Zusammenfassung
Transnational koordinierte Arbeitnehmervertretungsstrukturen von den lokalen über die nationalen Ebenen bis hin zu Europäischen oder SE-Betriebsräten sind aus Sicht der Unternehmenszentralen ambivalent. Sie können zur Reduktion zentraler Kontroll-, Koordinations- und Steuerungsprobleme transnationaler Unternehmensorganisationen beitragen, sich aber auch als konfliktträchtiger Machtfaktor erweisen. Anhand empirischen Materials wird gezeigt, wie das zentrale Management deutscher Unternehmen mit dieser Ambivalenz umgeht, wie es Gegenmachtrisiken transnationaler Arbeitnehmervertretungsstrukturen entgegenarbeitet und zugleich die Elemente, die zur Reduzierung von Hierarchieproblemen beitragen, zu entwickeln versucht. Gewachsene konfliktpartnerschaftliche Arrangements mit den Betriebsratsspitzen an der heimischen Basis sind für das zentrale Management dabei in der Regel der Garant eines Transnationalisierungspfads der Arbeitsbeziehungen, bei dem die Gegenmachtrisiken unter Kontrolle gehalten werden können.
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Notes
- 1.
SE (Societas Europaea) bezeichnet die auf dem Weg einer EU-Verordnung 2001 geschaffene Rechtsform einer Europäischen (Aktien-)Gesellschaft; die Einrichtung eines europäischen Vertretungsorgans der Beschäftigten in der SE, eines SE-Betriebsrats, ist in einer die Verordnung ergänzenden EU-Richtlinie (2001/86/EG vom 8. Oktober 2001) gesondert geregelt. Aufgrund der geringen Unterschiede der Praxis von Europäischen und SE-Betriebsräten werden beide Gremien im Folgenden analog behandelt und als S/EBR abgekürzt. Weltbetriebsräten wird angesichts des noch immer äußerst geringen Verbreitungsgrads in den weiteren Ausführungen keine Beachtung geschenkt.
- 2.
Eine der wenigen Ausnahmen ist die Untersuchung von Trinczek (2004).
- 3.
Zur Figuration der Stellvertretung vgl. Sofsky und Paris (1994, S. 157 ff.).
- 4.
Das Begriffspaar Gegenmacht und Ordnungsfaktor geht zurück auf eine Untersuchung von Eberhard Schmidt zur politischen Rolle der deutschen Gewerkschaften der 1970er Jahre. Mit Ordnungsfaktor bezeichnet Schmidt eine systemintegrative und -stabilisierende, mit Gegenmacht eine systemoppositionelle Rolle der Gewerkschaften (Schmidt 1978, S 10 f.).
- 5.
Bosch, Ellguth, Schmidt und Trinzczek sind im Rahmen der von ihnen in den 1990er Jahren in der westdeutschen Metallindustrie durchgeführten Untersuchung auf folgende sechs „politische Kulturen der Austauschbeziehungen“ gestoßen: den „konfliktorischen Typus“, die „interessenorientierte Kooperation“, die „integrationsorientierte Kooperation“, den „harmonistischen Betriebspakt“, die „patriarchalische Betriebsfamilie“ und das „autoritär-hegemoniale Regime“. Die Ambivalenz spiegelt sich zugleich in unterschiedlichen S/EBR-Typen und -Identitäten (Lecher et al. 1999; Kotthoff 2006; Whittall et al. 2007).
- 6.
Dieses Co-Management kann bloße Nebenfolge des Handelns der Arbeitnehmervertretung (im Interesse der Beschäftigten) sein.
- 7.
Vgl. zu dem von Jürgen Kädtler (SOFI Göttingen), Hans-Wolfgang Platzer (Hochschule Fulda) und mir bearbeiteten Projekt https://www.boeckler.de/11145.htm?projekt=S-2015-874-2 B.
- 8.
Zur Kennzeichnung der herangezogenen Interviewpassagen werden die Fallunternehmen anonymisiert als Baustoff, Chemie 1–5, Dienstleistung 1–3 und Metall 1–3 aufgeführt.
- 9.
Letztlich geht es um die „Wahrnehmungs- und Definitionsmacht“ (Bosch 1997, S. 42) der Herausforderungen und Probleme, denen sich die Akteure der Arbeitsbeziehungen im Unternehmen gegenübergestellt sehen.
- 10.
Das zentrale Management lehnt Forderungen der Arbeitnehmervertreter, weltweite Betriebsratsgremien einzurichten, oftmals unter anderem mit eben dieser Begründung ab, dass unklar sei, in welchem Namen die Beteiligten sprächen und was sie mit den erhaltenen Informationen machten.
- 11.
Interessanter Weise entwickelten die zuständigen europäischen Gewerkschaften in diesem Konflikt Formen starker Koordinierung in Form gemeinsamer solidarischer Protestaktionen an der österreichischen Konzernzentrale (Rüb und Platzer 2015, S. 159).
- 12.
Das Betriebsverfassungsgesetz gibt für den deutschen Raum einen Rechtsrahmen für Betriebsvereinbarungen vor (normative Wirkung, Definition von Ebenenzuständigkeiten etc.). Es sieht derzeit nicht danach aus, dass die Initiative der EU-Kommission, einen „optionalen Rechtsrahmen für transnationale Kollektivverhandlungen in multinationalen Unternehmen“ für den europäischen Raum zu schaffen, erfolgreich zum Abschluss gebracht werden könnte. Ein solcher Rechtsrahmen würde die Ebenenverknüpfung mittels prozeduraler Vorschriften neu strukturieren (vgl. hierzu Rüb et al. 2011, S. 67 ff.).
- 13.
Systematisch – und damit auch schematisch – fällt hierunter die Ländergruppe, die in der vergleichenden Arbeitsbeziehungsforschung dem Modell der „romanischen Polarisierung“ (Ebbinghaus und Visser 1997) zugeordnet wird. Hierzu zählen gemeinhin die Arbeitsbeziehungen Frankreichs, Italiens, Spaniens, Portugals und Griechenlands. Das Management der untersuchten Unternehmen führte insbesondere Erfahrungen und Befürchtungen im Umgang mit französischen und italienischen Arbeitnehmervertreter/-innen an.
- 14.
Vgl. hierzu auch Kotthoff (2006, S. 128 f.), der genau diese beiden Aspekte betont; nämlich (1.) die Erfahrung, dass der „radikalere“ südeuropäische Ansatz wie auch der britische gewerkschaftlichere Ansatz („Shop-Steward-Modell“) vom deutschen sozialpartnerschaftlich-kooperativen Ansatz im Zaum gehalten werden kann, und (2.) den prinzipiellen Zugang der Betriebsratsspitze zur Leitungsebene des Unternehmens.
- 15.
Zu den managementseitigen Motiven und Interessen der Verhandlung und des Abschlusses europäischer Unternehmensvereinbarungen vgl. Platzer und Rüb (2014).
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Rüb, S. (2019). Transnationale Mehrebenenkoordinierung Europäischer Betriebsräte. In: Haipeter, T., Hertwig, M., Rosenbohm, S. (eds) Vernetzt und verbunden - Koordinationsprobleme im Mehrebenensystem der Arbeitnehmervertretung . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22309-0_8
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