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Verletzung religiöser Gefühle im Karneval? Jaques Tillys Großplastiken als Beispiele für die ambivalente Bewertung von religiös konnotierter Karnevalskunst

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Massen und Masken

Part of the book series: pop.religion: lebensstil – kultur – theologie ((PKRT))

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Zusammenfassung

Anne Breckner stellt in ihrem Beitrag die Frage nach Verletzung religiöser Gefühle im Karneval? Die Gestaltung der Motivwagen im Düsseldorfer Rosenmontagszug steht unter der künstlerischen Leitung von Jaques Tilly, dessen profilierte Schöpfungen immer wieder kritisiert werden. Sie werden teilweise als eine Provokation verstanden, die die religiösen Gefühle von Menschen tangiert. Dabei ist die Verletzung von religiösen Gefühlen zunächst ein Rechtsbegriff gewesen, der in Zusammenhang mit Blasphemie stand. In den heutigen Diskussionen um verletzte Gefühle lässt sich auch eine Chance erkennen, über die Provokation in einen fruchtbaren Dialog zu treten.

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Notes

  1. 1.

    Ähnliche Argumente, wie ich sie mündlich gehört habe, gibt es nicht nur in religiösen Kreisen im Oberbergischen Kreis (vgl. Seibel 2015; Bago 2016).

  2. 2.

    Dort wird die Lachfeindlichkeit der Theolog*innen geäußert, jedoch Luther als humorvoll gekennzeichnet.

  3. 3.

    Vgl. u. a. Moser 1984, S. 21, 26: „Es ergab sich so ein fest gefügtes, wenngleich für Erweiterungen durchaus offenes System, bei dessen szenischer Realisierung als ‚civitas terrena‘ oder ‚civitas Diaboli‘ das alternative System der ‚civitas Dei‘ zumindest tendenziell immer mitgedacht und im Auge behalten wurde.“

  4. 4.

    Schon Gefühle ohne das zusätzliche Attribut ‚religiöse‘ zu erfassen, stellt selbst erfahrene Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen vor große Herausforderungen. (Vgl. z. B. Ulich 1999, S. 128; Käbisch 2009, S. 107; Ciompi 2011, S. 17 f.; Keil und Grau 2005, S. 7).

  5. 5.

    Diese doppelte Formulierung der Komponenten „Anschauung und Gefühl“ ist in der ersten Auflage der Reden für Schleiermacher essentiell, allerdings verändert er die Formulierung in anderen Auflagen.

  6. 6.

    Sie werden sogar in Einführungen als maßgebliche Vordenker beschrieben (Vgl. Henning et al. 2003, S. 20–23).

  7. 7.

    Überblick über Kritik an Otto: Vgl. Barth 2013, S. 31–41. Überblick Kritik an James: Carrette 2008, S. 428.

  8. 8.

    Vgl. Höhn 2013, S. 96. Er spricht von ‚Ergriffenheit‘.

  9. 9.

    Döring bestreitet diese Auffassung. Vgl. Döring und Berninger 2013, S. 53.

  10. 10.

    Scheer ist Teil eines Forschungszentrums zur Geschichte der Emotionen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Neben diesem Forschungsprojekt gibt es außerdem das Projekt ‚Languages of Emotions‘.

  11. 11.

    Diese Forschung verfolge ich zurzeit im Rahmen meines Dissertationsprojekts.

  12. 12.

    Vgl. Rox 2012, S. 7. „Nicht ausgeblendet werden darf auch die Tatsache, dass Sachverhalte, die – ob zu Recht oder zu Unrecht – in der Nähe von Verunglimpfungen von Religion anzusiedeln sein könnten, erhebliches soziales Konfliktpotential, ja sogar Gewaltpotential, bergen.“

  13. 13.

    Sowohl Journalist*innen (Vgl. z. B. Scalla 2012) als auch Wissenschaftler*innen (s. o.) nutzen die Begriffskombination häufig ohne vorherige Begriffsklärung. Abwägend geht allerdings Rox in ihrer juristischen Dissertation zum Schutz religiöser Gefühle vor, sie rechtfertigt zumindest ihre Nutzung der Begriffe, auch wenn sie ihn nicht definiert. Einerseits sieht sie im „Begriff der ‚religiösen Gefühle‘ ein hohes Maß an Impulskraft“, andererseits ist die Formulierung auch heute im juristischen Diskurs gängig (Vgl. Rox 2012, S. 30).

  14. 14.

    Schroeter-Wittke 2013, S. 67 [ALR II. 20, § 217; zit. nach Skriver, Ansgar: Gotteslästerung? Hamburg 1962, S. 34, im Anschluss an § 163 des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1869].

  15. 15.

    Schroeter-Wittke 2013, S. 67 [ALR II. 20, § 217; zit. nach Skriver, Ansgar: Gotteslästerung? Hamburg 1962, S. 34, im Anschluss an § 163 des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1869].

  16. 16.

    Emotionen sind nicht nur subjektiv und irrational (Vgl. auch Beile 1998, S. 36).

  17. 17.

    Vgl. MRK 1950, Art. 9 und 10. Vgl. ebenso IPBPR, Art. 18, 19 und 20, in dem es um Diskriminierung geht. Vgl. außerdem AEM (1948), Art. 18 und 19.

  18. 18.

    Oben wurde auf die internationale Rechtslage durch den Verweis auf die Verankerung der beiden Grundrechte in der UN-Menschenrechtskonvention bzw. im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der EU in der gleichen Reihenfolge verwiesen.

  19. 19.

    Ich beschränke mich hierbei auf eine grobe Umschreibung des Phänomens Karneval, ohne detailliert zwischen kulturwissenschaftlichen, geschichtswissenschaftlichen, volkskundlichen, literaturwissenschaftlichen oder theologischen Perspektiven in der Erläuterung zu differenzieren, da die Blickwinkel sich eher ergänzen statt einander zu widersprechen (Vgl. u. a. Moser 1984, S. 9–58 oder Moser 1986. Vgl. auch Fechtner 2007, S. 92).

  20. 20.

    Vgl. Becker-Huberti 2001, S. 230: „Wenn die Narrenfreiheit oder das Narrenrecht gilt, darf der Narr, von allen Zwängen befreit, tun und lassen, was ihm beliebt. Die Narrenfreiheit ist eine Parallelbildung zur Sendfreiheit“.

  21. 21.

    Vgl. Prößdorf und Schroeter-Wittke 2006, S. 56: „Das Verkleiden […] setzt alltägliche und bürgerliche Regularien zeitlich begrenzt außer Kraft und ermöglicht das Ausprobieren einer partiell anderen Identität.“

  22. 22.

    Klauser 2006, S. 227. Diese Attribute werden den Karnevalszügen u. a. deshalb gegeben, weil diese in der bürgerlich-karnevalistischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts entstanden sind.

  23. 23.

    Vgl. Gay 2006, S. 66: „Köln: 96 Fest-, Persiflage-, Prunkwagen und Kutschen; Länge: 7 km; Zuschauer: etwa 1,3 Millionen – Düsseldorf: 70 Gesellschafts- und Motivwagen; Länge: 6,5 km; etwa 1 Million“. Vgl. auch Link 2001.

  24. 24.

    Prößdorf und Schroeter-Wittke verweisen berechtigterweise auf folgenden Punkt: „Der Karneval lebt von dem, was er konterkariert. Auch wenn es schmerzt: Was wäre Köln ohne Düsseldorf (und umgekehrt) – und was wäre Karneval in Nordrhein-Westfalen ohne dieses unglaublich witzige Paderborn!“ Prößdorf und Schroeter-Wittke 2006, S. 45. Dieser Gedanke ließe sich im Übrigen auch auf die Frage nach Religionssatire im Karneval anwenden. Was wäre der Karneval ohne die Kirche (und umgekehrt)?!

  25. 25.

    Bildlichkeit bzw. visuelle Impulse scheinen sehr viel öfter zum Vorwurf der Verletzung religiöser Gefühle zu verleiten als akustische oder schriftliche Produkte. Gerade der Karikaturenstreit der 2000er-Jahre hat noch einmal verdeutlicht, wie im Bildlichen grundlegende Konflikte der Religionen zwischen Bilderverbot und Notwendigkeit der Bebilderung, der Verbildlichung, der Symbolisierung auftreten. Erst recht werden dies Konflikte spannend, wenn es sich bei den untersuchten Exponaten um haptisch erfahrbare, dreidimensionale metergroße Aufbauten eines Karnevalswagens handelt, wo das Visuelle, das Bildliche erlebbar wird.

  26. 26.

    Diese zeitliche Eingrenzung ist auch bedingt durch die Verfügbarkeit der Quellen, genauso wie durch die Gewährleistung, dass die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Geschehnisse der Rezipierenden bekannt sind, die den Ursprung der Karnevalswagen-Kunst darstellen.

  27. 27.

    Trotz der teilweisen Darstellung von muslimischen Personen unterwirft sich Tilly in Bezug auf den Islam einer Selbstzensur bzw. legt sich selbst Tabus auf, denn er vermeidet die Darstellung des Propheten oder des Koran (Vgl. Achten 2007, S. 182. Vgl. auch Pucks 2015). Interessant ist in diesem Kontext, dass Tilly selbst äußert, dass er das Christentum weniger schont als den Islam, weil ersteres aufgrund der Aufklärungsentwicklung besser mit Kritik umgehen könne (Vgl. Achten 2007). Es gibt meiner Kenntnis nach jedoch auch keine Jesusdarstellung, sondern nur Darstellungen des Kreuzes. Bei der einen mir bekannten christlich konnotierten Gottesdarstellung ist nicht klar, ob dieser Wagen im Zug gefahren ist (Vgl. Tilly 1998).

  28. 28.

    Oder den Kirchen? Wobei er, wie später ersichtlich wird, die römisch-katholische Kirche stärker karikiert als die evangelische. Auch im Vergleich zu anderen Religionen kann man eine ganz klare Dominanz der katholischen Kirche sehen. Eine Buddhadarstellung ist mir bekannt, wenige Darstellungen von (tendenziell eher fundamentalistischen) Menschen, die islamischen Glaubens sind – erkennbar durch Kopftuch oder Turban und Bart, wenige Darstellungen der orthodoxen Kirche und eine eines ultraorthodoxen bzw. vermutlich aschkenasischen Judens mit Schläfenlocken. Sekten (Zeug*innen Jehovas, Mormon*innen, Scientolog*innen) werden nicht dargestellt, ebenso wenig wie Freikirchen (Vgl. Tilly 2015c).

  29. 29.

    Ein weiterer Hinweis zu diesem Wagen: Dieses Beispiel beinhaltet im Übrigen intertextuelle bzw. intergenerationale Bezüge. Christo wurde bereits erwähnt, jedoch gab es bereits im frühen 20. Jahrhundert eine Karikatur von Grosz, welche die Haltung der Kirche zum Weltkrieg anprangerte, indem Grosz eine Leiche mit Gasmaske ans Kreuz genagelt zeichnete (Vgl. Achten 2007, S. 10).

  30. 30.

    CC ist kurz für Carnevalscomitee.

  31. 31.

    Auch die EKD beschäftigte sich in diesem Zeitraum mit der Frage nach PID und Abtreibung (Vgl. Barth 2001). Doch wurde ausschließlich der innerkatholische Konflikt von Tilly ausgewählt.

  32. 32.

    Vgl. die Formel aus dem Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel: „EINE heilige katholische und apostolische Kirche“.

  33. 33.

    Meisner war für Tilly ein Charakterkopf, den er öfter gerne auf die Schippe nahm. So auch die Darstellung von 2008, bei der Meisner sich der modernen Fenster des Kölner Doms ärgert (Vgl. Tilly 2008).

  34. 34.

    Der Begriff ‚bikonfessionell‘ steht hier dafür, dass bei Tilly nicht deutlich ist, wer in seinen Augen flüchtet. Er ändert nämlich die Darstellung von der Skizze zum Wagen. Die Diskrepanz zwischen der Skizze und der Umsetzung ist gerade bezogen auf die Kleidung des Geistlichen frappierend, denn in der Skizze fällt das lutherische Bäffchen auf, während im Zug die Kardinalskleidung kennzeichnend für einen römisch-katholischen Würdenträger ist.

  35. 35.

    Gerade konservative Christ*innen berufen sich auf paulinische Perikopen, in denen Homosexualität mit Sünde in Verbindung gesetzt wird (Vgl. EKD 1996).

  36. 36.

    Erneut fallen die Unterschiede zwischen der Skizze (berührende Lippen, Kippa beim ev. Pfarrer, bayerischer Pastorenhut beim Katholiken) und der Umsetzung (lila statt rot – liturgische Farbe der Buße statt des Pfingstfeuers, Ergänzung des brennenden Herzens Jesu, Bischofshut beim kath., Glatze beim ev.) auf.

  37. 37.

    Vgl. Bush 2001:„This crusade, this war on terrorism is going to take a while.“

  38. 38.

    Vgl. Marinos 2005. Die Analogie zwischen Bushs Kriegszügen und den historischen Beispielen der Kreuzzüge zieht nicht nur eine Theologin im Jahr 2016, sondern auch ein Journalist unmittelbar nach dem Rosenmontagszug 2005.

  39. 39.

    Bush dient Tilly 2006 auch für einen anderen dogmatischen Konfliktherd als Kristallisationsfigur: der Frage nach dem Verhältnis der Weltschöpfung und der Evolutionstheorie. Er wird in Affengestalt als stereotyper Repräsentant der Evolutionsleugnenden dargestellt (Vgl. Tilly 2006). Einen weiteren Schöpfungsbezug bringt Tilly im Jahr 2010, indem er Merkel als nackte Eva unter dem Titel ‚Der Sündenfall‘ eine Steuerflucht-CD von einer Schlange entgegennehmen lässt (Vgl. Tilly 2010). Bezüglich der weiteren Darstellung amerikanischer Präsidenten: Obama eignet sich in den Folgejahren nicht für solche drastischen Abbildungen, einmal wird er sogar als Engelsfigur stilisiert (Vgl. Tilly 2009).

  40. 40.

    Meisner hat diesen Wagen explizit als verletzend kritisiert.

  41. 41.

    Franziskus wird sowohl positiv als auch negativ dargestellt, in manchen Entwürfen kämpft er geradezu mit dem Vatikan, um Bedürfnislosigkeit zu proklamieren (Vgl. Tilly 2015b).

  42. 42.

    Tilly selbst trägt auf dem Foto eine lila Kutte, die an ein Kardinalsgewand erinnert. Ob seine Deutung der Herrschaft des Atheismus über die Religionen zutreffend ist, bleibt m. E. fraglich.

  43. 43.

    Wie erklärt es sich übrigens, da wir hier bereits im Bereich Konfessionalismus sind, dass dem Protestantismus vorgeworfen wird, dass er den Karneval verabscheue bzw. als teuflischer Sündenpfuhl ansähe, aber dann die AK-Pop-Tagung unter evangelischer Leitung, ohne römisch-katholische Referent*innen eine Tagung zum selbigen Thema macht und diese Tagung bereits im Vorfeld so umstritten war?

  44. 44.

    An dieser Stelle lohnt ein Blick in die Ausführungen von Valeria Sterzi (2010), die Gendergesichtspunkte im Karneval dekonstruiert hat.

  45. 45.

    Schon am Veilchendienstag, nicht erst am Aschermittwoch, ist mit den Düsseldorfer Plastiken übrigens ‚alles vorbei‘ – sie werden geschreddert! Dann wird kein religiöses Gefühl von Menschen mehr verletzt, abgesehen vielleicht von Tillys Abschiedsschmerz, der jedoch selbst von sich behauptet kein religiöser Mensch zu sein. Durch das Wissen um die Zerstückelung der Großplastiken aus Maschendraht, Gips, Farbe und Pappmaché werden manche entstandenen Verletzungen u. U. sogar gemildert (Vgl. Rheinische Post 2016).

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Breckner, A. (2017). Verletzung religiöser Gefühle im Karneval? Jaques Tillys Großplastiken als Beispiele für die ambivalente Bewertung von religiös konnotierter Karnevalskunst. In: Janus, R., Fuchs, F., Schroeter-Wittke, H. (eds) Massen und Masken. pop.religion: lebensstil – kultur – theologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16400-3_16

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