Arbeit hat eine lange Geschichte. Menschen mussten sich schon immer in irgendeiner Form anstrengen, sie mussten sich konzentrieren und disziplinieren, um überleben zu können. Ich bezweifle, dass unsere frühen Vorfahren sich so viele Gedanken über ihre Arbeit gemacht haben wie wir (vgl. Abb. 1.1). Dafür waren Arbeit und Überleben zu eng verknüpft. Sicher stand den Menschen damals sehr oft die Gefahr des Hungertods vor Augen. Unter diesen Umständen fragt man vermutlich nicht danach, ob die Arbeit Spaß macht. Unsere Vorfahren werden wohl kurzerhand alles getan haben, was getan werden musste, damit sie satt wurden und am Leben bleiben konnten.

Abb. 1.1
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(Bildquelle: © Henrik Winther Andersen/Shutterstock.com)

Wer nur für Geld arbeitet, wird auch nur Geld bekommen.

1.1 Zahlen und Fakten

Glücklicherweise geht es in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr um das blanke Überleben. Derzeit droht hier niemandem der akute Hungertod. Allerdings ist das Arbeiten trotzdem nicht unbedingt entspannter geworden. Es scheint sich eine andere Art von Überlebenskampf etabliert zu haben, in dem auch andere Bedürfnisse als das physische Überleben befriedigt werden sollen. Wir knüpfen heutzutage viele Hoffnungen und Erwartungen an die Arbeit. Man arbeitet nicht mehr allein zum Zweck der Selbsterhaltung, sondern strebt danach, Glück und Erfüllung in der Arbeit zu finden, nicht abgewertet zu werden und möglichst erfolgreich zu sein. Wir fürchten das Versagen als eine Art sozialen Tod. Wer es sich leisten kann, fördert seine Kinder deshalb so früh wie möglich. Er ebnet ihnen auf jede erdenkliche Weise den Weg zu einem erfolgreichen Berufsleben, das gleichermaßen ein hohes Einkommen wie Ansehen garantiert. Obwohl wir es eigentlich besser wissen könnten, betrachten die meisten von uns Geld als Garant für Glück. Für Geld nimmt man bei der Arbeit einiges in Kauf. Anpassung und Gehorsam zum Beispiel. Ebenso die Beschleunigung und Verdichtung der modernen Arbeitswelt, die ungeheure Informationsflut und Komplexität, die hohe Spezialisierung und damit einhergehende Entfremdung, die ständige Erreichbarkeit und selbstverständliche Mobilität – um nur einige Faktoren zu nennen.

Es wird immer zweifelhafter, ob die Arbeit noch wie einst dem Menschen dient oder ob es sich nicht eher umgekehrt verhält. Die Arbeitswelt orientiert sich jedenfalls am Gewinn und nicht am Menschen mit seinen arttypischen Bedürfnissen. Es scheint, dass unser Wirtschaftssystem längst seine eigene und unbeherrschbare Dynamik entwickelt hat.

Zu welch absurden Situationen das führen kann, habe ich gerade erst in einer ganz banalen Situation erlebt: Vor meiner Haustür stand ein Mann, der mir den Produktkatalog eines sehr bekannten Herstellers in die Hand drücken wollte. Ich bin jedoch an dessen Produkten nicht interessiert und habe deswegen dankend abgelehnt. Daraufhin hat mich der fremde Mensch geradezu angefleht, ich möge doch den Katalog trotzdem annehmen. Meine Erklärung, dass der Katalog umgehend in meiner Altpapiertonne landen würde, bewirkte nichts. Mit allen Mitteln versuchte mein Gegenüber seinen Katalog an mich loszuwerden. Warum? Weil er pro Katalog bezahlt wird.

Ich sollte also den Produktkatalog entgegennehmen und ruhig gleich entsorgen, damit mein Gegenüber für Werbung bezahlt werden konnte, die nie zu einem Kauf führen würde. Das ist an Unvernunft kaum zu überbieten. Für mich selbst war es in dieser Situation ein Leichtes, mich dem Wahnsinn zu entziehen. Aber in anderen Situationen bin ich genau wie alle anderen ein Teil dieses Systems. Viele von uns merken sehr wohl, was los ist, aber wer hat die Macht, all dem ein Ende zu bereiten?

So leben und arbeiten wir in einem Wirtschaftssystem, mit dem es vielen nicht gut geht.

Jahr für Jahr werden die negativen Auswirkungen einer der menschlichen Natur nicht angepassten Arbeitswelt statistisch belegt.

Der DAK-Gesundheitsreport 2017 befasst sich beispielsweise mit Schlafstörungen, die seit 2009 offenbar erheblich zugenommen haben. Knapp zehn Prozent der Erwerbstätigen leiden darunter. Psychische Erkrankungen nehmen kontinuierlich an Häufigkeit zu und stellen mittlerweile die zweitwichtigste Ursache für Fehltage dar.

Auch der AOK Fehlzeiten-Report 2017 kommt zu dem Schluss, dass immer mehr Menschen wegen psychischer Probleme im Job ausfallen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Krankschreibungen um knapp 80 % erhöht. Zudem dauert es inzwischen fast doppelt so lange, bis die Betroffenen wieder arbeitsfähig sind. Knapp zehn Prozent dieser Krankschreibungen ließen sich eindeutig auf Krisen am Arbeitsplatz zurückführen.

Der AOK Report von 2016 konnte belegen, wie groß der Einfluss des Betriebsklimas auf die Gesundheit der Mitarbeiter ist. Bei einem schlechten Klima leiden 67 % der Mitarbeiter körperlich, 65 % sind psychisch beeinträchtigt. In Firmen mit einem als positiv erlebten Arbeitsklima hingegen liegt der Anteil der Mitarbeiter, die über körperliche und psychische Beschwerden klagen, nur bei rund 30 %.

Und natürlich weist auch die viel zitierte Gallup Engagement Studie [1] alljährlich auf die Misere in der Arbeitswelt hin. Der Engagement Index 2016 zeigte wieder einmal, wie selten Mitarbeiter sich mit ihrer Aufgabe identifizieren. Angeblich machen rund 70 % der Beschäftigten lediglich Dienst nach Vorschrift. Glücklich wird man auf diese Weise definitiv nicht.

Es lassen sich noch zahlreiche andere Studien finden, die Ähnliches belegen. Auch wenn die eine oder andere dieser Erhebungen methodische Mängel aufweisen mag – es kann kein Zufall sein, dass alle in dieselbe Richtung weisen. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die unter ihrer Arbeit leiden, ungern zur Arbeit gehen und sogar durch die Arbeit krank werden. Wenn wir mit anderen Menschen über ihre Arbeit sprechen, hören wir für gewöhnlich weit mehr Klagen als Jubel. Es lässt sich nicht abstreiten: Der Arbeitsplatz kann ein unangenehmer und recht gefährlicher Ort sein. Arbeit bedroht viel zu oft die körperliche und seelische Gesundheit.

1.2 Die Janusköpfigkeit der Arbeit

In der römischen Mythologie spielte Janus eine große Rolle. Er galt als Gott des Anfangs und des Endes. Nach ihm ist der Monat Januar benannt. Er hatte unterschiedliche Funktionen, aber besonders wichtig war den Römern, dass Janus für die Dualität aller Dinge stand. Er vereinte alle Gegensätze in sich wie beispielsweise Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod, Zukunft und Vergangenheit, Licht und Dunkelheit. Daher wurde er stets mit zwei Köpfen dargestellt.

Wir können Arbeit durchaus als janusköpfig betrachten. Arbeit ist Lust oder Frust, Leid oder Leidenschaft, Segen oder Fluch. Die einen wachsen an ihrer Arbeit, die anderen nehmen Schaden an Leib und Seele.

Die zerstörerische Seite der Arbeit zeigt sich an unzähligen Beispielen: Wer sein Leben lang Fliesen verlegt, bekommt meist irgendwann Probleme mit den Kniegelenken. Wer ständig nur am Bildschirm sitzt, verspannt sich leicht und bekommt Kopf- oder Rückenschmerzen. Es gibt auch heute noch viele Fälle, die belegen, wie sehr Arbeit dem Körper zusetzen kann, auch wenn die physischen Folgen der Arbeit insgesamt sehr zurückgegangen sind.

Dafür gewinnen die psychischen Folgen zunehmend an Bedeutung. Burnout ist eine inzwischen recht häufige Folge von zu vielen anspruchsvollen Aufgaben, die unter Zeitdruck bearbeitet werden sollen. Wer selbst bislang vom Burnout verschont wurde, kennt zumindest jemanden mit Burnout. Während die Fachleute noch diskutieren, ob Burnout nicht vielleicht doch dasselbe ist wie eine Depression, da die Symptome sich meist decken, sind die Medien längst voll von Berichten über das entgegengesetzte Problem: den Boreout.

Er entsteht, wenn Mitarbeiter von ihren alltäglichen Aufgaben unterfordert sind. Vielerorts können sich Beschäftigte nicht ausreichend mit ihren Qualifikationen einbringen und haben auch kaum die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen. Dazu kommen vielleicht noch unproduktive und zeitraubende Meetings sowie zu viele einengende Vorgaben. Damit sind die Handlungsspielräume des Einzelnen stark eingeschränkt, Langeweile macht sich breit. Langanhaltende Unterforderung kann aber genau wie Überforderung Körper und Seele krankmachen. Burnout und Boreout manifestieren sich gleichermaßen in Depressionen und körperlichen Symptomen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem Reizdarm, Schlafstörungen etc.

Was mich persönlich besonders berührt, sind jene psychischen Langzeitfolgen der Arbeit, über die niemand spricht. Vielleicht, weil sie nicht offensichtlich sind, vielleicht aber auch, weil sie heimlich gewollt sind. Wer beispielsweise bei seiner Arbeit zu oft bevormundet, gebremst und entmutigt wird, wer dauerhaft keine Anerkennung findet, der nimmt im Laufe der Zeit fast unausweichlich Schaden an seiner Seele. Das Selbstwertgefühl leidet, Vitalität und Lebensfreude schwinden. Solche Mitarbeiter funktionieren dann wie Automaten. Was man ihnen aufträgt, das erledigen sie – ohne Diskussionen, Fragen und lästigen Eigensinn. Sie haben gelernt, dass Mitdenken oder Mitreden unerwünscht sind und wirkungslos bleiben. Solch eine Transformation des Menschen zum Automaten stellt eine überaus traurige Auswirkung der Arbeitsverhältnisse dar, aber darüber hört und liest man für gewöhnlich nichts. Es ist lediglich von innerer Kündigung die Rede. Das hört sich harmloser an, als es ist. Denn die Betroffenen sind mehr oder weniger entseelt. Sie büßen ihre Frische und Lebendigkeit ein. Nach Jahren kann dieser Zustand unumkehrbar werden.

Aber in diesem ganzen Elend offenbart sich eben nur die dunkle, gefährliche und unfreundliche Seite der Arbeit. Janus hat schließlich zwei Köpfe, die in entgegengesetzte Richtungen blicken. Neben der hässlichen Natur der Arbeit gibt es zugleich auch die freundliche, helle, beglückende und bereichernde Seite. Arbeit kann uns unendlich viel geben. Sie sorgt nicht nur für das nötige Einkommen, sondern kann darüber hinaus auch einen Großteil unserer anderen Grundbedürfnisse befriedigen: Wir erfahren Sinn durch die Arbeit, erhalten einen Platz in der Gemeinschaft, pflegen soziale Kontakte, erfahren Zugehörigkeit und Wertschätzung. Arbeit verleiht uns Identität und kann enorm viel zu unserem persönlichen Wachstum beitragen. Wir lernen, wir erfahren uns im Tun, gehen vielleicht sogar darin auf. Wir erleben Selbstwirksamkeit, haben Erfolge, können stolz auf unsere Leistungen sein. Arbeit bietet die Herausforderungen, die wir zum Wachstum brauchen. Ernst Bloch hielt Arbeit für ein Mittel der Menschwerdung, weil sie uns die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung bietet.

Arbeit liegt in unserer Natur. Das menschliche Gehirn ist für Aktivität und Handeln gemacht, es muss beschäftigt werden. „Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen“, dichtete einst Goethe. Und Michel de Montaigne wusste im 16. Jahrhundert bereits: „Der Geist, vom Müßiggang verwirrt, zum ruhelosen Irrlicht wird.“ Die moderne Hirnforschung gibt den beiden Recht. Es darf uns nicht zu lange einfach nur gut gehen, wir dürfen nicht zu lange untätig bleiben, denn wir brauchen unsere regelmäßigen Aufgaben, an denen wir uns abarbeiten können. Andauernder Müßiggang bekommt uns nicht. Der Liegestuhl tut nur gut, wenn wir uns zuvor tüchtig angestrengt haben. Es würde uns unglücklich machen, jeden Tag darin zu liegen.

Darum geht es arbeitslosen Menschen nachweislich nicht gut. Sie entbehren all die Segnungen der Arbeit. Auch wenn jeder von uns irgendwann einmal über seine Arbeit klagt, so trägt sie doch viel zu unserer psychischen Gesundheit bei. Martin Luther war überzeugt, der Mensch sei zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen. Untätigkeit beeinträchtigt das Wohlbefinden ganz erheblich. Deshalb sind die glücklichsten Rentner diejenigen, die sich regelmäßig fordern und ihre Zeit gut strukturieren.

Dennoch gibt es auch kluge Köpfe, die die Faulheit hochleben lassen. Gotthold Ephraim Lessing widmete der Faulheit sogar ein Gedicht, in dem es unter anderem heißt: „Lass uns faul in allen Sachen, nur nicht faul zu Lieb’ und Wein, nur nicht faul zur Faulheit sein.“ Tatsächlich tut es uns sehr gut, hin und wieder faul zu sein. So erklärte Aristoteles die Muße zur Schwester der Freiheit. Und Goethe erkannte darin die Mutter aller Musen. Es leuchtet ein, dass wir Zeiten brauchen, in denen wir nichts tun. Sie dienen nicht nur der Erholung, sondern verhelfen uns sogar zu besseren Arbeitsergebnissen, weil sie das Gehirn unterstützen. Wir können anders denken, wenn wir uns eine Auszeit von jeglichen Tätigkeiten nehmen. Kreativität gedeiht besonders gut, wenn wir dem Gehirn mal freigeben. Dürften Mitarbeiter, die ein Problem zu lösen haben, während ihrer Arbeitszeit entspannt spazieren gehen, könnte der Geist in vielen Fällen sicher bessere Lösungen liefern.

Aber wie alles andere ist auch Muße durch ihr Gegenteil definiert. Sich auszuruhen fühlt sich nur für diejenigen gut an, die sich zuvor angestrengt haben. Und Arbeit kann nur genießen, wer sich auch mal ausruhen darf. Es ist keine Frage von „entweder – oder“, sondern eine klare Sache von „sowohl – als auch“. Wir brauchen beides: Die Arbeit und die Muße. Dass wir uns in der Freizeit gut fühlen, spricht also keineswegs gegen die Arbeit. Sich von der Arbeit befreien zu wollen, ist kein empfehlenswertes Ziel. Letzten Endes können wir auf die Segnungen des Arbeitslebens nicht ohne weiteres verzichten.

Trotzdem sollten wir uns bewusst sein, dass Arbeit unzweifelhaft eine Doppelnatur besitzt. Sie kann gleichermaßen Nutzen wie Schaden stiften. Ihre Janusköpfigkeit erfordert deshalb, dass wir auf uns achtgeben. Denn wendet sie uns den falschen Kopf zu, kann es gefährlich werden. Ein bewusster Umgang mit dem Job ist also unverzichtbar.

1.3 Eine ganz schlechte Wahl: die Opferrolle

Allerdings findet dieser bewusste Umgang bei vielen Beschäftigten nicht statt. Ihnen wäre es am liebsten, sie könnten die Arbeit vermeiden. Deshalb wird nachgerechnet, wann man sich frühestens in den Ruhestand begeben kann, man versucht, die Feiertage zu nutzen, um mit wenigen Urlaubstagen möglichst viele freie Tage am Stück zu gewinnen. Ich habe Menschen erlebt, die Fortbildungen besuchen, an denen sie kein wirkliches Interesse haben – nur, um mal ein oder zwei Tage ihrem Arbeitsplatz fernbleiben zu können. Viel zu viele Menschen gehen mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, dass es ihnen ohne ihre Arbeit besser gehen würde. Für sie stehen die negativen Aspekte der Arbeit im Vordergrund. Sie würden den belastenden und unerfreulichen Seiten ihrer Arbeit am liebsten für immer entgehen und fühlen sich außerhalb der Arbeit grundsätzlich wohler.

Ihrer Wahrnehmung nach sind sie die hilflosen Opfer eines menschenfeindlichen Wirtschaftssystems oder auch nur eines unfähigen Vorgesetzten – je nach Fall.

Nachdem ich vor einiger Zeit in einem bekannten Businessnetzwerk einen Artikel über lebendiges Arbeiten veröffentlicht hatte, konnte ich viele Kommentare lesen, in denen diese Opferhaltung erkennbar wurde. Meine These lautete, dass Arbeit ein Gefühl von Lebendigkeit ermöglichen müsse und dass es in der Verantwortung des Einzelnen liege, die Arbeit zu einem erfüllenden Teil des eigenen Lebens zu machen. Ich erhielt zu diesem Artikel zwar viel Zustimmung, aber es gab auch etliche Kommentare, in denen mir heftig widersprochen wurde. Von der Ausbeutung des Einzelnen durch den Arbeitgeber war da die Rede, von menschenfeindlichen Machtstrukturen, gar vom Marionettendasein der Mitarbeiter, die sich nicht einbringen dürfen und nur nach Vorgabe funktionieren sollen. „Umwelt formt den Menschen“, lautete ein Kommentar, mit dem darauf hingewiesen wurde, dass die Frustration der Beschäftigten unausweichlich sei, weil die Arbeitsumstände menschlichen Bedürfnissen nicht gerecht werden. Andere meinten, es sei selbstverständlich und liege in der Natur der Arbeit, dass sich Mitarbeiter auf den Feierabend, das Wochenende und die Rente freuen, dass sie froh sind, wenn sie der Arbeit fernbleiben können. In manchen Kommentaren wurde mir gar vorgeworfen, ich hätte überhaupt keine Ahnung von der Arbeitswelt. Zwischen den Zeilen war viel Bitterkeit spürbar.

So äußern sich Menschen, die zutiefst frustriert sind. Sie empfinden Wut und Hilflosigkeit angesichts einer Arbeitswelt, die auf Profit und nicht auf Menschlichkeit ausgerichtet ist. Es fällt nicht schwer, diese Gefühle nachzuvollziehen. Aber so sehr sie ihre Berechtigung haben mögen, so unzweckmäßig sind sie auch. Wer sich als Opfer fühlt, hat schon verloren.

Denn Opfer sind passiv und hilflos, sie fühlen sich ausgeliefert und leiden. Sie hoffen anfangs noch, sie warten auf Rettung. Sie beschäftigen sich mit der Suche nach Schuldigen, statt über ihre Rettung nachzudenken. Je nach Veranlagung werden sie mit der Zeit zynisch, depressiv oder ängstlich. Opfer verlieren schließlich den Glauben an sich selbst und an das Gute. Sie klagen und resignieren. Aber sie kämpfen nicht um das, was sie haben wollen. Sie erwarten die Lösung von ihrer Umgebung statt sie in sich selbst zu suchen. Schließlich hat die Umgebung sie in diese unerfreuliche Situation gebracht. Daher scheint es logisch, dass auch die Lösung von außerhalb kommen muss.

Das klassische Opfer mag tatsächlich Unrecht erfahren haben, aber durch die Opferhaltung zementiert es seine unglückliche Lage eigenhändig. Die wahrgenommene Hilflosigkeit, das Beharren darauf, dass andere ihr Verhalten ändern müssten – genau das macht die Rettung unmöglich.

Denn es wird kein Retter erscheinen. Arbeit ist letzten Endes immer das, was wir selbst daraus machen. Es ist nicht der Chef, der über unser Wohlbefinden am Arbeitsplatz bestimmt, nicht die Bezahlung, nicht der Kollege oder Kunde, nicht mal der Stress. Ausschlaggebend ist vielmehr die eigene Sichtweise und Haltung.

Das ist nun wahrhaftig keine neue Erkenntnis. Schon in der Antike war man sich dessen bewusst. „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen“, konstatierte Epiktet. Die Autorin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb: „Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“ Das Problem sitzt also mal wieder zwischen den Ohren. Die Lösung liegt sicher nicht darin, sich die glücksfeindlichen und unakzeptablen Faktoren am Arbeitsplatz schönzureden oder sie gar zu leugnen. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, sich davon nicht bestimmen und entmutigen zu lassen.

Selbstverständlich sind die Umstände zu kritisieren. Ich habe bislang noch keinen Job erlebt, der nicht auch Anlass zur Kritik gegeben hätte. Für das eigene Glück ist aber nicht entscheidend, ob die Situation Anlass zur Unzufriedenheit gibt, sondern welche Reaktion das nach sich zieht.

Viele Arbeitnehmer sind einfach nur tief frustriert. Frustration ist ein Gefühl und wie jedes andere Gefühl von der Evolution als Handlungsimpuls konzipiert. Denn die Evolution verfolgt immer nur ein einziges Ziel: das Überleben der Art. Gefühle müssen also von Anfang an der Arterhaltung gedient haben, indem sie uns zu bestimmten Handlungen motivieren. Deswegen gibt uns Wut Kraft; so konnten unsere Vorfahren besser kämpfen. Von den Wikingern ist sogar bekannt, dass sie sich durch ihr kriegerisches Wutgeheul in Trance versetzt haben, um schmerzunempfindlich zu werden. Das verschaffte ihnen im Kampf einen großen Vorteil. Aber auch andere Gefühle dienten dem Überleben der Art: Angst führte zur Flucht, Liebe zu fürsorglichem Verhalten, Neugier zum aktiven Erkunden usw.

Auch das Gefühl der Unzufriedenheit oder Frustration stellt eine Handlungsaufforderung dar. Es nutzt nichts, zu jammern. Klagen ist bestimmt keine hilfreiche Handlung, sondern eine zuverlässige Methode, das eigene Elend zu vergrößern. Denn das, womit sich der Geist beschäftigt, das wächst. Wer jammert und klagt, schraubt sich damit also mental und seelisch immer tiefer in die Misere statt sie zu beenden. Das Gefühl der Hilflosigkeit, dem man sich gedankenlos überlässt, bedeutet nichts anderes als den Verzicht auf jegliche Anstrengung zur eigenen Rettung. Und genau deshalb ist die Opferrolle als unzweckmäßig abzulehnen.

Unbefriedigende Arbeitssituationen gehören geändert und nicht beklagt. Die rettende Reaktion kann dabei sehr unterschiedlich aussehen. Sie kann auf mehrere Ebenen abzielen: auf die Ebene der Politik und Gesellschaft, sie kann auf die jeweilige Organisation oder Organisationseinheit beschränkt sein, oder sie zeigt sich unspektakulär und ganz individuell durch eine Verhaltens- oder Einstellungsänderung des Einzelnen. Mit anderen Worten: Wer mit seiner Arbeit unzufrieden ist, kann sich politisch engagieren, um bestimmte Verhältnisse zu verändern, er kann in seinem Betrieb etwas zu verändern versuchen (z. B. indem er sich in den Betriebsrat wählen lässt) oder aber er beschränkt sich auf seine individuelle Situation (und führt beispielsweise ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten).

All das braucht Entschlossenheit und Mut. Beides passt nicht zur Opferrolle.

Jeder von uns hat jederzeit die Freiheit, seine Rolle zu wählen. Wer faktisch zum Opfer gemacht wurde, muss sich deswegen noch lange nicht wie ein Opfer verhalten.

Es genügt ganz einfach nicht, dass wir brav unseren Job machen und darauf hoffen, dass dann alles gut ist (vgl. Abb. 1.2). Die Arbeitswelt erfordert den reifen und verantwortungsbewussten Menschen, der nicht nur Verantwortung für seine Arbeit übernimmt, sondern auch in der Lage ist, gut auf sich selbst aufzupassen und an der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse mitzuwirken.

Abb. 1.2
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Beschränkung auf Kompetenz und Leistungswille kennzeichnet den perfekten Arbeitssklaven. Wer mehr will, muss mutig sein

In diesem Buch geht es in erster Linie um Möglichkeiten, Arbeit auf individueller Ebene befriedigender zu gestalten. Denn zuerst müssen wir uns um uns selbst kümmern, dann können wir auch für das Ganze mehr Verantwortung übernehmen. Veränderung erfolgt immer von innen nach außen.

1.4 Gründe für Unzufriedenheit

Es gibt sie natürlich, die Beschäftigten, die sich wie Kleinkinder verhalten und von ihren Vorgesetzten eine Rundumversorgung erwarten. Sie möchten wahrgenommen, bestätigt, gefördert, ermutigt und verstanden werden. Sie haben unrealistische Ansprüche an die Arbeit und die Führungskräfte. Sie sehen lediglich aus wie Erwachsene, laufen aber mit kindlichen Bedürfnissen herum und stellen die Geduld ihrer Umgebung gern mal auf die Probe. Es ist kaum möglich, ihnen gerecht zu werden.

Andere sind grundsätzlich negativ eingestellt und haben an allem etwas auszusetzen. Man wird sie nicht glücklich sehen oder glücklich machen können. Sie erwarten Schlechtes und finden deshalb auch überall Anlässe zur Kritik.

Es verwundert nicht, wenn Menschen mit Persönlichkeitsstörungen wenig Freude an ihrer Arbeit finden. Sie stellen jedoch nur eine Minderheit dar.

In der Regel haben Beschäftigte handfeste und nachvollziehbare Gründe für ihre Unzufriedenheit. In meinen Beratungsgesprächen mit unglücklichen Mitarbeitern kamen immer wieder folgende Themen zur Sprache:

  • Mitarbeiter werden wie Produktionsmittel behandelt und fühlen sich nicht als Menschen wahrgenommen. Sie erfahren eine respektlose Behandlung, die zuweilen an Menschenverachtung grenzt.

  • Menschen werden regelrecht verheizt. Die Ansprüche an die Arbeitsleistung steigen, Vorgänge werden komplexer und alles soll in immer kürzerer Zeit erledigt werden.

  • Es gibt viel zu wenig Anerkennung für Leistung, jedoch kritische Reaktionen auf Fehlleistungen. Immer noch handeln manche Vorgesetzte nach der Devise „Nicht getadelt ist genug gelobt.“

  • Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber zahlt sich nicht mehr aus. Entscheidungen werden auf der Basis von Zahlen getroffen. Auf der einen Seite fordert der Arbeitgeber Loyalität, auf der anderen Seite lässt er selbst es genau daran fehlen.

  • Es wird immer schwieriger, menschlichen Zusammenhalt herzustellen. Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl sind vielerorts unmöglich geworden. Gut funktionierende Teams werden rücksichtslos auseinandergerissen. Die Verweildauer im Team ist nicht zuletzt auch wegen der geforderten Mobilität häufig nur kurz. So können kaum tragfähige kollegiale Beziehungen geknüpft werden.

  • Auf diese Weise gibt es immer mehr soziale Kälte in der Arbeitswelt. Schnell wird man zum Einzelkämpfer und ist sich selbst der Nächste.

  • In vielen Unternehmen herrscht Angst. Man traut sich kaum noch, sich krankschreiben zu lassen. Manch einer verzichtet sogar aus Sorge um den Arbeitsplatz auf einige seiner Urlaubstage.

  • Immer mehr Menschen sind überzeugt, nicht fair bezahlt zu werden. Ein knapper Lohn und gleichzeitig hohe Abgaben – das führt zwangsläufig dazu, dass oft nicht viel zum Leben übrig bleibt.

  • Hinzu kommen die vielen üblichen Probleme, die sich immer ergeben, wenn Menschen zusammenarbeiten: Spannungen, Konkurrenz, Konflikte etc. Deswegen schreibt Friedemann Schulz von Thun in seinem Buch „Miteinander reden“ [2]: Wo immer Menschen etwas miteinander zu schaffen haben, machen sie einander zu schaffen.

Stephen Covey („Der 8. Weg“ [3]) erinnert daran, dass Menschen immer als ganze Person zur Arbeit kommen. Sie lassen nichts von sich zu Hause zurück und bringen daher auch ihre Bedürfnisse mit an den Arbeitsplatz. Nur, wenn diese Bedürfnisse alle erfüllt sind, wird die Arbeit als erfüllend erlebt. Stephen Covey unterscheidet vier Dimensionen von Bedürfnissen: Physisch, sozial/emotional, mental und spirituell. Es muss uns physisch gut gehen bei der Arbeit (angenehme Temperaturen, angemessene Erholungszeiten, faire Entlohnung etc.); wir wollen auch emotional genährt werden (Bestätigung, Zusammengehörigkeitsgefühl, Vertrauen etc.); wir müssen unseren Kopf benutzen dürfen (Mitsprache, Weiterbildung etc.); und schließlich brauchen wir die Gewissheit, einen Beitrag zu leisten und wollen Sinn in unserem Tun erkennen.

Die erste Repräsentativerhebung des DGB-Index Gute Arbeit [4] erbrachte 2007, dass Beschäftigte aller Branchen und Altersgruppen ihre Arbeitszufriedenheit an folgenden 15 Fragen bemessen:

  • Gibt es Qualifizierungsangebote? Lerne ich etwas bei der Arbeit?

  • Kann ich eigene Ideen einbringen?

  • Kann ich aufsteigen?

  • Habe ich Einfluss auf Planung und Menge meiner Arbeit?

  • Erhalte ich klare Anforderungen und alle notwendigen Informationen?

  • Wie gut führen meine Vorgesetzten?

  • Wie gut ist die Kultur am Arbeitsplatz?

  • Bekomme ich Hilfe von meinen Kollegen?

  • Ist meine Arbeit nützlich für die Gesellschaft?

  • Gibt es eine faire und verlässliche Arbeitszeitgestaltung?

  • Muss ich oft unter Zeitdruck arbeiten?

  • Werde ich herablassend behandelt? Muss ich meine Gefühle verbergen?

  • Ist meine Arbeit körperlich schwer oder einseitig?

  • Habe ich häufig Angst um meine berufliche Zukunft?

  • Werde ich fair bezahlt? Kann ich von meinem Einkommen leben?

Wenn man diese Kriterien zugrunde legt, dürften sehr viele unter uns keine gute Arbeit haben. Daher kann die weit verbreitete Arbeitsunzufriedenheit nicht überraschen. Die Klagen sind nachvollziehbar und berechtigt.

Im Grunde müsste es natürlich im unmittelbaren Interesse jedes Arbeitgebers liegen, sich um die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter zu bemühen. Denn es gibt unleugbar einen engen Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Produktivität.

Bislang halten sich Arbeitgeber jedoch mit ihren Bemühungen noch sehr zurück. Firmen wie Google bilden da eine deutlich erkennbare Ausnahme und gehören nicht von ungefähr zu den beliebtesten Arbeitgebern. Seit Jahren schon schneidet Google in Rankings hervorragend ab und belegt meist Platz 1 als attraktivster Arbeitgeber, nicht nur für die IT-Branche. Jahr für Jahr beweist der Konzern seine hohe Beliebtheit. Arbeitnehmer versprechen sich von Google die besten Chancen auf berufliche und persönliche Weiterentwicklung, auf ein kreatives und dynamisches Arbeitsumfeld, ein gutes Einkommen sowie auf viele Annehmlichkeiten, die den Alltag angenehmer machen (flexible Arbeitszeiten, kostenloses Essen für alle, gemütliche Couchecken in Besprechungsräumen etc.) Googles Beliebtheit zeigt deutlich, dass Arbeit an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein muss, damit sie als reizvoll und erfüllend erlebt werden kann.

Da dies aber selten der Fall ist, da vielerorts sogar eine geradezu menschenverachtende Kultur herrscht, können die vielen Klagen über die Arbeit und die allgemeine Arbeitsunzufriedenheit kaum überraschen.