Zusammenfassung
Kommt im zeitgenössischen italienischen Kino die Rede auf Homosexualität, gerät sofort der türkisch-italienische Autorenfilmer Ferzan Özpetek mit den Filmen Il bagno turco/Hamam (1997), Le fate ignoranti/Die Ahnungslosen (2001) und Saturno Contro/In Ewigkeit Liebe (2007) in den Blick. Özpetek durchleuchtet in ihnen Welten, in denen heteronormative Identitäten ins Wanken geraten, wobei das Coming-out häufig als Katalysator für die Suche nach einem neuen Leben fungiert. Dieser Beitrag widmet sich der sehr erfolgreichen Komödie Mine Vaganti/Männer al dente (2010). Er fragt danach, ob es in einem patriarchalen System Raum zur queeren Neuerfindung gibt. Einen zentralen Raum nimmt dabei das in diesem Film zweifach durchgespielte Coming-out-Narrativ ein. Özpetek spielt dabei mit dem Genre des Coming-out-Films und wertet so die Bedeutung des Out-Seins genauso um wie die eindeutige Festlegung sexueller Orientierung. Darüber hinaus argumentiert der Beitrag, dass die Diskursivierung des Coming-outs immer mit Vorstellungen von ‚Fortschrittlichkeit‘ und ‚Rückschrittlichkeit‘ verknüpft ist und damit auch Wertungen über Räume und Zeitlichkeit einhergehen.
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Notes
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Als Movida Madrileña (Madrider Bewegung) bezeichnet man die kreative und hedonistische kulturelle Bewegung, die sich nach dem Tod von General Franco (1975) in Madrid bildete. Diese Bewegung reichte bis in die 1980er-Jahre.
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Das Konzept hegemonialer Männlichkeit geht auf die australische Soziolog_in und Erziehungswissenschaftler_in Robert (Raewyn) W. Connell zurück. Davon ausgehend, dass sich Männlichkeit sowohl über das Verhältnis zu Weiblichkeit als auch über das zur eigenen Genusgruppe konstituiert, theoretisiert es, wie sich verschiedene Männlichkeiten im Kräftefeld der Gesellschaft zueinander verhalten. Als hegemoniale Männlichkeit bezeichnet Connell jene Männlichkeit, die eine gewisse Verfügungsgewalt inne hat und an der gesellschaftlichen Macht partizipiert. Sie wird als gesellschaftliches Leitbild, dem viele Männer nachstreben, anerkannt. Zentral für das Fortbestehen moderner hegemonialer Männlichkeit ist ihre Abgrenzung gegenüber untergeordneten Männlichkeiten. Als solche gilt nach Connell insbesondere Homosexualität, da sie die Basis der Geschlechterordnung, die Heteronormativität infrage stellt (Connell 2006).
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Z. B. als beste Komödie beim Nastro dʼArgento; von den zahlreichen Nominierungen beim wichtigsten italienischen Filmpreis, dem David di Donatello, sind nur die für die beste Nebendarstellerin (Ilaria Occhini) und den besten Nebendarsteller (Ennio Fantastichini) erfolgreich. Außerdem gewinnt er den italienischen Golden Globe für den Besten Film, ebenso den Ciak d’oro und den Preis der Special Jury beim Tribeca Film Festival in New York.
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Im englischsprachigen Verleih heißt der Film angelehnt an den Originaltitel Loose Cannons.
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Özpetek im Interview „Der Regisseur aus Lecce“, Begleitmaterial auf der DVD.
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Der Darsteller Riccardo Scamarcio ist in Italien ein Teenager- und Mädchenstar. In Mine Vaganti die Rolle einer schwulen Figur zu spielen, kann sicher als Versuch gewertet werden, sich im Middlebrow-Filmsegment zu etablieren (O’Rawe 2014).
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Den Teddy gewinnt hingegen ein anderer Film, nämlich das Drama Una Mujer Fantastica (A Fantastic Woman), eine chilenisch-deutsch-spanisch-US-amerikanische Koproduktion, die die Geschichte einer Transsexuellen erzählt.
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Analog zur romantischen Komödie, die mit der heterosexuellen Paarbildung schließt und die Paare nicht in die Mühen des alltäglichen Beziehungslebens führt, gibt es in Coming-out-Filmen kein Leben nach dem ersten Outing. Beide streben nach einem geschlossenen Narrativ.
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„Ich habe es mir hart verdient dieses Stück Leben, ob’s gut oder schlecht wird, egal.“
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Zu queer negativity vgl. Edelman 2004.
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Die Lachszene ist ein Verweis auf Sedotta e abbandonata (Seduced and Abandoned) von Pietro Germi. In dieser satirischen Komödie aus dem Jahr 1964 sieht ein Familienvater seine süditalienische Ehre durch die uneheliche Schwangerschaft seiner Tochter bedroht und versucht diese ‚Schande‘ in der Öffentlichkeit wegzulachen (Bieberstein 2013, S. 216). Özpetek ehrt mit seiner Lachszene Germi und verschiebt das soziale Stigma gemäß dem traditionellen Süditalien von der unehelichen Schwangerschaft zur Homosexualität.
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„Hooy here comes that man again/something in the way he moves/makes me sorry. /I am a lady. /Hello stranger/youʼre a danger to the law and order here/they donʼt like men like you in our city. /Youʼre too pretty cool and witty/youʼre a real bad company/I should have stayed away from you today …“.
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Eve Kosofsky Sedgwick hat das Narrativ des Coming-outs in ihrem grundlegenden Buch Epistemology of the Closet eingehend untersucht. Jedes Coming-out setzt das closet (Versteck) voraus, das als unentrinnbarer Referenzpunkt zentral für homosexuelle Kultur und Identität im 20. Jahrhundert ist. Auch wenn das Coming-out das Öffentlichmachen der eigenen Homosexualität meint, schreibt es sich doch auf der anderen Seite in die von Michel Foucault (1997) beschriebene essentialistisch aufgeladene Identitätspolitik der Homosexuellen als „Spezies“ ein.
Literatur
Babuscio, Jack. 2005. Camp and the Gay Sensibility. In Queer Cinema. The Film Reader, Hrsg. H. Benshoff und S. Griffin, 121–136. New York, London: Routledge.
Benshoff, Harry und S. Griffin. 2005. General Introduction. In Queer Cinema. The Film Reader, Hrsg. H. Benshoff und S. Griffin, 1–15. New York, London: Routledge.
Bieberstein, Rada. 2013. „Mine Vaganti“: Film Theoretical Considerations on Transculturality And The Cinema Of Ferzan Ozpetek. In The Cinemas of Italian Migration: European and Transatlantic Narratives, Hrsg. S. Schrader und D. Winkler, 201–229. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing.
Boschi, Elena. 2015. Loose cannons unloaded. Popular music, space, and queer identities in the films of Ferzan Özpetek. Studies in European Cinema 12(3): 246–260.
Bronski, Michael. 2000. Positive Image & the Coming Out Film: The Art and Politics of Gay and Lesbian Cinema. Cinéaste 26(1): 20–26.
Connell, Robert W. 2006. Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 3. Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Duncan, Derek. 2005. Stairway to Heaven: Ferzan Özpetek and the Revision of Italy. New Cinemas: Journal of Contemporary Film 3(2): 101–113.
Edelman, Lee. 2004. No Future. Queer Theory and the Death Drive. Durham, London: Duke University Press.
Foucault, Michel. 1997 [1979]. Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Gotto, Lisa. 2013. Komödie. In: Filmwissenschaftliche Genreanalyse. Eine Einführung, Hrsg. M. Kuhn, I. Scheidgen und N. V. Weber, 67–85. Berlin: de Gruyter.
Hegemann, Helena. 2017. Triumph des Gefühls. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 7(40).
Keppler, Angela und M. Seel. 2012. Türen. In Motive des Films. Ein kasuistischer Fischzug, Hrsg. C. N. Brinckmann, B. Hartmann und L. Kaczmarek, 189–193. Marburg: Schüren.
Kosofsky Sedgwick, Eve. 2003 [1990]. Epistemologie des Verstecks. In Queer Denken. Queer Studies, Hrsg. A. Kraß, 113–143.
O’Rawe, Catherine. 2014. Stars and Masculinities in Contemporary Italian Cinema. New York: Palgrave Macmillan.
Schrader, Sabine. 2012. Queering Family im zeitgenössischen Kino der Romania. Todo sobre mi made (1999), Drôle de Félix (2000) und Le fate ignoranti (2001). In Figurationen der Liebe, Hrsg. S. Neuhaus, 235–256. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Sontag, Susan. 2006 [1964]. Anmerkungen zu ‚Camp‘ (Notes on „Camp“). Die Einheit der Kultur und die neue Erlebnisweise (One Culture and the New Sensibility). In Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Hrsg. S. Sontag, 322–341. Frankfurt am Main: Fischer. (Original 1964).
Filme
Il bagno turco – Hamam (Hamam. Das türkische Bad). (Italien, Türkei, Spanien 1997). Regie: Ferzan Özpetek. DVD Soprasso Film 1997.
Le fate ignoranti (Die Ahnungslosen). (Italien, Frankreich 2001). Regie: Ferzan Özpetek. DVD Alamode Film 2007.
Mine Vaganti (Männer al dente). (Italien 2010). Regie: Ferzan Özpetek. DVD Fandango 2010.
Internetquellen
Aystran, Fiona. 2010. Loose cannons (Mine Vaganti) – review. The Film Review. http://thefilmreview.com/reviews/loose-cannons-vaganti-review.html. Zugegriffen: 30. März 2017.
Offizielle Festivalhomepage 2016: https://www.berlinale.de/de/das_festival/sektionen_sonderveranstaltungen/panorama/index.html. Zugegriffen: 14. März 2017.
o. N. 2016. Offizielle Festivalhomepage der Berliner Filmfestspiele. https://www.berlinale.de/de/das_festival/sektionen_sonderveranstaltungen/panorama/index.html. Zugegriffen: 14. März 2017.
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Fenske, U. (2019). „Normalität, was für ein schreckliches Wort“ – Mine Vaganti (Männer al dente, 2010) als queerer Film. In: Fleischer, L., Heesch, F. (eds) „Sounds like a real man to me“ – Populäre Kultur, Musik und Männlichkeit. Geschlecht und Gesellschaft, vol 69. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22307-6_9
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