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Wie die Utopie zum anarchistischen Roman wurde. Michael Moorcocks Zeitnomaden-Trilogie und die kritische Utopie

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Kulturrebellen – Studien zur anarchistischen Moderne
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Zusammenfassung

Seit den 1970er Jahren kommen kritische Utopien in Mode, die positive Gesellschaftsbeschreibungen mit Kritik an den schlechten Folgen sogar der guten Ordnungen verbinden. Politisch bedeutet das eine prinzipielle Herrschaftskritik, die meist kompatibel mit dem Anarchismus ist. Literarisch ist dies möglich, indem die klassische Diskursivität der Utopien durch eine Narrativität ersetzt oder überlagert wird, die die Perspektive von Personen, die Konflikt und Unzufriedenheit in der fiktiven Ordnung erleben, einnimmt. Vorläufer dieses Paradigmenwechsels der literarischen Utopie ist Michael Moorcocks Trilogie A Nomad of the Time Stream (1971–1981). Darin werden die mit richtigem Handeln in utopischen Gesellschaften verbundenen ethischen Probleme behandelt, indem anarchistische Figuren (insbesondere Nestor Makhno) in ein Alternativuniversum gestellt werden. Die Frage nach der Vorbildlichkeit anarchistischen Handelns wird ebenfalls in Dennis Danvers Roman The Watch (1999) behandelt, hier mit Peter Kropotkin als Protagonist. Die Betonung der Persönlichkeit als Element der Konstruktion und Kritik neuer Gesellschaftsordnungen findet sich in zahlreichen kritischen Utopien und kritischen Dystopien bis heute.

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Notes

  1. 1.

    Für eine kurze Übersicht siehe Seyferth (2014, 251–254).

  2. 2.

    Tatsächlich bediente sich Moorcock für die Namenwahl bei Edith Nesbits The Treasure Seekers (1899), einem einflussreichen viktorianischen Kinderroman, in dem die sechs Bastable-Geschwister verschiedene Abenteuer erleben. Der Ich-Erzähler möchte seine Identität nicht lüften („It is one of us that tells this story—but I shall not tell you which: only at the very end perhaps I will. While the story is going on you may be trying to guess, only I bet you don’t.“, Nesbit 1899 3), aber es wird schnell deutlich, dass es Oswald Bastable ist. Hier ist nicht der Raum, allen Aspekten der Intertextualität nachzugehen.

  3. 3.

    Hier bezieht sich Bastable auf ein rassistisches, den „zivilisierenden“ Imperialismus als geradezu väterliche Pflicht der Weißen exkulpierendes Gedicht Rudyard Kiplings: „The White Man’s Burden“ (1899). Einem britischen Major in dieser Zukunft kommt Kipling, der 1902 schon das Britische Empire in Gefahr sah, als „Schwarzseher“ vor: „Ich fürchte, Kipling genießt heute kein allzu großes Ansehen mehr. Er hatte zwar das Herz auf dem rechten Fleck, aber ich glaube, daß er in letzter Minute den Glauben verloren hat.“ (Moorcock 1991, 81 f.).

  4. 4.

    Diese Erzählstrategie wird etwa in Romanen verwendet, die ein kritisches Verständnis der Attentats-Strategie ermöglichen sollen, die von manchen Anarchisten um 1900 herum verfolgt wurde. Die Ermordung von Staatsoberhäuptern und Polizisten hat viel zum Zerrbild des Anarchisten als zerstörerischem Gewalttäter beigetragen (an das auch Bastable glaubte), obwohl die gewaltsame Durchsetzung politischer Ziele in dieser Zeit in allem Ideologien anerkannte Strategie war und sich Anarchisten inzwischen deutlich von dieser (nicht gerade zielführenden) Strategie getrennt haben. Beispiele sind Jürgen Alberts Der Anarchist von Chicago (1995) und Daniel de Roulets Zehn unbekümmerte Anarchistinnen (2017); sie können hier aus Platzgründen nicht behandelt werden.

  5. 5.

    Mehr dazu in Seyferth (2008, 130–147).

  6. 6.

    Vgl. auch Seyferth (2014, 254–259) und Seyferth (2018).

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Seyferth, P. (2019). Wie die Utopie zum anarchistischen Roman wurde. Michael Moorcocks Zeitnomaden-Trilogie und die kritische Utopie. In: Magerski, C., Roberts, D. (eds) Kulturrebellen – Studien zur anarchistischen Moderne. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22275-8_14

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