Zusammenfassung
Häuptling wird, wer die anderen um Haupteslänge überragt. Der Triumph allerdings ist selten dauerhaft. So wird nach Rekorden gegiert. Rankings sind beliebt: Fast jährlich müsste die Liste der hundert höchsten Wolkenkratzer neu geschrieben werden. Die hektische Hochhauskonkurrenz in aller Welt zu sortieren: ein Sisyphus-Unterfangen. Da weder geografische noch chronologische Reihenfolgen brauchbar erscheinen, erweist Höhenentwicklung sich als schlüssigste, aber auch schlichteste Möglichkeit des systematischen Ordnens. Bebauungsvorschriften, konstruktive Neuerungen oder Veränderungen der Büro- und Kommunikationsstrukturen wären vielleicht im einzelnen aufschlussreichere Ansätze, eine Überschau zu entwickeln. Im Ganzen aber ergäben sich verwirrende Widersprüche oder erneute Unordnungen. Das irrationale Verlangen, den auffälligsten, den weltgrössten oder wenigstens europahöchsten Wolkenkratzer sein eigen zu nennen, wischt alle sachlichen Argumente beiseite, mit denen die Hochhausschwemme eventuell zu erklären wäre. Aus Raumnot wird kein Hochhaus gebaut. Prestigedenken, verborgenes Begehren und vage Bilder in den Köpfen bestimmen die Bauvorhaben offenbar ebenso gravierend wie funktionale oder betriebswirtschaftliche Vorgaben. So soll hier der Versuch unternommen werden, jene treibenden Kräfte, jene heimlichen Ursachen, die insgesamt so etwas wie eine kollektive Psyche formen, zum Anlass eines Gliederungssystems zu nehmen.
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Notes
- 1.
Altes Testament, Mose 1, 11. Kapitel.
- 2.
Siegfried Giedion, S. 175.
- 3.
In seinem Gedicht „Der Einzige“, zit. n. F. Hölderlin, Werke (Hrsg. G. Mieth), München 1978, S. 1070.
- 4.
J.C. Legrand, Historische Anmerkung über Leben und Werke des G.B. Piranesi (1799), zit. n. Inventionen, Ausstellungskatalog, Hannover 1982, S. 164.
- 5.
Rem Koolhaas, S. 175.
- 6.
Vilem Flusser, Digitaler Schein. In: Florian Rötzer (Hrsg.), Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt 1991, S. 47 ff.
- 7.
Vgl. Siegfried Giedion, S. 304 f.
- 8.
Hans Henny Jahnn, Fluss ohne Ufer, Bd. II, Hamburg 1986, S. 494.
- 9.
Louis Sullivan, Das große Bürogebäude künstlerisch betrachtet, zit.n. Ada Huxtable, S. 9 f.
- 10.
a.a.O. S. 10.
- 11.
Johann N. Schmidt, S. 67.
- 12.
Ulf Jonak, S. 85 f.
- 13.
Altes Testament, Mose1, 6. Kapitel.
- 14.
Den Begriff verdanke ich einer Bemerkung von Dieter von Lübke.
- 15.
John Ruskin, Die sieben Leuchter der Baukunst, Dresden 1900, Faksimile: Dortmund 1994, S. 329.
Literatur
Judith Dupre, Wolkenkratzer. Die Geschichte der berühmtesten und wichtigsten Wolkenkratzer der Welt, Köln 1996
Siegfried Giedion, Ewige Gegenwart. Der Beginn der Architektur, Köln 1965
Ada Huxtable, Zeit für Wolkenkratzer oder die Kunst, Hochhäuser zu bauen, Berlin 1986
Ulf Jonak, Die Frankfurter Skyline. Eine Stadt gerät aus den Fugen und gewinnt an Gestalt, Frankfurt 1991, veränderte und erweiterte Ausgabe, Frankfurt 1997
Rem Koolhaas, Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, Aachen 1999
Caroline Mierop, Skyscrapers – Higher and higher, Paris 1995
Johann N. Schmidt, Wolken-Kratzer. Ästhetik und Konstruktion, Köln 1991
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Jonak, U. (2018). La Tour sans Fin oder Basis-Schaft-Kapitell. In: Essays zur Architektur. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19129-0_24
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