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Terrorist und Amokläufer: Attentäter im öffentlichen Diskurs 2016

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Vermittlungskulturen des Amoklaufs

Zusammenfassung

Am 15. Juli 2016, nachdem die 11-Uhr-Nachrichten des Berliner Senders radioeins ausführlich über den Anschlag in Nizza am Vortag berichtet hatten, raunte der Moderator „Vive la France!“ in die ersten Töne des folgenden Tracks. Wie sollte man reagieren auf den nunmehr zwölften Anschlag innerhalb von sieben Monaten? Mit Übersprunghandlungen, ebenso verzweifelt wie stereotyp?

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Notes

  1. 1.

    Ich beziehe mich hier nur auf die Anschläge in Europa inklusive der Türkei, die damals vorrangig die hiesigen Medien beschäftigten.

  2. 2.

    Eine Auflistung findet sich etwa auf https://de.wikipedia.org/wiki/Je_suis_Charlie (Zugegriffen: 9. Oktober 2016). So erfährt man dort auch, dass Diesel erst im Rahmen der Ermittlungen infolge der Anschläge von Paris getötet wurde.

  3. 3.

    Ich zitiere Bush hier nach Jackson (2005, S. 67), bzw. nach Butler (2004, S. 12).

  4. 4.

    Als gleichermaßen exemplarisch wie richtungsweisend dafür kann Douglas Kellners Monografie From 9/11 to Terror War: The Dangers of the Bush Legacy aus dem Jahre 2003 gelten.

  5. 5.

    Der in der Spätphase des ‚War on Terror‘ immer wieder kolportierte Ausspruch geht ursprünglich wohl auf Ronald Reagans Radio Address to the Nation on Terrorism vom 31. Mai 1986 zurück, Online: http://www.presidency.ucsb.edu/ws/?pid=37376. (Zugegriffen: 20. August 2015).

  6. 6.

    Ich habe zunächst mit Mario Harz (Harz und Petersen 2008), dann allein (Petersen 2016) und schließlich mit Peter Klimczak (Klimczak und Petersen 2015) an einer solchen Taxonomie gearbeitet. Dabei ist der ursprüngliche Entwurf zwischen 2008 und 2015 zusehends formal ausgearbeitet und präzisiert, zum Teil auch überarbeitet und korrigiert worden. Hier beziehe ich mich daher ausschließlich auf Petersen (2016) sowie auf Klimczak und Petersen (2015). Zudem präsentiere ich im Folgenden nur basale Elemente der Taxonomie (erster Ebene).

  7. 7.

    Ich rekurriere hier auf den bekannten Ausspruch des Linguisten Alfred Korzybski, den dieser 1931 in seinem Vortrag vor der American Mathematical Society getan hat. Siehe hierzu etwa Majukt (2009, S. 88).

  8. 8.

    Siehe zur Etymologie beispielsweise Renate Hau (1986, S. 1035 f.) oder online Gerhard Köblers (1995) Deutsches Etymologisches Wörterbuch.

  9. 9.

    Das Symbol ↔ bezeichnet eine formallogische Äquivalenz und wird im Folgenden mit ‚genau dann, wenn‘, zum Teil auch (dann aber kommentiert) mit ‚sowie‘ ausformuliert.

  10. 10.

    Dabei wird ausdrücklich nicht zwischen Fühlen und Sein unterscheiden, sondern beides, ‚erschreckt fühlen‘ und ‚erschreckt sein‘ synonym verstanden. Wenn man so will, gilt hier George Berkeleys „esse est percipi“, allerdings nicht generell, sondern nur für das Sein und Wahrgenommen-Werden bzw. Gefühlt-Werden von ‚erschrecken‘ und ‚befreien‘. Siehe Berkeley (1979, S. 26).

  11. 11.

    Siehe hierzu auch die folgende Fußnote.

  12. 12.

    Die Referenzgruppe der Beurteiler ist mit der Gruppe der durch den politischen Gewaltakt Betroffenen grundsätzlich variabel angelegt. Es gilt also von Fall zu Fall nach der Plausibilität der zugrunde gelegten Referenzgruppe der y zu fragen und im Zuge dessen jeweils die Betroffenen und damit auch die Beurteiler zu bestimmen. Das Bombenattentat von Stauffenberg auf Hitler 1944 gilt einer heutigen nationalen oder globalen Beurteilergruppe selbstverständlich nicht als Terrorakt, sondern als Befreiungsschlag. Ob das Attentat auch 1944 in Deutschland als ein Befreiungsschlag gegolten hätte, steht allerdings infrage, schließlich war die Referenzgruppe der Entscheider dort 1944 eine ganz andere als heute. Und trotzdem oder gerade deshalb ist es plausibel, ja sogar zwingend, heute über das Attentat zu entscheiden und nicht etwa die damalige vom NS-Regime indoktrinierte Bevölkerung ein für alle Mal eine Entscheidung über Stauffenberg treffen zu lassen.

  13. 13.

    W(x) quantifiziert die Menge aller Individuen hinsichtlich der Mehrheit (polnisch Większość). Die Mehrheit wird dabei verstanden als 50 % plus ein Individuum bis alle. Die Minderheit (ungarisch Kisebbség), symbolisiert durch K(x), ist hingegen als Bereich zwischen 0 und 50 % zu verstehen. Daraus folgt für das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit: 1) Wenn für die Mehrheit das Merkmal M zutrifft, trifft für die Minderheit das Merkmal ¬M zu, symbolisch: W(x) M(x) → Kx ¬M(x). 2) Wenn für die Mehrheit das Merkmal M zutrifft, trifft nicht für die Minderheit das Merkmal M zu, symbolisch: W(x) M(x) → ¬K(x) M(x). 3) Wenn nicht für die Mehrheit das Merkmal M zutrifft, trifft für die Minderheit das Merkmal M zu, symbolisch: ¬W(x) M(x) → K(x) M(x). Dementsprechend besteht zwischen W(x) M(x) und W(x) ¬M(x) eine konträre Relation, zwischen K(x) M(x) und K(x) ¬M(x) eine subkonträre Relation, zwischen W(x) M(x) und Kx ¬M(x) sowie W(x) ¬M(x) und Kx M(x) eine subalterne Relation und zwischen W(x) M(x) und K(x) M(x) einerseits und zwischen W(x) ¬M(x) und K(x) ¬M(x) andererseits eine kontradiktorische Relation. Den Mehrheitsoperator, der wie etwa der im Folgenden noch verwendete Allquantor ∀(x) nicht zu den Standardoperatoren zählt, verdanke ich ebenso wie eine Reihe von formalen Überlegungen in diesem wie im folgenden Abschnitt ausdrücklich Peter Klimczak. Siehe hierzu wiederum Klimczak und Petersen (2015).

  14. 14.

    Formal gilt ∀(x) µ(x) → W(x) µ(x). ‚Alle‘ impliziert immer auch die Mehrheit, sodass die Mehrheit (umgekehrt) ‚alle‘ zwar nicht formal impliziert, aber eben auch nicht ausschließt. Genau dieser Umstand macht ‚alle‘ zum Sonderfall der Mehrheit.

  15. 15.

    Dass das ‚fast‘ bzw. ‚nahezu‘ formal mittels des Allquantors jeweils nicht abgebildet ist, fällt insofern nicht ins Gewicht, als dies keinen Einfluss auf den metasprachlich beschriebenen Objektbereich hat, so aber gleichzeitig eine Modellierung mit den Mitteln der Prädikatenlogik ermöglicht wird.

  16. 16.

    Siehe zu den unterschiedlichen Bestimmungen der Relation zwischen ‚erschrecken‘ und ‚befreien‘ sowie den daraus resultierenden Konsequenzen ausführlich Klimczak und Petersen (2015). Hier lege ich implizit ein kontradiktorisches Verhältnis zugrunde, sodass die Prädikate ‚befreien‘ und ‚nicht erschrecken‘ und damit auch ‚erschrecken‘ und ‚nicht befreien‘ semantisch als synonym und formallogisch als äquivalent behandelt werden. Formal gilt dann ∀(y) [B(y,x,z) ↔ ¬E(y,x,z)] sowie ∀(y) [E(y,x,z) ↔ ¬B(y,x,z)]. Aufgrund der Kontradiktion können also Erschrecker qua Negation (¬) als Befreier und Befreier qua Negation als Erschrecker definiert werden. Für den Terroristen gilt damit dann neben der obigen Definition 1) auch T(x,z) ↔ W(y) ¬B(y,x,z), für den Freiheitskämpfer neben der obigen Definition 2) auch F(x,z) ↔ W(y) ¬E(y,x,z) usw.

  17. 17.

    Siehe zu Breiviks Manifest etwa Anonym (2011).

  18. 18.

    Das gilt sowohl im Falle einer konträren als auch der hier zugrunde gelegten kontradiktorischen Modellierung von ‚erschrecken‘ und ‚befreien‘. Andere Modellierungen machen spätestens auf der Ebene der Quantifizierung der Prädikate und damit der Definition von Terroristen und Freiheitskämpfern, Amokläufern und Helden keinen Sinn mehr. Dazu im Folgenden sowie detailliert in Klimczak und Petersen (2015, S. 165 ff.).

  19. 19.

    Das Analoge gilt auf der Basis von ‚befreien‘ für Freiheitskämpfer und Helden: Ein Held ist per definitionem immer auch ein Freiheitskämpfer. Umgekehrt gilt das wiederum nicht. Das Befreit-Fühlen aller impliziert zwar stets oder notwendig auch das Befreit-Fühlen der Mehrheit. Das Befreien der Mehrheit impliziert dagegen nicht unbedingt auch das Befreien aller, es kann folgen, folgt aber nicht notwendig.

  20. 20.

    Formal gilt damit auf der Basis eines Äquivalenzverhältnisses zwischen dem Amokläufer A und dem Wahnsinnigen Wa und deren Gewalttaten: Wa(x,z) ↔ A(x,z) bzw. Wa(x,z) ↔ ∀(y) E(y,x,z), sprich: „x ist ein Wahnsinniger und z ist die Gewalttat eines Wahnsinnigen genau dann, wenn x ein Amokläufer und z ein Amoklauf ist“ bzw. „x ist ein Wahnsinniger und z die Gewalttat eines Wahnsinnigen genau dann, wenn sich fast alle von x mittels z erschreckt fühlen“. Ich komme darauf, auch auf die Legitimation einer solchen quantifizierenden Definition eines verrückten/wahnsinnigen Gewalttäters, im Folgenden noch ausdrücklich zu sprechen.

  21. 21.

    Damit war das implizite Verhältnis zwischen Terrorist und Amokläufer offenbar kein kontingentes, auch kein konträres, sondern ein kontradiktorisches. Grundsätzlich: Eine Relation der Kontingenz zwischen den Aussagen p und q hieße, dass p und q zugleich gelten können, dass nur eines von beiden, also entweder p oder q, oder dass keines von beiden, also weder p noch q, gelten kann. Kontingenz beschreibt damit alle (kombinatorischen) Möglichkeiten. Eine Relation der Kontrarietät hieße, dass das p und q nicht zugleich gelten, sondern nur eines von beiden, aber auch keines von beiden, weder p noch q also. Im Falle der Komplementarität gilt dasselbe wie im Falle der Kontrarietät, nur dass eines von beiden gelten muss. Es gilt im Falle der Komplementarität also nur entweder p oder q, kein Weder-noch und kein Sowohl-als-auch.

  22. 22.

    Siehe zur formalen Relation der Kontingenz die vorherige Fußnote.

  23. 23.

    Siehe die – insbesondere formal – ausführliche Diskussion und Ablehnung der kontingenten Modellierung in Klimczak und Petersen (2015, S. 165 ff.).

  24. 24.

    Das hier nicht weiter explizierte Verhältnis zwischen ‚ablehnen‘ und ‚erschrecken‘ ist das einer Implikation dergestalt, dass E(y,x,z) → Ab(y,x,z) gilt, sprich: „Wenn y sich durch x und z erschreckt fühlt, dann lehnt y x und z auch ab“.

  25. 25.

    Dass ich die formale Äquivalenz (↔) hier abweichend von der Standardformulierung ‚genau dann, wenn‘ auch mit ‚sowie‘ ausformuliere, ist allein den begrenzten syntaktischen Möglichkeiten normalsprachlicher Explikationen logischer Formeln geschuldet. Siehe gleichsam als Geschichte dieses Problems und seiner nicht immer gänzlich befriedigenden Lösung Petersen (2016).

  26. 26.

    Das ist problemlos möglich, da der Gewaltakt z auch formal bisher nicht selbst als politisch motiviert, sondern als Gewaltakt im Framing politisch motivierter Gewalt bestimmt wurde.

  27. 27.

    Ich beziehe mich hier exemplarisch auf die beiden bereits zitierten Artikel von Diehl (2016) und Janker (2016). Ein breite Detailanalyse, etwa in Form einer quantitativen Inhaltsanalyse des Diskurses, würde sich sicher lohnen, jedoch zeigt eine kursorische Rezeption des Diskurses hinreichende Indizien dafür, dass die beiden Artikel durchaus repräsentativ sind.

  28. 28.

    Dies gilt zumindest im Rahmen der hier zugrunde gelegten kontradiktorischen Modellierung von ‚erschrecken‘ du ‚befreien‘. Im Fall einer konträren Relation der Terme wäre das Verhältnis zwar nur konträr, womit allerdings auch nicht beides zugleich, sprich die gleichzeitige Bestimmung eines Attentäters als Held und Amokläufer, möglich wäre.

  29. 29.

    Siehe hierzu Baudrillard (2002) sowie Petersen (2013).

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Petersen, C. (2017). Terrorist und Amokläufer: Attentäter im öffentlichen Diskurs 2016. In: Braselmann, S., Ahrens, J. (eds) Vermittlungskulturen des Amoklaufs. Kulturelle Figurationen: Artefakte, Praktiken, Fiktionen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16602-1_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16602-1_4

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-16601-4

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