Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht neue, zum Teil bereits realisierte, teils projektierte medienästhetische Phänomene in der Flugzeugkabine, in denen der Hintergrund als ästhetisches Phänomen in besonderer Weise hervortritt. Nach einer Bestimmung des Fliegens als visueller Erfahrung erfolgt zunächst eine kontextualisierende Betrachtung über Medientechniken des Vordergrunds in der Flugzeugkabine, allen voran das In-Flight Entertainment (IFE). Etablieren IFE-Systeme alternative Horizonterfahrungen, um von der Kabine als angstbesetztem Ort und der ‚leeren‘ Zeit des Reisens abzulenken, so lassen sich die Medientechniken des Hintergrunds – allen voran das Mood Lighting – als Intensivierungen des Zugriffs auf menschliches Empfinden begreifen, dessen Modulation ökonomischen Imperativen folgt. In diesen Medienästhetiken des Hintergrunds verdichtet sich mithin eine Konstellation, die Mensch, Technik und Ökonomie möglichst nahtlos aneinander zu vermitteln versucht.
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Notes
- 1.
Bei Saint-Exupéry, der Sichtflüge (VFR) beschreibt, ist diese ästhetische Dimension offensichtlich an die existenzielle Ebene gekoppelt: die Abwesenheit von Licht bedeutet für eine Navigation, die sich an Sternen einerseits, an Flüssen, Städten und Bergen andererseits orientiert im Zweifelsfall nichts weniger als den ‚Tod‘, während für die funk- und satellitengestützten Navigationsverfahren des Instrumentenflugs (IFR) der Blick aus dem Fenster von seiner aviatischen Funktion tendenziell entkoppelt und als genuin ästhetischer Blick freigesetzt wurde. Bei Saint-Exupéry handelte es sich folglich um eine existenzielle Ästhetik des Lichts, die unablösbar vom Abenteuergeist der frühen Luftfahrt erscheint, während für die zeitgenössische Luftfahrt der Blick aus dem Fenster weitestgehend ästhetisches Surplus geworden ist und medientechnologisch – etwa durch Head-Up-Displays – augmentiert wurde.
- 2.
Nicht zufällig schließen immersive Bildtechnologien wie IMAX und 3-D mit besonderer Vorliebe an Flugerfahrungen an. Siehe zur Kopplung von IMAX und Flugerfahrung etwa Griffiths (2008, S. 195 ff.), zur Engführung von 3-D-Kino und Flugsequenzen Ross (2012). Vgl. zur Diskussion des ‚aerial views‘ im Kontext einer Erhabenheitsästhetik außerdem Dorrian (2009, S. 87 f.).
- 3.
Der Begriff hat den populärkulturell bekannteren Terminus Vertigo in der Forschung abgelöst. Previc und Ercoline (2004, S. 2 ff.) unterscheiden dabei die spatial disorientation, die sich vor allem auf die Selbstverortung des Körpers im Raum bezieht vom Sonderfall der geographical disorientation, die vor allem die Relation zwischen Flugzeug und kartografischer Welt betrifft sowie von aviatorischer loss of situational awareness, die sich auf sämtliche flugrelevanten kognitiven Vergegenwärtigungen (etwa auch in Bezug auf die Steuerungsinstrumente, die Konfiguration von Bordcomputern oder Kommunikationsvorgänge) bezieht.
- 4.
Genauer noch ließe sich sagen, dass in diesen Bildern das Flugzeug selbst Ego und Alter zugleich wird, von sich selbst also im Modus jener ‚freien indirekten Rede‘ in der dritten Person subjektiv Zeugnis ablegt, die Deleuze (1997, S. 106 f.) im Anschluss an Pasolini beschrieben hat: „Eine Person agiert auf der Leinwand, und ihr wird unterstellt, die Welt in einer bestimmten Weise zu sehen. Die Kamera sieht sie und ihre Welt zugleich von einem anderen Standpunkt, der den Blickpunkt der Person denkt, reflektiert und transformiert.“
- 5.
Nach der Einführung weniger Monitore für die gesamte Kabine sind IFE-Systeme mittlerweile standardmäßig für jeden Passagier einzeln verfügbar und die Inhalte mithin individuell selegierbar. Zudem sind die Systeme nicht mehr nachträglich installiert, sondern von vornherein in das Design der Kabine und insbesondere die Sitze integriert: „one seat can be a mobile business office and the one next door a child’s gaming room, while across the aisle a teenager watches music videos and gets fashion tips“ (Groening 2008, S. 6). Vgl. zur Geschichte der Individualisierung von Medienkonsum im Flugzeug auch Groening (2016), zum In-Flight-Entertainment allgemein Govil (2004) und Groening (2014).
- 6.
Flugzeugbau ist eine global distribuierte Tätigkeit mit weit verzweigten Produktionsketten, die unter der Regie weniger Konzerne steht, aber über verschiedene Hierarchieebenen zahllose Zulieferunternehmen miteinschließt, die im Gegensatz zu klassischen Zulieferbetrieben bei Neuentwicklungen zum Teil auch Risikoanteile für das Gesamtprojekt mitübernehmen – sehr prägnant etwa bei der Entwicklung der Boeing 787, bei der ca. 70 % der Entwicklungs- und Produktionsarbeit ausgelagert wurde (vgl. Tang et al. 2009, S. 78). Für die Ausstattung von Flugzeugkabinen etwa gibt es zahlreiche spezialisierte Unternehmen, bzw. Unternehmensabteilungen mit zum Teil wiederum erheblicher Subspezialisierung (etwa auf Bordküchen [galleys], Sitze, Fenster, Türen, usw.). Entsprechend sind im Folgenden die Nennungen von Airbus und Boeing zum Teil als summarische Begriffe für die versammelte Zulieferarbeit denn als Quellbegriff für die Bestimmung von Innovation zu lesen.
- 7.
Boeing (2015a). Hier bezogen auf die Kabinenausstattung für neu produzierte 777-Modelle.
- 8.
Üblich ist heutzutage noch, dass FlugbegleiterInnen die notwendige Koordinierungsarbeit leisten und zum Schließen/Öffnen der Fensterblenden auffordern.
- 9.
Vgl. zum Begriff der Aktivierung im Kontext neoliberaler Gouvernementalität Kocyba (2004).
- 10.
Dies ist daneben auch in der Erweiterung von IFE-Systemen in Richtung gesteigerter Konnektivität beobachtbar. Satellitengestützte Internetverbindungen ermöglichen die Transformation der ‚leeren Zeit‘ des Reisens in reguläre Arbeitszeit sowie der Flugzeugkabine in ein fliegendes Büro. Vgl. dazu Groening (2014, S. 111 ff.).
- 11.
Vgl. für die touristische Attraktion von In-Flight Entertainment Schneider (2009, S. 145 ff.).
- 12.
Das Aufkommen der low cost carrier (LCC) ist u. a. der radikalen Minimierung von turnaround-Zeiten geschuldet. Ryanair – nach Passagierzahlen inzwischen die größte Fluggesellschaft Europas – hat etwa lange Jahre mit turnaround-Zeiten von 25 min geworben (vgl. Ryanair 2001, S. VII), während für vergleichbare Flugzeugtypen 40 min als Industriestandard gelten (vgl. Mirza 2008).
- 13.
Dass sich dies bislang nicht durchgesetzt hat, liegt vermutlich daran, dass die eigentliche Sitzplatzsuche eben nicht substituiert, sondern lediglich in die jeweilige Farbzone verlagert wurde und damit die Aufgabe der Sitzplatzsuche de facto nur um das Element der Farbe erweitert wurde. Da es aber keine logische oder intuitive Entsprechung zwischen z. B. ‚Grün‘ und Sitz ‚37B‘ gibt, verunklart die Kolorierung die simple Arithmetik der Sitzplatzdesignierung tendenziell eher. Hinzu kommen ökonomisch-technische Probleme wie die der Notwendigkeit von (teureren) Farbdruckern zur visuellen Darstellung der jeweiligen Zone auf der Bordkarte sowie der Umstand, dass das Auffinden des korrekten Sitzplatzes im Vergleich etwa zur ordentlichen Verstauung des Handgepäcks ein eher marginales zeitliches Problem darstellt. Um sequenzielles Boarding zu ermöglichen, arbeiten außerdem einige Airlines schon seit geraumer Zeit mit einfachen alphabetischen Hinweisen (Boardinggruppe A, B, C, usw.).
- 14.
Vgl. dazu auch den Beitrag von Heiner Wilharm in diesem Band.
- 15.
Gemeint ist das Licht, das nicht auf spezifische Stellen (spot lighting), sondern auf Oberflächen in ihrer generellen Flächigkeit gerichtet ist und im Effekt eine gleichmäßige ‚Waschung‘ der Fläche hervorruft.
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Maeder, D. (2018). Light itself: Medienästhetik des Hintergrunds in der Flugzeugkabine. In: Schröter, J., Schwering, G., Maeder, D., Heilmann, T. (eds) Ambient. Neue Perspektiven der Medienästhetik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19752-0_8
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