauf dieser Entscheidung und die auf sie folgenden politischen Entwicklungen minutiös rekonstruiert und dabei seine eigenen – asyl- und merkelkritischen – Wertvorstellungen eingeflochten.
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Für wertvolle Hinweise beim Verfassen dieses Artikels danke ich Philip Schelling.
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Die Akzeptanz dieser neuen Begriffe geht so weit, dass sie inzwischen von deutlich rassistisch positionierten Personen genutzt werden, um Menschen ihren Flüchtlingsstatus abzusprechen (in dem Sinne, dass sie im ersten sicheren Land noch Flüchtlinge gewesen, dann aber bei der Einreise nach Deutschland zu einfachen Migranten geworden seien).
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Die sich hier andeutende eher konservative Ausrichtung impliziert indes nicht, dass diese Zeitungen nur von entsprechend politisch eingestellten Leser_innen goutiert würden: 2015 sympathisierten 44 % der „FAZ“-Leserschaft, 42 % der „Welt“-Leser_innen und 38 % der „Bild“-Leserschaft mit der CDU/CSU (Prozentzahlen für die AfD: „FAZ“: 4; „Welt“: 5; „Bild“: 6), während sich der Rest auf Parteien links der CDU verteilte (IfD 2015). Ich danke Tino Hucke für wichtige Hilfen bei der Suche nach diesen Daten.
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Mannheim bezieht sich hier auf das Modell eines (individuellen) Akteurs, dessen Angemessenheit für einen Diskursbegriff, der nicht notwendigerweise von einem/r DiskursautorIn ausgehen muss, problematisiert werden kann.
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Auch Almstadt (2017, S. 188) kommt in ihrer Analyse von „Süddeutscher Zeitung“, „FAZ“ und „Bild“ zu dem Ergebnis, dass die Aufnahme der Flüchtlinge zum „identitätsstiftenden nationalen Großereignis stilisiert“ wurde. Völker (2015) hat auf Kontinuitäten dieses neuen Patriotismus zur nationalen Begeisterung im Zuge der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland hingewiesen.
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Gegenüber denjenigen Leser_innen, die asylkritisch bis -ablehnend eingestellt sind, lässt sich diese Verschiebung der symbolischen Ordnung auch als politische Erziehung interpretieren (vgl. Nohl 2017). Doch nicht nur in der Mitte-Rechts-Presse, auch innerhalb der CDU lässt sich politische Erziehung beobachten, in der die Führung der Partei deren Mitglieder die neue politische Orientierung mit Nachdruck zumutet (vgl. Nohl und Pusch 2017).
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Nohl, AM. (2019). Die Mitte-Rechts-Presse zum Fluchtgeschehen 2015/16: Störung oder Verschiebung der symbolischen Ordnung?. In: Arslan, E., Bozay, K. (eds) Symbolische Ordnung und Flüchtlingsbewegungen in der Einwanderungsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22341-0_13
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