Zusammenfassung
Mit dem Aufbrechen des klassischen Parteiensystems in Deutschland ergeben sich vielfältige neue und komplexere Koalitionsoptionen. Von großer Wichtigkeit sind dabei Koalitionssignale, die die Parteien vor der Wahl aussenden. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, die Auswirkungen von Koalitionsaussagen auf das Wahlverhalten zu untersuchen und dabei neben dem Effekt selbst auch Wechselwirkungen des Signals mit individuellen Eigenschaften der Wähler zu betrachten. Hierzu wurde im Vorfeld der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 ein Online-Vignettenexperiment durchgeführt, in dem die Befragten der Versuchsgruppe mit einem von zwei hypothetischen Koalitionssignalen in Form einer Vignette konfrontiert wurden. Das erste enthielt die Aussage, die CDU schließe nicht aus, nach der Wahl eine Koalition mit der AfD einzugehen, während sich in dem zweiten SPD und Grüne dafür aussprachen, eine Koalition mit der Linken einzugehen, sofern es für eine Grün-Rote Mehrheit nicht reiche. Erwartet wurde, dass die Signale die Bereitschaft der CDU-Anhänger bzw. der von SPD und Grünen reduzieren würde, die von ihnen eigentlich bevorzugte Partei zu wählen. Die Ergebnisse der Analyse bestätigen die Hypothesen, wobei die Effekte desto höher ausfallen, je größer die ideologische Distanz zwischen der eigentlich präferierten Partei und dem signalisierten potenziellen Koalitionspartner ausfällt.
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Die p-Werte für die Vergleiche lagen dabei bezüglich der ersten Versuchsgruppe mit Vignette 1 bei 0,68 (Geschlecht), 0,12 (PID), 0,67 (Bildung) und 0,99 (Alter), wobei die ersten drei Vergleiche mit einem Chi2-Test und der letzte mit einem T-Test durchgeführt wurden. Bezüglich der zweiten Versuchsgruppe mit Vignette 2 lagen die p-Werte bei 0,53 (Geschlecht), 0,07 (PID), 0,29 (Bildung) und 0,91 (Alter.) Die Unterschiede bezüglich der PID sind zwar nicht auf dem 5 %-Niveau signifikant, doch zumindest bei der zweiten Gruppe wäre der Unterschied auf dem 10 %-Niveau signifikant. Die Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe fallen gleichsinnig hinsichtlich der CDU, aber gegensinnig hinsichtlich von SPD, Grünen und FDP gegenüber den Unterschieden der gemessenen Wahlabsicht, die ja mit dem Effekt der Vignette erklärt werden sollen, aus. Der Treatmenteffekt ist daher keiner, der auf schon vorhandene Unterschiede bezüglich der PID zwischen Versuchsgruppe und Kontrollgruppe zurückgeführt werden kann.
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Schliebs, M., Fritz, B.S.L., Messerschmidt, L., Volkmann, J., Behnke, J. (2017). Die Auswirkungen von Koalitionssignalen auf das Wahlverhalten. Experimentelle Befunde bezüglich der Landtagswahl in Baden-Württemberg von 2016. In: Linhart, E., Debus, M., Kittel, B. (eds) Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie. Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16714-1_3
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