1 Einführung

Unter den Begriff der Entsorgungsanlagen werden Anlagentypen gefasst, die hinsichtlich ihrer technischen Beschaffenheit und betrieblichen Abläufe unterschiedlicher Natur sind. Gemeinsam ist Entsorgungsanlagen, dass sie der – im Rechtssinne – AbfallentsorgungFootnote 1 dienen, wobei die Entsorgung den dominierenden Zweck des Anlagenbetriebs ausmacht.Footnote 2 Der Betrieb von Entsorgungsanlagen ruft dabei die verschiedensten Umweltauswirkungen in unterschiedlicher Intensität hervor. Diese sind abhängig von den Abfallarten und ‑mengen, die in der jeweiligen Entsorgungsanlage angenommen, (zwischen‑)gelagert und im weit verstandenen Sinne behandelt werden, von der dabei zum Einsatz kommenden Anlagentechnik und schließlich von dem Anlagenstandort und seiner näheren Umgebung. Entsprechend vielschichtig, komplex und teilweise unübersichtlich sind die rechtlichen Vorgaben, welche die Umweltauswirkungen des Betriebs von Entsorgungsanlagen regeln.

Genehmigungsrechtliche Fragen des Betriebs von Entsorgungsanlagen stellen sich anlässlich ihrer Neuerrichtung und Inbetriebnahme „auf der grünen Wiese“, in der Praxis vor allem aber anlässlich beabsichtigter baulicher oder betrieblich‐technischer Änderungen bestehender Entsorgungsanlagen, und schließlich anlässlich ihrer behördlichen Überwachung.

Genehmigungsrechtliche Fragen werden regelmäßig zwischen dem Betreiber der Entsorgungsanlage, den zuständigen Behörden und ggf. Nachbarn der Entsorgungsanlage, die sich durch ihren Betrieb gestört fühlen, diskutiert. Kommt es zu keiner einvernehmlichen Klärung der aufgeworfenen Fragen, haben die Gerichte über deren verbindliche Beantwortung zu entscheiden. Darauf wird an gegebener Stelle jeweils unter dem Stichpunkt „Rechtsschutz“ eingegangen.

Die Verschiedenartigkeit von Entsorgungsanlagen und der von ihnen ausgehenden Umwelteinwirkungen sowie die Komplexität der insoweit maßgeblichen rechtlichen Vorgaben machen eine Auswahl der genehmigungsrechtlichen Fragestellungen für die Zwecke dieses Beitrags unabdingbar. Sie wurde so vorgenommen, dass – gewissermaßen „vor die Klammer gezogen“ – einzelne, ausgewählte genehmigungsrechtliche Fragen behandelt werden, die entweder für alle oder aber jedenfalls für einen Großteil solcher Entsorgungsanlagen von Relevanz sein können, deren Errichtung und Betrieb einer Genehmigung nach dem BImSchG bedürfen. Der Beitrag beabsichtigt dabei vornehmlich eine Sensibilisierung für bestimmte genehmigungsrechtliche Fragen, die in der Praxis häufiger auftreten, und weniger deren abschließende Aufbereitung und Beantwortung.

2 Genehmigungsbedürftigkeit von Entsorgungsanlagen

Die Genehmigungsbedürftigkeit der Errichtung und des Betriebs von Entsorgungsanlagen kann sich aus dem BImSchG, dem Bauordnungsrecht der Länder, sowie dem WHG ergeben.Footnote 3

2.1 Genehmigungsbedürftigkeit nach dem BImSchG

2.1.1 Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV

§ 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 4. BImSchV i. V. m. Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV Footnote 4 regelt, unter welchen Voraussetzungen die Errichtung und der Betrieb einer Entsorgungsanlage einer Genehmigung nach dem BImSchG bedürfen.

2.1.1.1 Regelungsstruktur der Nr. 8

Unter Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV („Verwertung und Beseitigung von Abfällen und sonstigen Stoffen“) werden 15 verschiedene Grundtypen von Entsorgungsanlagen aufgeführt. Nr. 8 spiegelt die Bandbreite der verschiedenen technischen Verfahren und Zwecke der Entsorgung von Abfällen und damit die Vielfalt von Entsorgungsanlagen wider. Die Genehmigungsbedürftigkeit bestimmt sich dabei nach verschiedenen, kumulativ zu erfüllenden Kriterien.

Zunächst wird die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit durch bestimmte Abfallarten Footnote 5 sowie Verfahrenstechniken, etwa unterschiedliche thermische VerfahrenFootnote 6 oder spezielle BehandlungstechnikenFootnote 7, ausgelöst. Sind spezielle Behandlungstechniken nicht einschlägig, ist zu prüfen, ob der Auffangtatbestand der „sonstigen Behandlung“ in Nr. 8.11.2, verstanden als jede physikalische Einwirkung auf den Abfall z. B. durch Brechen, Schneiden, Sortieren etc., erfüllt ist.

Nahezu durchgängig hängt die Genehmigungsbedürftigkeit vom Erreichen oder Überschreiten bestimmter Mengenschwellen ab (etwa Durchsatzkapazität in t/Tag oder in t/Stunde, Aufnahmekapazität in t/Tag, Gesamtlagerkapazität in t), oder ergibt sich erst ab einer bestimmten Feuerungswärmeleistung in Megawatt (MW); dabei wird in der Regel zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen unterschieden.Footnote 8

2.1.1.2 Änderungen durch die Umsetzung der IED

Das BImSchG und die zu seiner Konkretisierung erlassenen Rechtsverordnungen – namentlich die 4. BImSchV – sind durch die Umsetzung der IED in deutsches Recht im Wesentlichen mit Wirkung zum 02.05.2013 geändert worden. Neu eingeführt wurde u. a. der Anlagentyp der sogenannten IED‐Anlage ,Footnote 9 für dessen Errichtung und Betrieb im Vergleich zu den übrigen nach BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen besondere materiell‐rechtliche Anforderungen gelten.Footnote 10 Entsorgungsanlagen kommt der Status einer IED‐Anlage ab Überschreitung bestimmter Mengenschwellen zu.Footnote 11

Im Zuge der Umsetzung der IED wurden vereinzelt Anlagenbeschreibungen in Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV geändert: So ist beispielsweise bei Kompostierungsanlagen (Nr. 8.5) nunmehr die Tages‐ und nicht mehr – wie in Nr. 8.5 des Anhangs zur 4. BImSchV in der Vorgängerfassung – die Jahresdurchsatzleitung maßgeblich. Dies kann für im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderungen der 4. BImSchV zum 02.05.2013 genehmigte Bestandsanlagen die Frage aufwerfen, wie die erforderliche Umrechnung von der genehmigten Jahres‐ auf die nunmehr maßgebliche Tagesdurchsatzleistung zu erfolgen hat.Footnote 12

Zudem wurden neue Anlagentypen eingeführt: So haben nach der seit dem 01.05.2015 verbindlichen Anlagenbeschreibung der Nr. 8.11.2.3 Anlagen zur sonstigen Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen, „soweit diese für die Verbrennung oder Mitverbrennung vorbehandelt werden“, bei einer Durchsatzkapazität von 50 t oder mehr je Tag den Status einer IED‐ Anlage . Überwiegend spricht das dafür, dass – entgegen gelegentlich von Behördenvertretern geäußerter Auffassung – Nr. 8.11.2.3 nur dann einschlägig ist, wenn der Hauptzweck der Anlage in der Vorbehandlung der Abfälle „für“ die Verbrennung/Mitverbrennung liegt, wie dies beispielsweise bei Anlagen zur Herstellung von Ersatzbrennstoffen der Fall ist. Dass Abfälle nach anlageninterner Behandlung mangels alternativer Entsorgungsmöglichkeiten extern verbrannt/mitverbrannt werden (müssen), führt daher nicht zwangsläufig zur Einstufung als Anlage im Sinne der Nr. 8.11.2.3.

Praxishinweis

Die kleinteiligen Kriterien, welche die einzelnen Anlagentypen der Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV definieren und voneinander abgrenzen, erfordern eine sorgfältige Subsumtion bei der Erstellung von Genehmigungsanträgen . Denn von der korrekten, aus den Antragsunterlagen nachvollziehbaren Zuordnung des beantragten Anlagenbetriebs zu den Unter‐Nummern der Nr. 8 hängt ab, ob eine BImSchG‐Genehmigung erforderlich ist, welches Genehmigungsverfahren durchzuführen ist,Footnote 13 ob es sich um eine IED‐ Anlage handelt und – je nach Bundesland – welche Behörde für die Anlage zuständig ist.

2.1.2 Erstmalige Errichtung und Änderung einer Entsorgungsanlage

Die erstmalige Errichtung einer nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Entsorgungsanlage löst das Genehmigungserfordernis gemäß § 4 Abs. 1 BImSchG aus. In der Praxis überwiegen allerdings Änderungen der baulichen Substanz (z. B. durch die Erweiterung von Hallen) und/oder der betrieblich‐technischen Funktionsweise (z. B. durch die Erhöhung der Durchsatzkapazität) bereits bestehender Entsorgungsanlagen. Dann ist zu prüfen, ob es insoweit einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG bedarf oder aber eine Anzeige nach § 15 BImSchG ausreichend ist. Dies beantwortet sich im Wesentlichen in zwei Schritten:

2.1.2.1 Änderung im Rechtssinne

Zunächst ist zu klären, ob eine Änderung im Rechtssinne vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der beabsichtigte Betrieb der Entsorgungsanlage von dem genehmigten Betrieb abweicht. Ausgangspunkt und Maßstab für die Beantwortung der Frage ist also der genehmigte Anlagenbestand. Was im Einzelnen wie genehmigt ist, ergibt sich durch Auslegung der Genehmigung (en) unter, sofern erforderlich, Einbeziehung der maßgeblichen Antragsunterlagen.

Praxishinweis

Daher empfiehlt sich eine sorgfältige Aufbewahrung sämtlicher Genehmigungen einschließlich dazugehöriger Antragsunterlagen durch den Anlagenbetreiber. Oftmals lässt sich der Genehmigungsumfang einer Anlage rechtlich belastbar erst unter Berücksichtigung auch der Antragsunterlagen bestimmen.

Nicht als Änderung zu verstehen sind nach überwiegender Meinung Reparaturen von Anlagenbestandteilen oder aber deren Ersetzung, weil insoweit – jedenfalls in der Regel – nicht von der Genehmigung abgewichen wird.Footnote 14

Praxishinweis

Besteht Unsicherheit, ob eine Änderung im Rechtssinne vorliegt, sollte rein vorsorglich immer eine Anzeige gemäß § 15 BImSchG erfolgen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Anlagenbetreiber ordnungswidrig handelt und gegen ihn ein Bußgeld verhängt wird.Footnote 15

2.1.2.2 Anzeige oder Änderungsgenehmigung

Liegt eine Änderung im Rechtssinne vor, ist zu prüfen, ob sie lediglich angezeigt (§ 15 BImSchG) oder genehmigt (§ 16 BImSchG) werden muss. Eine genehmigungsbedürftige wesentliche Änderung liegt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG vor,

wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 erheblich sein können (wesentliche Änderung); […].

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG benennt die Voraussetzungen und damit Prüfungsmaßstäbe für eine Genehmigung nach dem BImSchG . In Abgrenzung zur lediglich anzeigebedürftigen Änderung im Sinne von § 15 BImSchG gilt folgende – für die Zwecke der Praxis hier vereinfachte – Faustformel: Einer Änderungsgenehmigung gemäß § 16 BImSchG bedarf es immer dann, wenn die durch die Änderung hervorgerufenen Umwelteinwirkungen berechtigterweise einen vertieften emissions‐ und/oder immissionsseitigen Prüfungsbedarf der Behörde auslösen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn es durch die Änderung zu relevant mehr Emissionen kommt, bspw. zu mehr Lärm, Staub oder Geruch. Denn in diesem Fall stellt sich die Frage nach der Einhaltung der maßgeblichen immissionsschutzrechtlichen Vorschriften durch den Betrieb der Entsorgungsanlage in ihrem geänderten Umfang.

Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen anzeigebedürftiger Änderung nach § 15 BImSchG und genehmigungsbedürftiger wesentlicher Änderung im Sinne des § 16 BImSchG schwierig sein; rechtliche Einzelfragen sind zudem umstritten.Footnote 16

Wird die Änderung lediglich nach § 15 BImSchG angezeigt, ist es Sache der Behörde, zu prüfen, ob eine Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG erforderlich ist. Bestätigt die Behörde die Anzeige oder äußert sie sich nicht innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige, bedarf es keiner Änderungsgenehmigung.Footnote 17 Dies gilt auch dann, wenn es von Rechts wegen einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG bedurft hätte. Insoweit schafft die Anzeige Rechtssicherheit: Liegt die Anzeigenbestätigung vor oder ist die Monatsfrist verstrichen, kann dem Anlagenbetreiber daher beispielsweise nicht der Vorwurf eines illegalen Anlagenbetriebs gemacht werden, welcher gemäß § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB ggf. strafrechtliche Sanktionen nach sich zieht.

Praxishinweis

Bestehen Unsicherheiten darüber, ob ein Änderungsvorhaben einer Änderungsgenehmigung im Sinne des § 16 BImSchG bedarf oder aber eine Anzeige nach § 15 BImSchG ausreichend ist, sollte vorsorglich jedenfalls eine Anzeige erfolgen. Es ist allerdings zu empfehlen, mit der Behörde das Gespräch zu suchen, um zu verhindern, dass zunächst ein Anzeigeverfahren mit entsprechendem Zeitaufwand durchgeführt wird, es letztlich aber dann doch der Durchführung eines – aufwendigeren – Änderungsgenehmigungsverfahrens bedarf.

2.2 Genehmigungsbedürftigkeit nach sonstigem Recht

Bedarf es keiner Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG, können aber andere Genehmigungserfordernisse greifen, z. B. nach Bauordnungs‐ oder Wasserrecht.

2.2.1 Bauordnungsrecht

Dient eine Anlage beispielsweise der „sonstigen Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen“ im Sinne der Nr. 8.11.2.4 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV, unterschreitet sie aber die maßgebliche Mengenschwelle (Durchsatzleistung ≧ 10 t/Tag), ist sie zwar nicht nach dem BImSchG genehmigungsbedürftig . Gleichwohl wird für den Betrieb einer derartigen Anlage regelmäßig eine Baugenehmigung nach dem Bauordnungsrecht des jeweiligen Bundeslandes benötigt. So bedarf beispielsweise gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung NRW

[…] die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen […]

einer Baugenehmigung, soweit das Vorhaben nicht ausnahmsweise genehmigungsfrei gestellt ist.

Zu beachten ist, dass der Begriff der baulichen Anlage weit verstanden wird, und nicht etwa auf aufstehende Bauten im engeren Sinne wie Lagerhallen, Büro‐ oder Sozialräume begrenzt ist. Unter bestimmten Voraussetzungen können daher beispielsweise auch Aufschüttungen sowie Lager‐ und Abstellplätze bauliche Anlagen sein, deren Errichtung oder Änderung baugenehmigungspflichtig ist.Footnote 18

Praxishinweis

Ein besonderes Augenmerk ist bei bestehenden Anlagen auf die Nutzungsänderung zu richten. Sollen beispielsweise Flächen, die bisher für das Abstellen von LKW genehmigt sind, künftig für die Lagerung von Abfällen unterhalb der Mengenschwellen der Nr. 8.12 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV genutzt werden, kann dies eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstellen.

2.2.2 Wasserrecht

Die BImSchG‐Genehmigung schließt gemäß § 13 BImSchG „andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen“ ein (sogenannte Konzentrationswirkung). Durch § 13 BImSchG wird vor allem die Baugenehmigung, sofern sie für die Errichtung und den Betrieb einer nach dem BImSchG genehmigungspflichtigen Entsorgungsanlage erforderlich ist, in der BImSchG‐Genehmigung konzentriert, und ergeht nicht gesondert neben dieser.

Ausgenommen von der Konzentrationswirkung sind u. a. Erlaubnisse und Bewilligungen nach §§ 8, 10 WHG. Stellt der Betrieb der Entsorgungsanlage bzw. ein Teil des Anlagenbetriebs eine erlaubnis‐ oder bewilligungspflichtige Gewässerbenutzung im Sinne des WHG dar – etwa die Direkteinleitung von bestimmtem Oberflächenwasser des Anlagenstandorts in ein Fließgewässer –, bedarf es hierfür – zusätzlich zur Genehmigung nach dem BImSchG – einer gesonderten wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung.

Praxishinweis

Eine etwaige Genehmigungsbedürftigkeit des Änderungsvorhabens nach sonstigem Recht ist daher vor allem in Fällen des § 15 BImSchG zu prüfen, um nicht den Vorwurf eines ungenehmigten Anlagenbetriebs zu provozieren. Denn nicht alle Behörden weisen in ihren Anzeigebestätigungen darauf hin, dass die Anzeigebestätigung nicht von der Einholung der im Übrigen erforderlichen Genehmigungen entbindet.

3 Materiell‐rechtliche Voraussetzungen der Errichtung und des Betriebs von Entsorgungsanlagen

Bedürfen die Errichtung und der Betrieb einer Entsorgungsanlage einer Genehmigung nach dem BImSchG , wirft dies die Frage nach der Genehmigungsfähigkeit auf, d. h. die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die begehrte Genehmigung erteilt wird und die Entsorgungsanlage wie gewünscht errichtet und betrieben werden kann. Insoweit ist auch von den materiell‐rechtlichen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb einer Entsorgungsanlage die Rede.

3.1 Vorgaben des BImSchG (Überblick)

3.1.1 Immissionsschutzrechtliche Pflichten

Die immissionsschutzrechtlichen Pflichten der Betreiber von nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Entsorgungsanlagen sind in § 5 BImSchG geregelt. In der Praxis spielen dabei vor allem die Schutz‐ und die Vorsorgepflicht eine zentrale Rolle.Footnote 19

3.1.1.1 Schutzpflicht, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können; […].

Die Schutzpflicht betrachtet die im weitesten Sinne verstandenen Auswirkungen des Betriebs der Entsorgungsanlage in der Umgebung und ist damit immissionsbezogen. Immissionen sind gemäß § 3 Abs. 2 BImSchG „auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur‐ und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.“ Die immissionsseitig wirkende Schutzpflicht legt dem Betreiber der Entsorgungsanlage Begrenzungen dahingehend auf, wie viel – vereinfacht gesprochen – Immissionen im Einwirkungsbereich der Entsorgungsanlage erlaubt sind. Den Emissionen des Betriebs der Entsorgungsanlage, d. h. den von der Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräuschen, Erschütterungen, dem Licht, der Wärme, den Strahlen und ähnlichen ErscheinungenFootnote 20 wird durch Grenz‐ oder Richtwerte immissionsseitig eine Grenze gezogen, die durch den Betrieb der Anlage nicht überschritten werden darf.

3.1.1.2 Vorsorgepflicht, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen; […].

Die Vorsorgepflicht greift emissionsseitig, d. h. sie setzt unmittelbar bei der Entsorgungsanlage an. In den maßgeblichen untergesetzlichen Regelwerken finden sich insoweit Emissionswerte , welche an bestimmten gefassten Emissionsquellen einzuhalten sind; ferner baulich‐technische Anforderungen an die innerbetriebliche Handhabung von Abfällen einschließlich ihrer Lagerung, Vorgaben zur geschlossenen baulichen Ausführung bestimmter Anlagenbereiche sowie einem durch die Anlage einzuhaltenden Mindestabstand zur nächstgelegenen Wohnbebauung.

3.1.1.3 Untergesetzliche Regelwerke

Die Begrifflichkeiten in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG sind weitgehend unbestimmt und damit vergleichsweise interpretationsoffen („schädliche Umwelteinwirkungen“, „sonstige Gefahren“, „erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen“). Um in der Praxis vollzugsfähig zu werden, bedürfen die Vorsorge‐ und die Schutzpflicht daher der Konkretisierung bzw. Präzisierung. Diese erfolgt, indem bezogen auf den jeweiligen Parameter – etwa Lärm, Staub oder Geruch – mehr oder weniger präzise Vorgaben in den jeweils maßgeblichen untergesetzlichen Regelwerken gemacht werden:

Teilweise werden die Vorsorge‐ und die Schutzpflichten auf Verordnungsebene konkretisiert, etwa in der 17. BImSchV,Footnote 21 welche Anforderungen an die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen enthält.

Auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften können die Vorgaben der TA Lärm Footnote 22 und der TA Luft Footnote 23 für Entsorgungsanlagen von Relevanz sein. Die derzeit noch per Erlass in einigen Bundesländern eingeführte GIRLFootnote 24 soll im Zuge der beabsichtigten Novellierung der TA Luft Footnote 25 in diese übernommen werden.

In den untergesetzlichen Regelwerken findet sich die Unterscheidung zwischen emissions‐ und immissionsseitigen Anforderungen und damit zwischen emissionsseitiger Vorsorge‐ und immissionsseitiger Schutzpflicht durchgängig wieder:

3.1.1.3.1 Emissionsseitige Anforderungen

So enthält etwa die ebenfalls durch die Umsetzung der IED geänderte 17. BImSchV u. a. baulich‐technische Anforderungen an die Beschaffenheit und den Betrieb von Verbrennungs‐ oder MitverbrennungsanlagenFootnote 26 sowie Emissionsgrenzwerte für eine Vielzahl von ParameternFootnote 27 einschließlich Vorgaben für ihre Messung und Überwachung.Footnote 28

Differenzierte emissionsseitige Vorgaben zur Begrenzung von Luftschadstoffen, die von Entsorgungsanlagen ausgehen, enthält vor allem die TA Luft . Insoweit gelten nach der Kollisionsregel in Nr. 5.4. i. V. m. Nr. 5.1.1 Abs. 2 TA Luft für bestimmte Typen von Entsorgungsanlagen vorrangig die speziellen Vorgaben der Nr. 5.4.8 TA Luft („Verwertung und Beseitigung von Abfällen und sonstigen Stoffen“). Sind diese Vorgaben nicht einschlägig, ist zu prüfen, ob die allgemeinen emissionsseitigen Vorgaben der Nr. 5.2 TA Luft greifen.

Im Rahmen der anstehenden Novellierung der TA Luft sind in der Nr. 5.4.8 je nach Entsorgungsanlagentyp neue und/oder verschärfte Emissionswerte sowie sonstige emissionsseitige Vorgaben, z. B. zur geschlossenen baulichen Ausführung, vorgesehen. Zudem sollen bestimmte Anlagentypen der Entsorgungswirtschaft erstmalig als eigenständiger Anlagentyp mit ausdifferenzierten emissionsseitigen Vorgaben in die TA Luft aufgenommen werden.Footnote 29 Die Anforderungen der novellierten TA Luft sollen dabei in aller Regel für nach BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen gelten, ohne dass zwischen IED‐ und Nicht‐IED‐Anlagen unterschieden wird.Footnote 30

Die TA Lärm und die GIRL enthalten dagegen vergleichsweise wenige, zudem recht unscharfe emissionsseitige Vorgaben.Footnote 31

3.1.1.3.2 Immissionsseitige Anforderungen

Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht, die in den untergesetzlichen Regelwerken wie der TA Lärm , TA Luft oder der GIRL konkretisiert ist, gibt durchgängig die Einhaltung eines bestimmten Immissionswertes an einem Immissionsort in der (schutzwürdigen) Nachbarschaft der Anlage auf.

Die Frage, ob der jeweils maßgebliche Immissionswert bezogen auf den zu betrachtenden Parameter eingehalten wird, beantwortet sich in Genehmigungsverfahren nach dem folgenden – hier vereinfachten – Grundschema: Zunächst ist die sogenannte Vorbelastung zu ermitteln. Vorbelastung ist die Belastung mit einem bestimmten Parameter, etwa Lärm, die an dem betrachteten Immissionsort vorhanden ist, bevor die durch die zu genehmigende Anlage (bzw. im Fall der Anlagenänderung durch das zu genehmigende Anlagenteil) verursachten Immissionen, die sogenannte Zusatzbelastung, auf den Immissionsort einwirken. Vorbelastung und Zusatzbelastung bilden die Gesamtbelastung. Die Gesamtbelastung wird daraufhin überprüft, ob sie den maßgeblichen Immissionswert einhält.

Wenn die Zusatzbelastung so gering ist, dass sie aus Sicht der Verfasser des untergesetzlichen Regelwerks als irrelevant für die Beantwortung der Frage anzusehen ist, ob durch die Zusatzbelastung überhaupt schädliche Umwelteinwirkungen und damit ein Verstoß gegen die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht hervorgerufen werden können, bedarf es nicht des – unter Umständen äußerst aufwendigen – gutachterlichen Nachweises, dass die Gesamtbelastung die Immissionsrichtwerte einhält.Footnote 32

Der Entwurf der TA Luft Novelle sieht neue bzw. verschärfte Immissionswerte für bestimmte Schadstoffdepositionen,Footnote 33 Regelungen zu Stickstoff‑/Säureeinträgen in FFH‐Gebiete, zu Stickstoffdepositionen sowie zu BioaerosolenFootnote 34 vor, die je nach Typ und Belegenheit der betroffenen Entsorgungsanlage von Bedeutung sein können. Zudem soll die GIRL in die TA Luft aufgenommen werden.Footnote 35 Speziell für die gutachterliche Ermittlung der Irrelevanz wird die künftige Definition von Zusatz‐ und GesamtzusatzbelastungFootnote 36 von Bedeutung sein; die Berufung auf Irrelevanz dürfte im Einzelfall erschwert werden.

Rechtsschutz

Die Unterscheidung von Vorsorge‐ und Schutzpflichten spielt eine zentrale Rolle für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Dritte, die außerhalb des auf den Anlagenbetreiber und die Behörde bezogenen Genehmigungsverfahrens stehen – z. B. Personen aus der Wohnnachbarschaft eines Anlagenstandorts oder Betreiber anderer Anlagen – gegen Errichtung und Betrieb einer Entsorgungsanlage vor dem Verwaltungsgericht klagen können. Dies beurteilt sich danach, ob die (Umwelt‑)Norm, deren Verletzung gerügt wird, auch dem Schutz des klagenden Dritten, und nicht lediglich dem Schutz der Öffentlichkeit zu dienen bestimmt ist. Insoweit ist auch von dritt‐ oder nachbarschützenden Vorschriften die Rede, die der „Dritte“ vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen kann.

Normen, die die Schutzpflicht konkretisieren, sind regelmäßig drittschützend, denn sie bezwecken den Schutz des Dritten oder Nachbarn vor der durch die jeweilige Norm geregelten Umwelteinwirkung (z. B. Lärm, Staub, Geruch).

Normen zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht sind dagegen – von bestimmten Ausnahmen abgesehen – nicht drittschützend; ihre Einhaltung kann daher von Dritten nicht vor dem Verwaltungsgericht durchgesetzt werden.Footnote 37

Nach jüngst erfolgten Änderungen gibt allerdings das UmweltrechtsbehelfsgesetzFootnote 38 anerkannten Vereinigungen („Umweltverbänden“) nunmehr die Möglichkeit, die Einhaltung sämtlicher Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, vor dem Verwaltungsgericht durchzusetzen.

Praxishinweis

Genehmigungsverfahren ist daher vor allem die Einhaltung der immissionsseitigen Schutzpflichten mit besonderer Sorgfalt zu betreiben, um möglichst weitreichende Rechts‐ und damit Investitionssicherheit zu gewährleisten.

3.1.2 Voraussetzungen der BImSchG‐Genehmigung

Gemäß § 6 Abs. 1 BImSchG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn

  1. 1.

    sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 […] ergebenden Pflichten erfüllt werden, und

  2. 2.

    andere öffentlich‐rechtliche Vorschriften […] der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.

Insoweit stellt sich die Frage nach den sogenannten materiell‐rechtlichen Anforderungen an den Betrieb von Entsorgungsanlagen. Über § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG werden die immissionsschutzrechtlichen Pflichten und damit auch die vorstehend genannte Vorsorge‐ und die Schutzpflicht sowie ihre untergesetzlichen KonkretisierungenFootnote 39 Gegenstand der Prüfung durch die Genehmigungsbehörde . Gleiches gilt für die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG beachtlichen sonstigen öffentlich‐rechtlichen Vorschriften, namentlich solche des Bauordnungs‐ und Bauplanungsrechts.

Im Folgenden werden in den Abschn. 9.3.29.3.4 einige ausgewählte materiell‐rechtliche Fragestellungen des Betriebs von Entsorgungsanlagen näher beleuchtet.

3.2 Rechtliche Vorgaben zur Begrenzung von Lärm

Die Anwendung der TA Lärm kann – je nach Lärmintensität und Standort der Entsorgungsanlage – eine Vielzahl genehmigungsrechtlicher Fragen aufwerfen; auf einige sei hier näher eingegangen.

3.2.1 Die zutreffende Einstufung des Gebiets

Nr. 6.1 TA Lärm gibt unterschiedlich hohe Richtwerte für den maximal zulässigen Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden vor. Diese Beurteilungspegel orientieren sich an der vom Normgeber angenommenen Schutzwürdigkeit des Immissionsorts. Liegt dieser in einem Industriegebiet, sind bis zu 70 dB(A) tags/nachts zumutbar. In anderen Gebieten gelten – nach ihrer Schutzwürdigkeit abgestufte – Immissionsrichtwerte; der niedrigste Wert beträgt 35 dB(A) nachts in Reinen Wohngebieten sowie in Kurgebieten, und gilt zudem für Krankenhäuser und Pflegeanstalten.Footnote 40

Die Art der in Nr. 6.1 bezeichneten Gebiete und Einrichtungen ergibt sich gemäß Nr. 6.6. Satz 1 TA Lärm aus den Festlegungen in Bebauungsplänen. Sofern – (noch) wirksame – Bebauungspläne vorliegen, stellt sich die Zuordnung des maßgeblichen Immissionsrichtwerts als vergleichsweise unproblematisch dar.

Schwieriger zu beurteilen können Fälle sein, in denen das Gebiet nicht bauplanungsrechtlich ausgewiesen und auch nicht als faktisches Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist. Dies ist etwa der Fall beim sogenannten unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. In diesen Fällen greift Nr. 6.6 Satz 2 TA Lärm , wonach Gebiete und Einrichtungen, für die keine bauplanungsrechtlichen Festsetzungen bestehen, „entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit nach Nr. 6.1 TA Lärm“ zu beurteilen sind. Dies erfordert eine wertungsmäßige Zuordnung des Gebiets entsprechend seiner Schutzbedürftigkeit zu einem der Baugebietstypen, wie sie – spiegelbildlich zu den Baugebietstypen der BauNVOFootnote 41 – in Nr. 6.1 a) bis f) TA Lärm enthalten sind.

Insgesamt kommt der rechtlich zutreffenden Einordnung des Gebiets, in dem der Immissionsort liegt, eine erhebliche Bedeutung zu. Denn erfolgt die Einordnung fehlerhaft, kann, weil es sich bei den Immissionsrichtwerten der TA Lärm um drittschützende Vorschriften handelt, ein Nachbar des Standorts auf die Einhaltung des zutreffenden Richtwerts klagen.Footnote 42 Ist die Genehmigung unter Zugrundelegung des falschen Richtwerts erteilt, droht ihre Aufhebung.

Praxishinweis

Eine zutreffende Einstufung der Schutzwürdigkeit des Gebiets, in welchem der maßgebliche Immissionsort gelegen ist, kann gemäß den Vorgaben der Nr. 6.6 Satz 2 TA Lärm oftmals nur erfolgen, indem die im Gebiet genehmigten und praktizierten einzelnen Nutzungsformen (beispielsweise Wohnnutzung, gewerbliche Nutzung etc.) ermittelt und hierauf aufbauend die Schutzwürdigkeit bestimmt wird.

3.2.2 Richtwerte für Gemengelagen

Nr.  6.7 TA Lärm regelt:

Wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage ), können die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Die Immissionsrichtwerte für Kern‑, Dorf‐ und Mischgebiete von 45/60 dB(A) nachts/tags sollen dabei nicht überschritten werden.

Mit dieser Regelung trägt die TA Lärm Situationen Rechnung, in denen Gebiete unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit nebeneinander historisch gewachsen sind.

Beispiel

Der Standort einer Entsorgungsanlage wird seit Jahrzehnten in einem ausgewiesenen Industriegebiet betrieben. Innerhalb dieses Gebiets gilt der Immissionsrichtwert von 70 dB(A) nachts/tags. In der Nachbarschaft zu diesem Gebiet liegt ein ausgewiesenes allgemeines Wohngebiet. Dort gilt ein Immissionsrichtwert von 40/55 dB(A) nachts/tags.

Gemäß Nr. 6.6 Satz 1 TA Lärm ist die Entsorgungsanlage bei erster rechtlicher Einschätzung so zu betreiben, dass der Immissionsrichtwert von 40/55 dB(A) nachts/tags an dem maßgeblichen Immissionsort im Wohngebiet eingehalten wird. Dies kann, wenn die Gebiete unmittelbar aneinandergrenzen, aber auch dann, wenn unbebaute, die Schallausbreitung nicht beschränkende Flächen (z. B. Grünflächen) zwischen den Gebieten liegen, dazu führen, dass insbesondere der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts erst nach Durchführung kostenintensiver Lärmminderungsmaßnahmen, äußerstenfalls nach (deutlicher) Reduzierung der betrieblichen Aktivitäten der Entsorgungsanlage, eingehalten werden kann. Dagegen wird ein Zwischenwert von 45 dB(A) nachts möglicherweise mit weniger Aufwand eingehalten werden können.

3.2.2.1 Anwendbarkeit der Gemengelageregelung

Die Nr. 6.7 TA Lärm lässt eine Zwischenwertbildung unter bestimmten Voraussetzungen zu. Auf die Wesentlichen sei hier näher eingegangen:

Zunächst muss sichergestellt sein, dass die Anlage den Stand der Lärmminderungstechnik einhält.

Da die Anwendbarkeit der Gemengelageregelung der Nr. 6.7 TA Lärm maßgeblich durch die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme ausgelöst wird, wird man ferner verlangen müssen, dass sich die gegenseitige Rücksichtnahmepflicht über einen gewissen Zeitraum verfestigt hat, in welchem die konfligierenden Nutzungen – Wohnen auf der einen, gewerbliche/industrielle Nutzung auf der anderen Seite – nebeneinander existiert haben („gewachsene“ Gemengelage).

3.2.2.2 Die Zwischenwertbildung

Nr. 6.7 Abs. 2 TA Lärm schreibt vor, dass bei der Zwischenwertbildung die Immissionsrichtwerte für Kern‑, Dorf‐ und Mischgebiete von 45/60 dB(A) nachts/tags nicht überschritten werden „sollen“.

Für die Höhe des zu bildenden Zwischenwerts – bei einem allgemeinen Wohngebiet liegt dieser zwischen 40 und 45 dB(A) nachts sowie 55 und 60 dB(A) tags – „ist die konkrete Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich“.Footnote 43 Wesentliche Kriterien für deren Bestimmung sind die Prägung des Einwirkungsgebiets der industriellen/gewerblichen Lärmimmissionen durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe‐ und Industriebetriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräuschs und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde.Footnote 44

Von der regelmäßig verbindlichen Obergrenze von 45/60 dB(A) nachts/tags kann nach der Rechtsprechung durch einen darüber hinausgehenden Zwischenwert in Sonderfällen abgewichen werden.Footnote 45

3.3 Rechtliche Vorgaben zur Begrenzung von Gerüchen

Der Betrieb bestimmter Typen von Entsorgungsanlagen kann, je nach Art und Menge der durchgesetzten Abfälle und der dabei zum Einsatz kommenden Verfahren, geruchsintensiv sein. Dann stellen sich Fragen zu den rechtlichen Vorgaben zur Begrenzung von Gerüchen.

3.3.1 Emissionsseitige Vorgaben der TA Luft

Emissionsseitige Vorgaben zur Begrenzung von Gerüchen finden sich in der TA Luft . Für Entsorgungsanlagen ist auch insoweit zunächst zu prüfen, ob spezielle Vorschriften in Nr. 5.4.8 TA Luft einschlägig sind.Footnote 46 Dies ist etwa der Fall für Hausmüllsortier‐ oder Kompostierungsanlagen, die ggf. spezifische baulich‐technische Maßnahmen zur Geruchsminderung umsetzen müssen.Footnote 47 Sind spezielle Vorgaben der Nr. 5.4.8 TA Luft nicht einschlägig, ist zu prüfen, ob allgemeine Anforderungen der TA Luft zur Geruchsbegrenzung greifen.Footnote 48 Diese Grundstruktur behält auch der Entwurf der novellierten TA Luft bei.Footnote 49

3.3.2 Immissionsseitige Vorgaben der GIRL

In der Genehmigungs ‐ und Überwachungspraxis findet die GIRLFootnote 50 auch zur Beurteilung geruchsintensiver Entsorgungsanlagen Anwendung. Der GIRL liegt das sogenannte Geruchsstundenkonzept zugrunde, wonach die Erheblichkeit von Geruchsimmissionen nach der relativen Häufigkeit des Auftretens eines bestimmten Geruchs beurteilt wird. Dafür enthält die GIRL Immissionswerte . Maßgeblich ist insoweit die relative Häufigkeit der (Jahres‑)Geruchsstunden in Gebietstypen unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit.Footnote 51 Überschreitet die (rechnerisch, durch Begehung oder durch eine Kombination von beidem) ermittelte Gesamtbelastung den nach der GIRL maßgeblichen Immissionswert, wird die Immission zunächst als erhebliche Belästigung im Rechtssinne gewertet.

Die GIRL kann nach ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung von Gerüchen als Orientierungshilfe herangezogen werden (und zwar unabhängig davon, ob sie im jeweiligen Bundesland – etwa durch Erlass – umgesetzt ist),Footnote 52 um zu klären, ob Geruchsimmissionen im Sinne des BImSchG erheblich sind.Footnote 53 Sollte die TA Luft ‐ Novelle in Kraft treten, wird die dort inkorporierte GIRLFootnote 54 an der Bindungswirkung der TA Luft teilhaben. In aller Regel werden dann Geruchsimmissionen im Anwendungsbereich der GIRL an den in ihr enthaltenen Maßstäben beurteilt werden müssen.

Nach der Rechtsprechung darf sich die immissionsschutzrechtliche Bewertung von Gerüchen nicht allein an den in der GIRL festgelegten Immissionswerten orientieren. Vielmehr hat mit Blick auf die Regelungen der Nr. 5 GIRL eine „umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls“ zu erfolgen.Footnote 55 Danach ist ein Vergleich mit den Immissionswerten der GIRL nicht ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass wegen

  • der außergewöhnlichen Verhältnisse hinsichtlich Hedonik und Intensität der Geruchseinwirkung,

  • der ungewöhnlichen Nutzungen in dem betroffenen Gebiet

  • oder sonstiger atypischer Verhältnisse

trotz Überschreitung der Immissionswerte der GIRL eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit durch Geruchsimmissionen nicht zu erwarten ist.

Ein Beispiel für eine ungewöhnliche Nutzung in einem von Geruchseinwirkungen betroffenen Gebiet kann die räumliche Konzentration mehrerer Entsorgungsanlagen darstellen, mit deren Betrieb erhöhte Geruchseinwirkungen durch gelagerte und durchgesetzte Abfälle verbunden sind.

Zudem ist gemäß Nr. 5 GIRL „zu berücksichtigen, dass die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein kann, die u. a. dazu führen kann, dass die Belästigte oder der Belästigte in höherem Maße Geruchseinwirkungen hinnehmen muss.“ Diese Regelung zielt – vergleichbar der Gemengelageregelung in Nr. 6.7 TA Lärm Footnote 56 – auf gewachsene Gemengelagen, die auch bei Geruchseinwirkungen gegeben sein können.

Praxishinweis

Es ist daher immer zu prüfen, ob es trotz gutachtlich nachgewiesener Überschreitung der Immissionswerte der GIRL im Wege der Einzelfallprüfung angezeigt ist, die Annahme schädlicher Umwelteinwirkungen durch Gerüche zu verneinen.

3.4 Vorgaben des Bauplanungsrechts

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist die BImSchG‐Genehmigung nur zu erteilen, wenn gewährleistet ist, dass Errichtung und Betrieb der Entsorgungsanlage „mit anderen öffentlich‐rechtlichen Vorschriften“ vereinbar sind.Footnote 57 Zu diesen Vorschriften zählen auch solche des Bauplanungsrechts, wie es maßgeblich im Baugesetzbuch (BauGB) und der BauNVOFootnote 58 niedergelegt ist. Je nachdem, wo die Entsorgungsanlage – etwa im unbeplanten InnenbereichFootnote 59 oder aber im Geltungsbereich eines BebauungsplansFootnote 60 – erstmalig errichtet oder geändert werden soll, können sich verschiedene bauplanungsrechtliche Fragestellungen ergeben.

Mit der Einhaltung der bauplanungsrechtlichen Anforderungen steht und fällt die Genehmigungsfähigkeit der Entsorgungsanlage. Stehen etwa Festsetzungen eines Bebauungsplans der erstmaligen Errichtung oder Änderung der Entsorgungsanlage entgegen, kann die BImSchG‐Genehmigung nicht erteilt werden, wenn und soweit die Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit von Rechts wegen gehindert ist, eine Ausnahme (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) zu erteilen und auch keine politische Bereitschaft (im Gemeinderat) besteht, den Bebauungsplan im Sinne des Vorhabenträgers zu ändern.

Rechtsschutz

Unter den Voraussetzungen etwa des Gebietsgewährleistungsanspruchs können bestimmte Kläger die Einhaltung bestimmter Regelungen des Bauplanungsrechts vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen.Footnote 61 Daher ist eine sorgfältige Abarbeitung der maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften im BImSchG‐Genehmigungsverfahren empfehlenswert.

Aus der Fülle der bauplanungsrechtlichen Fragestellungen, die die Änderung und Neuerrichtung von Entsorgungsanlagen aufwerfen können, seien hier einige herausgegriffen.

3.4.1 Entsorgungsanlagen in Gewerbegebieten

Gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO dienen Gewerbegebiete „vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben“. Weil aber nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen – und damit grundsätzlich auch Entsorgungsanlagen – nach der in § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG enthaltenen Wertung ein erhebliches Belästigungspotenzial haben können, sind sie nach der Rechtsprechung im Gewerbegebiet unter Umständen nur zulässig, wenn sie durch eine atypische Betriebsweise gekennzeichnet sind und daher von vornherein keine Störungen im Gewerbegebiet befürchten lassen.Footnote 62 Dies ist durch den Anlagenbetreiber im Genehmigungsverfahren nachzuweisen.

Praxishinweis

Vom Betreiber ggf. umzusetzende und im BImSchG‐Genehmigungsverfahren darzulegende Maßnahmen zur Begründung der Atypik können

  • die vollständige oder überwiegende Einhausung emissionsträchtiger Bereiche des Standorts,

  • sonstige technische Vorkehrungen zur Emissionsreduzierung,

  • Einschränkungen der Betriebszeiten der Anlage,

  • Beschränkungen der Menge und Art der gelagerten sowie behandelten Abfälle,

  • die Unterschreitung der maßgeblichen Grenz‐ bzw. Richtwerte

sein.

Die Einordnung einer Anlage als atypisch erfordert letztlich eine wertende Gesamtschau bezogen auf die einzelnen Betriebseinheiten der Anlage. Die einschlägige RechtsprechungFootnote 63 eröffnet insoweit Argumentationsspielräume.

3.4.2 Abstandserlasse

Die Gemeinden als Träger der Bauleitplanung machen häufig von der durch § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BauNVO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das Baugebiet – etwa ein Gewerbe‐Footnote 64 oder ein IndustriegebietFootnote 65 – nach der Art der zulassungsfähigen Betriebe und Anlagen zu gliedern. Zu diesem Zweck wird – nicht nur in NRW – der sogenannte Abstandserlass Footnote 66 in den Bebauungsplan verbindlich aufgenommen (inkorporiert). Bei älteren Bebauungsplänen können die Vorgängerfassungen des Abstandserlasses inkorporiert sein.

Nach dem Abstandserlass werden ganz überwiegend Anlagentypen des Anhangs zur 4. BImSchV und damit auch Entsorgungsanlagen der Nr. 8 des Anhangs zur 4. BImSchV in sogenannte Abstandsklassen gegliedert. Die planenden Gemeinden inkorporieren den Abstandserlass in der jeweiligen Fassung auf unterschiedliche Weise: Entweder werden alle in ihm erwähnten Anlagen, alle Anlagen einer bestimmten Abstandsklasse oder einzelne Anlagen einer bestimmten Abstandsklasse im Baugebiet für generell unzulässig erklärt.

Dabei ist die Verweisung auf den inkorporierten Abstandserlass in der Regel statisch. Das bedeutet, dass der Abstandserlass in der Fassung gilt, wie er im maßgeblichen Bebauungsplan für verbindlich erklärt worden ist und nicht – im Sinne einer dynamischen Verweisung – der Abstandserlass in der jeweils aktuellen Fassung. Notwendigerweise ist dann auch die Frage, ob eine Entsorgungsanlage vom inkorporierten Abstandserlass erfasst wird, an den Maßstäben des Anhangs zur 4. BImSchV in der Fassung zu beurteilen, auf welche der Abstandserlass Bezug nimmt.

Sind Errichtung oder Änderung der Entsorgungsanlage nach dem maßgeblichen Abstandserlass unzulässig, ist zu prüfen, ob der Bebauungsplan bestimmte Anlagenarten ausnahmsweiseFootnote 67 zulässt. Oftmals ist die ausnahmsweise Zulässigkeit an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft, wie etwa die, dass die Anlage als „atypische“ Anlage in einer höheren Abstandsklasse zulässig ist.Footnote 68

Praxishinweis

Den inkorporierten, differenzierten Regelungen des Abstandserlasses ist bei der Vorbereitung von Genehmigungsanträgen  – gleichgültig ob Neuerrichtung oder Änderung – besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

4 Fragen das Genehmigungsverfahren betreffend

4.1 Verfahrensarten

Unterfällt eine Entsorgungsanlage dem BImSchG‐Genehmigungserfordernis Footnote 69, beantwortet § 2 4. BImSchV die Frage, in welchem Genehmigungsverfahren die BImSchG‐Genehmigung zu erteilen ist. Vereinfacht gilt: Entsorgungsanlagen, die in Nr. 8 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV mit einem „G“ gekennzeichnet sind, werden im förmlichen, mit einem „V“ gekennzeichnete Entsorgungsanlagen im vereinfachten Genehmigungsverfahren genehmigt.

Anders als im vereinfachten ist im förmlichen Genehmigungsverfahren die Öffentlichkeit zu beteiligen. Dies geschieht durch Bekanntmachung und Auslegung der Antragsunterlagen, Gelegenheit zur Erhebung von Einwendungen und deren Erörterung ggf. im Rahmen eines Erörterungstermins sowie durch öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung.Footnote 70 Wegen der durch die öffentliche Bekanntmachung bewirkten Zustellungsfiktion Footnote 71 müssen Dritte in aller Regel ihren Widerspruch/ihre Klage gegen die BImSchG‐Genehmigung innerhalb von einem Monat nach deren öffentlicher Bekanntmachung erheben.

Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG werden Einwender – etwa Nachbarn des Standorts –, die ihre Einwendungen gegen das beantragte Vorhaben im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht rechtzeitig oder gar nicht vorgebracht haben, im Fall ihrer Klage gegen die erteilte BImSchG‐Genehmigung mit ihren – dann verspäteten – Einwendungen nicht vor Gericht gehört (sogenannte Präklusionswirkung). Angesichts einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und jedenfalls bei IED‐ Anlagen überhaupt noch greift.Footnote 72 Unter welchen Voraussetzungen künftig noch eine Präklusion im förmlichen Genehmigungsverfahren in Betracht kommt, hängt davon ab, wie der Gesetzgeber § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG unionsrechtskonform ändern wird.Footnote 73

Praxishinweis

Möchte sich der Antragsteller die Zustellungsfiktion für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren zunutze machen, kann er gemäß § 19 Abs. 3 BImSchG die Durchführung eines förmlichen Genehmigungsverfahrens beantragen. So erlangt er zeitnah Klarheit darüber, ob geklagt wird oder nicht.

Möchte der Antragsteller im förmlichen Verfahren die Öffentlichkeitsbeteiligung meiden, ist zu prüfen, ob die zuständige Behörde auf seinen Antrag unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 BImSchG gehalten ist, von der Öffentlichkeitsbeteiligung abzusehen.

4.2 Verfahrensdauer

Im förmlichen Genehmigungsverfahren ist über den Genehmigungsantrag innerhalb einer Frist von sieben, im vereinfachten Genehmigungsverfahren innerhalb von drei Monaten ab Eingang vollständiger Antragsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde zu entscheiden.Footnote 74 Sofern die Behördenvertreter, welche mit der Prüfung der Antragsunterlagen befasst sind, berechtigterweise deren Ergänzung verlangen, etwa weil ein erforderliches Gutachten nicht vorliegt, beginnt die Frist also nicht zu laufen. Zudem können die Behörden die Entscheidungsfrist jeweils um bis zu drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeiten der Prüfung erforderlich ist.Footnote 75

Praxishinweis

Die Frage, ob die Antragsunterlagen vollständig sind oder wegen der Schwierigkeit der Prüfung eine Verlängerung der Bearbeitungsfrist erforderlich ist, eröffnet Bewertungsspielräume. Daher erweisen sich die gesetzlichen Bearbeitungsfristen in der Praxis oftmals als „stumpfes Schwert“. Für die Beschleunigung des Verfahrens effektiver ist eine optimale Abstimmung der Verfahrensbeteiligten untereinander, d. h. zwischen Antragsteller, Behördenvertretern, Fachgutachtern und Rechtsanwälten.

Ab einem bestimmten Stadium des Genehmigungsverfahrens kann durch die Zulassung des vorzeitigen Beginns gemäß § 8 a) BImSchG ein vorzeitiger Baubeginn und Probebetrieb erreicht werden. Ist parallel zum Genehmigungsverfahren die – in aller Regel ebenfalls zeitaufwendige – erstmalige Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans erforderlich, kann dem Abschluss des Bebauungsplanverfahrens unter den Voraussetzungen des § 33 BauGB (Zulässigkeit von Vorhaben während der Planaufstellung) vorgegriffen werden.

5 Ausblick – BVT‐Schlussfolgerungen

BVTFootnote 76‐Merkblätter beschreiben branchenbezogen die in den Mitgliedsstaaten vorhandenen BVT zur Begrenzung anlagenbezogener Emissionen aller Art.Footnote 77 Für den Betrieb von Entsorgungsanlagen maßgeblich ist vor allem das BVT‐Merkblatt „Abfallbehandlungsanlagen“ aus August 2006.

Wegen der schwach ausgeprägten Bindungswirkung der Inhalte dieses und anderer BVT‐Merkblätter – sie sind bei der Bestimmung des „Standes der Technik“ im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG lediglich als eines von vielen Kriterien „zu berücksichtigen“Footnote 78 – wurde durch die IED die Kategorie der BVT‐Schlussfolgerungen eingeführt. BVT‐Schlussfolgerungen fassen die wesentlichen Erkenntnisse aus den BVT‐Merkblättern zusammen, indem sie u. a. die mit den BVT assoziierten Emissionswerte benennen.Footnote 79

Werden BVT‐Schlussfolgerungen im Amtsblatt der EU veröffentlicht, muss der Normgeber bzw. die zuständige Behörde überprüfen, ob untergesetzliche Regelungen – Rechtsverordnung, Verwaltungsvorschriften wie etwa die TA Luft oder aber Nebenbestimmungen einer BImSchG‐Genehmigung  – die mit den BVT assoziierten Emissionswerte einhalten. Ist dies nicht der Fall, ist eine Anpassung erforderlich, soweit nicht ausnahmsweise Abweichungen gestattet sind.Footnote 80

Die Anpassungspflichten, die durch BVT‐Schlussfolgerungen ggf. ausgelöst werden, betreffen dabei ausschließlich IED‐ Anlagen . In der Regel muss innerhalb von vier Jahren nach Veröffentlichung von BVT‐Schlussfolgerungen gewährleistet sein, dass IED‐Anlagen die durch die BVT‐Schlussfolgerungen vorgegebenen Anforderungen einhalten.Footnote 81

Ein erster Entwurf des überarbeiteten Merkblatts „Abfallbehandlung“ einschließlich der vorgesehenen BVT‐Schlussfolgerungen mit Stand Dezember 2015 liegt vor.Footnote 82 Die Schlussfolgerungen sehen, insbesondere auch im Abwasserbereich, mehr Emissionsmessungen vor als derzeit im deutschen Recht gefordert sind. Sollten diese BVT‐Schlussfolgerungen nach Inkrafttreten der novellierten TA Luft Footnote 83 veröffentlicht werden, werden ihre Inhalte, sofern ein Anpassungsbedarf besteht, als sogenannte sektorale Verwaltungsvorschrift umgesetzt werden.

Die sich abzeichnenden Inhalte der BVT‐Schlussfolgerungen „Abfallbehandlung“ dürften – namentlich neben denjenigen der novellierten TA Luft – je nach Typ der betroffenen Entsorgungsanlage künftig eine Vielzahl genehmigungsrechtlicher Fragen aufwerfen, welche in Genehmigungs‐ und Überwachungsverfahren abzuarbeiten sind.