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Umrisse eines Konzepts des Verhältnisses von sozialer und psychischer Realität

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Book cover Gesellschaft und Psychodynamik
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Zusammenfassung

Dieses Kapitel umreißt eine subjekttheoretische Konzeption für soziologische Zwecke. Dazu wird die Ko-Evolution von Sozialer Realität und Psyche skizziert und die Psyche als ein multilogisches, auf unterschiedliche Weise operierendes und im Funktionsniveau variierbares System dargestellt: Sie wird sowohl bewusst als auch (funktional wie dynamisch) unbewusst gesteuert, verfügt über unterschiedliche Modalitäten der Verarbeitung und der inneren Balance und kann – je nach Entwicklung und Umständen – mit primitiven und differenzierten Mitteln arbeiten. Daher ergibt sich für das soziale Umfeld ein breites Spektrum an Einfluss- und Anknüpfungschancen; umgekehrt kann die Psyche an unterschiedliche soziale Gegebenheiten (und das auf unterschiedliche Weise) andocken. Das Verhältnis von Sozialer und Psychischer Realität muss daher als komplexer Austausch konzipiert werden.

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Notes

  1. 1.

    Eine Übersicht zu bestimmten Aspekten des Themas bieten Schurig 1975a und b sowie Gamble et al. 2015. Trotz der ideologischen Schlagseite zu soziologischen Aspekten lesenswert: Gehlen 1975.

  2. 2.

    Bei basalen biozönotischen Prozessen gibt es weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit psychischer Aktivitäten. Bis zum „Reptiliengehirn“ sind Aktivitäten von Lebewesen, die sich auf andere Lebewesen beziehen genetisch und epigenetisch programmiert; sie operieren auf der Basis von instinktiven Regulationen, die von den Lebewesen nur exekutiert werden. Auf diese Weise sind Territorialverhalten, Angriff, Kampf und Flucht, Paarung und Nachwuchspflege ohne zusätzliche Eigenleistungen organisierbar. Damit entfällt auch der nicht unerheblich energetische Aufwand, der für die physiologische Basis psychischer Prozesse erforderlich ist.

  3. 3.

    Ein Herdentier kann also eine inferiore Position einnehmen und rollengerecht erfüllen, ist aber jederzeit bereit, bei passender Gelegenheit sich auf den Kampf um die Führungsposition umzustellen und diese auch zu übernehmen. Die Herde wiederum wird möglicherweise mit einem weniger kompetenten Leittier nicht überleben, sie hat aber keine Möglichkeit, solche Tiere abzusetzen.

  4. 4.

    Der Paläoanthropologe R. Bilz hat in einem etwas anders gelagerten Kontext drei Stufen der Evolution des Funktionierens von humaner Subjektivität (und des Sozialverhaltens) unterschieden (1973). In diesem interessanten Konzept geht die Entwicklung („Hypertrophierung“) der Intelligenz einher mit der Entwicklung diffuser Ängste, die sich auf „Fremdheit“ und Bedrohungen beziehen. Man kann dies sinnvoll mit der Ausdifferenzierung der Psyche (vor allem der Zusammenhang der Entwicklung von Kognition, Emotion, Objekt- und Selbstrepräsentanzen und intraspsychischem Prozessieren) in Verbindung bringen.

  5. 5.

    Neurosen sind so gesehen sowohl Überforderungseffekt als auch primitive Modi des Weiterfunktionierens!

  6. 6.

    Etwas formaler ausgedrückt: Entwicklungspsychologisch gehen der Autopoiesis der Psyche biologisch determinierte Entwicklungsprogramme voraus, die Schritt für Schritt die Spielräume interner Entscheidungen ausweitet. Die aktuelle Autopoiesis der Psyche wird begrenzt jedoch durch die Versorgung mit den nötigen Ressourcen, aber auch durch die Limitierungen, die mit externen Zwängen und internen Funktionsdefiziten verbunden sind. Die Grundannahme, dass Umweltreize nach internen Regeln verarbeitet werden, muss daher ergänzt werden durch das Kriterium begrenzter Freiheitsgrade. „Reine“ Autopoiesis ist daher ein theoretisches Modell, empirisch trifft man Hybridstrukturen aus Auto- und Heteropoiesis.

  7. 7.

    Dass es „Gier“ oder „Trauer“ gibt, ist eine sinnvolle empirische Feststellung. Auch der Nachweis, dass sie sozial formatiert werden, ist überzeugend. Diese Gesichtspunkte sind jedoch zu wenig – sie reichen nicht, um die volle Komplexität der Beziehung von Psyche und Gesellschaft zu erfassen.

  8. 8.

    R. Bilz (1973, S. 56 ff.) kommt in seinen paläoanthropologischen Studien zu einem ähnlichen Befund und unterscheidet in einem plastischen Bild den „Kapitän“ (das bewusste Ich) und den „Steuermann“ (die kybernetischen Ausgleichsmechanismen) des somatopsychischen Geschehens.

  9. 9.

    Es wäre vermutlich besser von „Kontaktzonen“ zu sprechen, da die Bezeichnung „Ebene“ falsche und unpassende Assoziationen weckt: Es handelt sich nicht um eine zweidimensionale Fläche, sondern um einen spezifischen Bereich, der logisch spezifiziert ist, aber wesentlich Austauschleistungen erbringt. Auch ist bei einer Mehrzahl von Ebenen die Hierarchie-Vorstellung nicht in jeder Hinsicht angemessen, da es kein „Oben“ und „Unten“ und auch kein eindeutiges Zentrum, welches alle Fäden in der Hand hat, gibt. Gemeint sind also Bereiche, die mit anderen eine Schnittmenge besitzen, in der Transformationen stattfinden können.

  10. 10.

    Schon Freud hat die schlichte Dichotomie gesund/krank kritisiert und darauf hingewiesen, dass auch „normale“ Menschen vergleichbare Probleme wie Neurotiker haben, es ihnen jedoch möglich ist, sie konfliktärmer zu bewältigen. Aus psychoanalytischer Perspektive ist die Normalpsyche in diesem Sinn ein Hybridsystem aus kontrollierten und unkontrollierten Themen und Prozessen; sie spricht von „gesunden Ich-Anteilen“, die im Normalfall ich-dystone Probleme neutralisieren und „containen“. Ohne solche funktionsfähigen Ich-Anteile wäre Therapie nur auf dem Niveau von Konditionierung möglich.

  11. 11.

    In der Folge wird immer wieder auf die Dimension des „Bedarfs“ eingegangen. Aus soziologischer Perspektive ist klar, dass es keinen einheitlichen, wohldefinierten und sozial organisierten „Bedarf“ gibt. Merton (1995, S. 23 ff.) hat in seiner Diskussion des Funktionsbegriffs klargestellt, dass Bedarf zwar abstrakt festgestellt werden kann, dass aber die Annahme, dieser Bedarf sei einheitlich (mit der impliziten Unterstellung, Gesellschaften seien funktional einheitlich) fatal sei. Empirisch sei Bedarf partikular (bezogen auf bestimmte Systemaspekte), sodass es in heterogenen Gesellschaften unterschiedliche Bedarfsprofile gäbe. Entsprechend ist das, was hier nutzt, dort schädlich. – Diese Komplexität der Verhältnisse ist im Fluss der Argumentation schon aus sprachlichen Gründen nicht immer abbildbar, muss aber immer mitgedacht werden. Wenn also im Text verkürzt von „Bedarf“ gesprochen wird, soll damit vektoriell auf die Dimension verwiesen werden; gemeint ist stets die Komplexität realer Bedarfsprofile inklusive aller Widersprüche, Konflikte, Fehlinterpretationen, Umsetzungseffekte etc.

  12. 12.

    Es geht im Folgenden also nur um die Praktikabilität der Darstellung, nicht um eine logische Ordnung der sozialen Wirklichkeit.

  13. 13.

    Dass im Folgenden anstelle des emphatischen, die Besonderheit betonenden Begriffs „Subjekt“ die Bezeichnung „Akteur“ auftaucht und in der Folge häufiger verwendet wird, hat vor allem damit zu tun, dass die Diskussion jetzt technischer wird.

  14. 14.

    Konkret kommt von „con“ und „crescere“ und bedeutet daher „zusammengewachsen“. Dies trifft recht genau den zentralen Aspekt der Verbindung.

  15. 15.

    (Auch) aus meiner Perspektive gibt es Theorien, die in diesem Zusammenhang besser anschlussfähig sind als andere. Es ist daher kein Zufall, dass beispielsweise Goffman häufiger zitiert wird als neoutilitaristische Konzepte. Dies gilt auch für psychoanalytische Perspektiven: Fromm und Lorenzer haben – wieder aus meiner Sicht – mehr zum Thema beigetragen als Ròheim oder Lacan. Und auch der Zugriff auf die Konzepte einzelner Autoren ist selektiv: Bions „Container“-Konzept ist für die Soziologie sicher bedeutsamer als einige seiner sonstigen Ideen. Insgesamt also: Keine zufällige Auswahl, aber sie bleibt arbiträr.

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Schülein, J. (2018). Umrisse eines Konzepts des Verhältnisses von sozialer und psychischer Realität. In: Gesellschaft und Psychodynamik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21439-5_2

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-21438-8

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