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Warum die Regel von der Ausnahme lebt

Der Ausnahmezustand als Strukturmoment des Rechts

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Ausnahmezustand

Part of the book series: Staat – Souveränität – Nation ((SSN))

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Zusammenfassung

Mit der Figur des Ausnahmezustands lässt sich nicht bloß ein zeitgenössisches „Paradigma des Regierens“ (Agamben) erschließen, sie gibt auch Aufschluss über ein inneres Strukturmoment des Rechts: das Moment der Vermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in der juristischen Entscheidung. Zur Stützung dieser These arbeitet dieser Beitrag zunächst die Problemstellung der Weimarer Debatte um den Ausnahmezustand im Kontext der Entstehung des Völkerbundes heraus. Darin gilt der Ausnahmezustand als Prüfstein, an dem sich die Frage entscheiden soll, ob eine „Herrschaft des Rechts“ möglich ist (Abschn. 2). Anschließend werden Hans Kelsens, Carl Schmitts und Hermann Hellers Positionen zu dieser Frage rekonstruiert. Während für Kelsen die Rechtsordnung und für Schmitt ein ungeteilter Machthaber souverän ist, weist Hermann Heller beide Lösungen als undialektische Vereinseitigungen zurück. Souverän ist nach ihm das „Zusammenwirken aller Beteiligten“ in der Organisation Staat (Abschn. 3). In Übereinstimmung mit Heller und unter Bezugnahme auf häufig überlesene Stellen aus Schmitts „Politischer Theologie“ entwickelt der letzte Teil, wie sich gesellschaftliche Kräfte in der juristischen Entscheidung vermitteln und vereinheitlichen (Abschn. 4).

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Notes

  1. 1.

    Den Ausdruck „Machtverhältnisse“ wähle ich hier gerade wegen seiner Unbestimmtheit. Eine genauere Charakterisierung der faktischen Kräfte, die das Recht bestimmen, würde durch die Problemformulierung die möglichen Antworten begrenzen. Würde man hier etwa mit Carl Schmitt von einem personalen Machthaber sprechen, verstellte man sich den Blick auf nicht-personale politische Theorien wie die Hellers. Der Ausdruck ist so zunächst ein noch näher zu bestimmender Problembegriff, der nur formal anzeigt, dass Macht im Anschluss an Foucault immer als Verhältnis von Macht und Gegenmacht begriffen werden muss (Foucault 2005).

  2. 2.

    Wird Souveränität so als Handlungsmacht begriffen, die nicht einem Einzelnen, sondern dem Verhältnis aller zukommt, ist das Konzept „Souveränität“ gewissermaßen an ihr Ende gebracht. Vgl. dazu auch die Diskussion um den Begriff der Souveränität bei Spinoza etwa bei Thomas Heerich (2000).

  3. 3.

    Der Einschub „völlig unabhängig von allen Normen“ ist hier so zu lesen, dass die Staatsgewalt auch dann dem „Zusammenwirken aller Beteiligten“ zuzurechnen ist, wenn die Verfassung die Souveränität nur einem der Elemente der Organisation Staat zuweist. Das bedeutet aber nicht, dass Heller die Rechtsordnung insgesamt als irrelevant betrachtet, sie hat für ihn nur keine herausgehobene Stellung innerhalb der Gruppe der Elemente.

  4. 4.

    Da Widersprüche nur gegen Verwaltungsakte eingelegt werden können und individuell begründet werden müssen, wird in den einzelnen Fällen nur sehr selten direkt auf das Recht auf ein menschenwürdiges Leben (Art. 1 GG) oder auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) Bezug genommen. Die „Klagewelle“ beteiligt sich nicht direkt an der Auslegung der Rechtsbegriffe „Menschenwürde“ und „Sozialstaatsprinzip“. Dennoch ist sie ein Teil des Widerstands gegen die Sanktionen und so indirekt am Streit um die juristische Auslegung von „Menschenwürde“ und „Sozialstaatsprinzip“ beteiligt.

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Mattutat, L. (2017). Warum die Regel von der Ausnahme lebt. In: Lemke, M. (eds) Ausnahmezustand. Staat – Souveränität – Nation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16588-8_2

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