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Gerechtigkeit an der Oberfläche

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Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle

Zusammenfassung

Dieser Beitrag zielt auf die Verhandlung verschiedener Gerechtigkeitsnormen ab, die bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle vor dem Hintergrund einer möglichen und jedenfalls in Deutschland eher umstrittenen Entsorgungsform langfristige Oberflächenlagerung (LOL), zu berücksichtigen sind. Zunächst gilt es, zwischen politischer Gerechtigkeit/prozeduraler Gerechtigkeit, distributiver Gerechtigkeit, und kommutativer Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne zu unterscheiden. Anschließend wird der Gerechtigkeitsbegriff vor dem Hintergrund seiner Renaissance im 20. Jahrhundert ausdifferenziert und in handlungstheoretische Zusammenhänge gestellt, um danach vor allem die prozeduralen und distributiven Normen zu untersuchen, welche bei der LOL ins Gewicht fallen. Hier wird unter Berücksichtigung der Zeiträume bei der Entsorgung zusätzlich unterschieden zwischen intragenerationalen und intergenerationalen Gerechtigkeitsverhältnissen. Wie in aller normativen Abwägung ist auch die Gerechtigkeit nicht frei von Dialektik und Ambivalenz und damit abhängig von ihrer jeweiligen Kontextualisierung. Und so entzieht sich die Bewertung der (Un)Gerechtigkeit von Langzeitoberflächenlagerung nicht einer Abwägung der Kontexte von konkurrierenden Normen und Ansprüchen.

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Notes

  1. 1.

    Etymologisch und ideengeschichtlich sind Gerechtigkeit und Rache eng verknüpft. Im Mythos der griechischen Antike etwa wird Gerechtigkeit hergestellt, in dem die Götter Rache nehmen an den Menschen für ihre Verfehlungen. (vgl. [Benjamin 1999]) Die Tradition, Gerechtigkeit auch im kritischen Blick autoritärer Willkür in der gewaltsamen Rechtsdurchsetzung zu betrachten, setzt sich bis heute fort.

  2. 2.

    BT-Drs. 18/9100, S. 125.

  3. 3.

    K-Drs. 130 h.

  4. 4.

    Zu einer ausführlichen Diskussion verschiedener Risikoethischer Konzepte siehe: Nida-Rümelin, Julian et al. (2012): Risikoethik. Berlin: de Gruyter.

  5. 5.

    BT-Drs. 18/9100, S. 58.

  6. 6.

    Michael Walzer entwickelt in seinem Werk Spheres of Justice eine kommunitaristische Gerechtigkeitstheorie, die auf der Grundlage von gesellschaftlichem Pluralismus und der Idee einer komplexen Gleichheit basiert. Ihm zufolge basiert Gerechtigkeit weniger auf der Erhebung universaler Prinzipien, als auf der Anerkennung der Komplexität von Gerechtigkeitssphären und der Notwendigkeit ihrer Identifizierung in pluralen Gesellschaften. So beruht beispielsweise distributive Gerechtigkeit auf den drei Prinzipien des freien Austausches, des Verdienstes und des Bedarfs, die je eigene Akteursgruppen betreffen und damit relativ, nicht holisitisch gedacht werden müssen [Walzer 1983, S. 21 ff.].

  7. 7.

    Die große Schwäche liegt vor allem in der Identifikation der Oberflächenlagerung mit der Zwischenlagerung, etwa [Korff/Feldhaus 1996, S. 37]: „So ist im Hinblick auf die Zwischenlagerung geltend zu machen, daß sie auf jeden Fall nur ein Provisorium darstellt, das von sich aus als die vergleichsweise größere Gefahrenquelle weiterführende Lösungen notwendig macht […].“

  8. 8.

    Prozeduralität meint hier den iterativen Prozess der Entsorgung unter technischen und gesellschaftlichen Aspekten und ist noch nicht an die Bedingungen prozeduraler Fairness geknüpft.

  9. 9.

    Die Idee des wait-and-act beruht auf Arbeiten mit Dennis Köhnke und war Gegenstand eines gemeinsamen Vortrages beim Forum on Philosophy, Engineering and Technology in Nürnberg, 2016.

  10. 10.

    K-Drs. 70.

  11. 11.

    BT-Drs. 18/9100, S. 211.

  12. 12.

    So stimmte etwa die gesamte Fraktion der Partei Die LINKE gegen den Gesetzesentwurf und begründete diese Entscheidung unter anderem damit, dass das Gesetz „ohne einen gesellschaftlichen Klärungsprozess und an wesentlichen Akteuren der bisherigen Auseinandersetzung vorbei verabschiedet wurde“ [LINKE 2016].

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Riemann, M. (2017). Gerechtigkeit an der Oberfläche. In: Köhnke, D., Reichardt, M., Semper, F. (eds) Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle. Energie in Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19040-8_9

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