Zusammenfassung
Der Beitrag bietet einen Überblick über die Geschichte des russischen Kaufmanns und Unternehmers von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dabei stehen die unterschiedlichen Codes im Zentrum der Betrachtung, die in der Literatur- und Kulturgeschichte genutzt werden, um Geld transparent und lesbar zu machen. Die Entwicklung der russischen Literatur im 19. Jahrhundert sei ohne die Kommerzialisierung des Buchmarktes nicht möglich gewesen, so Goes. Während in dieser Zeit eher der Vertrag zwischen dem Buchhändler und dem Dichter abgeschlossen wurde, gab es in der Sowjetepoche einen zwischen Staat und Schriftsteller. Das Geldsujet unterscheidet sich sehr stark in den künstlerischen Realisierungen in der Zeit der Romantik, des Realismus, des sozialistischen Realismus und in der postsozialistischen Zeit. Während im 16. Jahrhundert Geld noch im Zusammenhang mit Magie stand, wird es in der Zeit der Aufklärung verurteilt, weil es die Menschen korrumpieren kann. Man beginnt fiktionale Geschichten mit Geldschicksalen in Verbindung zu bringen, und damit rückt der Unternehmer als Figur ins Zentrum literarischer Aufmerksamkeit, Goes diskutiert hier Gogols Roman Die toten Seelen und das Drama Tolles Geld von Alexander Ostrowskij. Tolles, unverdientes, nicht selbst erworbenes Geld steht gegen gescheites, wohlverdientes Geld. Das ist ein Thema, das sich seit dem 18. Jahrhundert bis zum Beginn der Oktoberrevolution (und auch noch später) durch die Literatur zieht. Literatur und Buchmarkt – die Beziehungen zwischen Künstler und Kommerz – werden dann wichtiges Thema in diesem philologischen Beitrag. Ist Geld eine Triebkraft des Dichterischen? Die Ökonomisierung der Literatur wurde in der Literatur selbst aufgegriffen und reflektiert, wie die Beispiele von Alexander Puschkin, Iwan Turgenjew, Fjodor Dostojewskij, und Lew Tolstoi zeigen. Es kristallisiert sich das Argument heraus, dass Geld gar nicht neutral und jenseits von Moralvorstellungen ist, sondern „immer die Schwachen durch Geld vergewaltigt würden“ (Tolstoi).
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„Smirdin führte auch den Zeitfaktor ins Buchgeschäft ein, indem er mit seinen Angeboten dabei gelegentlich große Investitionsrisiken einging, eine Politik, die ihn in eine immer größere Verschuldung trieb und ihn bei der Buchhandelskrise zu Anfang der 1840er Jahre […] Bankrott gehen ließ. Es erwies sich, dass die Größe ‚Geld‘ nicht in zeitgenössische ästhetische Kategorien zu integrieren war, dass sie jedoch auch nicht mehr außerhalb dieser betrachtet werden konnte. Das Geld wurde dabei als Kraft wahrgenommen, die die reine Inspiration als Triebkraft des Dichterischen ablöst und dessen totale und unhintergehbare Profanisierung bewirkt. Die Kritik am ‚Smirdinismus‘ erscheint denn auch als generalisierende Kulturkritik“ (Grob 2001, S. 47–50).
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Vgl. Inszenierungen 2011 am Schauspielhaus Magdeburg und ebenfalls 2011 an der Volksbühne Berlin u. a.
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„Gemeinsam ist diesen Romanen auch, daß sie das Beziehungsgewebe des Geldes als spezifisch modernes Äquivalent tradierter religiöser Bindungen stilisieren. Die Protagonisten dieser Romane müssen die Erfahrung machen, daß ihre Loslösung (Absolvierung) von der Bindungskraft des Absoluten durch die Bindungs- und Verstrickungskraft des Geldes konterkariert wird. Geld avancierte im 19. Jahrhundert endgültig zum god term der Moderne und zum primären Medium der sozialen Synthesis (in kleinen und größeren Kontexten: personale, institutionelle und interkulturelle Kontakte und Kontaktzwänge sind seitdem samt und sonders geldvermittelt). Die Bindungs- und Beziehungskraft des Geldes ersetzt fortan funktional die der Religion“ (Hörisch 1998, S. 99 f.).
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Goes, G. (2017). „Tolles Geld“: Geld, Unternehmertum und Kommerz in der russischen Literatur. In: Peters, S. (eds) Geld. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15061-7_11
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