Zusammenfassung
(Refl exive) Grounded Theory beschäftigt sich mit der Sinn- bzw. Bedeutungsebene von Handeln und Erleben in sozialen Lebenswelten. Es stellen sich grundlegende Fragen ihrer Erkennbarkeit und Beschreibungsmöglichkeiten. Wir richten unseren Blick auf die Subjektseite der Erkenntnis in alltagsweltlichen wie in sozial-/wissenschaftlichen Zusammenhängen. Methodologisch berücksichtigen wir das in Form konstruktivistischer Überlegungen (Standpunktbedingtheit, Perspektivität, multiple Beschreibungen und deren Vergleiche). Die wissenschaftstheoretischen Konzepte des Erklärens und Verstehens werden in ihrer Bedeutung für den Forschungsstil abgewogen. Wir stellen die Grundideen sozialwissenschaftlicher Hermeneutik sowie der hermeneutischen Erkenntnishaltung vor und gleichen diese mit der Methododologie der Refl exiven Grounded Theory ab. Wir betrachten den Grundgedanken der Hermeneutik als eine tragende Säule des RGTM-Forschungsstils. Schließlich besprechen wir die Frage des induktivistischen Selbstmissverständnisses der frühen GTM und führen das Prinzip der Abduktion zur Konzeptualisierung der Kreativ-Komponente der R/GTM ein. Die epistemologischen Grundlagen und methodologischen Ausrichtungen der R/GTM-Autorinnen zeichnen sich durch verschiedenartige, zum Teil unklare und mitunter kontroverse Positionen aus. Das Kapitel soll ein wenig Licht in diesen unübersichtlichen Komplex bringen.
Jede wissenschaftliche Forschungsmethodik besitzt eine philosophisch-erkenntnistheoretische Grundlage – ob ihre Vertreterinnen (sich) darüber Rechenschaft ablegen oder nicht. Im Spektrum der GTM-Spielarten sind unterschiedliche epistemologische Überzeugungen repräsentiert: von einem „naiven Empirismus“, der die Welt unproblematisch in unseren begriffl ichen Konzepten abgebildet sieht, bis zu postmodernen Varianten, in denen sich die Strukturen vielstimmig und fl üchtig und in Zusammenhang mit der Weltsicht der Betrachter konfi gurieren. In unserer RGTM-Auffassung betrachten wir sozialwissenschaftliche Erkenntnis als in der dynamischen Interaktion zwischen dem Forscher und seinem Gegenstand (Thema, Untersuchungspartnerinnen, Forschungsfeld) hervorgebracht, von der Standort-Charakteristik des Forschenden geprägt und auf der Basis seiner präkonzeptuellen Erkenntnis-Optik konstruiert.
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Breuer, F., Muckel, P., Dieris, B. (2019). Erkenntnisphilosophischer Rahmen und sozialwissenschaftliche Traditionen. In: Reflexive Grounded Theory. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22219-2_3
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