Zusammenfassung
Geschützte Werkstätten sind Orte, in welchen industrielle Produkte in oftmals handwerklicher Arbeit gefertigt werden. Es sind aber auch Orte, welche eine sozialstrukturelle Einbindung von Menschen ermöglichen, welche aus verschiedenen Gründen nicht am ersten Arbeitsmarkt teilhaben können. Davon ausgehend betrachtet der Beitrag von Thomas Schmid geschützte Werkstätten ergänzend als strukturell konstituierende und sozial wirkmächtige Orte handwerklichen Tuns, welches eingebettet in spezifisch-institutionelle Begebenheiten als relevantes Feld sozialer Praxis erschlossen und auf seine (sozial-)räumliche Dimension hin überprüft werden kann. Das primäre Erkenntnisinteresse des Autors liegt in der analytischen Erfassung eines sozial bedeutsamen und im institutionellen Raum verorteten praktischen Wissens sowie dessen Rezeption und konzeptuelle Einordnung durch die in diesem Kontext tätigen Fachpersonen. Die Grundlage hierfür bildet ein rekonstruktiver, praxissoziologisch begründeter und selbstreferenzieller Forschungsprozess, welcher mittels ethnografisch-partizipativen Methoden die wertnormative und routinierte Durchdringung praktischer Arbeitsprozesse aufspürt und professionellen Deutungsmustern gegenüberstellt. Mit Blick auf die institutionelle Spezifität einer so ergründeten sozialen Praxis wird darauf beruhend die räumlich-konstituierende Komponente handwerklichen Tuns im sozialarbeiterischen Setting geschützter Werkstätten hergleitet und analytisch begründet. Im Sinne des Löwschen Raumbegriffs (2015) wird handwerkliches Tun dabei als räumliche Praxis institutioneller Prägung konzeptualisiert. Die Einnahme einer so beschaffenen theoretischen Perspektive rückt räumliche und soziale Aneignungsprozesse in den Fokus, deren Bearbeitung sowohl für die professionelle Praxis als auch für den wissenschaftlichen Diskurs ergiebig und zuweilen notwendig scheint. Darauf Bezug nehmend schliesst der Beitrag mit Implikationen, welche eine derartige Annäherung an das professionelle Feld geschützter Werkstätten mit sich bringt.
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Notes
- 1.
Übergeordnet findet sich auf behördlicher Ebene auch der Begriff ‚geschützte Arbeit‘. Gemeint sind jegliche Arbeitsmöglichkeiten, welche nicht den Mechanismen des primären Arbeitsmarktes unterworfen sind. Geschützte Werkstätten müssen somit als ein Bereich geschützter Arbeit angesehen werden (vgl. BfS 2018).
- 2.
Die aktuellsten und zurzeit auf der Website des BfS aufgeführten Zahlen stammen aus dem Jahr 2013 (Stand: März 2018). Zu erwähnen ist, dass nur Daten aus denjenigen Werkstätten in die Berechnung der Kennzahlen mit eingeflossen sind, welche direkt an Wohnheime (Institutionen mit Beherbergungsplätzen) angegliedert sind. Sogenannte unabhängige Werkstätten und Unternehmen wurden nicht berücksichtigt. Die tatsächlichen verfügbaren Arbeitsplätze bzw. die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sind also höher.
- 3.
Nach dem BfS waren im Jahre 2013 51 % der Beschäftigten in geschützten Werkstätten Menschen mit einer geistigen Behinderung. Menschen mit einer psychischen Behinderung machten 33 % der Beschäftigten aus. Die übrigen Beschäftigten entfallen auf die Kategorien: Behinderung der Sinnesorgane, Suchterkrankungen und Eingliederungsprobleme. Die Kategorienbildung wird in der Darstellung des Datenmaterials nicht ersichtlich.
- 4.
Zur Einsicht in Zwecksetzungen, Zielgruppen und Angeboten geschützter Arbeitsplätzen bzw. geschützter Werkstätten in der Schweiz siehe BFS 2018.
- 5.
Es wurden Werkstätten ausgesucht, welche hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen (Behinderungsformen der Mitarbeitenden, Grösse der Institution, städtische oder ländliche Einbettung) ein hohes Mass an Unterschiedlichkeit vorwiesen. Mit Blick auf die Komplexität der Arbeitsprozesse wurde hingegen eine möglichst hohe Homogenität im Sample angestrebt, d. h. es wurden vornehmlich einfache und kleinteilige Arbeiten beobachtet. Die Begriffe einfach und kleinteilig sollen im verwendeten Kontext dabei im Sinne der ihnen innewohnenden Bedeutungen und nicht wertend gelesen werden.
- 6.
Im institutionellen Kontext geschützter Werkstätten konzentriert sich die Forschungslandschaft mehrheitlich auf organisationale, konzeptuelle und betriebswirtschaftliche Aspekte. Aus sozialarbeiterischer Sicht sind die Beiträge von Windisch und Loeken (2013), Fischer et al. (2011) und Kühn und Rüter (2008) hilfreich und im Sinne einer Vertiefung in das Feld durchaus nützlich.
- 7.
Die Untersuchung bezieht ihre theoretische Fundierung aus einer praxeologisch-ethnografischen Rahmung. Die theoretische Verortung verbleibt dabei konsequent auf der Meta-Ebene. Vorannahmen über den Forschungsgegenstand wurden, im Sinne eines ausgeprägt explorativen Vorgehens, grösstmöglich vermieden.
- 8.
Das Ausbildungsniveau der in den untersuchten Werkstätten tätigen Professionellen ist sehr heterogen. Sie können jedoch auf die folgenden drei Kategorien zusammengefasst werden: Sozialpädagogische Ausbildung FH/HF, Arbeitsagogische Ausbildung HF und Berufslehre (mit institutionsspezifischen Zusatzausbildungen). Interviewt wurde eine Sozialpädagogin FH (Werkstätte A), ein Arbeitsagoge in Ausbildung HF (Werkstätte B) und ein handwerklich Ausgebildeter (Werkstätte C). Die zu bewältigenden Aufgaben sind breit gefächert und stark institutionsspezifisch geprägt.
- 9.
Die ethnografisch-semantische Analyse ist ein hauptsächlich auf Spradley (1979) zurückgehendes, rekonstruktiv-qualitatives Forschungsprogramm, welches teilnehmende Beobachtung und ethnologische Interviews in den Mittelpunkt der Datensammlung stellt. Analytisch fokussiert sie auf implizite Wissensbestände. Sie sucht, grob gesagt, nach den Bestandteilen einer Kultur, nach den Beziehungen zwischen diesen Teilen und nach deren Beziehungen zum Ganzen dieser Kultur (Maeder 1995, S. 69; Spradley 1979, S. 142).
- 10.
Diejenigen Menschen, welche in industriellen bzw. handwerklichen Bereichen von geschützten Werkstätten tätig sind, werden folgend als Mitarbeitende bezeichnet. Das wird in allen beforschten Institutionen so gehandhabt und wurde entsprechend übernommen. Die genaue Anzahl der Mitarbeitenden lässt sich nach Aussage der anleitenden Fachpersonen meist nur schwerlich benennen, da im Bereich geschützter Werkstätten eine hohe personelle Dynamik vorherrscht.
- 11.
Soziale Praktiken bilden aus praxissoziologischer Perspektive die Grundeinheit sozialer Praxis. Diese konstituiert sich als Folge der unablässigen Verkettung sozialer Praktiken, bildet aber gleichzeitig die Grundlage der Konstitution sozialer Praktiken (vgl. Schäfer 2016; Hillebrandt 2016; Schatzki et al. 2006). Nach Schmidt (2012) sind soziale Praktiken immer an bestimmte Umstände, Orte, Kontexte und materielle Rahmungen gebunden. Sie manifestieren sich grösstenteils in Form von Gewohnheiten und Selbstverständlichem. Soziale Praktiken sind durch konstante Regelmässigkeit gekennzeichnet und werden als Zusammenspiel von geübten Körpern, gegenständlichen Artefakten, natürlichen Dingen, Gegebenheiten und sozio-materiellen Infrastrukturen und Rahmungen erfasst (vgl. S. 10 ff.). Bei Krämer (2014) werden Praktiken als Formen des Tätigseins beschrieben, welche als routinierte, wiederkehrende Verhaltensabläufe verstanden werden können (ebd., S. 302).
- 12.
Der Begriff der Lehre ist dem Sprachgebrauch des Feldes entnommen und bezeichnet physische Hilfsmittel, welche den Arbeitsprozess vereinfachen, steuern und/oder anleiten. Alle im Feld vorgefundenen Lehren wurden in den Werkstätten selbst entwickelt und konstruiert.
- 13.
- 14.
Aneignung soll hier mit Verweis auf die kulturhistorische Schule der sowjetischen Psychologie als Erschliessen, Begreifen, aber auch Verändern, Gestalten, Umfunktionieren und Umwandeln der räumlichen und sozialen Umwelt verstanden werden (vgl. Deinet 2018, S. 113).
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Quellen
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FPB: Transkript Leitfadeninterview mit Fachperson aus Werkstätte B im April 2016.
FPC: Transkript Leitfadeninterview mit Fachperson aus Werkstätte C im Mai 2016.
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Schmid, T. (2018). Geschützte Werkstätten als institutionelle Räume sozialer Praxis. In: Diebäcker, M., Reutlinger, C. (eds) Soziale Arbeit und institutionelle Räume. Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 18. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19500-7_6
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