Abschn. 4.1 bietet einen Überblick über das Vorgehensmodell. Abschn. 4.2 stellt die Phase 1 des Vorgehens in Form einer schnellen, aufwandsarmen Validierung vor. Abschn. 4.3 beschreibt die Wirtschaftlichkeitsanalyse als Phase 2.

4.1 Überblick

Dieses Kapitel beschreibt ein Vorgehensmodell, das sowohl die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Investition als auch die Implementierung des 3D-Drucks unterstützt. Dafür wird ein wissenschaftliches Modell als theoretische Fundierung des Vorgehens in der Praxis vorgestellt. Das Vorgehensmodell für die Entscheidungsunterstützung zur Investition in 3D-Druck besteht aus zwei Phasen, um die Effizienz bei der Anwendung zu gewährleisten (vgl. Abb. 4.1). Phase 1 – „Schnelle Validierung“ – analysiert, ob die Markt- bzw. Kundenanforderungen (z. B. Qualität, Lieferzeit) in einem 3D-Druck-Szenario erfüllt werden können. Wenn diese grundlegenden Anforderungen nicht erfüllt werden, ist der Prozess abzubrechen, um so unnötigen Aufwand für weitere Analysen zu vermeiden. Phase 2 – „Dynamischer Geschäftswertbeitrag“ – umfasst die detaillierte Analyse der Werttreiber und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Unternehmenswert durch 3D-Druck.

Abb. 4.1
figure 1

Phasenweiser Entscheidungsprozess

Die Struktur des Modells basiert auf dem Ansatz von Schnetzler et al. [17] zur hierarchischen Trennung von Zielen und Mitteln bei der Entwicklung einer Supply-Chain-Strategie. Dieser Ansatz identifiziert und zerlegt systematisch Werttreiber und verknüpft sie unter Verwendung von Treiberbäumen mit Kosten- bzw. Umsatzelementen. Dadurch werden Ursache-Wirkungszusammenhänge transparent. Die Zerlegung (Dekomposition) erfolgt systematisch von einer hohen (z. B. Geschäftswertbeitrag) zu niedrigeren Ebenen (z. B. Qualitätskosten in der Beschaffung), sodass die Treiber und die daraus resultierenden Elemente Schritt für Schritt operationalisiert und dadurch „greifbar“ werden.

Um die Anwendbarkeit des Modells in der Praxis zu gewährleisten, werden die beiden Phasen des wissenschaftlichen Modells in Tab. 4.1 in pragmatische Schritte zur Implementierung überführt, die in Beratungsprojekten mit Unternehmen erprobt wurden. Dabei ist das schrittweise Vorgehen nicht streng linear zu interpretieren. Vielmehr können sich in der Praxis iterative Schleifen ergeben. Dies resultiert vor allem aus den (tlw. wechselseitigen) Abhängigkeiten zwischen der Auswahl der zu druckenden Objekte, dem Druckverfahrens und der Druckrohstoffe. Beispielsweise bestimmen die qualitativ-technischen Anforderungen der zu druckenden Objekte die infrage kommenden Druckverfahren. Die Festlegung auf ein Druckverfahren wiederum grenzt die am Markt verfügbare Auswahl an Druckrohstoffen ein. Aus der Kombination aus Druckverfahren und -rohstoff resultiert, ob die qualitativ-technischen Anforderungen an das zu druckende Objekt erfüllt werden.

Tab. 4.1 Phasen und Schritte des Vorgehensmodells zur Entscheidung und Implementierung

Bei der Wahl einer geeigneten Nachschubstrategie ist nicht nur zwischen einem konventionellen Fertigungsverfahren und einem 3D-Druckverfahren zu unterscheiden. Beim Vergleich konkurrierender Szenarien ist einerseits die Anschaffung eines eigenen Druckers („Make“, Eigenfertigung) und andererseits die alternative Nutzung von 3D-Druckdienstleistern als Lieferanten („Buy“, externe Beschaffung) zu unterscheiden (vgl. Tab. 4.2).

Tab. 4.2 Nachschubstrategien je Bezugsquelle und Fertigungsverfahren

Die dargestellten Nachschubstrategien sind nicht als einander ausschließend zu verstehen. Ggf. kann sich eine kombinierte Nachschubstrategie im Hinblick auf Kosten- und Risikokriterien als optimal erweisen. Im Falle der Eigenfertigung mittels 3D-Druck muss ein konventionelles Fertigungsverfahren nicht komplett substituiert werden: Teile mit hohen Stückzahlen und relativ stabiler Nachfrage („Renner“) können weiterhin konventionell z. B. mittels Spritzgussverfahren produziert werden. Teile mit kleinen Stückzahlen je Variante und diskontinuierlicher Nachfrage („Exoten“) oder kundenindividuelle Produkte hingegen werden mittels 3D-Druck gefertigt.

Alternativ kann sich eine „Make-and-Buy“-Strategie als günstig erweisen, d. h. die gleichen Objekte werden sowohl intern in Eigenfertigung hergestellt als auch extern von Lieferanten beschafft. Dabei sind eigene Kapazitäten nicht für alle denkbaren Produktvarianten und Nachfragespitzen vorzuhalten, da die Kapazität des Lieferanten bei Bedarf in Anspruch genommen wird. Dies ermöglicht es Unternehmen, schnell und flexibel auf unerwartete Nachfrageschwankungen und kundenindividuelle Anforderungen zu reagieren, ohne die entsprechenden Fixkosten bzw. das Auslastungsrisiko tragen zu müssen.

Abschn. 4.2 erläutert zunächst die schnelle Validierung (Phase 1). Darauf aufbauend beschreibt Abschn. 4.3 die Ermittlung des Geschäftswertbeitrags (Phase 2).

4.2 Phase 1: Schnelle Validierung

Die Phase 1 beleuchtet im Rahmen einer ersten Prüfung die Markt- bzw. Kundenanforderungen auf Basis des „Sandkegel“-Modells (vgl. Abb. 4.2), welches von Ferdows und De Meyer [64] für die Produktion entwickelt wurde in Anlehnung an [17]. Der Aufbau von Fähigkeiten sollte mit der Qualität starten, sich dann der Lieferzuverlässigkeit und -geschwindigkeit widmen, um sich schließlich auf die Kosten bzw. die Kosteneffizienz zu konzentrieren [64]. Es erscheint sinnvoll, die Erkenntnisse zu verallgemeinern und auf die gesamte Supply Chain anzuwenden [65].

Abb. 4.2
figure 2

(Quelle: In Anlehnung an [64])

Sandkegel-Modell.

Die Reihenfolge der Analyse in Abb. 4.1 ist eine zeitlich-logische Abfolge im Hinblick auf die Reihenfolge von Entscheidungen [66, 67]. Dies bedeutet nicht, dass z. B. der Qualität eine höhere Priorität als den Kosten zugeordnet werden sollte, sondern dass es keinen Sinn macht, die Investition in 3D-Druck weiter zu analysieren, wenn bereits die Kundenanforderungen in Bezug auf Qualität nicht erfüllt werden. Nur wenn das 3D-Druck-Szenario gegenüber den konkurrierenden Szenarien (z. B. ein konventionelles Fertigungsverfahren, externe Beschaffung) in allen vier Bereichen als vorteilhaft erachtet wird, sollte Phase 2 der Analyse (Geschäftswertbeitrag über den gesamten Lebenszyklus) begonnen werden.

Zuerst muss ein Mindestmaß an (1) Qualität sichergestellt werden, um überhaupt Kunden zu gewinnen. Qualität wird als der Erfüllungsgrad von Ansprüchen bezüglich der Qualität von Produkten und Prozessen definiert, d. h., die möglichst geringe Abweichung von den Qualitätsanforderungen [68]. Qualität bildet den Unterbau für die Lieferzuverlässigkeit der Supply Chain [69]. Diese Zuverlässigkeit ist wiederum die Voraussetzung für Flexibilität und letztlich die Kosteneffizienz [17].

Die Unternehmen der empirischen Studie bestätigten, dass das Einhalten der Qualitätsanforderungen der wichtigste Faktor bei der Investitionsentscheidung sei. Diese Qualitätsanforderungen lassen sich nach externen Kundenanforderungen und interner Technologie- bzw. Prozessfähigkeit unterscheiden. Beispielhafte Anforderungen an das Werkstück sind unter der Maßgabe exakter Reproduzierbarkeit bei größerer Stückzahl: Mechanische Eigenschaften (auch im Systemverbund), Maßhaltigkeit der Dimensionen (Toleranzen), Oberflächenbeschaffenheit, Temperaturbeständigkeit, minimale bzw. maximale Größe des Objekts (Bauraum des Druckers), Dosierungsgenauigkeit (Materialmenge), Isolationseigenschaften, Verbundwirkung mit anderen Komponenten (z. B. Lacke, Kleber), Vermeidung unerwünschter Hohlräume, Wechselwirkung mit Füllgut (z. B. Lebensmittelverträglichkeit), Nachverfolgbarkeit durch versteckte Merkmale, Witterungsbeständigkeit und Entflammbarkeit der gedruckten Objekte.

Die Unternehmen der Lebensmittelbranche hoben weitere Anforderungen hervor: Die Lebensmittelverträglichkeit des eingesetzten Materials, die Textur des gedruckten Objekts und die Reinigungsfähigkeit des Druckers, um hygienische Anforderungen zu erfüllen, z. B. gemäß des International Featured Standard Food (IFS). Die Gelierung der einzelnen Schichten bestimmt die Stabilität des gesamten Produkts, sodass die Zeitgenauigkeit des Drucks entscheidend für die schichtweise „Verfestigung“ der Rohstoffe ist. Insbesondere Vorschriften bzgl. Clean-in-Place (CIP) [69] stellen eine große Hürde für einen breiteren Einsatz des 3D-Drucks in der Lebensmittelindustrie dar. Diese erfordern, dass alle innen liegenden Oberflächen der Produktionsanlagen von der produktbedingten Verschmutzung gereinigt werden, ohne die Anlage zu demontieren.

Wenn die Qualitätsanforderungen nicht in ausreichendem Maße erfüllt werden, ist eine Investition in 3D-Druck abzulehnen.

Eine unabdingbare Voraussetzung für eine stichhaltige Prüfung der qualitativ-technischen Anforderungen ist die vorherige Auswahl der Druckrohstoffe und der Druckverfahren, da sich sowohl die Materialeigenschaften als auch die Reifegrade bzw. qualitativ-technischen Merkmale der Druckverfahren signifikant unterscheiden.

Sobald eine gleichbleibende Qualität gesichert ist, ist die (2) Lieferzuverlässigkeit in einem 3D-Druck-Szenario zu untersuchen. Lieferzuverlässigkeit ist als die Einhaltung geplanter Liefertermine (Pünktlichkeit) definiert und kann durch kurze Prozesszeiten mit niedrigen Schwankungen erzielt werden [16, 70]. Daher sollte ein Unternehmen die (3) Geschwindigkeit und Flexibilität mit 3D-Druck erst analysieren, wenn ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit gewährleistet ist. Die Geschwindigkeit bzw. Lieferzeit bestimmt sich durch Lagerbestände und Durchlaufzeiten in Planung, Beschaffung, Produktion und Distribution [16, 18]. Flexibilität ist die Fähigkeit, Veränderungen und Unsicherheiten in Bezug auf Kundenanforderungen und eigene Kapazitäten erfolgreich zu begegnen [18]. Hohe Flexibilität ist durch qualitativ anpassungsfähige und quantitativ skalierbare Kapazitäten und Prozesse zu erreichen [17].

Abschließend ist eine erste (4) Kostenschätzung des 3D-Drucks vorzunehmen und mit konkurrierenden Szenarien zu vergleichen. Dies umfasst sowohl die Anschaffungs- als auch die Betriebskosten. In Phase 1 sollten Kosten nur grob geschätzt werden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen zu erzielen bzw. eine „Analyse-Paralyse“ zu vermeiden. Um einen Näherungswert zu berechnen, sollte die Schätzung auf die Anschaffungskosten (bzw. Abschreibungen) für den Drucker und die Stückkosten für die Produktion (z. B. Einsatzmenge der Druckrohstoffe, Energieverbrauch) begrenzt werden. Für die differenzierte Wirtschaftlichkeitsanalyse in Phase 2 sind Kostentreiber auf detaillierterer Ebene in allen Supply-Chain-Prozessen zu berücksichtigen.

Unternehmen der Automobil- und Elektronikindustrie haben auf die begrenzten Einsparpotenziale von 3D-Druck im Vergleich zu konventionellen Fertigungsverfahren hingewiesen, wenn es bereits (a) ein hohes Maß an Gleichteileverwendung innerhalb des Produktportfolios gibt (z. B. Standardisierung auf Basis von Plattformkonzepten oder Baukasten- bzw. Modulbauweise, die das Konzept der kundenindividuellen Massenproduktion unterstützen) oder (b) eine hohe Prognosegenauigkeit besteht, die z. B. hohe Skaleneffekte für generische Module, Rahmenverträge mit Lieferanten und fortschrittliche Logistikkonzepte ermöglicht.

Die vorherigen Ausführungen haben die theoretische Basis des Modells in Phase 1 dargestellt. Für die konkrete Umsetzung in die Praxis empfiehlt sich ein Etappenplan in sechs Schritten, der die Inhalte des theoretischen Modells in handhabbare Arbeitspakete für die Entscheidungsfindung bzw. Implementierung überführt (vgl. Tab. 4.1).

Diese sechs Schritte werden im Folgenden detailliert erläutert:

Schritt 1: Technologie Know-how etablieren

Schritt 2: Unternehmensspezifische Kriterien für Teile-, Verfahrens- und Druckmaterial-Auswahl definieren

Schritt 3: Teile, Verfahren und Druckmaterial auswählen

Schritt 4: Test-Charge als Pilot drucken

Schritt 5: Teile testen und freigeben

Schritt 6: Kosten (grob) schätzen

Etappenplan für die Praxis in fünf Schritten

Schritt 1: Technologie-Know-how etablieren

Technische Kompetenz und Marktüberblick zu Verfahren und Materialien kann z. B. durch den Besuch von Messen oder Schulungen und Demonstrationen bei Dienstleistern und Herstellern erworben werden.

Schritt 2: Unternehmensspezifische Kriterien für Teile-, Verfahrens- und Druckmaterial-Auswahl definieren

Eine große Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass tlw. wechselseitige Abhängigkeiten zwischen der Auswahl der (a) zu druckenden Objekte, (b) des Druckverfahrens und (c) der Druckmaterialien bestehen. Bspw. bestimmen die qualitativ-technischen Anforderungen der zu druckenden Objekte die infrage kommenden Druckverfahren (vgl. Schritt 2b: Verfahrensauswahl-Matrix, VAM). Die Festlegung auf ein Druckverfahren wiederum grenzt die am Markt verfügbare Auswahl druckbarer Materialien ein. Aus der Kombination aus Druckverfahren und -material resultiert wiederum, ob die qualitativ-technischen Anforderungen an das zu druckende Objekt erfüllt werden. Somit müsste die Entscheidung über Objekte, Druckverfahren und -materialien simultan getroffen werden. Da dies in der Praxis nicht möglich ist, schlagen die Autoren den im Folgenden schrittweisen Ansatz mit iterativen Schleifen vor:

Schritt 2a) Kriterien für die Vorauswahl geeigneter Teile bzw. Produkte

Aus der Gesamtheit aller Teile bzw. verkaufsfähiger Produkte, die auf Eignung für 3D-Druck zu untersuchen sind, ist quasi mit einem „virtuellen Sieb“ eine Vorauswahl für die weitere Analyse zu treffen. Im Rahmen von Beratungsprojekten mit Unternehmen haben sich die folgenden „Sieb“-Kriterien als erste Näherung zur Einschränkung des Suchraums bewährt (vgl. Tab. 4.3). Diese Filterkriterien lassen sich in technische, nachfrage-, beschaffungs- und produktionsseitige Kriterien differenzieren:

Tab. 4.3 Kriterien für die Vorauswahl geeigneter Teile bzw. Produkte

In der Praxis hat sich eine schrittweise Kombination der Kriterien bewährt, um den Suchraum für geeignete Teile bzw. Objekte sukzessiv einzugrenzen. Hierzu können die verschiedenen in der Literatur und Praxis etablierten numerischen (z. B. Scoring-Modell), verbalen (z. B. Checklistenverfahren) und grafischen (z. B. Profilanalyse) Bewertungsverfahren angewendet werden. Insbesondere die Portfolio-Analyse bietet eine schnelle Orientierung (vgl. Abb. 4.3). Aus der Position der Produkte in der Portfolio-Matrix wird die Eignung für 3D-Druck abgeleitet. Nach einer solchen ersten Klassifizierung sind für die Auswahlentscheidung die weiteren Schritte zu durchlaufen.

Abb. 4.3
figure 3

Kombination der Selektionskriterien für die Auswahl geeigneter Objekte für 3D-Druck

Schritt 2b) Verfahrensauswahl-Matrix (VAM)

Um das Suchfeld bei der Auswahl eines geeigneten Druckverfahrens einzuschränken, bieten die Verfahrensauswahl-Matrix (VAM) einen Überblick über die Ausprägungen relevanter Auswahlkriterien je Druckverfahren (Tab. 4.4 und 4.5). Die VAM basiert in ihrer Struktur tlw. auf [6], wurde aber wesentlich erweitert und aktualisiert auf Basis von Experteninterviews der FH Münster, insbesondere in Zusammenarbeit mit dem 3D-Druckdienstleister Urbanmaker.

Tab. 4.4 Verfahrensauswahl-Matrix (VAM) – Teil 1
Tab. 4.5 Verfahrensauswahl-Matrix (VAM) – Teil 2

Ob die qualitativen Anforderungen an das zu druckende Werkstück erfüllt werden, hängt einerseits vom verwendeten Material ab, andererseits vom gewählten Druckverfahren. Insofern können beide Faktoren nicht isoliert voneinander betrachtet werden, sondern müssen gemeinsam analysiert werden. Aufgrund der Vielzahl der am Markt verfügbaren Kombinationen von Material, Druckverfahren und Drucker-Hersteller ist eine fachkundige Beratung durch einen Dienstleister empfehlenswert.

Schritt 2c) Kriterien für die Auswahl der Druckmaterialien

Im Rahmen der branchenübergreifenden Studie der FH Münster sind exemplarisch branchenübergreifende Kriterien identifiziert worden wie z. B. mechanische Eigenschaften und Oberflächenbeschaffenheit. Branchenspezifische Kriterien grenzen den Suchraum nach geeigneten Druckmaterialien weiter ein, bspw. in der Elektronik- oder Halbleiter-Industrie elektrische Leitfähigkeit bzw. Isolationseigenschaften, ESD-Sicherheit, Ausgasungsfreiheit oder Korrosionsbeständigkeit. Entscheidend für die Produktqualität sind vor allem produktspezifische Anforderungen. Diese Anforderungen sind gemeinsam mit Verantwortlichen in Entwicklung, Produktion, Einkauf und Qualitätsmanagement für einzelne Produkte bzw. Produktfamilien zu erheben.

Schritt 3: Teile, Verfahren und Druckmaterial auswählen

Auswahl auf Basis der in Schritt 2 abgeleiteten Kriterien. Für ein Pilot-Projekt sollte die Selektion der Testobjekte repräsentativ sein im Hinblick auf die Variantenkomplexität bzw. die technischen Anforderungsprofile. Risiko-Analysen, sowohl hinsichtlich der Qualität des Objekts (z. B. Aspekte der Produkthaftung) als auch des Nachschubrisikos in der Supply Chain (z. B. Substitutions-Szenarien), sollten diesen Schritt ergänzen.

Schritt 4: Test-Charge als Pilot drucken

Erzeugung des Objekts für den Test in Schritt 5. Ebenso sind Daten über reale Kosten und Zeiten als Basis für die differenzierte Wirtschaftlichkeitsanalyse (vgl. Phase 2 in Abschn. 4.3) zu erheben.

Schritt 5: Teile testen und freigeben

Dies umfasst im Rahmen der Prüfung technischer Qualitätsmerkmale einen Funktions- und Materialtest.

Bei Komponenten bzw. Modulen ist ebenso der „Fit“ zum Gesamtsystem in Form eines Integrationstests zu prüfen.

Schritt 6: Kosten (grob) schätzen

Elemente der Schätzung sind z. B. die Anschaffungskosten des Druckers und die Stückkosten der Produktion (Materialeinsatz, Energieverbrauch).

Eine differenzierte Wirtschaftlichkeitsanalyse (Phase 2) sollte erst durchgeführt werden, wenn diese sechs Schritte erfolgreich durchlaufen wurden, um den Aufwand für die Datenerhebung und -analyse zu reduzieren.

4.3 Phase 2: Differenzierte Wirtschaftlichkeitsanalyse auf Basis des Geschäftswertbeitrags

Um die Wertorientierung des Ansatzes zu gewährleisten, basiert Phase 2 auf dem Konzept des Geschäftswertbeitrags (Engl. Economic Value Added, EVA), einer etablierten Methode zur Wertmessung [20]. EVA ist ein Maß für wirtschaftlichen Gewinn (nicht buchhalterischen Gewinn) und wird als die Differenz zwischen dem Geschäftsergebnis nach Steuern (NOPAT) und den Kapitalkosten definiert, welche wiederum vom gesamten investierten Kapital und dem gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatz (WACC) abhängen [18, 20]. EVA betont die Fähigkeit eines Unternehmens, in der Zukunft Gewinne zu erwirtschaften, besser als andere Methoden. Obwohl formal vergleichbar mit dem Kapitalwert (NPV) [71], hat EVA den Vorteil, dass es aufzeigt, wie viel Wert in den einzelnen Jahren der Prognose zum eingesetzten Kapital hinzugefügt wird [23]. Somit unterstützt EVA die dynamische Perspektive der Wirtschaftlichkeitsanalyse für Investitionen in 3D-Druck.

Um die Relevanz für das Supply Chain Management zu gewährleisten, basiert die übergreifende Struktur des Modells auf dem Ansatz, den Schnetzler et al. [15] für die Entwicklung einer Supply-Chain-Strategie vorgestellt haben. Beim Supply Chain Management ist das Ziel des EVA-Konzepts – die Wertschöpfung bzw. den Geschäftserfolg zu maximieren – über Werttreiber umzusetzen. Eine Investition in 3D-Druck ist mit dem gleichen Ansatz zu bewerten.

Die Werttreiber der Supply Chain werden nach dem EVA-Konzept identifiziert und dann weiter systematisch nach Zielbereichen des Supply Chain Managements aufgespalten (vgl. Abb. 4.4): (2.1) Kosten (Ziel: niedrige operative Kosten), (2.2) Aktiva der Bilanz (Ziel: geringe Kapitalbindung in Aktiva wie Anlage- und Umlaufvermögen) und (2.3) Umsatz (Ziel: hoher Umsatz). Diese Ziele tragen zur Erhöhung des EVA bei: Höheres Umsatzvolumen und geringere Betriebskosten führen zu höheren Profiten. Aus einem reduzierten Umlaufvermögen resultieren niedrigere Kapitalkosten. Ein hohes Service-Level in der Logistik, definiert durch Liefertermintreue und Lieferzeit, ist ein Hebel im Supply Chain Management, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und so den Umsatz zu steigern [16, 17].

Abb. 4.4
figure 4

Struktur der Phase 2: Wirtschaftlichkeitsanalyse auf Basis des Geschäftswertbeitrags (Economic Value Added)

Für die (2.1) Kosten folgt die Zerlegung den Supply-Chain-Prozessen des Supply Chain Operations Reference Model (SCOR): Beschaffung, Produktion, Distribution, Retouren (source, make, deliver, return) [27]. Die jeweiligen Plan-Prozesse gem. SCOR wurden zwecks besserer Verständlichkeit unter die vorgenannten Prozessbereiche subsumiert. Im Folgenden wird die Unterteilung der Prozesse auf der Grundlage von Prozessaktivitäten detaillierter erläutert, um die relevanten Werttreiber auf operativer Ebene zu identifizieren.

Im Bereich der Kosten stützt sich das Analyse-Raster auf das Konzept Total Cost of Ownership (TCO), nach dem alle quantifizierbaren Kosten, die während des gesamten Lebenszyklus eines Objektes entstehen, zu berücksichtigen sind [72]. Im Vergleich zum traditionellen Ansatz der Lebenszykluskosten ist TCO breiter angelegt und umfasst die gesamte Supply Chain [73]. Seit den frühen 1990er Jahren haben zahlreiche Autoren die Anwendung des TCO-Konzepts auf den Einkauf vorgeschlagen (z. B. [73–77]). Diese Studie nutzt die TCO-Philosophie, um die Kostenwirkungen des 3D-Drucks in der gesamten Supply Chain mit konventionellen Fertigungsverfahren zu vergleichen. Ein TCO-basiertes Modell für Entscheidungen über Investitionen in 3D-Druck muss im Sinne einer dynamischen Investitionsrechnung alle Kosten berücksichtigen, die über den gesamten Lebenszyklus der Investition entstehen können (vgl. Abb. 4.5). Daher sind die Wirkungen der (2.2) Aktiva in der Bilanz auf den Geschäftswertbeitrag sowohl durch Änderungen des Anlagevermögens (z. B. 3D-Drucker, Equipment zum Testen oder zur Oberflächenbehandlung) als auch durch Änderungen des Umlaufvermögens (z. B. Vorräte an Rohstoffen, Betriebsstoffe und Fertigerzeugnissen) zu untersuchen. Werttreiber des Umlaufvermögens sind u. a. Änderungen der Losgrößen und Bestellfrequenz in einem 3D-Druck-Szenario [78]. Die Werttreiber für den (2.3) Umsatz folgen dem Konzept des Sandkegel-Modells aus Phase 1 (vgl. Abschn. 4.2).

Abb. 4.5
figure 5

Dynamischer Ansatz des Geschäftswertbeitrags über den Lebenszyklus

(2.1)Kosten

Um die Auswirkungen auf die operativen Kosten in einem 3D-Druck-Szenario pro Prozessbereich der Supply Chain zu bewerten, wurde ein schrittweises Vorgehen gewählt (vgl. Tab. 4.6). Im ersten Schritt wurden die Kostentreiber pro Prozessaktivität identifiziert. Ein Kostentreiber (Bezugsgröße) ist jeder Faktor, der eine Änderung der Kosten für eine Aktivität verursacht [79]. Um diese Ursache-Wirkung-Beziehungen zu identifizieren, wurden alle relevanten Supply-Chain-Prozesse modelliert und analysiert. Geschäftsprozessmodelle haben sich sowohl zur Wissensvermittlung als auch als Grundlage für Informationssammlung und -analyse bewährt [1].

Tab. 4.6 Schrittweises Vorgehen zur Analyse der Kostentreiber je Kosten-Element

Im zweiten Schritt wurde mittels Szenario-Analyse (mit versus ohne 3D-Druck) die Richtung des Einflusses je Kostentreiber bestimmt (Steigerung bzw. Abnahme der Bezugsgrößen). Als Beispiel dient die Bestellhäufigkeit: Die Anzahl der Bestellvorgänge für Rohstoffe sinkt in einem 3D-Druck-Szenario, weil eine begrenzte Anzahl an Druckrohstoffen (z. B. eine Sorte Kunststoffgranulat in Big Bags von einem Lieferanten) von einer begrenzten Anzahl von Lieferanten beschafft wird – im Vergleich zur Beschaffung einer größeren Anzahl vorgefertigter Teile verschiedener Lieferanten in einem Szenario ohne 3D-Druck. Dadurch sinken u. a. sowohl die Personalkosten für Bestellung und Wareneingang als auch die Eingangsfrachtkosten. Im dritten Schritt wurden die Kostentreiber nach dem Kriterium des Ausmaßes der Kostenwirkung priorisiert, d. h., es wurden diejenigen Kostentreiber identifiziert, die den Großteil der Kostenwirkungen bei Nutzung des 3D-Drucks erklären.

Entsprechend des o. g. Vorgehens werden alle Supply-Chain-Prozesse – Beschaffung, Produktion, Distribution, Retouren – weiter zerlegt. Dieses Prinzip der Dekomposition wird wiederholt angewendet, bis ein ausreichendes Maß an Detailtiefe und Konkretisierung erreicht wird, um eine Entscheidung über die Investition zu treffen. Das Konzept des Geschäftswertbeitrags stellt den Fokus auf die Wertschöpfung bzw. die Steigerung des Unternehmenswerts sicher. Über die Prozesse des SCOR-Modells [27] werden die Geschäftsprozesse mit ihren Wert- bzw. Kostentreibern verbunden [17].

Bevor die Kostentreiber analysiert werden, muss das Unternehmen eine Entscheidung über den Standort des 3D-Drucks im Netzwerk treffen. Dies gilt für die ganze Supply Chain (z. B. in einem Werk, in einem Distributionszentrum oder beim Kunden vor Ort) als auch für eine Entität innerhalb der Supply Chain (z. B. auf dem Shopfloor oder im Versandbereich innerhalb eines Werks). Zudem müssen die Entscheidungen über die zu druckenden Teile bzw. Produkte, das geeignete 3D-Druckverfahren und die daraus resultierenden Druckrohstoffe vorab getroffen werden (vgl. Phase 1 in Abschn. 4.2). Sowohl die Stärke als auch die Richtung der Kostenwirkungen werden durch die obigen Entscheidungen determiniert.

Die folgenden Abschnitte beleuchten die einzelnen Supply-Chain-Prozesse in (2.1.1) Beschaffung, (2.1.2) Produktion, (2.1.3) Distribution und (2.1.4) Retouren, um die für den 3D-Druck relevanten Wert- bzw. Kostentreiber zu identifizieren und ihre monetären Auswirkungen abschätzen zu können.

(2.1.1) Kostenwirkungen im Beschaffungsprozess (Source)

Der Beschaffungsprozess beinhaltet die Bestellung (oder Planung von Lieferungen) sowie den Empfang von Waren und Dienstleistungen. Dies umfasst als Prozessaktivitäten das Auslösen der Bestellungen bzw. das Planen der Lieferungen, die Entgegennahme, die Prüfung und die Lagerung der Waren und die Zahlung der Rechnung des Lieferanten [27]. Auf Basis des SCOR-Modells und ergänzendem Input der an der Studie beteiligten Unternehmen wurde der Beschaffungsprozess zur Identifizierung relevanter Kostentreiber unterteilt in (1) Materiallieferung planen und bestellen, (2) Lieferung empfangen, (3) Lieferung prüfen, (4) Lieferung transferieren (Staging) und (5) Zahlung anweisen (vgl. Abb. 4.6) [80].

Abb. 4.6
figure 6

Beschaffungsprozess und Kostentreiber

Die beteiligten Unternehmen erachteten die Prozessaktivitäten (2) bis (5) hinsichtlich ihrer Kostenänderungen bei 3D-Druck als irrelevant. Dem Teilprozess „Materiallieferung planen und bestellen“ hingegen wurde die größte Wirkung auf die Beschaffungskosten zugeschrieben (in Abb. 4.6 durch fetten Rahmen hervorgehoben). Dieser Teilprozess umfasst die Planung und Ausführung der einzelnen Lieferungen zu einem bestehenden Vertrag bzw. einer Bestellung. Die Freigaben werden mittels eines detaillierten Beschaffungsplans oder anderer Arten von Bedarfssignalen ausgelöst [27].

Wesentliche Kostentreiber des Teilprozesses „Materiallieferung planen und bestellen“ sind „Anzahl der Bestellungen“, „Anzahl der Lieferanten“, „Einfluss des Herkunftslandes“ und „Grad an Planungssicherheit“. Vor allem der letzte Punkt scheint einen dominanten Einfluss auf die Beschaffungskosten zu haben, und zwar unabhängig von der Branchenzugehörigkeit eines Unternehmens. „Planungssicherheit“ bezieht sich einerseits auf die Genauigkeit von Nachfrageprognosen und andererseits auf die Vorhersagegenauigkeit im Hinblick auf die Dauer des Lebenszyklus eines Produkts bzw. die Beschaffung der damit verbundenen Materialien. Bei Nutzung des 3D-Drucks steigt die Planungssicherheit signifikant an: Anstatt eine Vielfalt unterschiedlicher Materialien (z. B. viele Varianten von Kunststoffkomponenten) zu planen und prognostizieren, muss nur eine begrenzte Anzahl an Druckrohstoffen geplant werden (z. B. wenige Arten Druckrohstoffe, aus der eine Vielzahl an Teile-Varianten gedruckt werden kann). Dies führt zu einem geringeren Planungsaufwand.

Die Prognosegenauigkeit für die Druckrohstoffe (z. B. Big Bags mit generischem Kunststoffgranulat für 3D-Druck) ist höher als für einzelne, extern bezogenen Teile („Gesetz der großen Zahlen“). Dadurch reduzieren sich sowohl die Lagerhaltungskosten (Handling, Kapitalkosten, Infrastruktur) als auch die Fehlmengenkosten. Der Rückgang der Fehlmengenkosten ist vor allem durch seltenere Frachtkosten-Zuschläge bedingt: Diese fielen bei konventioneller Fertigung für das Beschleunigen eingehender Lieferungen an, um den Produktionsplan einzuhalten bzw. Produktionsstillstand oder Vertragsstrafen zu vermeiden. Zudem ändern sich die Frachtkostenanteile je Verkehrsmittel: Der Anteil der (teuren) Luftfracht für schnelle Transporte verlagert sich auf (günstigere) Beförderungsarten wie Schiene, Straße oder Wasser, da weniger eingehende Sendungen (ungeplant) durch Wahl eines teureren Verkehrsmittels beschleunigt werden müssen. Der geringere Bedarf an Eilsendungen resultiert ebenso aus der höheren Flexibilität in der Produktion bei 3D-Druck.

Die Verschrottungskosten für Materialien abgemeldeter Produkte (end-of-life) sinken, da keine Notwendigkeit großer Bestände an spezifischen Komponenten besteht, wenn bei Bedarf etwas gedruckt werden kann. Dies gilt ebenso für vertragliche Verpflichtungen zum Kauf von Restmengen der Materialien beim Lieferanten. Außerdem verringern sich die Werkzeugkosten bei Lieferanten (z. B. für Gussformen) durch eine Reduzierung der Anschaffungs- und Abschreibungskosten sowie der Verschrottungskosten am Ende der Nutzungsdauer.

Darüber hinaus reduziert sich die „Anzahl der Lieferanten“ bei der Nutzung von 3D-Druck (z. B. Beschaffung von Kunststoffgranulat in Big Bags als Druckrohstoff von einer begrenzten Anzahl an Lieferanten im Vergleich zur Beschaffung einer größeren Variantenvielfalt an Einzelkomponenten von einer Vielzahl Lieferanten). Somit bietet 3D-Druck Einsparungspotenziale bei den Personalkosten im administrativen Bereich. Einschränkend ist anzumerken, dass für Unternehmen der Prozessindustrie (hier: Kunststoff, Lebensmittel) nur eine begrenzte Auswirkung auf die Beschaffungskosten identifiziert wurde, da konventionelle Fertigungsverfahren in diesen Branchen durch ähnliche Eigenschaften wie 3D-Druck gekennzeichnet sind: Rohstoffe werden in Silofahrzeugen oder Big Bags von einer vergleichbar großen Lieferantenbasis bei ähnlichem Nachfragemuster beschafft.

Bei internationaler Beschaffung kann die Nutzung des 3D-Drucks über den Treiber „Herkunftsland“ positive Einflüsse auf die Kostenelemente ausüben. Zum Beispiel verringern sich die Einfuhrzölle, wenn für den lokalen 3D-Druck digitale 3D-Daten statt physischer Güter beschafft werden. Darüber hinaus entfällt bei lokalem 3D-Druck ggf. die Notwendigkeit für Logistikkonzepte, um zollrechtliche Anforderungen an den Anteil lokal beschaffter Materialien bzw. lokal erfolgter Wertschöpfung (local content) zu erfüllen (z. B. Complete Knock Down (CKD) in der Automobilindustrie, bei dem ein nicht vollständig hergestelltes Fahrzeug in Form von Einzelteilen und Baugruppen importiert wird und erst im Import- bzw. Absatzland zu einem fahrfähigen Fahrzeug montiert und verkauft wird). Dies reduziert signifikant die Prozess- und Zollkosten. Zudem können durch lokalen 3D-Druck Handelsbarrieren umgangen werden. Beide Effekte lassen sich ohne den alternativen Aufbau eines Werks im Absatzmarkt oder einer lokalen Lieferantenbasis realisieren.

Insgesamt verringern sich die Beschaffungskosten bei Einsatz des 3D-Drucks. Allerdings scheint die Höhe der Kostenwirkungen branchenübergreifend stark vom Standardisierungsgrad der Produkte abzuhängen. Als Indikator für den Standardisierungsgrad können z. B. das Ausmaß der Verwendung gemeinsamer Komponenten oder Rohstoffe in vielen Produkten des Portfolios (sog. Gleichteileverwendung) und der Durchdringungsgrad von Plattformkonzepten, modularer Produktbauweise (Baukasten-Prinzip) oder Postponement dienen: Je höher der Reife- bzw. Durchdringungsgrad der o. g. Konzepte, desto höher ist der Standardisierungsgrad der Produkte und desto geringer ist die Wirkung der Kostentreiber auf die Beschaffungskosten beim Einsatz von 3D-Druck (Abb. 4.7).

Abb. 4.7
figure 7

Kostenwirkungen im Beschaffungsprozess

(2.1.2) Kostenwirkungen im Produktionsprozess (Make)

Der Produktionsprozess umfasst die Aktivitäten, die für Umwandlung von Materialien oder die Erstellung von Inhalten für Dienstleistungen erforderlich sind (auch als Fertigung oder Herstellung bezeichnet). Dabei wird das Ziel verfolgt, den Wert von Gütern durch Mischen, Trennen, Umformen, mechanisches Bearbeiten oder chemische Prozesse zu erhöhen [27]. Die Erweiterung des SCOR-Modells um spezifische Aktivitäten des 3D-Drucks führt zu den Teilprozessen (1) Produktion planen, (2) Material freigeben, (3) Vorbereitung durchführen, (4) Herstellung, (5) Nachbereitung durchführen, (6) Produkt testen, (7) Produkt verpacken, (8) Freigabe und Bereitstellung des Produktes für den Versand und (9) Abfall beseitigen (vgl. Abb. 4.8 und 4.9). Für eine einführende Darstellung der Schritte eines 3D-Drucks vgl. Tab. 2.2 in Abschn. 2.1.

Abb. 4.8
figure 8

Produktionsprozess und Kostentreiber – Teil 1

Abb. 4.9
figure 9

Produktionsprozess und Kostentreiber – Teil 2

Als wesentliche Prozessschritte hoben die Unternehmen der Studie die Teilprozesse (4) Herstellung, (5) Nachbereitung durchführen und (9) Abfallentsorgung hervor. Der Teilprozess (3) Vorbereitung der Produktion hat vor allem bei der Implementierung des 3D-Drucks eine große Kostenwirkung, wenn dreidimensionale digitale Produktdaten nicht verfügbar sind. In diesem Fall ist das Generieren des digitalen Modells über CAD-Software oder Scanning ein einmaliger Kostenfaktor. Auch bei vorhandenen digitalen 3D-Daten müssen diese für den 3D-Druck bearbeitet werden (z. B. Konvertierung in STL-Datei, Slicing und Meshing). Vorbereitende Aktivitäten im operativen Betrieb dienen z. B. der Einrichtung der räumlichen Orientierung des Objekts, der optimalen Ausnutzung des Bauraums beim parallelen Druck mehrerer Objekte oder dem Vorheizen des Druckers.

Der Teilprozess (4) Herstellung umfasst die Aktivitäten, die mit dem beschafften bzw. prozessinternen Produkt durchgeführt werden, um es aus dem rohen oder halb fertigen Zustand in einen Zustand der Fertigstellung und einer höheren Wertschöpfungsstufe zu konvertieren [27]. Die befragten Unternehmen betonten die Bedeutung der folgenden Kostentreiber: Die Materialkosten pro Stück (bestimmt durch Materialpreis und Menge), die Anzahl der Montageschritte (bzw. Montagezeit pro Stück), die Anzahl der Umrüstungen (bzw. die Rüstzeit pro Produktwechsel) und die Kapazitätsauslastung der Anlage. Es sei kritisch angemerkt, dass die individuellen Rahmenbedingungen der Unternehmen (Nachfrage, Produkte etc.) der Studie nur bedingt für den 3D-Druck in anderen Unternehmen übertragbar sind. Die Kostenwirkungen der o. g. Treiber hängen stark vom Druckverfahren, den Spezifika des eingesetzten Druckers, den verwendeten Druckmaterialien und der Geometrie des Werkstücks ab. Dennoch lassen sich Erkenntnisse in Form der folgenden Tendenzaussagen aus der empirischen Studie ziehen.

Die Anzahl der Montageschritte sinkt (mit entsprechender Wirkung auf Fertigungszeit und Lohnkosten), da Teile, die sonst ggf. über mehrere Schritte konventionell montiert würden, beim 3D-Druck in einem Zug gedruckt werden (nicht relevant für Unternehmen der Prozessindustrie). Dies gilt insbesondere für Produkte mit komplexer Geometrie. Diese Einsparpotenziale können jedoch (über)kompensiert werden, falls beim 3D-Druck neue Prozessschritte wie Oberflächenbehandlung hinzukommen, die im Szenario ohne 3D-Druck beim externen Lieferanten lägen. Ein Unternehmen aus der Kunststoffindustrie berichtet von erheblichen Lohnkosteneinsparungen, indem die Anzahl der Prozessschritte von zehn bei Einsatz einer CNC-Maschine auf nur drei Prozessschritte bei Nutzung eines 3D-Druckers reduziert wurde.

Beim 3D-Druck werden die Materialkosten pro Stück vom Preis und der eingesetzten Menge bestimmt. Da beide Kostenfaktoren stark von den Qualitätsanforderungen, dem Druckverfahren und dem gewählten Druckmaterial abhängen, lässt sich keine allgemeingültige Aussage über die Kosteneffekte ableiten. Jedoch scheint sich die benötigte Menge pro Stück für eine Vielzahl von Anwendungen zu verringern: Zum einen wird bei der additiven Fertigung nur genau die Materialmenge verwendet, die benötigt wird, um das digitale Modell Schicht für Schicht zu einem physischen Objekt aufzubauen. Dadurch ist der Materialeinsatz niedriger als bei subtraktiven Fertigungsverfahren wie z. B. Drehen oder Fräsen, die Material abtragen, um ein massives Werkstück zu formen. Zum anderen lassen beim 3D-Druck Objekte mit einer wabenartigen Innenstruktur mit Hohlräumen drucken, wodurch sich nicht nur der Materialeinsatz, sondern auch das Gewicht des Objekts senken lässt. Demgegenüber steht eine Erhöhung der Materialkosten durch den Einsatz von Hilfsstoffen für Träger- und Stützmaterialien wie Rafts, Skirts und Brims, die bei konventionellen Fertigungsverfahren nicht erforderlich sind. Zudem werden ggf. Hilfsstoffe für die Oberflächenbehandlung rauer Werkstücke mittels ätzender Lösungen oder Sandstrahlen benötigt.

Die Kapazitätsauslastung der Anlage bzw. die Ausbringungsmenge je Periode bestimmt über die Umlage der Fixkosten signifikant die Produktionskosten pro Stück. Der Zeitbedarf pro Stück hängt ab vom Komplexitätsgrad der Geometrie eines Objekts und der Geschwindigkeit des Druckverfahrens bzw. des eingesetzten Druckers. Sowohl die Zeit für vorbereitende Aktivitäten wie Kalibrieren, Aufheizen und nachbereitende Aktivitäten wie Reinigung als auch intervallweise Wartungstätigkeiten beeinflussen den Grad der Kapazitätsauslastung. Die relativ langsame Geschwindigkeit des 3D-Drucks im Vergleich zu konventionellen Fertigungsverfahren stellt für den Großteil der befragten Unternehmen eine große Barriere für eine breitere Nutzung in der Serienfertigung dar. Jedoch hat keines der Unternehmen mehrere Drucker parallel betrieben, um den Mangel an Geschwindigkeit eines einzelnen Druckers über Parallelisierung zu kompensieren.

Die Rüstzeiten und -kosten für das vorbereitende Einrichten der Anlage für die Fertigung verringern sich beim 3D-Druck signifikant, da keine produktspezifischen Werkzeuge oder Formen eingesetzt werden. Der Entfall von Werkzeugen und Formen führt ebenso zur Einsparung der Abschreibungen auf diese Aktiva. Ggf. kann eine Mehrzahl konventioneller Maschinen für verschiedene Arbeitsgänge wie z. B. Fräsen und Bohren, die für eine bestimmte Geometrie erforderlich sind, durch einen einzigen Drucker, der die gleichen Anforderungen erfüllt, substituiert werden. Demgegenüber bestehen kompensierende Kosteneffekte beim 3D-Druck, die sowohl in der Vorbereitung des Bauprozesses z. B. durch das Kalibrieren oder Vorwärmen einer Plattform als auch in der Nachbereitung z. B. durch Entfernung des Stützmaterials auftreten und zu höheren Lohn- und Energiekosten führen.

Insbesondere der Teilprozess (5) „Nachbearbeitung durchführen“ hat relevante Kostenwirkungen. Die Nachbearbeitung beinhaltet die Aktivitäten, die nach dem eigentlichen Bauprozess bzw. Druck der Teile durchzuführen sind, um die im Folgeschritt „Produkt testen“ spezifizierten Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Dies umfasst vor allem Aktivitäten wie das Entfernen der Stütz- und Trägermaterialien (z. B. Fundament, Standzargen und Ränder (Engl. raft, skirt, brim)) und die Oberflächenbehandlung (z. B. Entgraten, Schleifen oder Grundieren). Die meisten Unternehmen der Studie verzeichneten einen erheblichen Aufwand für die Nachbearbeitung, der zudem mangels Erfahrungen unterschätzt wurde. Dies betrifft auch Wartezeiten nach dem eigentlichen Bauprozess, die durch Abkühlen oder Aushärten des Werkstücks bedingt sind. Wenn ein Teil, das vorher extern beschafft wurde, jetzt mittels 3D-Druck im Unternehmen selbst gefertigt wird (Insourcing), müssen möglicherweise neue Prozesse wie z. B. Beschichtung eingeführt werden. Die Kosten für die Implementierung und den operativen Betrieb sind im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsanalyse zu berücksichtigen.

Der Teilprozess (9) „Abfall beseitigen“ umfasst alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Sammeln, Verwalten und Entsorgen der Abfälle, die im Herstellungs- und Testprozess anfallen. Dies betrifft sowohl Materialabfall als auch gedruckte Teile bzw. Produkte, die den Qualitätsanforderungen nicht entsprechen [27]. Einerseits fällt aufgrund des additiven Charakters des 3D-Drucks, bei dem nur das für den schichtweisen Aufbau des physischen Objekts erforderliche Material eingesetzt wird, weniger Abfall an als im Vergleich zu subtraktiven Fertigungsverfahren mit kontrolliertem Materialabtrag bzw. mechanischer Bearbeitung. Andererseits sind sowohl die nach dem Bauprozess nicht mehr benötigten Stützmaterialien und ggf. die chemischen Hilfsstoffe, die z. B. für die Glättung und Reinigung der Oberfläche eingesetzt werden, zu entsorgen (z. B. Aceton für ABS-Kunststoffe). Die Lagerung und Handhabung chemischer Hilfsstoffe kann die Einrichtung eines Gefahrgutlagers erfordern, das zu zusätzlichen Lager- und Prozesskosten führt. 3D-Druckrohstoffe weisen tendenziell einen höheren Grad an Wiederverwendbarkeit der Abfälle auf als bei konventionellen Fertigungsverfahren. Auf Basis der nicht repräsentativen Stichprobe der beteiligten Unternehmen scheint der Wiederverwertungsgrad bei 3D-Druckverfahren, die auf geschmolzenem Kunststoff wie z. B. beim Fused Deposition Modelling (FDM) basieren, im Vergleich zum 3D-Druck mit pulverförmigen Metallen z. B. mittels Selective Laser Sintering (SLS), wesentlich höher zu sein.

Insbesondere die Unternehmen der Automobil- und Elektronikindustrie betonten das Entfallen von Sonderabschreibungen für die Verschrottung produktspezifischer Anlagegüter wie Maschinen, Werkzeuge, Formen und Vorrichtungen. Wenn ein Produkt bzw. eine Produktfamilie das Ende des Lebenszyklus erreicht hat und aus dem Produktportfolio abgemeldet wird (end-of-life), werden die produktspezifischen Anlagegüter bei konventionellen Fertigungsverfahren vielfach verschrottet, falls keine alternative Verwendungsmöglichkeit für andere Teile bzw. Produkte besteht. Dies betrifft sowohl Anlagegüter im eigenen Werk als auch im Besitz des Lieferanten (z. B. Formen). Ein 3D-Drucker ist im Allgemeinen nicht produktspezifisch konfiguriert und erfordert keine speziellen Werkzeuge und Formen je Produktvariante. Somit entfallen die o. g. Sonderabschreibungen in einem 3D-Druck-Szenario.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Produktionskosten bei Einsatz von 3D-Druck im Vergleich zu einem konventionellen Fertigungsverfahren sinken. Die empirischen Befunde der Studie deuten darauf hin, dass die identifizierten Kostentreiber vor allem direkte Lohneinzelkosten, Werkzeugkosten, reguläre Abschreibungen, Sonderabschreibungen für Verschrottungen und Entsorgungskosten reduzieren (vgl. Abb. 4.10).

Abb. 4.10
figure 10

Kostenwirkungen im Produktionsprozess

(2.1.3) Kostenwirkungen im Distributionsprozess (Deliver)

Der Distributionsprozess umfasst die Aktivitäten für die Erstellung, Betreuung und Erfüllung von Kundenaufträgen, d. h. konkret Entgegennahme, Prüfung und Erfassung der Aufträge, Disposition der Lieferungen, Kommissionierung, Verpackung und Versand der Waren und Rechnungsstellung an den Kunden [27]. Um die Wirkungen der Kostentreiber beurteilen zu können, muss das Unternehmen zunächst den Standort der 3D-Druck-Aktivitäten im Distributionsnetzwerk festlegen, z. B. in einem Werk, einem zentralen oder regionalen Distributionszentrum oder vor Ort beim Kunden (Ver- oder Gebrauchsort). Die Position im Netzwerk bestimmt maßgeblich sowohl die Stärke als auch die Richtung der Kostenwirkungen. Zudem ist zu definieren, ob das gesamte Produkt oder nur einzelne Komponenten gedruckt werden sollen.

Zum Identifizieren relevanter Kostentreiber wurde der Distributionsprozess unter Bezugnahme auf das SCOR-Modells und Ergänzungen seitens der untersuchten Unternehmen wie folgt strukturiert: (1) Auftrag abwickeln (mit den Aktivitäten Annahme, Erfassung und Prüfung des Auftrags; Bestandsreservierung und Bestimmung des Liefertermins; Konsolidierung der Aufträge; Erstellung der Lieferungen; Routenplanung; Auswahl des Transportunternehmens; Ermittlung Fracht), (2) Lageraktivitäten durchführen (Warenannahme aus Beschaffung oder Produktion; Kommissionieren und Verpacken der Ware), (3) Transport und Übergabe durchführen (Beladung des Transportmittels; Erstellung der Versandpapiere; Versand der Ware an den Kunden; Annahme und Prüfung der Ware durch den Kunden) und (4) Fakturieren (vgl. Abb. 4.11).

Abb. 4.11
figure 11

Distributionsprozess und Kostentreiber

Die größten Kostenwirkungen haben die Unternehmen den Teilprozessen (2) „Lageraktivitäten durchführen“ und (3) „Transport und Übergabe“ zugeordnet. Für (2) „Lageraktivitäten durchführen“ stellt der Lagerbestand an Endprodukten den Hauptkostentreiber dar. Dieser senkt bei nachfragesynchronen 3D-Druck „on demand“ über Bestandsreduzierung die Kapital-, Handling-, Infrastruktur- und Verschrottungskosten. Bei konventionellen Fertigungsverfahren führt vielfach die Höhe der Rüstkosten zu Losgrößen, deren Stückzahl die tatsächliche Nachfrage übersteigt und so zu Beständen führt. Demgegenüber entfallen beim flexiblen 3D-Druck ohne Wechsel von Werkzeugen oder Formen diese Rüstkosten, sodass die Produktionslose genau auf die Nachfragemengen abstimmbar sind und so losgrößenbedingte Bestände vermieden werden. Je höher die Anzahl der Distributionsstufen in der Supply Chain (z. B. über Zentral- und Regionalläger), desto höher sind die potenziellen Bestandssenkungen, auch bedingt durch den Entfall der (Sicherheits-)Bestände je Stufe.

Der Teilprozess (3) Transport und Übergabe durchführen wurde als zweiter wesentlicher Treiber zur Reduzierung der Distributionskosten hervorgehoben. Erstens hängen beim Einsatz von 3D-Druck die Kapazitätsauslastung der Transportmittel bzw. die Sendungskonsolidierung weniger von den Losgrößen der Produktion und anderen vorgelagerten Aktivitäten ab. Zweitens sind weniger Eilsendungen mit hohen Frachtzuschlägen (z. B. Expresslieferung über Nacht) erforderlich, um die geforderten Liefertermine bei einem an Rüstkosten ausgerichteten, starren Produktionsprogramm einhalten zu können: 3D-Druck bietet in der Produktion eine große Flexibilität durch niedrige Rüstkosten (vgl. 2.1.2). Dies führt ebenso zu einem geringeren Anteil an Luftfracht als schnellste, aber auch teuerste Verkehrsmittelwahl. Andere Fehlmengenkosten wie z. B. entgangene Umsätze, Abwanderung von Kunden oder Vertragsstrafen sinken ebenfalls aus den o. g. Gründen. Drittens sinken die Frachtkosten aufgrund des niedrigeren Gewichts der Produkte, wenn die gedruckten Werkstücke Wabenstrukturen mit Hohlräumen statt massiver Strukturen aufweisen. Für Lebensmittelunternehmen kann 3D-Druck zudem über die Gelierung Chancen bieten, den Wasseranteil und damit das Gewicht des Produkts zu reduzieren.

Insbesondere für Unternehmen mit internationalen Supply Chains schienen Optimierungsmöglichkeiten im Hinblick auf Zölle und Handelsbarrieren ein Treiber für die Implementierung des 3D-Drucks zu sein. Die Handelsgesetze bestimmter Länder erfordern ein Mindestmaß an lokaler Wertschöpfung bzw. lokal beschaffter Materialien („local content“), um günstigere Zolltarife anwenden zu können, die Einfuhr generell zu erlauben oder ausländischen Unternehmen zu gestatten, einen Produktionsstandort zu eröffnen. 3D-Druck im Absatzmarkt vor Ort bietet die Möglichkeit, günstigere Zölle zu erzielen, indem bestimmte Komponenten lokal gedruckt werden, um den Anteil an „local content“ zu erhöhen oder im Extremfall Produkte komplett im Absatzmarkt gedruckt werden. Der Betrieb einer 3D-Druck-Produktion im Absatzmarkt kann betriebswirtschaftlich günstiger sein als konkurrierende Alternativen wie z. B. der Aufbau eines Werks bzw. einer lokalen Lieferantenbasis oder die Nutzung von prozesskostenintensiven Logistikkonzepten wie Complete Knock Down (vgl. 2.1.1). Die geografische Nähe zwischen Druckort und Absatzmarkt kann sowohl die Frachtkosten als auch Lieferzeit und -risiko signifikant senken. Zudem können Handelsbarrieren, die im Herkunftsland begründet sind, umgangen werden. 3D-Drucker lassen sich ebenso in einem dezentralen, regionalen Distributionszentrum (statt in einem zentralen Werk) ansiedeln, um dadurch neben Frachtkosten insbesondere Bestandskosten für Sicherheitsbestände in einem mehrstufigen Distributionsnetzwerk zu reduzieren. Dies trifft insbesondere für Branchen mit saisonalem Ersatzteilbedarf wie z. B. Landmaschinen zu.

Der Teilprozess (1) „Auftrag abwickeln“, der die Planung und Abwicklung von Lieferungen auf Basis einzelner Bestellungen oder eines Rahmenvertrags umfasst [27], scheint im Hinblick auf Kostensenkungspotenziale durch 3D-Druck nur für wenige Unternehmen relevant zu sein. Ein Hebel sind geringere Koordinationskosten, bedingt durch die geringere Komplexität der Abstimmung zwischen Distribution und Produktion. Entsprechend lassen sich Personalkosten im administrativen Bereich einsparen.

Zusammenfassend lässt sich auf Basis der o. g. Ursache-Wirkungszusammenhänge festhalten, dass der Einsatz von 3D-Druck branchenübergreifend erhebliche Einsparpotenziale im Hinblick auf die Distributionskosten bietet. Allerdings ist anzumerken, dass eines der befragten Unternehmen in der Kunststoffindustrie vom 3D-Druck wieder zum konventionellen Fertigungsverfahren zurückgekehrt ist, da die Kosten für neue Vertriebskanäle und Wertschöpfungsketten die Einsparungen überkompensiert hatten (Abb. 4.12).

Abb. 4.12
figure 12

Kostenwirkungen im Distributionsprozess

(2.1.4) Kostenwirkungen im Retourenprozess (Return)

Der Retourenprozess beinhaltet die Warenrücknahme von Kundenseite (vgl. Abb. 4.13). Die Teilprozesse weichen aufgrund der Prozesslandschaft der untersuchten Unternehmen vom SCOR-Modell [27] ab und umfassen (1) Retoure annehmen, (2) Reparatur durchführen, (3) Ersatzlieferung veranlassen und (4) Entsorgung durchführen, wobei es sich bei (2) bis (4) nicht um einen sequenzielle Abfolge handelt, sondern um Optionen in Abhängigkeit der Entscheidung über die Behandlung der Retoure.

Abb. 4.13
figure 13

Retourenprozess und Kostentreiber

Zwei Kostentreiber fallen beim Einsatz von 3D-Druck auf. Erstens erhöht sich der Anteil der Ersatzlieferungen („swap“) im Vergleich zu den Reparaturen, da die Produkte für Reparaturen schlechter zugänglich sind: Beim 3D-Druck können auch komplexe Geometrien ohne mechanische Schnittstellen wie z. B. Schraubverbindungen bei konventioneller Montage „aus einem Stück“ gedruckt werden. Dadurch erhöhen sich sowohl der Aufwand für die Diagnose bzw. Entscheidungsfindung zwischen Reparatur versus Ersatzlieferung als auch der Aufwand für die Demontage des Produkts im Falle einer Reparatur. Zweitens ist der Grad der Sortenreinheit für die Abfallentsorgung niedriger – insbesondere für hybride Drucke, bei denen heterogene Materialien fest miteinander verschmolzen sind. Beide o. g. Treiber können einen Kostenanstieg zur Folge haben, der allerdings bei den Unternehmen der Studie nicht zu signifikanten Effekten geführt hat. Die Erfahrungswerte der Unternehmen waren jedoch begrenzt.

(2.2) Wirkungen auf Aktiva in der Bilanz

Der Geschäftswertbeitrag (EVA) ist die Differenz zwischen dem Geschäftsergebnis nach Steuern (NOPAT) und den Kapitalkosten, welche wiederum vom gesamten investierten Kapital und dem gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatz (WACC) abhängen. Das investierte Kapital ist die Summe des Nettovermögens abzüglich der Abschreibungen (letztere werden im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsanalyse unter „Kosten“ erfasst). Die Vermögenswerte umfassen sowohl das Umlaufvermögen als auch das Anlagevermögen. Durch das Supply Chain Management beeinflussbar sind z. B. Lagerbestände, Maschinen und Infrastruktur [17]. Je niedriger das im Vermögen gebundene Kapital ist, desto geringer sind die Kapitalkosten. Analog zum Bereich (2.1) Kosten sind die Wirkungen auf die Aktiva in den Prozessbereichen Beschaffung, Produktion, Distribution und Retouren zu untersuchen, jeweils getrennt nach Umlauf- und Anlagevermögen.

3D-Druck steigert den Geschäftswert, wenn die aus der Investition resultierenden Kapitalerträge des Unternehmens größer sind als die mit 3D-Druck assoziierten Kosten des Kapitals. Die Wirkungen auf das Umlaufvermögen wie z. B. Bestände haben die vorherigen Kapitel aufgezeigt. Das Anlagevermögen wird vor allem durch die Investition in den 3D-Drucker selbst, zugehörige Software und ggf. erforderliche Prüfeinrichtungen erhöht.

(2.3) Umsatzwirkungen

Zum einen erhöht 3D-Druck das Umsatzvolumen durch Steigern der Wettbewerbsfähigkeit in Bezug auf die Logistikleistung, die durch Lieferzuverlässigkeit, Lieferzeit und Flexibilität bestimmt wird (vgl. Phase 1 in Abschn 4.2). Der Service-Level der Logistik ist höher aufgrund der höheren Verfügbarkeit der Produkte (nachfragesynchrone Fertigung kleiner Lose bzw. Losgröße 1), höherer Flexibilität in der Produktionsprogrammplanung und tendenziell geringeren Durchlaufzeiten.

Zum anderen kann der Umfang des Produktportfolios erweitert werden. 3D-Druck ermöglicht Unternehmen – analog zum Konzept der kundenindividuellen Massenproduktion („mass customizing“) – maßgeschneiderte Produkte in kleinen Mengen nach individuellen Kundenanforderungen profitabel herzustellen [2]. OEMs können 3D-Druck einsetzen, um Produkte mit dem gleichen „Innenleben“ für unterschiedliche Kunden über verschiedene Gehäuse oder kundenspezifische 3D-Aufdrucke (z. B. der Marke) zu differenzieren. Viele fertigungsbedingte Design-Einschränkungen gelten nicht für 3D-Druck: Fast alle Formen können gedruckt werden. Dies ermöglicht den Entwicklern bzw. Designern eine größere Gestaltungsfreiheit. Gleichzeitig bestehen Potenziale zur Verbesserung der Produkteigenschaften, wenn geometrische Einschränkungen bei konventionellen Fertigungsverfahren nicht mehr bestehen [5, 81]. Dadurch erhöht sich die Vielfalt des Produktportfolios sowohl in Breite als auch Tiefe. Die Komplexität der Geometrie des Produkts bedingt keine Komplexität und Kosten für Werkzeuge und Fertigungsschritte [10]. Selbst kleine Kundensegmente mit maßgeschneiderten Produkten, die sonst bei herkömmlichen Herstellungsmethoden aufgrund der Rüst- und Werkzeugkosten vernachlässigt würden, werden wirtschaftlich interessant.

Die Erkenntnisse der Studie legen nahe, dass die Stückkosten des Produkts und somit der kalkulierte Preis hauptsächlich über den Material- und Arbeitseinsatz bestimmt werden. Generalisierbare Erkenntnisse in Bezug auf die Preisbildung ließen sich nicht ableiten, da die Treiber sich je nach Druckverfahren, Druckmaterialien und Branchenzugehörigkeit stark unterscheiden. Allerdings lassen sich im internationalen Vertrieb die Zölle (und damit auch Preise) reduzieren, indem der Anteil lokaler Wertschöpfung („local content“) erhöht wird, ohne dass dafür ein Werk in der Absatzregion zu errichten ist. Darüber hinaus können andere Handelsbarrieren, die im Herkunftsland begründet liegen, beseitigt werden. Dies ermöglicht die Erschließung neuer Absatzmärkte. Abgesehen von der Wirkung auf Zoll-Tarife und Exportkontrolle hat das Herkunftsland auch einen Marketing-Effekt, in dem das Image des Landes in der Wahrnehmung der Kunden auf die Qualität des Produkts transferiert wird [82].

Zwei der untersuchten Unternehmen aus der Automobil- und Elektronikindustrie unterstrichen die Attraktivität des 3D-Drucks im Hinblick auf die Rückverfolgbarkeit der Produkte. Mittels 3D-Druck können Seriennummern oder versteckte Merkmale in die Originalkomponenten integriert werden, um diese von Nachahmungen unterschieden zu können. Hersteller und Kunden können sich so vor Fälschungen schützen. Die Authentizität der Komponenten und Ersatzteile ist nicht nur relevant für die Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen, sondern insbesondere für den Vertrieb an sicherheitssensible Kunden wie z. B. Kraftwerksbetreiber, die hohe Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit der Supply Chain haben.

Vor allem das gewählte Druckverfahren und die eingesetzten Druckrohstoffe determinieren die Qualität der gedruckten Produkte. Ebenso ist zwischen Produktqualität und Druckgeschwindigkeit bzw. -kosten abzuwägen, die alle von der Anzahl der Schichten bestimmt werden. Einerseits steigt die Qualität mit der Anzahl der Schichten, besonders in Bezug auf mechanische Eigenschaften und die Oberflächenbeschaffenheit. Andererseits resultiert eine hohe Anzahl an Schichten in eine Verlangsamung des Druckvorgangs und eine Erhöhung des Materialeinsatzes. Beides verursacht höhere Kosten, die bei der Kalkulation des Verkaufspreises zu berücksichtigen sind.

Zusammengefasst scheint der Einsatz des 3D-Drucks positive Wirkungen auf die Umsatzentwicklung zu haben – vorausgesetzt, die Qualität erfüllt die Kundenanforderungen (vgl. Phase 1 bzw. Abschn. 4.2) und der Verkaufspreis wird nicht durch höhere Stückkosten erhöht (Abb. 4.14).

Abb. 4.14
figure 14

Umsatztreiber

4.4 Zusammenfassung und Kritik zur Wirtschaftlichkeitsanalyse

Der vorgestellte Ansatz zur Wirtschaftlichkeitsanalyse schafft einen Rahmen, um den Beitrag einer Investition in 3D-Druck für die Steigerung des Unternehmenswerts aufzuzeigen. Dies schließt eine Lücke bestehender wertbasierter Konzepte im Supply Chain Management, die keine hinreichend differenzierten Antworten für diese Fragestellung bieten.

Die Transparenz über die Ursache-Wirkungsbeziehungen ermöglicht die Bewertung einer Investition in 3D-Druck, indem systematisch die Werttreiber und deren Wirkungen auf die Kosten und Umsätze analysiert werden. Der Ansatz auf Basis des Geschäftswertbeitrags (EVA) betrachtet nicht nur die Produktion, sondern ebenso die Wirkungen in den weiteren Prozessbereichen der Supply Chain: Beschaffung, Distribution und Retouren. In zwei Phasen wird die Investitionsentscheidung in der Praxis unterstützt. Die Systematik des Modells ist sowohl für die Entscheidungsfindung zwischen 3D-Druck und einem konventionellen Fertigungsverfahren als auch für die Entscheidung zwischen internem 3D-Druck und externer Beschaffung geeignet. Die Orientierung am Geschäftswertbeitrag bietet einen konsistenten Rahmen für die wertorientierte Unternehmensführung. Zudem lässt sich das Modell für die Optimierung der Investition über den Lebenszyklus nutzen, wenn Werttreiber im operativen Controlling berücksichtigt werden, um den Einfluss des 3D-Drucks auf den Unternehmenswert periodisch zu messen.

Allerdings weist die Methodik Einschränkungen auf. Bevor die Wirtschaftlichkeit analysiert werden kann, ist die Entscheidung über die zu druckenden Teile bzw. Produkte, Druckverfahren und -rohstoffe zu treffen. Das Modell bzw. die einzelnen Treiber sind vor dem Hintergrund der jeweiligen Branche und der unternehmensspezifischen Produkte zu interpretieren. Die Wirkungen des 3D-Drucks wurden nur in Form von Tendenzaussagen formuliert und nicht monetär bewertet. Dies ist aufgrund der o. g. Gründe nur für den unternehmens- und produktspezifischen Einzelfall möglich.

Verschiedene Weiterentwicklungen der Methodik bieten sich an: Lücken in der Methodik lassen sich schließen, neue Methoden und Konzepte können ergänzt werden. Für die konkrete Anwendung im Unternehmen kann der Fokus auf einen Bereich des Modells (z. B. Beschaffung) gelegt und dort über weitere Treiber vertieft bzw. detailliert werden. Denkbare Differenzierungen des Modells bieten Druckverfahren, Druckrohstoffe oder branchenspezifische Anforderungen. Andere Zielbereiche als die bisher berücksichtigten können integriert werden, z. B. ökologische Aspekte oder Informationskosten. Zudem ist das Modell um Prozessvarianten wie prognosebasierte Produktion für den anonymen Markt (make-to-stock), auftragsbezogene Produktion (make-to-order) und auftragsspezifische Entwicklungen für die Produktion (engineer-to-order) zu erweitern.