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Das ‚chinesische Gesicht’ als Topos von Differenzerzählungen

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Book cover Kulturelle Differenzierung in Wirtschaftskooperationen
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Zusammenfassung

Bei der Charakterisierung dessen, was in neueren westlich-sprachigen Texten in wissenschaftlicher (z.B.: Weidemann 2015; House et al. 2004; Thomas et al. 2003; Lin-Huber 2001; Liang 1998) oder populärwissenschaftlicher (z.B.: Ma/Becker 2015; Huang 2012; Jing 2006; Cardon/Scott 2003) Absicht gemeinhin als ‚chinesische Kultur’ bezeichnet wird, spielen verschiedene, mitunter zu „Buzzwords“ (Breidenbach/Nyiri 2002) verkommene Begriffe eine wichtige Rolle. Gesicht/face (im Folgenden je nach sprachlichem Kontext: Gesicht oder Face), Guanxi, Konfuzianismus und Harmonie gehören zu dem Begriffsrepertoire, mit dem häufig gleichzeitig die Ursachen und die Ausprägungen nationaler bzw. kultureller Charaktereigenschaften beschrieben werden (u.a.: Huang et al. 2012; Faust/Yang 2012; Beier 2010; Diekmann/Fang 2008; Kotte/Li 2008; Langenberg 2007; Zinzius 2007, 2006; Jing 2006; Cardon 2006; Cardon/Scott 2003; Chen 2004; Thomas/Schenk 2001; Lin-Huber 2001; Bond 1991; Brunner/You 1988).

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Notes

  1. 1.

    Dabei beansprucht dieses Kapitel keine Vollständigkeit der Abbildung eines Diskurses im Sinne der Diskursanalyse (Keller 2005). Es werden aber wichtige Diskursfragmente präsentiert, an denen wesentliche Veränderungen nachvollziehbar gemacht werden. Außen vor bleibt z.B. die Verwendung des Topos in der Belletristik, siehe dazu Jentsch (2015).

  2. 2.

    Ausführliche historische Studien zur Entwicklung europäischer China- bzw. Orientbilder u.a. in: Osterhammel 1998; Bitterli 1976; Fisch 1984; in Bezug auf China insbesondere van Kley 1971; Dawson 1967; Mason 1939.

  3. 3.

    Hus Aufsatz „The Chinese Concept of ‚Face’“ (1944) ist immer noch einschlägig in Bezug auf die grundlegende Beschreibung verschiedener Aspekte des Phänomens des chinesischen Gesichts (deutsche Übersetzung in: Mühlmann/Müller 1966: 238-263). Die meisten folgenden Studien reproduzieren entweder Hus Beschreibungen anhand empirischer Daten (z.B.: Bond/Lee 1981), oder vertiefen die einzelnen Aspekte in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. konversationsanalytisch oder linguistisch: Ting-Toomey 1994; Lee-Wong 2000; Ji 2000). Gewinnbringend ist die Studie von Yang (1945), der die Verwendung von Face im dörflichen Kontext ethnographisch untersucht, der Text von Carr (1992/93), in dem er eine umfangreiche Auflistung an Lexemen zu lian, mian und yan und einen sprachwissenschaftlichen Vergleich der Verwendung von Gesicht liefert und schließlich die Texte von Matthes (1984; 1985; 2005), in denen er auf die transkulturellen Implikationen für lebensgeschichtliche Darstellungen hinweist und Gesicht als Bestandteil eines kulturellen Regelsystems (anstatt als Merkmal einer Entität) erklärt.

  4. 4.

    Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch Weidemann (2015) in ihrer Studie über interkulturelles Lernen in Taiwan.

  5. 5.

    Carr untersucht vor allem den Einfluss des Chinesischen Gesicht im Englischen und Japanischen, aber auch im Deutschen und zahlreichen anderen europäischen und asiatischen Sprachen. Nach dem Chinesischen machte Carr im Japanischen die meisten Lexeme für Gesicht (89) aus (1992: 74).

  6. 6.

    In: Funk and Wgnalls‘ New Standard Dictionary of the English Language (1913), nach: Carr 1992. Nach dem Deutschen Wörterbuch der Grimm ist der Begriff ‚Gesicht’ im Deutschen seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar (Grimm/Grimm 1991).

  7. 7.

    Im Deutschen existiert der Begriff der Schamesröte, die ins Gesicht steigt. Chinesen dagegen lächeln aus Verlegenheit (das verlegene Lächeln wiederum gibt es ebenfalls im Deutschen).

  8. 8.

    Arthur H. Smith (1845-1932) war ein amerikanischer Missionar des American Board of Commissioners for foreign Missions, der von 1872 bis 1926 in China lebte. Bekannt wurde er vor allem durch seine Bücher, die der westlichen Leserschaft die chinesische Kultur näherbringen sollten, und die zu dieser Zeit wesentlich das Chinabild im Westen mitprägte. Sein Buch Chinese Characteristics erschien erstmalig 1890 in Shanghai (Smith 1894: 11, Fußnote), 1894 in New York und gegen 1910 bereits in der 15. Auflage. Das Buch wurde in mehrere europäische Sprachen sowie ins Chinesische und Japanische übersetzt.

  9. 9.

    Die Bezeichnung „Chinaman“ geht wohl auf englischen Seeleute zurück, die sich die Namen der chinesischen Matrosen nicht merken konnten oder wollten, und sie daher ‚John Chinaman’ riefen. Diese Bezeichnung ging in zahlreiche Gedichte, Lieder und Karikaturen ein, aber auch in journalistische Texte und Reiseberichte, z.B. in George Wingrove Crook, Korrespondent der London Times 1857-58 in China (Smith 1894: 9), und auch in Chester Holcombe’s (1909 [1895]) The Real Chinaman, bei dem der Begriff sogar Titelgebend ist. Smith kritisiert die abwertende Bezeichnung der Chinesen als „Chinaman“ in der englischsprachigen Literatur seiner Zeit, und spricht – damals politisch korrekt – von „the Chinese“. In der deutschen Übersetzung von 1900, Chinesische Charakterzüge (Deutsch frei bearbeitet von F.C. Dürbig) wird „the Chinese“ dann u.a. mit ‚die bezopfte Rasse’ übersetzt (ebd.: 1), was in die Ressentiments der Europäer gegenüber China und das nationalistische Überlegenheitsgefühl dieser Zeit passt. Dies kommt beispielsweise in der als „Hunnenrede“ Bekanntgewordene Ansprache Wilhelm II am 27.07.1900 an das deutsche Expeditionsheer auf dem Weg zu einer Strafexpedition nach dem Boxeraufstand (1900-1901) nach China zu einem blutrünstigen Höhepunkt: „Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hand fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, […] so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ (nach: Soesemann 1976)

  10. 10.

    Smith adressiert in der Einleitung der Characteristics die Schwierigkeit, die Chinesen einheitlich zu charakterisieren, und beschreibt den Chinesen als ein „bundle of contradictions“ (1894: 11).

  11. 11.

    Der italienische Priester Matteo Ricci (1552-1610) verbrachte den größten Teil seines Lebens als jesuitischer Missionar zunächst in Goa (1572) und dann im China der Ming-Dynastie in Macau (1582), später u.a. in Nanjing und Beijing und dort auch in der Verbotenen Stadt. In Beijing starb er 1610, ohne dem Wanli-Kaiser (Regierungsperiode 1572-1620) je persönlich begegnet zu sein, erhielt aber von diesem posthum eine Grabstätte in Beijing. Seine Texte über China entstanden zwischen 1583 und 1610.

  12. 12.

    Jean Baptiste Du Halde 1735: Description géographique, historique, chronologique et politique de l’Empire de la Chine et de la Tartarie chinoise. Das Zitat stammt aus der deutschen Übersetzung (1748) dieses Textes von Johann Lorenz von Mosheim.

  13. 13.

    Die deutsche Übersetzung Reise durch China von Peking nach Canton im Gefolge der Großbrittannischen Gesandtschaft in den Jahren 1793 und 1794 (1804) wurde von J.C. Hüttner angefertigt und kommentiert. An der Kniebeuge des Abgesandten Lord Macartney vor dem Kaiser Qianlong am 14. September 1793 im Rahmen dieser Mission wird der Wandel zu einem Eurozentrismus sinnfällig: Macartney verweigerte sich dem Kotau, ein Bestandteil des Hofzeremoniells, dem sich alle früheren europäischen Gesandten vor ihm unterworfen hatten. Im vierten Kapitel von Barrows Buch, „Abriß von dem Zustande der Gesellschaft in China. – Sitten Gebräuche, Gesinnungen und moralischer Charakter des Volkes“, liefert er einige Beobachtungen sozialer Phänomene in China, und spricht dabei über die Stellung der Frau und das Verhältnis der Geschlechter in China, über Erziehung, Sexualleben, Opiummissbrauch, Festtage, Glücksspiel, die Tyrannei der Beamten, den moralischen Charakter des Volkes u.v.a.m.

  14. 14.

    Vgl. auch Mittag (2000: 193). Möglicherweise geht Marx’ Formulierung in seinem 1853 erschienenen Leitarktikel „Die Revolution in China und Europa“ in der New York Daily Tribune auf eine Formulierung Herders zurück, auf den er in seinem Artikel auch anspielt: „Das Reich ist eine balsamirte Mumie, mit Hieroglyphen bemahlt und mit Seide umwunden; ihr innerer Kreislauf ist wie das Leben der schlafenden Winterthiere“ (Herder 1909 [1787]: 13).

  15. 15.

    Zum Wandel des Chinabildes im 18. und 19. Jahrhundert, siehe z.B. Osterhammel (2013). Im Zusammenhang mit der Bewertung des Konfuzianismus, siehe Lee (2003: 222 ff.).

  16. 16.

    Fisch (1984) beschreibt detailliert die schrittweise Umkehrung des Topos von China als in allen Bereichen überlegenen ‚Wunderlandes’ seit dem 13. Jahrhundert (Marco Polo) zu einem Fortschrittsmodell europäischer Überlegenheit im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, zunächst nur in Religion, dann in Wissenschaft und Technik, und schließlich militärisch, politisch und wirtschaftlich.

  17. 17.

    Seit Beginn des 18. Jahrhunderts trieben die Europäer in Guangzhou Handel, ab dem 19. Jahrhundert war dabei das überwiegende Handelsgut Opium aus den britischen Kolonien. Der zunehmende und illegale Opiumimport führte ab 1830 zu einer negativen Handelsbilanz für China, weil große Mengen Silberdollar aus China abflossen. 1839 wurde der Beamte Lin Zexu mit einer strengen Durchsetzung des Opiumverbots beauftragt, der daraufhin britischen Händler gefangen setzen und Schiffsladungen beschlagnahmen ließ. Dies diente dem englischen Parlament als Anlass, Kanonenboote und 4000 Marinesoldaten zu entsenden, die Guangzhou Mitte 1840 erreichten. Nach der Niederlage Chinas in dem von der Times als „Opiumkrieg“ bezeichneten Konflikt wurde 1842 in Nanjing ein Vertrag unterzeichnet, in dem China sich u.a. zu der Öffnung von fünf Häfen bereit erklärte und den Briten dort Exterritorialität einräumte. Der Vertrag von Nanjing war der erste in einer Reihe von ‚ungleichen Verträgen’ zwischen China und westlichen Nationen sowie Japan, und Handelsvorrechte aus dem Vertrag von Nanjing wurden später durch die Meistbegünstigtenklausel und weitere Verträge auf andere Westmächte ausgedehnt. Der ‚zweite Opiumkrieg’ beschreibt eine Reihe von militärischen Auseinandersetzungen zwischen 1856 und 1860 mit China auf der einen, sowie England und Frankreich auf der anderen Seite, mit dem Ziel, China weiter für die westlichen Interessen öffnen. Im Zuge der Auseinandersetzung wurde der Sommerpalast in Beijing von den westlichen Truppen in Brand gesteckt und geplündert. Der kurz darauf im Oktober 1860 unterzeichnete Vertrag von Beijing verpflichtete China u.a. zu weiteren Entschädigungszahlungen, zu der Öffnung weiterer Häfen, zur Aufnahme von Opium in die Zolltarife und der Ausdehnung der Exterritorialität auf Zivilprozesse. Außerdem konnten Ausländer mit einem von den chinesischen Behörden ausgestellten Pass nun auch außerhalb der offenen Häfen reisen. (Bastid-Bruguière 2003) Neben der wirtschaftlichen Belastung durch Reparationszahlungen und den Opiumhandel waren die Auswirkungen der Opiumkriege für China vor allem politischer und kultureller Natur, da das Kaiserreich zum einen zu einer Anpassung an europäische „Verfahrensweisen und Völkerrechtspraxis“ (Osterhammel 1989: 126) gezwungen wurde. Zum anderen zwangen diese Entwicklungen die Chinesen aber auch dazu, den Blick über die Grenzen ihres „selbstgenügsamen Kosmos“ (Lippert 1979) hinauszuwerfen und sich mit westlichem Denken und westlicher Zivilisation auseinanderzusetzen. Wirtschaftlich war China bereits seit dem 16. Jahrhundert in die interkontinentalen Warenströme (insb. Edelmetalle) angeschlossen und damit weltwirtschaftlich eingebunden. Der erste Opiumkrieg markiert in den Augen vieler Chinesen den Beginn eines ‚Jahrhunderts der Demütigung’ (百年恥辱 bainian chiru), das mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg (zugleich Niederlage im zweiten Sino-Japanischen Krieg (1937-1945)) endete.

  18. 18.

    Von Richthofens Bericht wurde in dem fünfbändigen Werk China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gründender Studien (1877-1912) von ihm und zum Teil posthum von seinen Schülern veröffentlicht. Aufschlussreich in Bezug auf seine Sichtweise über die „Gewohnheiten einer niederen Rasse“ (von Richthofen 1907, Bd. 2: 140,) – gemeint sind die Chinesen – sind Ferdinand von Richthofen’s Tagebücher aus China (1907).

  19. 19.

    Nicht alle Autoren dieser Zeit erkannten Face gleichermaßen als Verständnisschlüssel für das Chinesische wie Smith. So beschreibt Holcombe in seinem Werk The Real Chinaman (1895) im Kapitel „Etiquette and Ceremony“ zwar Situationen, die mit der Wiederherstellung von Ehre zu tun haben, bringt das aber nicht mit Face in Verbindung. Eine umfassendere Analyse der westlich-sprachigen Berichterstattung über und Darstellung von China an der Wende zum 20. Jahrhundert wäre wünschenswert, um die Verbreitung des Face-Konzeptes noch detaillierter nachzuzeichnen, geht aber über die Möglichkeiten dieser Arbeit hinaus.

  20. 20.

    Gemeint ist wahrscheinlich der englische Missionar und spätere Professor Samuel Kidd (1804-1843). Sein 1841 erschienenes Werk: China, or Illustrations of the Philosophy, Government, and Literature of the Chinese, London, war nicht greifbar.

  21. 21.

    Der englische Geistliche und Verfasser von Reiseliteratur Samuel Purchas (1577-1626) urteilt 1625: „China lying is prudence“ (nach: Demel 1992: 152-160). Aber auch in den Mitschriften der Vorlesungen Georg W. F. Hegel wird 1822/23 vermerkt: „Ferner sind die Chinesen höchst verschmitzt und diebisch und betrügerisch. Sie haben große Gelenkigkeit der Glieder. Besonders gegen die Europäer sind sie betrügerisch, weil es ihnen an der innerlichen Rechtlichkeit fehlt.“ (Hegel 1968: 129). Für zahlreiche weitere Beispiele, vgl. Demel (1992) und Osterhammel (1998).

  22. 22.

    Eugen Wolf (1850-1912) war Nationalist und arbeitete auf seinen Reisen für eine Expansion der Weltpolitischen Rolle des deutschen Reiches.

  23. 23.

    Zur literarischen Verwendung und Verarbeitung des Phänomens in Romanen, vgl. Stover 1963: 356-366.

  24. 24.

    Es ist anzunehmen, dass den hier behandelten chinesischen Autoren die Fremdbeschreibung des Chinesischen anhand von Face zunächst in englischer Sprache entgegentrat, obwohl beispielsweise Lin Yutang (vgl. Kap. 6) auch in Deutschland und Frankreich studierte.

  25. 25.

    Lu Xun 魯迅 (1881-1936) war der wohl einflussreichste chinesische Schriftsteller und Intellektuelle Chinas im 20. Jahrhundert und gilt als Begründer der modernen chinesischen Literatur.

  26. 26.

    Der Originaltext ist mit „Shuo ‚Mianzi’“ (說’面子’, Lu 1934 (nach: Lu 1998)) betitelt. Lu diskutiert darin einige Wendungen, in denen sowohl mian als auch lian auftauchen (z.B. you mianzi oder diulian), schenkt diesem Unterschied aber keine weitere Beachtung. Eine aktuelle deutsche Übersetzung des Textes legte Jin (2015: 20ff.) mit „Über ‚die Reputation’“ vor, in der mianzi als ‚Reputation’ und lian als ‚Gesicht’ übersetzt wird.

  27. 27.

    Lin Yutang 林語堂 (1895 – 1976) war ein chinesischer Schriftsteller, der in den Vereinigten Staaten und Deutschland studierte, später unter anderem als Professor der Englischen-Abteilung an der Peking University arbeitete, bevor er nach 1935 überwiegend in den Vereinigten Staaten lebte. Sein erstes Buch My Country and My People veröffentlichte Lin 1935 in den USA, wo es zum Bestseller wurde. Später wurde das Buch in verschiedene europäische Sprachen und erst 1938 ins Chinesische übersetzt. Nicht nur in dem populärwissenschaftlichen Werk My Country and My People, sondern auch in seinen Romanen setzt sich Lin immer wieder mit der Überbrückung von Unterschieden zwischen China und dem Westen auseinander.

  28. 28.

    Ähnliche Vorwürfe wie Lin gegenüber den Sitten in China macht auch Mao Zedong (1937) in seinem Text „In Opposition to Liberalism“ (Fandui ziyouzhuyi): „Failing to start an argument in principle with a person, even when you know he is in the wrong, letting things slide for the sake of peace and cordiality, all because he is an old friend, a fellow villager, a fellow student, a close friend, someone beloved, an old colleague, or an old subordinate. Or, failing to make any clear decision, speaking about the error in allusions in order to preserve harmony and unity; as a result, the group is harmed as well as the individual“ (nach: Wright 1953). Markus Jentsch (2015: 120ff.) meint dazu, Mao habe das ‚Gesicht’ attackiert, um noch mehr revolutionäre Kräfte freizusetzen.

  29. 29.

    Yang ist in dem Dorf Taitou, dass er in dieser Studie untersucht, geboren und aufgewachsen bis er das Oberschulalter erreichte. Seine wissenschaftliche Ausbildung erhielt er an der Abteilung für Anthropologie an der Columbia Universität in New York. Seine wissenschaftliche Methode ist also westlich geschult. Kulturell ist Yang sowohl mit der amerikanisch-städtischen als auch mit der chinesisch-dörflichen Gesellschaft vertraut. Er ist ein ‚marginal man’, ein Umstand den sein Mentor an der Columbia Universität, Ralph Linton, kommentiert: „Any individual who has participated intimately in two cultures is in a position to see both with heightened clarity“ (Yang 1968: vii). Es gibt bei Yang keine Hinweise darauf, ob er Hus (1944) Text zur Kenntnis genommen hat.

  30. 30.

    Die Army Service Forces United States of America gaben seit den 1940 Jahren länderspezifische Pocket Guides heraus. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Ergebnisse von Nationalcharakterforschung, wie sie auch von Ruth Benedict und Margaret Mead als Distanzstudien über Japan und andere Länder betrieben wurde. In den Pocket Guides werden allerdings keine einzelnen Autoren genannt, lediglich die Special Service Division der Army Service Forces treten als Herausgeber in Erscheinung.

  31. 31.

    Hier zeigt sich die Gefahr der Homogenisierung der Bevölkerung einer Nation als Gruppe: Amerika unterstützte zu dieser Zeit vor allem die chinesischen Nationalisten unter der Führung des Generalissimus Chiang Kai-shek militärisch und finanziell als Alliierte im Kampf gegen Japan, hatte aber auch Kontakte zum kommunistischen Lager, mit dem die Nationalisten seit Mitte der 1930er Jahre in einem erbitterten Bürgerkrieg um die Vorherrschaft über China rangen. Der Pocket Guide irrte in seiner Annahme: „Today the Generalissimo holds firmly the leadership of the several groups in Chinese political life. Though these groups differ as widely as political parties in our American life differ, they are united, under the leadership of Chiang Kai-shek, in their determination to be free. They have in him the necessary unity to win the war“ (Pocket Guide 1943: 34). Schon wenige Jahre später sollten 1951 die Amerikaner – nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 – der Volksbefreiungsarmee Chinas im Koreakrieg (1950-1953) als Feinde gegenüberstehen.

  32. 32.

    Dadurch unterscheidet sich der Pocket Reader beispielsweise auch von der 1946 erschienenen anthropologischen Studie The Crysanthemum and the Sword – Patterns of Japanese Culture von Ruth Bedendict, die dem amerikanischen Leser den besiegten Kriegsgegner Japan gerade anhand kultureller Muster zu beschreiben sucht, aber keine konkreten Ratschläge für den täglichen Umgang mit Japanern gibt.

  33. 33.

    Beispielsweise ist in Jing (2006) 30 Minuten für mehr Chinakompetenz der geringe Zeitaufwand für das Lesen schon in den Titel eingelassen.

  34. 34.

    Seit Beginn des so genannten zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges 1937 (als Auslöser wird der Zwischenfall auf der Marco-Polo Brücke am 7. Juli 1937 gesehen) brachten japanische Truppen große Teile Nord-Ost Chinas unter ihre Kontrolle und richteten dabei verheerende Massaker unter Kriegsgefangenen und in der Zivilbevölkerung an. Diese Kriegsverbrechen belasten das Chinesisch-Japanische Verhältnis bis in die heutige Zeit. Am 9. September 1945 schließlich kapitulierten die japanischen Truppen in China.

  35. 35.

    Hier scheint sich das Bild gelbhäutiger Chinesen bzw. Asiaten bereits durchgesetzt zu haben. Die erste ‚Entdeckung’ einer „gelben Rasse“ geht auf Immanuel Kant zurück, der in seiner Vorlesung „Von den verschiedenen Racen der Menschheit“ (1775) die Menschheit in vier Rassen unterteilte, deren Hautfarbe sich nach den klimatischen Bedingungen richtete. Die Chinesen waren dabei nur eine „Halbrasse“, d.h. eine Mischung aus Indern, Skythen und Hunnen, oder aber eine „angehende Rasse“, d.h. eine Rasse die sich noch in der Anpassung an die vorgefundenen klimatischen Bedingungen befindet. Als „gelbe Rasse“ bezeichnete Kant daher nicht die Chinesen, sondern die Bewohner des indischen Subkontinents. Der Einflussreiche Rassentheoretischer Friedrich Blumenbach (1752-1840) arbeitete die Typologien der Rassen weiter aus und beschreibt 1825 die „mongolische Rasse“ als „meist waizengelb“ (nach: Demel 1992: 651). Insgesamt ergibt sich ein Bild, nachdem diejenigen, die den Chinesen wohlgesonnen waren, diese eher der ‚weißen Rasse’ zuordneten, während jene, die auf die Chinesen herabblickten, diese als irgendwie ‚farbig’ beschrieben. Da sich die Europäer selbst als ‚Weiße’ und kulturell überlegen betrachteten, so konnten im Umkehrschluss die kulturell niedriger Angesiedelten nicht weiß sein. Da man in Europa gegen Ende des 18. Jahrhunderts einerseits von der Inferiorität der Chinesen überzeugt war, andererseits aber eine bemerkenswerte Kulturhöhe Chinas in der Vergangenheit nicht bestritten werden konnte, bedurfte man einer Farbe zwischen braun und weiß. Entgegen kam dieser europäischen Farbsymbolik auch die der Chinesen selbst, die sich als ‚gelbes’ Volk im Sinne ihrer Entstehung im Bereich des ‚gelben Flusses’ und in ihrer kulturellen Abstammung von dem mythologischen ‚gelben Kaiser’ betrachteten. (vgl. Demel 1992) Mit dem Begriff der ‚Gelben Gefahr’ münzte auch Ferdinand von Richthofen seine Beobachtungen politisch um, wenn er sagt, die Chinesen seien den Europäern in allen Gebieten unterlegen, außer in dem der Fortpflanzung (nach: Osterhammel 1987: 175). Die Angst vor der yellow peril (‚Gelbe Gefahr’) als Menschenflut aus Ostasien war auch in USA seit dem 19. Jahrhundert verbreitet (Gollwitzer 1962).

  36. 36.

    Die Tendenz, Lebensart und Einstellung auf den natürlichen Lebensraum einerseits und auf einen Volkscharakter andererseits zurückzuführen sind beide bereits im 18. Jahrhundert Darstellungsmuster der Chinabeschreibung (Osterhammel 1987).

  37. 37.

    Deutscher Titel: „Techniken der Imagepflege“ (Goffman 1971).

  38. 38.

    Der Begriff facework wird dabei in der Literatur nicht einheitlich verwendet, bleibt aber trotz differierender Definitionen und im Anschluss an Brown und Levinson (1978) – die sich damit auf ausschließlich verbale Kommunikation beziehen – überwiegend linguistisch besetzt.

  39. 39.

    Erstmals erschienen in: Garms 1982. Überarbeitet und als eigenständiges Büchlein wurde der Text 1986 neu aufgelegt.

  40. 40.

    Unter dem Stichwort „Optische Hilfsmittel“ ist folgendes zu lesen: „Aufgrund der großen Vielfalt chinesischer Schriftzeichen (es gibt ca. 50.000 Zeichen, die aus bis zu 23 Strichen bestehen können) und deren Erlernung hat jeder Chinese eine weit bessere optische Auffassungsgabe als der westliche Mensch. Darum ist es immer von Vorteil, bei Erklärungen und Diskussionen optische Hilfsmittel einzusetzen. […]“ (Helm 1986: 19).

  41. 41.

    Zur Identitätsthematik siehe auch Schmidt-Glintzer (2007), der sich im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Sinologie für eine geschichtsbewusste Gegenwartsorientierung ausspricht und bemerkt, „… daß es eine abgrenzbare chinesische Identität nicht gibt […]“ (ebd.: 11).

  42. 42.

    Die Suche nach dem Begriffen pingguo+diumian (‚Apfel/Apple+Gesichtsverlust’) über die chinesische Suchmaschine Baidu am 5. November 2012 ergab über 1,9 Millionen Treffer, die Google-Suche am selben Tag über 3,4 Millionen Treffer.

  43. 43.

    Ein Beispiel für eine der zahlreichen chinesischen Forumsdiskussionen zu diesem Vorfall: Kaixin001 13.08.2012. Ein Beispiel für einen Blog-Eintrag: Sciencenet 18.08.2012.

  44. 44.

    Exemplarisch für die Karikaturen, siehe Chinadaily 25.08.2012. Die Begriffe ‚kleine Prinzessin’ (xiao gongzhu) oder ‚kleiner Kaiser’ (xiao huangdi) bezeichnet die Söhne und Töchter chinesischer Ein-Kind-Familien und sind als typisches Phänomen der Ein-Kind-Politik bekannt.

  45. 45.

    Vgl. China Daily 15.07.2015.

  46. 46.

    Vgl. Wenxuecity 24.09.2015.

  47. 47.

    Vgl. Chinanews.com 24.09.2015; auch: Renminwang 24.09.2015.

  48. 48.

    Seit den religionssoziologischen Studien Max Webers (1991 [1915-1920]) wird der Konfuzianismus in westlichen Fremdbeschreibungen anhaltend als Ursache für zum Teil gegensätzliche Entwicklungen und Phänomene verantwortlich gemacht; zur Konfuzianismusthese vgl.: Sasumikat 2004; Lee 2003; Pohlmann 2000.

  49. 49.

    Vor öffentlicher Bloßstellung chinesischer Kollegen wird auch in der Ratgeberliteratur eindringlich gewarnt. So bei Harold Chee und Chris West (2006: 118): „Vermeiden Sie es, jemanden vor anderen zu kritisieren. Respektieren Sie die Bedeutung, die Chinesen Gesicht und Ehre beimessen.“ Vergleichbare Aufforderungen findet man weit verbreitet (etwa: Thomas & Schenk 2001: 59ff.; Huang et al. 2012: 104ff.; Jing 2006: 29ff.).

  50. 50.

    Joachim Matthes (2005 [1991]: 453-457) schlägt vor, das Phänomen des Gesichtsverlustes nicht als kulturspezifische Ausprägung einer als Entität gedachten Kultur zu betrachten, sondern als in spezifische Kontexte eingebettete Regelsysteme. Im europäischen Kontext habe der Einzelne für sein Fehlen und Versagen ‚einzustehen’. Durch das wahrnehmbare ‚Einstehen’, durch tätige Reue und Buße werde die Wahrung des Gesichts vollzogen. Demgegenüber verlaufe die Grenze des Gesicht-Wahrens bzw. des Gesicht-Verlierens im „fernöstlichen Kontext“ (ebd.: 456) entlang der Grenze der sozialen Kreise der Akteure, innerhalb derer das Gesicht nur als Ganzes bewahrt oder verloren werden könne. Es geht dabei nicht um das Selbstwertgefühl des Einzelnen sondern um das Aufrechterhalten der Vertrauensbeziehungen innerhalb der primären Verpflichtungszusammenhänge.

  51. 51.

    „You will rarely hear a Chinese say ‚I don’t know’ when you ask him a question. ‚Yes’ is a stock answer and that can make for no little confusion if you don’t watch out. But if you explain carefully and protect his self-respect you won’t have any trouble.“ (Pocket Guide 1943: 24)

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Dederichs, A. (2018). Das ‚chinesische Gesicht’ als Topos von Differenzerzählungen. In: Kulturelle Differenzierung in Wirtschaftskooperationen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20117-3_6

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