Normieren und Befreien

Zusammenfassung

Der Artikel liest Michel Foucaults Überwachen und Strafen auf ästhetische Praktiken und die Ästhetisierung moderner europäischer Gesellschaften hin. Dabei werden zwei Dimensionen herausgearbeitet, die Foucault als zentrale Kategorien zur Beschreibung der Disziplinargesellschaft benutzt. Die Disziplin bedient sich einer bestimmten Praxisform bzw. Subjektivierungstechnik, der Übung. Foucaults Analyse greift hier auf Alexander Gottlieb Baumgartens ästhetische Theorie zurück. Eine weitere zentrale Kategorie stellt der Wandel von Sichtbarkeit dar. Anonyme Sichtbarkeitsordnungen zählen zu den elementaren Formen des Regierens in unterschiedlichen Machtdispositiven. Die Disziplinargesellschaft jedoch etabliert eine aufklärerische Tendenz, wie sie Jean-Jacques Rousseau formuliert hat: die Forderung nach Transparenz. Foucaults Rückgriff auf ästhetische Denkformen muss hier als gesellschaftliche Normierung gelesen werden. Anders in Foucaults späten ästhetischen Schriften: Auch hier wird ästhetische Subjektivität eingeübt. Allerdings zielt diese gerade nicht auf eine Normierung des Subjekts, sondern versucht neue Formen der Kollektivität (Lebensformen) zu erfinden. Foucault erkennt in dieser künstlerischen Selbstgestaltung den Ort gegenwärtiger Freiheit. Diese Freiheit bleibt agonal gegenüber herrschenden Subjektivierungsformen: Es ist eine Freiheit des ästhetischen Widerstands.