Zusammenfassung
Soziale Arbeit ist institutionell eingebunden, (re-)produziert im Tun die institutionellen Zusammenhänge mit, schafft und gestaltet institutionelle Räume. Entkommen kann sie dieser Eingebundenheit nicht, jedoch die damit verbundenen Problematiken verstehen und einen reflektierten Umgang damit finden. Im abschließenden Beitrag wird auf Basis der im Band ausgeführten explorativen Zugänge zu einrichtungsbezogener Sozialer Arbeit ein institutionelles Raumforschungsprogramm skizziert. Ziel dieses Programms liegt darin, institutionelle Räume in ihrer alltäglichen (Re-)Produktion ebenso aufschließen zu können, wie in ihrer gesellschaftlichen Gewordenheit und Relationalität. Möglich wird dies durch folgende, im Kapitel grundlegend und gut verständlich hergeleiteten drei Bewegungsmuster: hinein in die Einrichtung gehend (erste Bewegungsfigur), das Innere einer Einrichtung begehend (zweite Bewegungsfigur) und schließlich hoch- und über die Einrichtung hinausgehend (dritte Bewegungsfigur). Während die ersten beiden Schritte methodisch ethnografisch inspiriert sind, verlässt der dritte Schritt diesen Kanon und erweitert die Perspektive programm- und diskursanalytisch. Dank dieses systematischen Vorgehensvorschlags wird die Relevanz ersichtlich, welche das aus einer institutionellen Raumforschung hervorgehende Wissen für eine weitere Professionalisierung Sozialer Arbeit hat. Nicht minder entscheidend ist dieses Wissen auch für die Aufrechterhaltung von Handlungsfähigkeit und Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten ihrer Adressat*innen. Schließlich hilft dieses Wissen, um als Profession (sozial-)politisch und damit gesellschaftsgestaltend wirken zu können.
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Notes
- 1.
In ihrem Charakter und Anspruch unterscheiden sich explorative, meist qualitativ ausgerichtete Vorgehensweisen von konfirmatorischen, d. h. hypothesenüberprüfenden, die meist einem quantitativen Paradigma folgen. Die historisch dichotomisierende und reduktionistische Gegenüberstellung von hypothesengenerierender explorativer Forschung vs. hypothesentestender bzw. explanativer Forschung und die verbundene Unterordnung ist nicht zeitgemäß. Paul Lazarsfeld und Allen H. Barton plädierten bereits in den 1950er Jahren, sozialwissenschaftliche Forschung müsse insgesamt von explorativer Natur (exploratory nature) sein (1951, S. 156).
- 2.
Soziale Arbeit selbst ist „ein Feld sozialer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung“ und ist durch konflikthafte Macht- und Herrschaftsbeziehungen widersprüchlich strukturiert, was sich auch in Selbstverständnissen Sozialer Arbeit ausdrückt. „Scheinbar historisch-konstitutiv angelegte Widersprüchlichkeiten Sozialer Arbeit, z. B. in den Spannungsfeldern Gewalt und Konsens, Zwang und Überzeugung, Unterstützung und Unterstützungsverweigerung oder Ein- und Ausschließung, müssen demnach als offene und veränderbare Relationen verstanden werden“ (Diebäcker 2014, S. 22 f.).
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Diebäcker, M., Reutlinger, C. (2018). Institutionelle Raumforschung – eine Programmskizze. In: Diebäcker, M., Reutlinger, C. (eds) Soziale Arbeit und institutionelle Räume. Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 18. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19500-7_10
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