Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht Mediatisierung in Bezug auf das häusliche Medienhandeln und die Domestizierung des Internets. Er stellt die Prozesshaftigkeit von Mediatisierung sowie die Begriffe Dynamik und Beharrung, die als konstitutive Elemente von Mediatisierung diskutiert werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Theoretisch wird der Domestizierungsansatz als passgenaue Konkretisierung von Mediatisierung vorgestellt, indem die Verbindungslinien beider Konzepte erörtert werden. Empirisch basiert der Beitrag auf einer ethnografisch orientierten Langzeitstudie mit 25 heterosexuellen Paaren. Diese wurden zwischen 2008 und 2016 zu ihrem häuslichen Umgang mit dem Internet und anderen Medien mehrfach interviewt. Ausgehend von dieser Studie wird das Zusammenspiel von Dynamik und Beharrung anhand von drei Feldern veranschaulicht: der Entwicklung häuslicher Medienrepertoires, der Bedeutung von lebensweltlichen Zäsuren für das häusliche Medienhandeln und des Wandels von Geschlechterverhältnissen mit dem Internet. Es wird deutlich, dass Dynamik und Beharrung bei der Domestizierung neuer Medien interagieren und damit Mediatisierung entscheidend prägen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Konkret handelt es sich um die drei Projekte „Das mediatisierte Zuhause I-III“ (2010–2016) innerhalb des DFG-Schwerpunktprogramms „Mediatisierte Welten“ sowie ein ebenfalls DFG-gefördertes Vorgängerprojekt „Die Domestizierung des Internets 1997–2007“ (2008–2010). Ausgangspunkt dieses ersten Projekts war die Domestizierung des Internets seit Ende der 1990er Jahre, die in der ersten Erhebung 2008 retrospektiv bezüglich ihres Verlaufs in den befragten Haushalten rekonstruiert wurde. Außer den Autorinnen und dem Autor dieses Beitrags hat maßgeblich auch Corinna Peil von 2008 bis 2012 am Projekt mitgearbeitet.
- 2.
Unsere Projekte konnten ferner zeigen, dass sich Domestizierung als Ansatz zur Beschreibung und Theoretisierung von Verbreitungsprozessen neuer Medien aus der Perspektive der Nutzenden eignet. Im Zentrum steht hier die Frage, inwieweit die Diffusion neuer Medientechnologien entscheidende quantitative und qualitative Impulse durch die Integration in die häusliche Sphäre bekommt und Domestizierung so zu mehr Teilhabe an einem neuen Medium führt, weil sich Nutzendenkreise verbreitern (vgl. Röser und Peil 2010; Peil und Röser 2014; Röser und Roth 2015).
- 3.
Haddon (2003, S. 46) weist darauf hin, dass die Alltagsintegration eines Mediums nicht dauerhaft ‚erfolgreich‘ verlaufen muss. Ein aktuelles Beispiel: Menschen können sich entschließen, ihre Facebook- oder Smartphone-Nutzung zu begrenzen oder gar einzustellen und somit eine Art von „de-domestication“ (Berker et al. 2006, S. 3) einzuleiten.
- 4.
Wir verorten hier den Schwerpunkt unseres Textes, damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass die Frage nach Dynamik und Beharrung sämtliche Faktoren der häuslichen Mediatisierung integriert.
- 5.
Es handelt sich also nicht um Familien-Fallstudien: Kinder im Haushalt und Familienfragen wurden ggf. als relevante Kontextbedingung einbezogen. Die Sichtweisen und Handlungen der Kinder wurden aber nicht eigenständig untersucht.
- 6.
Zunächst bestand das Sample aus 25 Haushalten in 2008. Bis 2013 hatten sich drei Paare getrennt, weshalb wir Partner und Partnerin einzeln befragten, sodass wir insgesamt 28 Haushalte besuchten. Das Sample konnte über den gesamten Zeitraum vollständig erhalten werden. 2016 gab es eine weitere Trennung, so dass 29 Haushalte befragt wurden.
- 7.
Durch die zwangsläufige Alterung des Panels war in den späten Befragungen die Altersgruppe 20 bis 29 Jahre, die besonders experimentierfreudig bzgl. neuer Medienanwendungen ist, nicht mehr vertreten; dies muss bei den Befunden mitbedacht werden.
- 8.
Zum Thema „Digitale Kommunikation und Berufsarbeit zu Hause: Mediennutzung im Spannungsfeld von Entgrenzung und Begrenzung“ ist eine Publikation von Kathrin Friederike Müller in Vorbereitung, die diese Befunde im Einzelnen vorstellt.
- 9.
Alltägliche Lebensführung kann als eine Art und Weise des Handelns verstanden werden, die aktiv von einer Person in Auseinandersetzung mit ihrer Lebenssituation konstruiert wird. Sie bildet demnach einen strukturierenden und koordinierenden Rahmen für alle regelmäßig ausgeübten Handlungen in den für sie im Alltag bedeutsamen Lebensbereichen. An veränderte Lebensbedingungen muss dieses Handlungssystem aktiv angepasst werden (vgl. Voß 1995, S. 30 ff.).
- 10.
Dabei handelte es sich um folgende Zäsuren: Elternschaft, Trennung, neue Partnerschaft, Renteneintritt, berufliche Veränderung, Auszug des Kindes, Tod des Ehepartners und Umzug (vgl. Niemand 2013). Eine ausführliche Analyse dieses Themenfeldes ist im Rahmen des Dissertationsprojekts von Stephan Niemand in Vorbereitung.
- 11.
Aber auch auf diesem Themenfeld ließen sich teilweise Beharrungsmomente beobachten, weil zum Beispiel tradierte Medienpraktiken in Umbruchphasen Stabilität geben können.
- 12.
Gendering meint den fortlaufenden Prozess der geschlechtlichen Codierung als männlich oder weiblich, der in Bezug auf Medientechnologien im Wesentlichen durch die Codierung als technisch (und damit männlich) stattfindet. Zur Verwobenheit von Medientechnologien und ihrer Entwicklung, Produktion und Aneignung mit Geschlecht siehe zum Beispiel die von Klaus (2005, S. 67 ff.) dargestellte Diskussion um „gendered technologies“.
- 13.
Ob (Medien-)Technologien technisch gerahmt werden, hängt dabei „von deren instrumenteller und sozialer Funktion ab“ (Klaus 2005, S. 72) und davon, ob diese Funktion als männlich oder weiblich gilt.
- 14.
Auch die aktuellen Zahlen der ARD/ZDF-Onlinestudie bestätigen, dass Männer und Frauen heute fast gleichermaßen Zugang zum Internet haben (vgl. Frees und Koch 2015, S. 367).
- 15.
Allerdings zeichnet sich in diesem Bereich ein erneutes De-Gendering ab, da die Hardwareebene durch die Verbreitung mobiler Geräte einen zunehmenden Bedeutungsverlust erfährt und gerade bereits routiniert nutzende Frauen sich an mobilen Geräten zu Expertinnen auszubilden scheinen.
- 16.
Eine ausführliche Analyse dieses Themenfeldes ist im Rahmen des Dissertationsprojekts von Ulrike Roth in Vorbereitung.
- 17.
Bei jungen Menschen in Ausbildung oder Studium stoßen neue Medienangebote auch deshalb auf überdurchschnittliche Resonanz, weil ihr Alltag oft (noch) wenig festgelegt ist – deren Praktiken sollten deshalb nicht umstandslos verallgemeinert werden. In unserem Sample mit Paaren im Alter von 25plus bzw. 30plus, berufstätig und teils mit Kindern dominieren dagegen eher stabile Rhythmen.
Literatur
Ahrens J (2009) Going online, doing gender. Alltagspraktiken rund um das Internet in Deutschland und Australien. transcript, Bielefeld
Bachmann G, Wittel A (2006) Medienethnographie. In: Ayaß R, Bergmann J (Hrsg) Qualitative Methoden der Medienforschung. Rowohlt, Reinbek, S 183–219
Berker T, Hartmann M, Punie Y, Ward K (2006) Introduction. In: Berker T, Hartmann M, Punie Y, Ward K (Hrsg): Domestication of media and technology. Open University Press, Berkshire, S 1–17
Eimeren van B, Frees B (2014) 79 Prozent der Deutschen online – Zuwachs bei mobiler Internetnutzung und Bewegtbild. Media Perspektiven 7/8:378–396
Engel B, Breunig C (2015) Massenkommunikation 2015: Mediennutzung im Intermediavergleich. Media Perspektiven 7/8:310–322
Frees B, Koch W (2015) Internetnutzung: Frequenz und Vielfalt nehmen in allen Altersgruppen zu. Media Perspektiven 9:366–377
Gauntlett D, Hill A (1999) TV Living. Television, culture and everyday life. Routledge, London/New York
Gloger-Tippelt, G (2007) Familiengründung und Übergang zur Elternschaft. In: Hasselhorn M, Schneider W (Hrsg) Handbuch der Entwicklungspsychologie. Hogrefe, Göttingen, S 511–521
Haddon L (2003) Domestication and mobile telephony. In: Katz E (Hrsg) Machines that become us. The social context of personal communication technology. Transaction, New Brunswick, S 43–55
Hartmann M (2013) Domestizierung. Nomos, Baden-Baden
Hasebrink U, Domeyer H (2012) Media repertoires as patterns of behaviour and as meaningful practices. A multimethod approach to media use in converging media environments. Participations. Journal of Audience & Reception Studies 9:757–779
Hepp A (2010) Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten. Springer/VS, Wiesbaden
Hepp A, Röser J (2014) Beharrung in Mediatisierungsprozessen: Das mediatisierte Zuhause und die mediatisierte Vergemeinschaftung. In: Krotz F, Despotović C, Kruse M-M (Hrsg) Die Mediatisierung sozialer Welten. Synergien empirischer Forschung. Springer/VS, Wiesbaden, S 165–188
Kaumanns R, Siegenheim V, Sjurts I (Hrsg) (2008) Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. Gabler Verlag, Wiesbaden
Klaus E (2005) Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Aktualisierte und korrigierte Neuauflage. LIT, Münster
Koppetsch C, Speck A (2015) Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist. Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten. Suhrkamp, Berlin
Krotz F (2007) Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. Springer/VS, Wiesbaden
Krotz F (2012) Kommunikatives Handeln in ökonomisierten und mediatisierten Welten. merz wissenschaft 56:7–16
Krotz F (2014) Einleitung: Projektübergreifende Konzepte und theoretische Bezüge der Untersuchung mediatisierter Welten. In: Krotz F, Despotović C, Kruse M-M (Hrsg) Die Mediatisierung sozialer Welten. Synergien empirischer Forschung. Springer/VS, Wiesbaden, S 7–32
Krotz F (2015) Mediatisierung. In: Hepp A, Krotz F, Lingenberg S, Wimmer J (Hrsg) Handbuch Cultural Studies und Medienanalyse. Springer/VS, Wiesbaden, S 439–451
Lenz K (2014) Zeit(en) in der alltäglichen Lebensführung von Paaren. In: Jurczyk K, Lange A, Thiessen B (Hrsg) Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist. Beltz Juventa, Weinheim, S 113–127
Lundby K (Hrsg) (2009a) Mediatization. Concept, changes, consequences. Peter Lang, New York
Lundby K (2009b) Media logic: Looking for social interaction. In: Lundby K (Hrsg) Mediatization. Concept, changes, consequences. Peter Lang, New York, S 85–100
Moores S (2007) Early Radio. Die Domestizierung einer neuen Medientechnologie in Großbritannien. In: Röser J (Hrsg) MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Springer/VS, Wiesbaden, S 117–128
Morley D (2006) What’s ‚home‘ got to do with it? Contradictory dynamics in the domestication of technology and the dislocation of domesticity. In: Berker T, Hartmann M, Punie Y, Ward K (Hrsg) Domestication of media and technology. Open University Press, Berkshire, S 21–39
Müller KF (2012) Geschlechtsgebundene Erfahrungen aushandeln – Freiräume schaffen: Die Rezeption von Frauenzeitschriften als Reaktion auf mediale und lebensweltliche Ungleichheiten. In: Stegbauer C (Hrsg) Ungleichheit. Medien- und kommunikationssoziologische Überlegungen. Springer/VS, Wiesbaden, S 261–277
Müller KF, Röser J (2017a) Convergence in domestic media use? The interplay of old and new media at home. In: Balbi G, Peil C, Spaviero S (Hrsg) Deconstructing Media (De-)Convergence. Palgrave Macmillan, London, (im Druck)
Müller KF, Röser J (2017b) Wie Paare Second Screen beim Fernsehen nutzen: Eine ethnografische Studie zur Mediatisierung des Zuhauses. In: Göttlich U, Heinz L, Herbers MR (Hrsg) Ko-Orientierung in der Medienrezeption. Praktiken der Second-Screen-Nutzung. Springer/VS, Wiesbaden, S 137–155
Niemand S (2013) Der mediale Alltag im Umbruch – biografisch-lebensweltliche Einschnitte und ihr Einfluss auf das häusliche Medienhandeln. Unveröffentlichte Masterarbeit, Universität Münster
Peil C, Röser J (2007) Vollendete Veralltäglichung: Die Re-Domestizierung des Fernsehens im dualen Rundfunksystem Deutschlands. In: Röser J (Hrsg) MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Springer/VS, Wiesbaden, S 89–101
Peil C, Röser J (2014) The meaning of home in the context of digitization, mobilization and mediatization. In: Hepp A, Krotz F (Hrsg) Mediatized Worlds: Culture and society in a media age. Palgrave Macmillan, London, S 233–249
Peukert A (2015) Aushandlungen von Paaren zur Elternzeit. Arbeitsteilung unter neuen Vorzeichen? Springer/VS, Wiesbaden
Rogers EM (2003) Diffusion of innovations. Free Press, New York
Röser J (2007) Der Domestizierungsansatz und seine Potenziale zur Analyse alltäglichen Medienhandelns. In: Röser J (Hrsg) MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Springer/VS, Wiesbaden, S 15–30
Röser J (2016) Nichtstandardisierte Methoden in der Medienrezeptionsforschung. In: Averbeck-Lietz S, Meyen M (Hrsg) Handbuch nichtstandardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Springer/VS, Wiesbaden, S 481–497
Röser J, Hüsig, U (2012) Fernsehzeit reloaded: Medienalltag und Zeithandeln zwischen Konstanz und Wandel. medien & zeit 27:35–43
Röser J, Peil C (2010) Diffusion und Teilhabe durch Domestizierung. Zugänge zum Internet im Wandel 1997–2007. Medien und Kommunikationswissenschaft 58:481–502
Röser J, Peil C (2012) Das Zuhause als mediatisierte Welt im Wandel. Fallstudien und Befunde zur Domestizierung des Internets als Mediatisierungsprozess. In: Krotz F, Hepp A (Hrsg) Mediatisierte Welten: Beschreibungsansätze und Forschungsfelder. Springer/VS, Wiesbaden, S 137–163
Röser J, Roth U (2015) Häusliche Aneignungsweisen des Internets: „Revolutioniert Multimedia die Geschlechterbeziehungen?“ revisited. In: Drüeke R, Kirchhoff S, Steinmaurer T, Thiele M (Hrsg) Zwischen Gegebenem und Möglichem. Kritische Perspektiven auf Medien und Kommunikation. transcript, Bielefeld, S 301–314
Röser J, Müller KF, Niemand S, Peil C, Roth U (2017) Medienethnografische Porträts als Auswertungsinstrument: Techniken der kontextsensiblen Rezeptionsanalyse. In: Scheu A (Hrsg) Auswertung qualitativer Daten in der Kommunikationswissenschaft. Springer/VS, Wiesbaden (im Druck)
Silverstone R (2006) Domesticating domestication. Reflections on the life of a concept. In: Berker T, Hartmann M, Punie Y, Ward K (Hrsg) Domestication of media and technology. Open University Press, Berkshire, S 229–248
Silverstone R (2007) Anatomie der Massenmedien. Ein Manifest. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Silverstone R, Haddon L (1996) Design and the domestication of information and communication technologies: Technical change and everyday life. In: Silverstone R, Mansell R (Hrsg) Communication by Design. The politics of information and communication technologies. Oxford University Press, Oxford, S 44–74
Voß GG (1995) Entwicklung und Eckpunkte des theoretischen Konzepts. In: Projektgruppe Alltägliche Lebensführung (Hrsg) Alltägliche Lebensführung. Arrangements zwischen Traditionalität und Modernisierung. Leske und Budrich, Opladen, S 23–43
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Röser, J., Müller, K.F., Niemand, S., Roth, U. (2017). Häusliches Medienhandeln zwischen Dynamik und Beharrung: Die Domestizierung des Internets und die Mediatisierung des Zuhauses 2008–2016. In: Krotz, F., Despotović, C., Kruse, MM. (eds) Mediatisierung als Metaprozess. Medien • Kultur • Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16084-5_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16084-5_7
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-16083-8
Online ISBN: 978-3-658-16084-5
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)