Zusammenfassung
Aus dem zwölften Gesang meiner Odyssee werde ich Euch erzählen, was Odysseus den Phäaken erzählt: Mit seinen verbliebenen Kameraden erreichte er wieder die Insel der Kirke. Die Nymphe beschrieb die Route und die bevorstehenden Gefahren und gab wertvolle Hinweise, wie man ihnen entkommen könne. Die Route führte zunächst an der Insel der Sirenen vorbei, die die Vorbeifahrenden mit ihren Liedern lockten und ins Verderben zu führen versuchten; dank Kirkes Empfehlungen konnten sie ohne Verluste vorbeisegeln. Dann mussten sie zwischen den beiden Seeungeheuern Skylla und Charybdis hindurch, wobei dank Kirkes Hinweisen „nur“ sechs Kameraden der Skylla zum Opfer fielen. Die nächste Station war die Insel des Sonnengottes Helios, wo Odysseus Kameraden – ohne sein Wissen und gegen sein ausdrückliches Verbot – die Rinder des Sonnengottes schlachteten. Zur Bestrafung wurde das Schiff zerstört und die Männer vernichtet. Odysseus überlebte auf einem Schiffsbalken, wurde aber durch den Sturm wieder zurück zwischen Skylla und Charybdis getrieben. Mit großer Not konnte er entkommen und erreichte die Insel der göttlichen Nymphe Kalypso, die ihn sieben Jahre lang gegen seinen Willen festhielt. Von dort aus führte seine Reise mit vielen Qualen und Plagen schließlich zur Insel der Phäaken.
Und die uns begleitende Seele wird dabei geflügelte Worte von immerwährender Gültigkeit singen, wie über die Last der Verantwortung, zwischen zwei Übeln abwägen zu müssen, über die Verführungskraft des Allwissens und über die gelegentliche Notwendigkeit von Einschränkung und Disziplinierung. Und vom Dilemma zwischen strategischem Schweigen und Offenbarung der gefährlichen Wahrheit und von der Not, die kein Gebot kennt. Sowie auch von manchem anderen.
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Notes
- 1.
Ich kann leider, meine treuen Zuhörer, die faszinierende Geschichte der Argonauten und ihre Reise, die erste große Expedition des Abendlandes in weit entfernte Länder und bis dahin unbekannte Meere, die viel älter ist als der Kampf um Troja, hier nicht erzählen. Ich habe aber zustimmend und lobend beobachtet, wie einer meiner jüngeren Kollegen namens Apollonios Rhodios minutiös die Geschichte dieser Expedition in seinen „Argonautika“ dokumentierte. Falls Ihr Interesse daran habt, könnt Ihr einen Blick in die „Bibliografischen Anmerkungen“ werfen.
- 2.
Noch ein Hinweis, meine verehrten Zuhörer, Skylla heißt auf Griechisch die Hündin.
- 3.
Dieses aristotelische Prinzip kennt Ihr schon. Ich habe es erwähnt, als wir über Neugier und Philomathie sprachen.
- 4.
Er tat es in seinem Werk „De finibus bonorum et malorum“.
- 5.
Diese Episode erzählt mein jüngerer Kollege Apollonios Rhodios im vierten Gesang zwischen den Versen 891 und 911 seiner „Argonautika“, die er um das Jahr 265 herum, natürlich vor Eurer neuen postolympiadischen Chronologie, schrieb.
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Marneros, A. (2017). Der Verführung Lockrufe und die Qual des Dilemmas. In: Homers Odyssee psychologisch erzählt. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13848-6_10
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-13848-6_10
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Publisher Name: Springer, Wiesbaden
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