Zusammenfassung
„Landschaft“ bezeichnet eines der zentralen Konzepte der europäischen Kultur-, Politik- und Geistesgeschichte der letzten Jahrhunderte. Das heißt keinesfalls, dass darunter immer dasselbe verstanden worden wäre oder heute Übereinstimmung im Gebrauch dieses Ausdrucks bestünde. „Landschaft“ kann ein physisch begehbares, topografisch, politisch oder durch die Grenzen eines Blicks umgrenztes Territorium meinen, ein malerisches Genre mit großer Tradition oder aber die vagen Gebilde imaginierter oder fiktiver Räume, die in Träumen erscheinen und manchmal in Filmen Gestalt annehmen. Welcher Sinn, welche Bedeutung könnte die vielfachen Verwendungen des Ausdrucks, die variantenreichen Konzepte zusammenhalten? Ich schlage vor, diesen Kern probehalber in einer abstrakten, wesentlich ästhetischen und imaginativ anregenden Qualität der „Landschaft“ zu sehen: darin, dass mit der Rede von Landschaften der Anspruch verbunden ist, den jeweils verhandelten Gegenstand in seiner Ausdehnung, in seiner Erstreckung und Fläche im Überblick zur Betrachtung und zur Diskussion zu bringen: Wenn von Landschaften die Rede ist, werden Territorien und Räume, Konzepte und Strukturen als übergreifend und kontinuierlich verstanden und in dieser Weise der Betrachtung geöffnet.
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Notes
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In diesem Aufsatz werden nationale Unterschiede in der Betrachtung von Landschaften, die vor allem im 19. Jahrhundert kultiviert und betont worden sind, bewusst vernachlässigt; ein Versuch, Landschaftskonzepte u. a. im Hinblick auf ihre nationalen Differenzen im europäischen Raum und darüber hinaus zusammenzustellen, ist: Bruns und Kühne (2013).
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Zu diesem thematischen Reichtum s. vor allem und immer noch: Shama (1996).
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Es ist noch der Ausgangspunkt der 2014 erschienenen, an phänomenologische Argumentationen angelehnten Landschaftsreflexion in: Jullien (2016).
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Zu weiteren – u. a. naturwissenschaftlichen, technischen und ökonomischen – Aspekten der Landschaft in der Kunst im deutschsprachigen Raum um 1800 s. Fayet et al. (2017).
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Hier ein Beispiel: „(…) ein in Obstgärten gebettetes Dorf am Rande einer mit Kuhweiden erfüllten Quellmulde, mit Ackerzelgen und ein paar Wegen auf der angrenzenden Hochfläche, Niederwald auf dem Grauwackenfels steilhängiger Tälchen, mit Wiesenstreifen im Grund und einem Touristengasthaus in einer ehemaligen Lohmühle am erlenumsäumten Bach, dieses zusammen kann schon die wesentlichen Züge einer Landschaft ausmachen“ (Schmithüsen 1964, S. 11).
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Widerspruch dagegen könnte sich auf François Jullien berufen, der die Ausschnitthaftigkeit der gesehenen Landschaft betont (Jullien 2016, S. 20 ff.). Ähnlich hatte Georg Simmel 1913 argumentiert (Simmel 1984, S. 131): „Ein Stück Boden mit dem, was darauf ist, als Landschaft ansehen, heißt einen Ausschnitt aus der Natur nun seinerseits als Einheit betrachten – was sich dem Begriff der Natur ganz entfremdet“. Der landschaftliche Blick ist für Simmel ein partialisierender und insofern auch gewaltsamer Blick. Doch scheint mir dieser Aspekt in neueren Verwendungen des Ausdrucks nicht der ausschlaggebende zu sein.
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Seine Identifizierung und Beschreibung bleibt eine der großen Leistungen des Soziologen John Urry (1990).
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Siehe zu diesen unterschiedlichen Haltungen Hauser (2001, S. 307–339).
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Siehe z. B. Fürst et al. (2008).
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In der Tendenz zur Naturalisierung gesellschaftlicher Prozesse liegen die ambivalenten Potentiale dieses Konzepts begründet. Siehe Hauser (2007).
- 17.
Zu unterschiedlichen Konzepten der Kulturlandschaft siehe Hauser (2012).
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Hauser, S. (2018). Landschaft als Prinzip. In: Berr, K. (eds) Transdisziplinäre Landschaftsforschung. RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20781-6_7
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