Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit den Verflechtungen zwischen der Wirtschaftskammer Österreich, den Verbänden und den politischen Parteien im Rahmen des Austro-Korporatismus. Obwohl es in den 2000er Jahren eine scharfe politische Zäsur durch die Mitte-Rechts-Regierung von ÖVP und FPÖ (letztere mit dem erklärten Ziel, die Sozialpartnerschaft abzuschaffen) gab, blieb der traditionelle institutionelle Rahmen nicht nur im Großen und Ganzen intakt, sondern die WKÖ wurde konstitutionell aufgewertet. Dennoch ist die Interessenkonzertierung in der österreichischen Wirtschaft zunehmend schwieriger geworden. Es entstand eine Parallelität von Sozialpartnerschaft und Lobbying. In diesem Zuge hat sich auch das Rollenverständnis der WKÖ in Richtung einer „neuen“ Sozialpartnerschaft verändert.
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Notes
- 1.
Neben den drei großen Bereichen Wirtschaft, Arbeitnehmer und Landwirtschaft sind folgende Berufsstände durch eigene Kammern erfasst: Apotheker, Architekten und Ingenieurkonsulenten, Ärzte, Hebammen, Landarbeiter, Notare, Patentanwälte, Rechtsanwälte, Tierärzte, Wirtschaftstreuhänder, Zahnärzte.
- 2.
Nachgerade prädestiniert für die Brückenbildung zwischen Kammern und Politik ist die ÖVP. 1945 als soziale Integrationspartei gegründet, setzt sie sich aus Bünden zusammen: Bauernbund, Wirtschaftsbund, Arbeiter- und Angestelltenbund. Bis heute wird man Mitglied der ÖVP über den Beitritt zu einem dieser Bünde, die Zahl der Direktmitglieder liegt bei weniger als einem Prozent.
- 3.
Beispielhaft dafür die Position der Fraktion Grüne Wirtschaft: „Wie die Wirtschaftskammer-Wahl funktioniert und wie sie besser funktionieren könnte“ (http://www.xn--grnewirtschaft-hsb.at/site/themen/kammerreform, Zugegriffen: 25. Februar 2016).
- 4.
„[…] 13. a Der Wirtschaftskammer Österreich – unter Einbeziehung der Vereinigung österreichischer Industrieller –, der Bundesarbeitskammer, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, die bereits in der Vorbereitung und Umsetzung der EU-Verhandlungen beziehungsweise in den Ausschüssen des EWR mitbeteiligt waren oder sind, wird in wichtigen sie berührenden Fachfragen die gleichberechtigte Teilnahme an der österreichischen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung im Rahmen der EU zugesichert. Zu diesem Zweck werden Vertreter der genannten Interessensorganisationen nicht nur an der innerösterreichischen Meinungsbildung umfassend beteiligt, sondern auch ihre offizielle Mitarbeit in den einschlägigen Gremien der EU (z. B.: Komitees, Ratsgruppen, Fonds, Stiftungen) sichergestellt. – 13. b Die Integration der Sozialpartnerorganisationen in die österreichische Mission hat sich seit dem Beitrittsantrag Österreichs in der konkreten Arbeit bewährt und soll mit dem Ziel der bestmöglichen Vertretung und Abstimmung österreichischer Interessen in der künftigen EU-Tätigkeit dauerhaft fortgesetzt werden. Um dies sicherzustellen, erfolgt eine finanzielle Absicherung der Internationalisierungs-, Europäische Union-Aktivitäten der Sozialpartnerorganisationen und die dauerhafte Einbindung der Sozialpartnerorganisationen in die österreichische Mission in Brüssel.“ (Europa-Abkommen zwischen SPÖ und ÖVP vom 22. April 1994, hier zitiert nach http://www.cvce.eu/content/publication/2006/6/27/3bd786bd-3280-4df6-9ef2-a74868b123dd/publishable_de.pdf. Zugegriffen: 25. Februar 2016).
- 5.
Der offiziellen Website der Ständigen Vertretung zufolge ist das Austria House „sozusagen die ‚Botschaft‘ Österreichs bei der EU. Unter allen diplomatischen Vertretungen Österreichs ist sie weltweit die größte. Insgesamt etwa 110 Personen, die sich aus Mitarbeitern des BMEIA sowie Experten aus allen österreichischen Bundesministerien, der Verbindungsstelle der Bundesländer und den Vertretern von Sozialpartnern, Industriellenvereinigung, Nationalbank, Gemeindebund und Städtebund zusammensetzen, arbeiten hier im Interesse Österreichs.“ (http://www.bmeia.gv.at/en/european-foreign-policy/european-policy/austria-in-the-eu/austrias-permanent-representation-to-the-eu/ Zugegriffen: 25. Februar 2016).
- 6.
https://www.wko.at/Content.Node/Interessenvertretung/Europa-und-Internationales/Europa/EU-Buero_der_WKOe_in_Bruessel.html. Zugegriffen: 25. Februar 2016.
- 7.
Ein verfassungsrechtlicher Kommentar hält dazu fest: „According to that amendment, the republic now appreciates the role of the social partners, respects their autonomy and supports their dialogue by establishing self-governing bodies. As these self-governing bodies are basically all established, the provision might be understood as a constitutional garantuee to leave the system untouched and might therefore serve as a safeguard against ambitions a younger generation might have not to adhere to the same techniques of solving social conflicts that their grandparents had developed.“ (Stelzer 2011, S. 58).
- 8.
„AUSTRIA 2016 – Deklaration der Österreichischen Sozialpartner“, Bad Ischl 2006 (http://www.sozialpartner.at/wp-content/uploads/2015/08/BadIschlDeklaration_2006_09_05.pdf. Zugegriffen: 25. Februar 2016).
- 9.
Schon davor, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen FPÖ und Arbeitnehmerverbänden, hatte der WKÖ-Präsident klar Partei für den ÖGB, namentlich dessen Präsidenten Fritz Verzetnitsch, ergriffen: „Die Sozialpartnerschaft ist die Basis einer funktionierenden Wirtschaft in Österreich, und ich werde keinen Versuch akzeptieren, diese Basis zu zerstören […] Wenn man einen der Sozialpartner abschießen will, dann gibt es keine Sozialpartnerschaft mehr“ (WKÖ-Präsident Leitl, zit. n. Salzburger Nachrichten 15.09.2001).
- 10.
http://www.sozialpartner.at/?page_id=1115. Zugegriffen: 25. Februar 2016.
- 11.
Und bemerkenswerterweise – auch in einer international vergleichenden Perspektive – stellte sich die WKÖ auf die Seite der Arbeitnehmerverbände, als im Jahr 2003 die Regierung sich anschickte, sozialpolitische Einschnitte (Anhebung des Pensionsantrittsalters, Kürzungen im Sozialsystem) vorzunehmen (Paster 2014).
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Anhang: Geschichte der Wirtschaftskammern Österreichs
Anhang: Geschichte der Wirtschaftskammern Österreichs
1848 | Errichtung der ersten österreichischen Handelskammer in Wien mit zwei Elementen: Interessenausgleich und obligatorische Mitgliedschaft |
1850 | Neues Gesetz für die Errichtung der Handelskammern führt zu einer Gründerwelle von 60 Handelskammern im gesamten Staat. Branchenmäßig gegliederte Fachorganisationen waren nicht in die Kammern eingegliedert (Sie waren regional und im Allgemeinen sehr zersplittert und konnten das Gesamtinteresse der betreffenden Branchen nicht wirkungsvoll vertreten) |
1868 | Erstmals definitives Handelskammergesetz (HKG) |
1937 | Beschluss des neuen Handelskammergesetzes und Schaffung der Bundeshandelskammer als Dachorganisation. Diese konnte wegen der Besetzung Österreichs im März 1938 nicht mehr aktiv werden |
1946 | Neues Handelskammergesetz. Errichtung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Einbeziehung der Fachorganisationen (FO) mit eigener Rechtspersönlichkeit und Budgethoheit, Beginn der Sozialpartnerschaft |
1950 | Erste freie Kammerwahlen durch die Mitglieder |
1991 | Ausbau des Wahlrechts bei den Handelskammerwahlen (u. a. Einführung von Vorzugsstimmen) sowie der Mitglieder-, Minderheiten- und Kontrollrechte. Erleichterungen bei Eintragungsgebühren und Grundumlagen |
1993 | Neuregelung der Finanzierung der WKO, Umbenennung in Wirtschaftskammer |
1998 | Neues Wirtschaftskammergesetz – Ablösung des HKG durch das WKG |
2000 | Am 30. November 2000 beschließt das Wirtschaftsparlament das größte Reformprojekt der Wirtschaftskammerorganisation seit ihrer Gründung – „WKO NEU“ |
2001 | WKG-Novelle: Legistische Umsetzung der Reform, Phase 1 |
2005 | Beschluss des Wirtschaftsparlamentes zur FO-Reform |
2006 | WKG-Novelle: Legistische Umsetzung der Reform, Phase 2 |
2008 | Festlegung der neuen Fachorganisationsordnung durch das Wirtschaftsparlament der WKÖ |
2010 | Neue Fachorganisationsstruktur wird mit den WK-Wahlen 2010 wirksam |
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Karlhofer, F. (2017). Wirtschaftskammer und Korporatismus in Österreich. In: Sack, D. (eds) Wirtschaftskammern im europäischen Vergleich. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16934-3_10
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Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
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