Zusammenfassung
Der Beitrag schlägt eine praxistheoretische Betrachtungsweise jugendszenischer Artefakte vor. Mit dieser theoretischen Brille ist es möglich die Zusammenhänge von Praktiken, Artefakten und Geschlechterkonstruktionen zu rekonstruieren. Ausgehend von ethnographischem Datenmaterial zeigt dieser Beitrag wie zwei jungen Frauen in einer sonst aus männlichen Mitgliedern bestehenden Ultragruppe ihr Geschlecht konstruieren und damit gleichzeitig ihr doing ultra verkörpern. Daran kann deutlich gemacht werden, dass ein mit Artefakten verbundenes Praxiswissen Körper dazu befähigt zwei Praxiskomplexe miteinander zu verbinden. Geschlechterpraxis kann dabei Ultrapraxis sein und umgekehrt. Artefakte tragen demnach verschiedene Wissensbestände in sich.
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Notes
- 1.
Eine einzelne Praktik, wie das Beine überschlagen, ist erst Teil des doing gender, wenn es mit anderen Praktiken und Artefakten verbunden wird, wie Kleidung, Blicken, Handhaltung usw.
- 2.
Wieser stellt heraus, dass sich gerade beim (argumentativen) Umgang mit Artefakten zwei „Versionen“ praxistheoretischer Perspektiven herausgestellt haben (vgl. Wieser 2004, S. 93). Die eine betrachtet Artefakte als Elemente bzw. Objekte mit denen Praktiken verkörpert werden, die andere betont die Praktiken der Artefakte (vgl. ebd.). Letztere ist vor allem prominent vertreten in der Akteur-Netzwerk- Theorie von Latour (z. B. 2002) erstgenannte vor allem durch Hörning (2001) oder auch Schatzki (2008).
- 3.
Damit ist hier zunächst ein Mittelweg zwischen einem Tun mit Dingen und einem Tun der Dinge (vgl. Wieser 2004) gemeint. Siehe Fußnote 2.
- 4.
- 5.
Dazu gehört, dass einige schon sehr früh im Stadion sein wollen, um sich um Choreographiematerialen zu kümmern oder um Kontakte zu pflegen, andere wiederum das gemeinschaftliche Beisammenstehen vor dem Stadion bevorzugen und erst kurz vor Spielbeginn das Stadion betreten.
- 6.
Hier sind alle Artefakte denkbar von A wie Alkohol oder alkoholfreies Bier bis Z wie Zaun oder Zeitschrift.
- 7.
Darüber hinaus werden solche Verbote auch genutzt, um Ultragruppen zu sanktionieren, da die Verantwortlichen oder die Polizei sich durchaus darüber bewusst ist, wie wichtig die Zaunfahnen für die Ultras sind.
- 8.
Mit Überfall meine ich hier die Auseinandersetzung mit anderen Gruppen oder auch mit der Polizei, erstere habe ich während meines Feldaufenthaltes nicht miterlebt.
- 9.
Es wäre auch möglich zu interpretieren, dass vor allem die Frauen in der Gruppe die Dramatisierungspraxis an den Tag legen, vielleicht weil sie zeigen wollen, dass sie Ultrapraktiken beherrschen oder auch, weil sie sich selbst als weiblichen (und schwachen) Körper inszenieren. Diese Interpretationslinie muss allerdings aus Platzgründen an dieser Stelle ausgespart werden.
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von der Heyde, J. (2019). „Frauen und Fahnen in die Mitte“ – Ultraspezifische Artefakte und ihre Bedeutung für eine Konstruktion von Geschlecht. In: Böder, T., Eisewicht, P., Mey, G., Pfaff, N. (eds) Stilbildungen und Zugehörigkeit. Erlebniswelten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21661-0_8
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