Zusammenfassung
Pädagog*innen of Color sind zunehmend sowohl pädagogisch tätig als auch maßgeblich an erziehungswissenschaftlichen Diskussionen beteiligt. Dabei gelten sie im bildungspolitischen Diskurs als Hoffnungsträger*innen interkultureller Öffnungsprozesse und erleben gleichzeitig Rassismuserfahrungen im eigenen Arbeitskontext. Der Beitrag widmet sich dieser doppelten Positionierung von Pädagog*innen of Color und nimmt dabei ihr situiertes Wissen als „outsider within“ zum Ausgangspunkt. Am Beispiel eines Interviewausschnitts mit einem Pädagogen of Color wird nachgezeichnet, wie auf rassistischem Wissen basierende Differenzierungen Einfluss auf sein professionelles Fremd- und Selbstbild haben und über welches Wissen und welche Kompetenzen im Umgang mit Rassismuserfahrungen er verfügt. Die Anwesenheit von Pädagog*innen of Color in pädagogischen Arbeitskontexten wird anschließend als irritierende Präsenz konzipiert und dafür plädiert, Professionalität in der Migrationsgesellschaft grundsätzlich als positionierte Professionalität zu verstehen.
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Notes
- 1.
Mit Andere sind hier und im Folgenden Menschen gemeint, die durch rassistische oder kulturalisierende Konstruktionen zu Anderen gemacht und als Andere zu Subjekten werden. Um jenen Konstruktcharakter zum Ausdruck zu bringen, schreibe ich Andere kursiv.
- 2.
Ich verwende an dieser Stelle den Begriff ‚mit Migrationshintergrund‘, um den bildungspolitischen Diskurs wiederzugeben. Die seit 2005 im Mikrozensus erhobene Kategorie ‚Migrationshintergrund‘ ermöglicht zum einen wichtige Erkenntnisse über Zugangsbarrieren und Diskriminierungen dieser Gruppe. Andererseits ist die Kategorie für eine rassismuskritische Analyse nur bedingt sinnvoll, da sie Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die Rassismuserfahrungen machen, etwa Roma und Schwarze Deutsche, nicht erfasst und nicht alle Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland Rassismuserfahrungen machen. Aus diesem Grund setze ich den Begriff in einfache Anführungszeichen.
- 3.
Für die untersuchte Gruppe verwende ich in meiner, diesem Beitrag zugrunde liegenden Dissertation den Terminus Person/People of Color (PoC) bzw. Pädagog*innen of Color. PoC bezieht sich auf Menschen, die in Deutschland aufgrund rassistischer Differenzierungen als Andere definiert und abgewertet werden und somit Rassismuserfahrungen machen. Der Begriff People of Color geht auf die antirassistischen Befreiungsbewegungen in den 1960er Jahren zurück und ist eine Selbstbezeichnung, die auf einer Solidarität stiftenden Perspektive zwischen rassifizierten Menschen basiert, um die koloniale Strategie des ‚Teile und Herrsche‘ zu unterlaufen (vgl. Ha 2013). Die Verwendung eines in sozialen Bewegungen als Selbstbezeichnung entstandenen Begriffs als wissenschaftliche Analysekategorie ist nicht unproblematisch, da er dabei teils seiner bewegungsgeschichtlichen, politischen Verwendung enthoben wird. Ich setze jedoch nicht voraus, dass die von mir befragten Personen die Selbstbezeichnung Person of Color für sich verwenden. Ich habe den Begriff u. a. gewählt, um die Bedeutung der Selbstpositionierung der Interviewten als konzeptionellen Teil der Studie sichtbar zu machen. So wurde gezielt nach Interviewpartner*innen gesucht, die sich von der obigen Definition von PoC angesprochen fühlen.
- 4.
Vgl. zum Verständnis von Rassismus und Rassismuskritik, das der Arbeit zugrunde liegt, Hall 1989; Miles 1991, Terkessidis 1998 sowie Melter und Mecheril 2011. Zur professionstheoretischen Fundierung rekurriert die Arbeit zum einen auf Ansätze, die sich mit der Machtförmigkeit von Professionalität befassen (vgl. bspw. Helsper 2002; Dewe und Otto 2001), zum anderen auf Arbeiten und Beiträge zum Zusammenhang von Biografie und Professionalität (vgl. bspw. Nagel 1997; Kraul et al. 2002).
- 5.
Cem Atalan (unveröffentlichtes Interview). Verwendete Transkriptionsregeln: Die Intonation wird mit Satzzeichen widergegeben: ,(schwach steigend); (schwach sinkend) und. (stark sinkend). Hörersignale der Interviewerin sind mit //..//, ein kurzes Absetzen, mit (.) gekennzeichnet. Längere Pausen werden mit der Anzahl der Sekunden in Klammern kenntlich gemacht: (1).
- 6.
Cem Atalan (unveröffentlichtes Interview).
- 7.
Schulstationen sind ein an Schulen angesiedeltes sozialpädagogisches lebensweltorientiertes Angebot für Schüler*innen. Sie stellen ein Modell der Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe dar, wobei sie von der Schule unabhängig sind und über das Jugendamt finanziert werden (vgl. von Werthern 2007, S. 20).
- 8.
Sogenannte ‚interkulturelle Kalender‘ werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber auch von Integrationsbeauftragten auf Landesebene herausgegeben und weisen auf Fest- und Feiertage verschiedener Kulturen und Religionen hin.
- 9.
Vor dem Hintergrund, dass Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte weniger verdienen und häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als der Bundesdurchschnitt (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2011, S. 23, 60) kann die abwertende Bezeichnung „Türken“ auch als Ausdruck intersektionaler Diskriminierung in Form von interagierender rassistischer und klassistischer Abwertungen gelesen werden.
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Mai, H. (2018). Zur irritierenden Präsenz und positionierten Professionalität von Pädagog*innen of Color. In: Mai, H., Merl, T., Mohseni, M. (eds) Pädagogik in Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21833-1_11
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