Zusammenfassung
Der Beitrag beleuchtet eine Erwerbsarbeitssphäre von Frauen, handelt, an dem die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen plastisch wird: Erweist sich die Arbeit im Direktvertrieb hinsichtlich der dort vorherrschenden Geschlechterverhältnisse als vergleichsweise strukturkonservativ, stellt sie insbesondere hinsichtlich ihres Prekarisierungsgrades und ihrer Erwerbsstrukturen einen Fall von marktkapitalistischen Arbeitsverhältnissen avant la lettre dar.
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Notes
- 1.
Es sei kurz darauf hingewiesen, dass Regina Becker-Schmidt ihre These der „doppelten Vergesellschaftung“ aufgrund einer Studie über Fabrikarbeiterinnen gewonnen hat. Auch in dieser Hinsicht stellt der Direktvertrieb einen empirisch lohnenden Fall dar.
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- 3.
http://www.tupperware.de/unternehmen/informationen-zum-unternehmen/geschichte. Zugegriffen: 26. August 2018.
- 4.
Dies ist das Gehalt eines Facharbeiters; vgl. dazu http://www.nrs.co.uk/nrs-print/lifestyle-and-classification-data/social-grade/. Zugegriffen: 26. August 2018.
- 5.
Stundenweise, tageweise, sporadisch.
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Das heißt, „statt sie einfach zu unterdrücken, auf irgendeine Weise für andere Zwecke einzuspannen und nutzbar zu machen“ (Hirschman 1987, S. 24).
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So erhalten neue Beraterinnen von den Bezirkshändlerinnen eine Einarbeitung und werden zu den wöchentlichen Montagstreffen eingeladen. Dort werden neue Produkte vorgestellt, Verkaufstipps gegeben, die monatlichen Sonderangebote erläutert und erfolgreiche Mitglieder ausgezeichnet. Die Treffen finden in der Bezirkshandlung statt, wo auch die bestellten Waren abgeholt werden können. Bei ihrer Arbeit sind die Beraterinnen gehalten, sich an die von Tupperware vorgegebenen Ablaufpläne und Muster zu halten; selbst für die Einladung der Gäste gibt das Unternehmen Formulierungen vor. Sowohl bei der Vor- und Nachbereitung der Heimvorführung als auch für die „Party“ selbst müssen sich die Beraterinnen an eine standardisierte Reihenfolge halten, die Zweifel an einer Weisungsungebundenheit – eines der zentralen Merkmale selbstständiger Arbeit – der Beraterinnen aufkommen lassen. Die Arbeitsmittel, die Produkte sowie die Gastgeberinnen- und Gastgeschenke müssen die Beraterinnen vor den Heimpartys selbst kaufen; Kataloge und Bestellformulare stellt das Unternehmen zur Verfügung. Auch die Anreiz- und Wettbewerbsstruktur von Tupperware werden vollständig durch das Unternehmen gerahmt. Obwohl nicht vertraglich festgelegt, wird zudem Wert auf ein ansprechendes Äußeres gelegt, da die Beraterinnen nicht nur sich selbst, sondern in erster Linie das Unternehmen Tupperware repräsentieren sollen.
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„Wenn die Jungen ihre Einarbeitung machen in den ersten sechs Wochen und dürfen dann ihre Pfanne kriegen oder was auch immer, das ist: ‚Woah, ich habe was geschafft. Ich habe wirklich was geschafft!‘ Stark, würde ich sagen. Das ist dann wirklich Selbstbewusstsein, und das vertragen dann die Männer nicht, wenn die Frau nach sechs, acht Wochen [zu ihrem Mann sagt]: ‚So (klopft auf den Tisch): Und du bringst heute Abend das Kind ins Bett. Ich muss tuppern!‘ Und früher: ‚Schön, dass du da bist, Schatz. Hier sind deine Hausschuhe, hier ist dein Abendessen, Kinder bring ich auch ins Bett.‘ – Und daraufhin hören die meisten immer auf. [Dass die Frau] dann halt […] zu selbstständig [ist], das ist nichts!“ (Tupperberaterin_ 2013).
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Becker, K. (2020). Erwerbsarbeit von Frauen im Direktvertrieb. Ein empirischer Beitrag zur Debatte um Geschlechter- und Klassenverhältnisse. In: Becker, K., Binner, K., Décieux, F. (eds) Gespannte Arbeits- und Geschlechterverhältnisse im Marktkapitalismus. Geschlecht und Gesellschaft, vol 72. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22315-1_3
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