Zusammenfassung
Dieser Beitrag ist erstens ein Plädoyer für ein Verständnis des Staates und seiner Sicherheitsproduktionen und Kriminalisierungsstrategien, das an die von Marx begründete Tradition anschließt und den Fokus auf das Verhältnis zwischen Ökonomie, Politik und Ideologie bzw. Hegemonie legt. Zweitens soll die Leistungsfähigkeit eines solchen Verständnisses anhand einer vorgeschlagenen Periodisierung von Kriminalisierungsstrategien in (West-) Deutschland demonstriert werden. Diese Periodisierung basiert auf der (Re-) Lektüre einschlägiger Analysen und Kommentare aus den Bereichen Kritische Kriminologie, Kritische Polizeiforschung und materialistische Staatstheorie aus den letzten fünf Jahrzehnten, die sich mit den Entwicklungen von Polizei (-praxis) und Politiken „Innerer Sicherheit“ sowie den sich wandelnden „Feinden“, die diese legitimieren (sollen), befassen. Dass eine solche (Re-) Lektüre aufgrund der Masse entsprechender Publikationen und der Komplexität des Gegenstandes immer nur partiell und selektiv erfolgen kann, versteht sich von selbst. Identifiziert wurden drei Perioden und eine aktuelle Übergangsphase, deren Kern sich noch nicht fassen lässt: der Ordoliberalismus mit „Kommunisten“ als hegemonialen Feinden (1949-1966), der keynesianistische Fordismus, während dem „Terroristen“ diese Funktion innehatten (1966-1990), der Neoliberalismus, in dem „Kriminalität“ als solche den „Feind“ konstituierte (1990-2008) sowie die aktuelle Übergangsphase des Post-Neoliberalismus (seit 2008). Bevor diese Periodisierung in Abschnitt 2 vorgestellt wird, erfolgen einige Kommentare zur marxistischen Theorietradition.
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Belina, B. (2018). Perioden der Kriminalisierung im und durch den (west-) deutschen Staat. In: Puschke, J., Singelnstein, T. (eds) Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Staat – Souveränität – Nation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19301-0_8
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