Zusammenfassung
Die Idee der Nation entwickelte sich in großräumig organisierten, komplexen Gesellschaften Europas als neue Ordnungsvorstellung. Zum einfach verständlichen, emotionalen Identitätsanker wurde das abstrakte Nationskonzept durch familienbezogene Schlüsselsymbole. Nationen wurden als Abstammungsgemeinschaften vorgestellt und durch familiale Grundbegriffe beschrieben: Die Nation als ‚Großfamilie‘, die Regierung als ‚Vater Staat‘, der Bevölkerung als ‚Kinder‘ der Nation und der Nationskörper als Mutter ‚Britannia‘, ‚Marianne‘ oder ‚Germania‘. Die Nation entwickelte sich zum zu gestaltenden Projekt der Vergangenheit und insbesondere der Zukunft. Damit wuchs das nationale Interesse am Kind, sodass Familie, Kindheit und Elternschaft zu nationalen Projekt(ion)en wurden. Kindbezogene Institutionen bzw. Berufe entwickelten sich zum zentralen Transmissionsriemen der inneren Nationsbildung. Der weitreichende Einfluss der Nationsebene auf Elternschaft lässt sich am Beispiel der deutschen Nationsentwicklung mit ihren vielen Brüchen und Diskontinuitäten zeigen – sei es in der Mythisierung von Familie und Elternschaft oder im Wandel rechtlicher Schlüsselbegriffe von der väterlichen Gewalt zum Kindeswohl.
Dieser zusammenfassende Aufsatz basiert auf der Publikation „Prozess-Soziologie der Elternschaft. Nationsbildung, Figurationsideale und generative Machtarchitektur in Deutschland“ (Waterstradt 2015). Auf der Grundlage eines interdisziplinären Überblicks zu den heutigen Begriffskonzepten der Elternschaft in Umgangssprache und Wissenschaft erfolgt eine Studie zur Entwicklung von Elternschaft im modernen deutschen Nationsbildungsprozess des 19./20. Jahrhunderts sowie abschließend die Ableitung einer Prozesstheorie der Elternschaft.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Berlin, I. (1990). Der Nationalismus. Frankfurt/M.: Hain.
Brandt, B. (2008). Germania und ihre Söhne. Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne. Göttingen: V&R.
Brokamp, I. (2002). Die Verrechtlichung der Eltern-Kind-Beziehung in hundert Jahren BGB. Bielefeld: Gieseking.
Bühler-Niederberger, D. (2005). Kindheit und die Ordnung der Verhältnisse. Von der gesellschaftlichen Macht der Unschuld und dem kreativen Individuum. Weinheim: Juventa.
Bundesverfassungsgericht (1998). Pressemitteilung Nr. 131 vom 25.11.1998. Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im Fall der „gegenläufigen Kindesentführung“. Karlsruhe.
Erikson, E. H., & Erikson, J. M. (1997). The Life Cycle Completed (Extended Version). New York: Norton & Company.
Elias, N. (1983/2003). Engagement und Distanzierung. Ges. Schriften Bd. 8. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Elias, N. (1985/2002). Humana conditio. Beobachtungen über die Entwicklungen der Menschheit. In: Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen; Humana conditio. Ges. Schriften Bd. 6 (S. 93–230). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Elias, N. (1986/2006). Figuration, sozialer Prozess und Zivilisation: Grundbegriffe der Soziologie. In Aufsätze und andere Schriften III. Ges. Schriften Bd. 16 (S. 100–117). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Elias, N. (1989/2005). Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Ges. Schriften Bd. 11. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Fichte, J. G. (1808). Reden an die deutsche Nation. Berlin: Realschulbuchhandlung.
Goody, J. (1983). The development of the family and marriage in Europe. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Gosewinkel, D. (2001). Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: V&R.
Hagemann, K. (2000). Familie – Staat – Nation: Das aufklärerische Projekt der ‚Bürgergesellschaft‘ in geschlechtergeschichtlicher Perspektive. In M. Hildermeier (Hrsg.), Europäische Zivilgesellschaft in Ost und West. Begriff, Geschichte, Chancen (S. 57–84). Frankfurt/M.: Campus.
Hajnal, J. (1965). European Marriage Patterns in Perspective. In D. V. Glass, & D. E. C. Eversley (Hrsg.), Population and History (S. 101-145). London: Arnold.
Heuer, J. N. (2005). The family and the nation. Gender and citizenship in revolutionary France, 1789-1830. Ithaca: Cornell University Press.
Kocka, J. (1995). Das europäische Muster und der deutsche Fall. In J. Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Einheit und Vielfalt Europas (S. 9–75). Göttingen: V&R.
Langewiesche, D. (2004). Nachwort zur Ausgabe „Nationen und Nationalismus“ von 2004. In E. Hobsbawm (Hrsg.), Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780 (S. 225–243). Frankfurt/M.: Campus.
Mason, M. A. (1994). From father’s property to children’s rights. The history of child custody in the United States. New York: Columbia University Press.
Michel, S., & Varsa, E. (2010). Children and the National Interest. In D. Schumann (Hrsg.), Raising citizens in the “century of the child”. The United States and German Central Europe in comparative perspective, (S. 27–52). New York: Berghahn Books.
Mitterauer, M. (1977a). Der Mythos von der vorindustriellen Großfamilie. In M. Mitterauer, & R. Sieder (Hrsg.), Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, (S. 38–65). München: Beck.
Mitterauer, M. (1977b). Die Familie als historische Sozialform. In M. Mitterauer, & R. Sieder (Hrsg.), Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, (S. 13–37). München: Beck.
Mitterauer, M. (2003). Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. 2. Aufl. München: Beck.
Nipperdey, T. (1990). Deutsche Geschichte 1866-1918. Arbeitswelt und Bürgergeist. Bd. 1. München: Beck.
Parr, K. (2005). Das Kindeswohl in 100 Jahren BGB. Würzburg: Selbstverlag.
Richter, Johannes (2011). „Gute Kinder schlechter Eltern“. Familienleben, Jugendfürsorge und Sorgerechtsentzug in Hamburg, 1884-1914. Wiesbaden: VS.
Sieder, R. (2008). Patchworks: Das Familienleben getrennter Eltern und ihrer Kinder. Stuttgart: Klett-Cotta.
St. Aubin, Ed de/McAdams, Dan P./Kim, & T’ae-ch’ang (Hrsg.) (2003). The generative society. Caring for future generations. Washington DC: American Psychological Association.
Tenorth, H.-E. (2010). Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. 5. Aufl. Weinheim: Juventa.
Treibel, A. (1993). Transformationen des Wir-Gefühls. Nationale und ethnische Zugehörigkeiten in Deutschland. In R. Blomert, H. Kuzmics & A. Treibel (Hrsg.), Transformationen des Wir-Gefühls. Studien zum nationalen Habitus, (S. 313–345). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Wehler, H.-U. (2001). Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen. München: Beck.
Waterstradt, D. (2015). Prozess-Soziologie der Elternschaft. Nationsbildung, Figurationsideale und generative Machtarchitektur in Deutschland. Münster: Monsenstein und Vannerdat.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2018 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Waterstradt, D. (2018). Nationsbildung, Macht, Elternschaft. In: Jergus, K., Krüger, J., Roch, A. (eds) Elternschaft zwischen Projekt und Projektion. Studien zur Schul- und Bildungsforschung, vol 61. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15005-1_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-15005-1_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-15004-4
Online ISBN: 978-3-658-15005-1
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)