Zusammenfassung
Der Artikel diskutiert einen Zugang zum Wissen der Abgeordneten moderner Parlamente als Möglichkeit, auch deren Handlungsbedingungen rekonstruktiv in den Blick zu nehmen. Anhand von Interviews mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Gruppendiskussionen mit Angehörigen zweier Landesparlamente kann zunächst gezeigt werden, dass sich die AkteurInnen in der professionellen Politik authentizitätsbezogenen Identitätsnormen ausgesetzt sehen. Die zentrale Erwartung, authentisch zu sein, wird dabei von einer strategischen oder intentionalen Herstellung eines öffentlichen Images oder Bildes unterschieden und sie beinhaltet im Kern die Gewährleistung einer Kohärenz zwischen der Selbstdarstellung bzw. dem Verhalten als PolitikerIn und dem unmittelbaren So-Sein als Person. Darüber hinaus können die Auswertungen der Interviews mit den Bundestagsabgeordneten zeigen, dass die Befragten sich in Konfrontation mit diesen Identitätsnormen partiell habituelle Muster vergegenwärtigen, die ihre berufliche Tätigkeit prägen oder strukturieren. Die Ergebnisse der empirischen Analysen weisen somit auf das Vorhandensein einer normativen Ordnung der professionellen Politik hin, die im Beitrag aber über die Rekonstruktion der Perspektive und der Wissensbestände der Abgeordneten erschlossen wird. Die Ergebnisse werden abschließend auch mit Blick auf die Frage nach der Repräsentationsbeziehung zwischen ParlamentarierInnen und Bürgerinnen diskutiert.
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Amling, S., Geimer, A. (2018). Das Wissen der Abgeordneten. In: Brichzin, J., Krichewsky, D., Ringel, L., Schank, J. (eds) Soziologie der Parlamente. Politische Soziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19945-6_7
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