1 Herkunft, Klärung und Abgrenzung des Begriffs

Governance ist ein in der Politik- und Verwaltungswissenschaft sehr weitverbreiteter Begriff. Er steht für Formen der Handlungskoordination in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexten. Im Unterschied zu ‚government‘ beschränkt sich ‚governance‘ nicht nur auf die Verfahren und Instrumente staatlicher Regulierung. Die Governance-Perspektive geht vielmehr davon aus, dass eine Vielzahl von Akteuren in höchst unterschiedlichsten Konstellationen an gesellschaftlichen Regulationsprozessen beteiligt sind und dass dabei neben staatlicher Hierarchie eine Fülle von unterschiedlichen Handlungsmodi zum Einsatz kommen können. New Public Governance als Leitbild für die Staats- und Verwaltungsmodernisierung grenzt sich damit auch von Reformleitbild des New Public Management (NPM) ab, das die Erbringung öffentlicher Leistungen durch private Akteure, die sich durch Markt und Wettbewerb koordinieren, präferierte.

Etymologisch leitet sich Governance von dem griechischen kybernan und den lateinischen Verben gubernare und regere ab. Diese Begriffe wurden in der Antike sowohl dafür verwendet, das Steuern eines Schiffes zu beschreiben als auch die Lenkung eines Staates. Seit Platon und Cicero wird der Staat immer wieder mit der Schiffsmetapher umschrieben. Schiff und Staat, beide sind diesem Bild zufolge vielfältigen Einflüssen ausgesetzt. Das tatsächliche Schiff muss sich ebenso wie das Staatsschiff seinen Weg durch turbulente Umwelten bahnen. Der Steuermann trägt die Verantwortung, das Schiff sicher durch die stürmische See und an Riffen vorbei zu manövrieren, er kann dies aber nicht alleine bewältigen, sondern ist auf andere Akteure angewiesen. In den englischen und französischen Begriffen ‚govern‘ bzw. ‚gouverner‘ und dem deutschen ‚regieren‘ wird die Schiffsmetaphorik bis heute deutlich (Blythe 2014, S. XV; Kenis und Schneider 1996, S. 9).

Governance ist also alles andere als ein neuer Begriff, aber er spielte vor den 2000er-Jahren weder in der verwaltungswissenschaftlichen noch in anwendungsbezogenen Verwaltungsreform-Debatten eine große Rolle. Verwendung fand er zum einen in den Wirtschaftswissenschaften, wo er zur Analyse der Koordination von ökonomischen Austauschprozesse und der Gestaltung von Leitungsstrukturen genutzt wurde (z. B. Coase 1937; Williamson 1973), zum anderen in Studien zur Steuerung von Universitäten und lokaler Politik (Levi-Faur 2012), d. h. also in Bereichen, in denen Hierarchie als idealtypische Form der Handlungskoordination eine eher untergeordnete Rolle spielt. Seit den frühen 2000er-Jahren ist jedoch, wie bibliometrische Studien zeigen, die Zahl der verwaltungswissenschaftlichen Arbeiten, in denen der Governance-Begriff eine tragende Rolle spielt, exponentiell angestiegen. Ebenso hat der Begriff Eingang in die praxisbezogene Verwaltungsmodernisierungsdiskussion gefunden und wird zur Beschreibung von Reformkonzepten verwendet oder ist Gegenstand von Fortbildungsseminaren für Mitarbeiter und Leitungskräfte der öffentlichen Verwaltung. Die steile Begriffskarriere erstaunt umso mehr, da der Begriff stark polarisiert. Viele sehen in Governance immer noch nur ein bloßes Modewort, eine hohle Phrase oder einen leeren Signifikanten; Governance wurde vor allem in der deutschsprachigen Debatte aufgrund der schweren Übersetzbarkeit des Begriffs zunächst abgelehnt.

Die heute nahezu inflationäre Verwendung des Begriffs wird u. a. damit erklärt, dass in seinem Bedeutungsgehalt die Idee von dauerhaft sich ändernden, instabilen und turbulenten Umwelten mitschwingt. Er steht damit paradigmatisch für den empirisch beobachtbaren Wandel von institutioneller Regulation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert. Die vertikale und horizontale Ordnung des demokratischen, intervenierenden Rechts- und Sozialstaats, der die politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung in den westlichen Demokratien der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts maßgeblich prägte, zerfasert zunehmend. In der vertikalen Dimension lassen Globalisierung und Internationalisierung die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats und seine Rolle als Garant von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ordnung brüchig werden. In der horizontalen Dimension stellten Prozesse der Liberalisierung, sozialer, aber auch technologischer Wandel (Digitalisierung) das bisherige Zusammenspiel von Staat, Markt und Zivilgesellschaft in Frage. Sowohl die Funktionalität als auch die Legitimität der tradierten Formen der Handlungskoordination stehen in der Kritik, wodurch sich eine intensive Diskussion über neue Formen der institutionellen Regulation entwickelte.

2 Darstellung des Konzeptes

Obwohl Governance mittlerweile als etablierter Begriff gelten kann, der zur Beschreibung der Struktur und zur Analyse des Wandels von politischer, ökonomischer und sozialer Ordnung verwendet wird, steht kein einheitliches oder klar konturiertes Konzept hinter diesem Begriff. Im Gegenteil: es gibt eine breite Vielfalt von unterschiedlichen Ansätze, die gerade auch hinsichtlich der Theoriebezüge differieren.

Trotz aller Unterschiede im Detail lassen sich einige gemeinsame Kernüberzeugungen der Governance-Forschung beschreiben. Eine der zentralen Prämissen der Governance-Forschung ist, dass bei Fragen der Handlungskoordination zwischen Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt nicht klar getrennt werden kann. Als Weiterentwicklung der klassischen Steuerungstheorie, die Handlungskoordination stets aus einer top-down-Perspektive heraus versteht, nimmt die Governance-Perspektive explizit Interdependenzen zwischen Akteuren – etwa in Form wechselseitiger Handlungsanpassung – in den Blick (Benz 2004; Mayntz 2004).

Es gibt mittlerweile eine große Anzahl von Vorschlägen, wie Formen der Handlungskoordination typologisiert werden können. Die Mehrzahl der Typologien nimmt die Unterscheidung zwischen Markt, Hierarchie und Netzwerk als grundlegende Formen der Koordination sozialer Interaktionen zum Ausgangspunkt. Hierarchien werden hierbei beschrieben als Systeme der Unter- und Überordnung: Ein Akteur ist in der Lage, die Handlungen und Entscheidungen anderer Kraft seiner positionalen Autorität zu beeinflussen und von diesen bestimmte Leistungen bzw. Folgebereitschaft zu verlangen. Das asymmetrische Beziehungsverhältnis kann dabei durch Tradition, Charisma oder formale Rationalität legitimiert sein (Weber 1972). Die besondere Leistung von Hierarchien als Ordnungsmodell besteht darin, dass sie relativ überzeugend die Entscheidbarkeit von Problemen sichern. Die untergeordneten Einheiten haben Vorgaben zu akzeptieren, eben gerade weil sie untergeordnet sind. Hierarchien entfalten die ihnen zugeschriebene positive soziale Wirkung aber nur dann, wenn sie in relativ stabilen Umwelten operieren und wenn die asymmetrische Beziehungskonstellation als legitim anerkannt wird. In dynamischen Umwelten mit sich schnell verändernden Rahmenbedingungen sind Hierarchien jedoch dysfunktional. Dysfunktionale Effekte zeigen Hierarchien auch dann, wenn die Legitimität der hierarchischen Ordnung nicht mehr anerkannt wird und positive und negative Sanktionen bei den untergeordneten Akteuren keine Wirkung mehr auslösen (Scharpf 2000).

In der frühen Governance-Literatur galt Markt als die zur Hierarchie konträre Governance-Form (Coase 1937): Markt bedeutet atomistische Konkurrenz statt hierarchischer Kontrolle, Regulierung durch Preis statt durch Pläne und Programme, voneinander unabhängige Akteure anstatt Über- und Unterordnung, Entscheidung durch aggregierte Kaufkraft statt Weisungsbefugnis und Gehorsamspflicht. Märkte verbessern die Leistungstransparenz und steigern dadurch die Anpassungsflexibilität und Innovationsfähigkeit der beteiligten Akteure. Allerdings zeigen auch Märkte ihre Wirkung nur unter bestimmten Voraussetzungen. Eine wichtige Prämisse ist das Vorhandensein von hinreichender Konkurrenz: Nachfrager müssen Wahlmöglichkeiten haben, einschließlich der Möglichkeit, unbefriedigende Lösungen abzulehnen. Der Anreizmechanismus des Marktes verliert zudem seine steuernde Wirkung, wenn für Anbieter potenzieller Positionsverlust und erzwungener Marktaustritt durch Konkurs keine reale Bedrohung darstellt.

Netzwerke schlussendlich sind komplexe Gebilde, in denen (teil-)autonome Akteure miteinander kooperieren und ihre Handlungen auf ein gemeinsames Ziel ausrichten. In der Governance-Forschung gibt es unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob Netzwerke als eine Mischform von Markt und Hierarchie zu interpretieren sind, oder ob sie als eine Governance-Form ‚beyond market and hierarchy‘ zu betrachten sind. Letztere Position wurde bereits früh von Powell (1990) vertreten, der Netzwerke als eine eigenständige Governance-Form versteht, da sich in ihnen Interaktionsformen beobachten lassen, die weder in marktlichen noch in hierarchischen Modellen eine Rolle spielen, nämlich Vertrauen, Kooperation, Selbstverpflichtung. Die Trias von Hierarchie, Markt und Netzwerk wird je nach Forschungsfeld und Forschungsfrage ergänzt um weitere Governance-Formen wie z. B. Assoziationen/Verbände oder Gemeinschaft (sehr früh schon: Streeck und Schmitter 1985).

Die unterschiedlichen Formen der Handlungskoordination werden in der Regel als Idealtypen im Sinne von Max Weber verstanden. Das heißt, es wird nicht davon ausgegangen, dass sie in der Realität in ihrer reinen Form vorkommen; die Typologien dienen vielmehr als analytisches Hilfsraster um empirisch vorfindbare Hybride zu beschreiben und zu kategorisieren.

Governance Konzepte lassen sich danach unterscheiden, ob sie in einem normativen oder analytischen Sinne verwendet werden. Die normative Governance-Forschung sucht explizit Alternativen zur Steuerung gesellschaftlicher Fragen durch hierarchische und bürokratische staatliche Intervention. Diese Forschungsrichtung geht zudem häufig mit einem recht engen Governance-Verständnis einher, das Netzwerk als eine der Hierarchie (und dem Markt!) überlegene Steuerungsform ansieht. Zum Teil wird Governance gar mit Netzwerk gleichgesetzt. Durch Handlungskoordination in Netzwerken lassen sich, so die Argumentation, sowohl die für hierarchische als auch die für die marktliche Steuerung typischen Dysfunktionalitäten vermeiden. Die lose Koppelung der Akteure macht Netzwerke flexibler als Hierarchien und damit weniger anfällig für bürokratische Verkrustung und mangelnde Innovationsfähigkeit. Gleichzeitig können in Netzwerkbeziehungen Ziele bewusst verfolgt und die Handlungen der Akteure hinsichtlich ihrer Folgen kontrolliert werden.

Von den normativen Ansätzen mit ihrem engen Governance-Verständnis zu unterscheiden sind Konzepte, die Governance in einem analytischen Sinne verwenden. Der Begriff steht hier für „das Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte: von der institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure“ (Mayntz 2004, S. 72). Governance als analytisches Konzept wird verwendet, um die gesellschaftlichen Ordnungsmuster, die durch Zusammenspiel aller interagierenden und intervenierenden Kräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entstehen, begrifflich zu fassen.

Governance-Ansätze lassen sich des Weiteren danach unterscheiden, für welchen Forschungsgegenstand sie sich interessieren und ob dieser auf der Makro-, Meso- oder Mikro-Ebene von Politik- und Verwaltungssystemen angesiedelt ist. Auf der Makro-Ebene internationaler Politik und internationaler Bürokratien hat sich der Governance-Begriff schon recht früh etabliert; in Anbetracht des Fehlens einer demokratisch legitimierten und allgemein anerkannten obersten Steuerungsinstanz gilt die internationale Ebene als ein Bereich par excellence, der für das Erproben von Koordinationsformen jenseits staatlicher Hierarchie steht. Auf der (sub-)nationalen Ebene interessiert sich die Governance-orientierte Politik- und Verwaltungswissenschaft insbesondere dafür, wie Wirtschaft und Zivilgesellschaft an der Produktion allgemein verbindlicher Leistungen und der Herstellung öffentlicher Güter beteiligt werden. Auf der Mikro-Ebene einzelner Akteure bzw. der Interaktionen zwischen ihnen werden neue Formen der (Selbst-)Steuerung diskutiert (z. B. durch Performance Management, Nudging oder Gamification). Der Governance-Begriff wird nicht nur in der Politik- und Verwaltungswissenschaft verwendet, sondern kommt auch in den angrenzenden Wissenschaften – den Wirtschaftswissenschaften, dem Recht und der Soziologie – zum Einsatz. Je nach disziplinärer Ausrichtung wird dann die Effizienz von Governance-Arrangements, ihre Legalität oder ihre Effekte auf die Gesellschaft und deren Zusammenhalt in den Mittelpunkt gerückt. Es ist just diese Offenheit des Governance-Begriff, der ihn in den vergangenen zwei Dekaden zu einem der magic concepts (Pollitt und Hupe 2011) der Politik- und Verwaltungswissenschaft hat werden lassen.

3 Praktische Anwendungsfelder

In der praktischen Anwendung zielt Governance darauf ab, die Form der Erbringung öffentlicher Leistungen oder der Vereinbarung von allgemeinverbindlichen Entscheidungen zu verändern. Je nach Entwicklungsstand des Staates verfolgen Governance-Modernisierungskonzepte dabei jedoch unterschiedliche Zielstellungen. Der Good Governance-Ansatz, der von der Weltbank, dem IWF und der OECD vertreten wird, richtet sich insbesondere an Schwellen- und Entwicklungsländer und zielt im Kern auf die Gewährleistung rechtsstaatlicher, transparenter und beteiligungsorientierter Strukturen in Staat und Verwaltung ab. Als eine Hauptursache der Entwicklungsprobleme dieser Länder wird eine crisis of governance gesehen. Um Anreize für Staats- und Verwaltungsreformen zu schaffen, wird die Vergabe von Wirtschaftshilfen an das Vorhandensein funktionierender öffentlicher Institutionen geknüpft, die die Implementation der Wirtschaftshilfen administrieren und kontrollieren können.

In den westlichen Demokratien, in denen rechtsstaatliche, transparente und beteiligungsorientierte Verfahren als etabliert – oder doch zumindest als institutionell einklagbar – gelten, heben Governance-Konzepte auf eine Überwindung staatlicher Top-down Steuerung ab. Die ‚new governance‘-Reformkonzepte lassen sich danach typologisieren, ob sie als Zielvision governance without government (Rhodes 1996) oder governance with new government anstreben. In beiden Fällen geht es um eine neue Aufgabenteilung zwischen staatlichen Akteuren einerseits und private bzw. zivilgesellschaftlichen Akteure andererseits.

Bei governance without government treffen private oder zivilgesellschaftliche Akteure weitgehend ohne staatlichen Einfluss kollektiv verbindliche Entscheidungen bzw. erledigen öffentliche Aufgaben. Handlungskoordination beruht hier auf dem Prinzip der Selbstorganisation: Private und/oder zivilgesellschaftliche Akteure handeln eigeninitiativ und unabhängig von staatlichen Vorgaben; sie vereinbaren verbindliche Normen und Regeln, kontrollieren deren Einhaltung und schaffen private Institutionen zur Lösung von möglichen Konflikten (z. B. private Schiedsgerichte). Viele Beispiele für solche private authority finden sich auf internationaler Ebene. Hier, wo staatliche Akteure mit ausreichender Legitimation und angemessenen Sanktionsmöglichkeiten fehlen, handeln beispielsweise zivilgesellschaftliche Nicht-Regierungsorganisationen mit Unternehmen Verhaltenskodizes aus, etwa was soziale Mindeststandards in globalisierten Produktionsketten betrifft, oder Regelungen zum Klimaschutz oder zur Korruptionsvermeidung. Governance without government findet auch auf lokaler Ebene statt, etwa dort, wo öffentliche Akteure sich aus der Erfüllung gemeinwohlorientierter Aufgaben zurückziehen und sie der Verantwortung von Bürgern überlassen. Insbesondere in ländlichen Regionen werden mittlerweile viele öffentliche Einrichtungen wie kulturelle Zentren, Sportstätten, Spielplätze, Museen oder gar die Energieversorgung eigenverantwortlich von Bürgern betrieben.

Governance-Reformen des Typus governance with new government wiederum nehmen die Komplexität moderne Gesellschaften zum Ausgangspunkt der Reformdiskussion. Eine wesentliche Prämisse ist, dass typische Probleme moderner Gesellschaften wie Individualisierung, soziale Exklusion und Fragmentierung durch die hochgradige Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Teilsektoren entstehen. Zur Bewältigung der damit einhergehenden Interdependenzprobleme bedarf es neuer Formen der Interaktion zwischen staatlichen Akteuren einerseits und nicht-staatlichen Akteuren andererseits (Jann 2003). Dieses Verständnis von Governance als Leitbild für die Staats- und Verwaltungsreform speist sich zum einen aus den Erfahrungen der Grenzen staatlicher Bürokratie: moderne komplexe Gesellschaften lassen sich nicht allein durch hierarchisch-bürokratische Interventionen steuern. Zu diesen Erfahrungen von ‚state failure‘ kommen aber auch die Erfahrungen von ‚market failure‘. Governance als Leitbild für die Staats- und Verwaltungsreform distanziert sich auch ganz explizit ab vom New Public Management (NPM), dem Leitbild der Staats- und Verwaltungsmodernisierung der 1980er-Jahre. Das Privatisierungsparadigma von NPM hat, so die Argumentation, nicht nur zur Aushöhlung der staatlichen Steuerungsfähigkeit geführt, sondern zudem auch die zentralen Versprechen gegenüber den Bürgern nicht eingelöst: Weder sind öffentliche Leistungen im Vergleich zur staatlichen Aufgabenerledigung billiger geworden, noch sind durchgängig eine höhere Qualität oder mehr Wahlmöglichkeiten garantiert. Dementsprechend geht es in diesem Governance-Diskurs um Handlungskoordination jenseits von rein staatlicher Hierarchie und rein marktlichem Wettbewerb. Hierarchie, Markt und Wettbewerb sollen vielmehr systematischer miteinander verknüpft werden, in dem die öffentliche Aufgabenerfüllung durch private Akteure durch staatliche Intervention reguliert wird. Instrumente hierfür sind beispielsweise die Einführung von Qualitäts- und Performance Managementsystemen, die Preisbildung durch öffentliche Akteure oder die Regulation des Marktzugangs durch Akkreditierungs- und Zertifizierungsagenturen. Öffentliche Aufgabenerfüllung soll zudem ein höheres Maß an Partizipation von und Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ermöglichen (collaborative governance), indem beispielsweise Beteiligungsgremien eingerichtet werden oder zivilgesellschaftliche Akteure zeitlich befristet im Rahmen von Projekten an der öffentlichen Aufgabenerledigung beteiligt werden. Die Idee von collaborative governance geht dabei weit über das klassische Maß an Beteiligung von Interessengruppen im Rahmen von Korporatismus oder Pluralismus hinaus und meint direkte Beteiligung von Bürgern und konsensuale Formen der Entscheidungsfindung (Ansell und Gash 2008).

Ein drittes Beispiel für die praktische Anwendung des Governance-Ansatzes lässt sich in dem Konzept Public Corporate Governance finden, das sich mit Fragen der Unternehmensführung in verselbstständigten bzw. privatisierten Unternehmen der öffentlichen Hand befasst (Schaefer et al. 2008). Ähnlich wie bei der Diskussion zu new governance im Zusammenspiel zwischen Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geht es auch hier um eine teilweise Korrektur bzw. Nachjustierung von NPM-Reformmaßnahmen. Der Fokus des Konzepts ist jedoch enger und konzentriert sich insbesondere auf ein funktionsfähiges Beteiligungsmanagement von verselbstständigten bzw. formal privatisierten Unternehmen der öffentlichen Hand. NPM hat hier zu ambivalenten Erfahrungen geführt: zwar ist es gelungen, Organisationen, die öffentliche Leistungen erbringen, durch. Verselbstständigung vom politischen Einfluss unabhängiger zu machen, um bspw. Führungsfragen unabhängig vom parteipolitischen Wettbewerb und politischem Machtkampf zu lösen. Den NPM-Steuerungskonzepten gelang es aber vielfach nicht, zu gewährleisten, dass auch nach der Verselbstständigung der öffentliche Zweck der Organisationen erhalten bleibt, dass also wirtschaftlicher Erfolg und Gemeinwohlbelange bei der Führung berücksichtigt werden. Beteiligungsmanagement im Sinne von Public Corporate Governance soll sich in Anbetracht dieser Erfahrungen daher nicht nur auf das ‚Managen‘ der Beteiligungen konzentrieren; vielmehr ist regelmäßig zu prüfen, ob und inwieweit der öffentliche Zweck der Beteiligung erreicht wird. Eine der Herausforderungen dieses Konzeptes ist die Frage, wie Transparenz und Nachvollziehbarkeit von unternehmerischen Entscheidungen zu handhaben sind, um politischen Vertretungsorganen hinreichende Informationen zur politischen Steuerung der Unternehmen zu gewährleisten, ohne deren Wettbewerbsposition zu beschädigen. Besonders problematisch stellt sich dieses Spannungsfeld für Akteure dar, die sowohl in den politischen Gremien als auch in den Unternehmensorganen vertreten sind: Welche Informationen können in den politischen Gremien berichtet werden, wo ist Stillschweigen zu vereinbaren?

4 Stand der Umsetzung und empirisch beobachtbare Wirkungen

Die Urteile zum Stand der Umsetzung und zu den empirisch beobachtbaren Wirkungen von Governance-Reformen fallen sehr kritisch aus. In einem Zweig der Literatur wird bezweifelt, dass der von ‚New Public Governance‘-Konzepten postulierte Wandel hin zu kooperativen, netzwerkartigen Formen der Handlungskoordination in diesem Ausmaß überhaupt stattfindet. Vielfach wird – wie auch schon für NPM-Reformen – eine erhebliche Lücke zwischen Reformrhetorik und Reformumsetzung konstatiert (Lynn 2012). Talk und Action fallen auseinander: Netzwerke und andere ‚weiche‘ Steuerungsformen gewinnen nur auf der Ebene der Verlautbarungen, nicht aber in der tatsächlichen Praxis an Bedeutung. Und auch dort, wo eine Implementation von Netzwerken und anderen ‚weichen‘ Steuerungsformen stattfindet, werden Hierarchie und Markt nicht obsolet. Netzwerke ergänzen vielmehr bestehende Governance-Arrangements, so dass hybride, zum Teil auch widersprüchliche Konstellationen entstehen. Considine und Lewis (1999) arbeiten diesen Befund für den Bereich der Arbeitsmarktverwaltung heraus. Sie zeigen, dass Reformen in der Arbeitsmarktverwaltung in der ‚post-NPM-Zeit‘ durchaus dazu beigetragen haben, dass für Beschäftigte die Governance-Idee der Netzwerksteuerung an Bedeutung gewinnt und wechselseitiges Vertrauen und interdisziplinäre bzw. feldübergreifende Zusammenarbeit in der alltäglichen Praxis wichtiger wird. Gleichzeitig bleiben aber auch das unternehmerische Organisationsmodell von NPM und die prozeduralistische Steuerung gemäß der tradierten Weberianischen Verwaltung wichtige Orientierungspunkte, an denen Beschäftigte ihr Alltagshandeln ausrichten. Eine Zunahme von hybriden Governance-Arrangements wird auch für viele andere Bereiche konstatiert. Zwar werden in vielen Politikfeldern neue Formen der Zusammenarbeit mit privaten Akteuren erprobt; diese gehen aber nicht mit einem Abbau, sondern im Gegenteil vielfach mit der Einführung neuer hierarchischen Steuerungsformen einher (zum Beispiel in Form von Regulierungsbehörden).

Einen noch kritischeren Ton schlägt die Literatur an, die das ‚new‘ im New Public Governance Ansatz in Frage stellt. Diese Literatur verweist darauf, dass bei der Regelung öffentlicher Sachverhalte immer schon vielfältigste Koordinationsmodi zum Einsatz kamen, die auch die Zusammenarbeit mit wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren umfasste. Sie kritisiert, dass New Public Governance – ähnlich wie schon NPM – als ein kohärentes Reformmodell missverstanden wird und normative Perspektiven auf NPM bzw. New Public Governance die reale Vielfalt der Koordinationsformen im öffentlichen Sektor verdecken. NPM und New Public Governance sollten vielmehr als Überbegriffe verstanden werden, unter die höchst unterschiedliche Reformaktivitäten subsummiert werden.

In anderen Teilbereichen der Literatur wird Governance aus einer demokratietheoretischen Perspektive kritisiert. Im Zentrum dieser Kritik stehen dabei Legitimations- und Accountability-Probleme als nicht-intendierte Nebenwirkungen neuer Formen von Public Governance. In Netzwerken, in denen politische und administrative Akteure mit wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten – die präferierte Koordinationsform im New Public Governance-Diskurs – sind tradierte Legitimationsmechanismen nicht mehr hinreichend. Politische Entscheidungen, die eine allgemein verbindliche Geltung reklamieren, galten bislang dann als legitim, wenn sie durch parlamentarische Mehrheiten gestützt wurden, die ihrerseits aus freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgingen. Die Verwaltung war wiederum durch eine hierarchische Steuerung im Rahmen des geltenden Rechts legitimiert. Beide Legitimationsformen – die demokratische Legitimation durch Wahlen und die Legitimation durch Recht und Hierarchie umfassen jedoch nicht die Rolle von privaten Akteuren bei der Herstellung und Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen und bei der Produktion öffentlicher Güter. Neue Modi der Handlungskoordination bedürfen daher neuer Modi der Legitimation.

Neben den Legitimations- und Accountability-Problemen wird dem Governance-Konzept zudem Machblindheit und ein Problemlösungsbias attestiert, der einer weiteren De-Politisierung der Diskussion um öffentliche Leistungserbringung Vorschub leistet (Mayntz 2004). Ursache hierfür ist ein naives Verständnis von Netzwerksteuerung, das Netzwerke als hierarchiefreie Steuerung ‚auf Augenhöhe‘ versteht und Akteuren, die an kollektiven Entscheidungsprozessen beteiligt sind, die Absicht unterstellt, auch tatsächlich Probleme lösen (und nicht etwa politische Macht erlangen oder erhalten) zu wollen.

5 Entwicklungsperspektiven

Die oben formulierten Kritikpunkte am Governance-Konzept treffen insbesondere zu, wenn ein enges, eindimensionales Verständnis von good governance vorliegt. Zukunftsträchtiger scheint der Begriff zu sein, wenn er als ein breites analytisches Konzept verstanden wird. Es gibt mittlerweile eine reichhaltige Literatur, die Governance als Analyserahmen nutzt, um den Wandel der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung – und vor allem die zunehmende Fragmentierung dieser Ordnungen – zu erfassen. Governance für sich genommen bleibt dabei allerdings ein deskriptives und ahistorisches Konzept, das die Genese und Transformation von Formen der Handlungskoordination nicht erklären kann. In der Literatur gibt es jedoch Versuche, das Governance-Konzept so weiterzuentwickeln, dass es einen Beitrag zur politischen Theorie erbringen kann (Peters 2012). Die Hauptleistung des Governance-Konzepts wird in diesem Kontext darin gesehen, dass es einen belastbaren Rahmen zur Integration der Ergebnisse der Forschung zur Handlungskoordination unterschiedlicher Disziplinen bietet. Governance als politische Theorie sollte in normativer Hinsicht an Ideen demokratischer und offener Gemeinwesen rückgebunden sein. Schlussendlich sollte Governance als politische Theorie auch Formen von (Good) Governance ‚messbar‘ und damit vergleichbar machen, um so eine Basis für eine (international bzw. Politikfeld vergleichende) Forschung zu bilden.

Eine weitere Entwicklungsperspektive resultiert aus den oben beschriebenen breiten Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs: Governance ist nicht nur in der Politik- und Verwaltungswissenschaft ein weit verbreiteter Begriff, sondern auch in den angrenzenden Disziplinen. Die nahezu inflationäre Verwendung erscheint vielen als Nachteil, da sie als Ausdruck für eine zu große Vagheit und Unbestimmtheit des Begriffs interpretiert wird. Die weite Verbreitung des Begriffs kann jedoch auch als ein Vorteil gedeutet werden, da sie den Governance-Begriff zu einem wissenschaftlichen Brückenbegriff macht. Ein solcher Begriff erlaubt und fördert die trans- und interdisziplinäre Kommunikation. Brückenbegriffe können normative Grundannahmen, Vorstellungen über Kausalitäten bzw. Plausibilitäten und über ‚Fakten‘ transportieren; sie können dadurch ein Gegengewicht zu den Fragmentierungstendenzen bilden, die sich nicht nur in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beobachten lassen, sondern eben auch in der hochgradig arbeitsteilig forschenden Wissenschaft. Dabei sollte es nicht darum gehen, das begriffliche Instrumentarium unterschiedlicher Disziplinen zu vereinheitlichen, sondern darum unterschiedliche Disziplinen aufeinander zu beziehen.

Auch wenn governance mittlerweile als eines der magic concepts (Pollitt und Hupe 2011) der Politik- und Verwaltungswissenschaft gilt, so basiert diese Einschätzung bislang vor allem auf seinen Leistungen zur Deskription einer sich wandelnden Welt. Governance als hypothesengenerierende politische Theorie oder als trans- bzw. interdisziplinäres Brückenkonzept hingegen bedarf noch weiterer Entwicklung.