Zusammenfassung
Die Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin ist von vielen Determinanten abhängig. Wie in jedem Kreativprozess sind neben den jeweiligen etablierten Institutionen und Regelungen insbesondere idiosynkratische Faktoren, die in der Persönlichkeit des einzelnen Wissenschaftlers begründet liegen, besonders bedeutungsvoll, um spezifische Neuerungen bzw. Erkenntnisse zu erklären. Daneben spielen natürlich die jeweils zeitlichen Umstände, die als ökonomische, soziale oder, allgemeiner, als gesellschaftliche Entwicklungen auf den Forschungsprozess zurückwirken, eine zentrale Rolle – dies kann als besonders drängende Problemlage geschehen, die nach einer wissenschaftlichen Behandlung verlangt. Aber auch empirische Anomalien verändern immer wieder, wie seit Thomas S. Kuhn bekannt, die Richtung und paradigmatische Orientierung einer Wissenschaft. Darüber hinaus sind disziplinäre Besonderheiten wie z. B. das bereits erreichte Entwicklungsstadium einer wissenschaftlichen Disziplin oder der Untersuchungsgegenstand selbst zu beachten.
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Notes
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Ein Sammelband, in dem diese Angriffe zusammengetragen wurden, lautete im Untertitel „Zur Kritik der herrschenden Nationalökonomie“ (Vogt 1973).
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Ausdrücklich klarzustellen ist, dass diese paradigmatische Vielfalt keine Abkehr von der Wissenschaftlichkeit bedeutet, sondern diese Forschungsprogramme durchaus wissenschaftlichen Standards (z. B. Widerspruchsfreiheit) und/oder einem anderen erkenntnistheoretischen Fundament (Transzendentaler Realismus, Pankritischer Rationalismus, radikaler Konstruktivismus usw.) folgen.
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Dies betraf selbst Wissenschaftler aus dem Lager der „Ordnungsökonomik“.
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Die Liste einschlägiger Appelle ist lang. Bereits 1992 wurde im American Economic Review der „Plea for a Pluralist and Rigorous Economics“ (Abramovitz et al. 1992), den immerhin mehrere Ökonomie-Nobelpreisträger unterzeichnet hatten, veröffentlicht. Schweizer Dozierende und Forscher gingen 2011 mit einem Aufruf „Forschung und Lehre in Wirtschaftswissenschaften, Finance und Management sollen erneuert werden mit dem Ziel, dem Allgemeinwohl besser zu dienen“ (Auroi et al. 2011) an die Öffentlichkeit. Im gleichen Jahr wurde das „Baseler Manifest für ökonomische Aufklärung“ (Chesney et al. 2011) vom Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik in Basel veröffentlicht. Und die MeM-Denkfabrik für Wirtschaftsethik publizierte 2012 einen mit „Für eine Erneuerung der Ökonomie“ (Thielemann et al. 2012) überschriebenen Aufruf. Hinzu kommen zahlreiche Appelle von Studierenden wie die „Petition Autisme Economique“ aus dem Jahr 2000, „Opening up economics“ der Cambridge 27 aus dem Jahr 2001 und der jüngste Aufruf „Für eine Plurale Ökonomik“ der Internationalen Studenteninitiative für Plurale Ökonomik.
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Hinzu tritt, dass dieses Vorhaben angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen der für die öffentliche Hochschulfinanzierung zuständigen Bundesländer und der Schwierigkeiten privater Universitätsgründungen ohnehin keine allzu realistische Option ist.
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Allein in der Internationalen Studierendeninitiative für Plurale Ökonomik sind 65 Arbeitsgemeinschaften aus über 30 Ländern zusammengeschlossen, siehe International Student Initiative for Pluralism in Economics (2015).
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Insbesondere wird häufig nicht genug zwischen paradigmatischer Pluralität und gegenstandsbezogener Pluralität und zwischen Pluralität und Variation unterschieden.
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Gemeint ist damit der Zeithorizont, der durch Bachelor und Master vorgegeben ist und zwangsläufig zu personellen Wechseln führt, die dann wiederum inhaltliche Konsequenzen haben können.
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Besondere Prominenz hat sicher die Frage der britischen Queen an ihre in der British Academy of Science vertretenen Ökonomen erlangt, wieso nicht hinreichend vor der Weltfinanzkrise gewarnt worden ist (Besley und Hennessy 2009). Aber auch Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich kritisch anlässlich der 5. Lindauer Tagung der Nobelpreisträger: „Nun kommen wir aus Jahren, in denen man – ich will das in einem so gelehrten Kreis ganz vorsichtig sagen – nicht immer den Eindruck hatte, dass die Wirtschaftswissenschaften schon alles wissen, was auf uns zukommt. Man kann jetzt natürlich fragen, woran es gelegen hat, dass manches, was wir in unseren Statistiken und Prognosen angenommen haben – nicht nur wir als Politiker, sondern auch in hoch sachverständigen Organisationen –, so schwer neben der Realität lag, die sich dann eingestellt hat. […] Auf jeden Fall hatte man nicht den Eindruck, dass die Mehrheit die Prognosen richtig gemacht hat […]“ (Merkel 2014).
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In dem Zusammenhang ist z. B. auf die Forderung der „Leitlinien Politikberatung“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hinzuweisen, die auch Minderheitenvoten vorsieht. Der hier angesprochene Punkt zielt darauf ab, die grundlegend notwendige Vielfalt für solche Minderheitenvoten überhaupt zu ermöglichen.
Literatur
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Heise, A., Sander, H., Thieme, S. (2017). Fazit. In: Das Ende der Heterodoxie?. Wirtschaft + Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14908-6_6
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