Zusammenfassung
Die mediale Aufregung um das neue Zivilschutzkonzept der Bundesregierung im Sommer 2016 war groß: Schon vor der offiziellen Vorstellung durch den Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière und den Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger am 24. August 2016 fokussierten beispielsweise selbst seriöse Zeitungen ihre Berichterstattung auf einen kleinen Aspekt unter vielen: Die staatliche Empfehlung für die Bevölkerung, einen Vorrat an Lebensmitteln für zehn Tage im Falle einer möglichen Versorgungskrise vorzuhalten. Die Berichterstattung prägten, insbesondere vor Veröffentlichung des Konzepts, Schlagzeilen wie „Panikmache“ oder „Aufruf zu Hamsterkäufen“. Die Meinungen und Kommentare von LeserInnen auf Online-Nachrichtenportalen und in sozialen Medien wiesen jedoch darauf hin, dass eine Lebensmittelvorsorge für Krisenfälle im Sinne des Bevölkerungsschutzes für private Haushalte eher abwegig erscheint.
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In der siebzig Seiten langen „Konzeption Zivile Verteidigung (KZV)“, auch Zivilschutzkonzept genannt, umfasst die Passage zum Selbstschutz der Bevölkerung, verbunden mit der Empfehlung zum Vorhalten eines privaten Lebensmittelvorrates für zehn Tage, lediglich vier Zeilen (BMI 2016, S. 47).
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„Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“ (BMI 2009, S. 3).
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Bauman, als einer der Kritiker von kommunitaristischen Sichtweisen, behauptet in diesem Zusammenhang etwa, dass innerhalb des Kommunitarismus die „Notwendigkeit der Toleranz zugunsten der Idee einer stabilen und wertbesetzten Gemeinschaftlichkeit“ (Joas und Knöbl 2013, S. 664) aufgehoben wurde.
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Die Verschiebung des Fokus von Vulnerabilität zu Resilienz hat auch negative Implikationen: vulnerable im Sinne von arme soziale Gruppen erscheinen nun als aufholbedürftig an Resilienz, wobei Faktoren von Armut und die Reproduktion im Hintergrund bleiben.
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Die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung wie der Streitkräfte mit Lebensmitteln im Verteidigungsfall ist Teil des Zivilschutzes und fällt in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, während eine friedenszeitliche Versorgungskrise in den Bereich des Katastrophenschutzes fällt und somit die Länder zuständig sind (zu rechtlichen Fragen der ENV siehe auch Gusy und Ebeling 2016, S. 163–207).
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Haushalte bestehen aus zusammenwohnenden und gemeinsam wirtschaftenden Personen. Sie sind aber keine sozial isolierten Einheiten, sondern unterhalten vielerlei haushaltsexterne Beziehungen, zum Beispiel zu Verwandten, Freunden, Nachbarn. Glatzer bezeichnet dies als „informelles soziales Netzwerk“ (Glatzer 2001, S. 296), dessen zentrale Leistung die Gewährung von personenbezogener sozialer Unterstützung (social support) ist, welche nur teilweise durch das Gegenseitigkeitsprinzip geregelt ist. Viel mehr Gewicht hat das Solidaritätsprinzip, dessen Funktion die Entlastung von Individuen und Haushalten in Krisensituationen ist (Glatzer 2001).
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Menski, U., Bartl, G., Wahl, S., Gerhold, L. (2018). Die Resilienz der Bevölkerung in einer Lebensmittelversorgungskrise. In: Jäger, T., Daun, A., Freudenberg, D. (eds) Politisches Krisenmanagement. Sicherheit – interdisziplinäre Perspektiven. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20811-0_12
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