Zusammenfassung
In der Erforschung prekärer Lebenslagen und Krisen sind Fragen der Entwicklungs-, Sozial- und der Klinischen Psychologie berührt. Der psychischen Verarbeitung von belastenden Lebensereignissen widmet sich insbesondere die Stress- und Copingforschung. Bei der Erklärung der Unterschiede im Erleben und Verhalten der betroffenen Personen finden sich zwei Richtungen: Ansätze, die den Focus auf Aspekte der individuellen Situationseinschätzung (appraisal) richten, stehen Ansätzen gegenüber, die den Einfluss der vorhandenen Ressourcen für das Verständnis der psychischen Entwicklung betonen.
Mit dem transaktionalen Stressmodell von Richard S. Lazarus liegt ein theoretisches Konzept vor, das die Einschätzung des Ereignisses und die Beurteilung der Erfolgsaussichten von Bewältigungshandlungen als Grundlage der Unterschiede im Erleben und Verhalten in Belastungssituationen ansieht. Als ein Gegenentwurf versteht sich die Theorie des Ressourcenerhalts („Conversation of Ressources Theory“) von Stevan E. Hobfoll, die gestützt auf die besondere Bedeutung der Ressourcen im Hilfeprozess, von einem universellen Bedürfnis nach Ressourcenmehrung ausgeht.
Ein innovativer Beitrag geht von der Resilienzforschung aus. Hier wird gefragt, welche personalen und sozialen Aspekte in der Biographie gegenüber ökonomischen Entbehrungen und psycho-sozialen Belastungen schützen. Unter diesem Label werden Studien konzipiert und vorliegende Untersuchungen reinterpretiert, die Menschen (insbesondere Kinder und Jugendliche) untersuchen, welche trotz prekärer Lebensumstände eine normale/ gesunde Entwicklung nehmen. Aus den bei diesen Menschen (erfolgreiche Bewältiger) gefundenen persönlichen Merkmalen und sozialen Umfeldfaktoren lassen sich Hinweise für die Gestaltung von Präventions- und Interventionsprogrammen ableiten.
Die Existenz einer tragfähigen Beziehung zu einem Erwachsenen erwies sich in Studien als wichtiger Schutzfaktor. Insofern kommt der pädagogischen Situation (z. B. in Jugendhilfeeinrichtungen, Kindertagesstätten und Schulen) und der Stärkung des sozialen Netzwerkes der Kinder und Jugendlichen in prekären Lebenslagen eine besondere Bedeutung zu.
Da gleiche Bedingungen zu unterschiedlichen Entwicklungsergebnissen (Multifinalität) und unterschiedliche Bedingungen zu gleichen Verhaltensproblemen führen können (Equifinalität), braucht es jedoch eine differenzierte Wirkanalyse protektiver Prozesse.
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