Zusammenfassung
Die Bedeutung von Vertrauen stellt im Zusammenhang mit Assistenz, Behinderung und Arbeit in der sozialwissenschaftlichen Literatur ein Forschungsdesiderat dar. Dieser Aufsatz unternimmt am Beispiel von personeller Arbeits- bzw. Kommunikationsassistenz für schwerhörige Berufstätige einen ersten Schritt zur Entdeckung des Phänomens im Zusammenhang mit Assistenz. Personelle Arbeitsassistenz für Menschen mit Behinderung soll als kompensatorisch-emanzipatorisches Instrument Teilhabe an der Gesellschaft durch Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Die dyadische Konstellation von schwerhörigen Assistierten und hörenden AssistentInnen ist dabei sowohl von Kooperation als auch von Abhängigkeit geprägt. Diskutiert wird personelle Assistenz als empirischer Gegenstand von Vertrauen (als Umgang mit Verletzbarkeit und Ungewissheit) und gleichsam von Aktionsmacht (als Verfügung über Gewährleistung oder Minderung sozialer Teilhabe). Es wird gezeigt, warum Vertrauen und Aktionsmacht von beträchtlicher empirischer Relevanz für die Auseinandersetzung mit (Arbeits-)Assistenz sind: Sie sind für das Gelingen und Scheitern des Instruments entscheidend.
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Notes
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Ausgangspunkt des Beitrags ist eine Re-Analyse von Befunden zweier Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die zwischen 2009 und 2011 mit soziologisch-sozialwissenschaftlichem Fokus am Lehrstuhl für Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurden.
- 2.
Mit den „Glückungsbedingungen“ beschreibt Goffman (aus soziologischer, nicht aus linguistischer Perspektive) die Fähigkeit, die in Sprechakten enthaltenen Implikationen (Hintergrundwissen, Vorwissen und wahrnehmbare Umgebung) so zu behandeln, dass das Gemeinte für ein Gegenüber rezipierbar wird.
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Objektive, valide und/oder reliable Statistiken zur Zahl schwerhöriger Personen gibt es (bislang) nicht. Schätzungen zur Verbreitung von Schwerhörigkeit in Deutschland gehen von bis zu 14 Millionen Personen aus (Heger und Holube 2010). Schwerhörigkeit kann im Laufe des Lebens durch Arbeitsbedingungen, Krankheit, Unfall oder Alterserscheinungen potenziell jeden betreffen, auch Berufstätige.
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Hier ließe sich einwenden, dass wir mit dem Blick auf Kompensationsmöglichkeiten ein veraltetes, defizitzentriertes und stigmatisierendes Modell von Behinderung re-aktualisieren. Lange stellte Behinderung in der Gesellschaft ein belastendes Problem dar, das es durch Prävention, Kuration und Rehabilitation zu verhüten, zu beseitigen oder auszugleichen galt (vgl. Oliver und Barnes 2012). Eine Abkehr von dieser Auffassung verfolgen seit den 1980er-Jahren die im US-amerikanischen und englischen Raum entstandenen ‚Disability Studies‘, die von einem sozialen Modell von Behinderung ausgehen: Dabei stehen Barrieren als gesellschaftlich verursachte Folge von Behinderung und die Gewährleistung von Teilhabe im Mittelpunkt; es wird nicht Behinderung mit Barriere gleichgesetzt (Waldschmidt und Schneider 2007). Wir halten diese Perspektive für richtig, und sehen gerade deshalb dringenden Auseinandersetzungsbedarf mit den Assistenzmodellen, denn sie soll Barrieren durch die moderne Arbeitswelt auffangen – und droht gleichsam, genau diese nur zu verstetigen.
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Im Folgenden wird zur Erleichterung des Leseflusses der Begriff der personellen Assistenz verwendet.
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Auf weitere Ausführungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und Anspruchsvoraussetzungen wird aufgrund des hier verfolgten interpretativen Interesses an Vertrauen und Aktionsmacht in der personellen Assistenz verzichtet.
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Zum besseren Verständnis sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen, dass die konkrete Arbeitspraxis der personellen Assistenz technisch einen flexiblen Methodenmix aus Verbaldolmetschen am Telefon, zusammenfassendem und simultanem Mitschreiben am Laptop und handschriftlichen Notizen in verschiedenen Situationen und räumlichen Bedingungen umfasst (Ergebnis des ini.KAB-Projektes, vgl. Abschn. 2).
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Sie können zudem entweder über den Arbeitgeber oder den Schwerhörigen angestellt sein – beide Modelle weisen jeweils Vor- und Nachteile auf, die an dieser Stelle nicht näher dargestellt werden können.
- 9.
Unter dem Konzept instrumenteller Macht konturiert Popitz eine zukunftszentrierte, möglichst glaubwürdige positive oder negative Sanktionsfähigkeit; mit autoritativer Macht beschreibt er der Ausübung von Macht, indem über die Anerkennung von Autorität das Selbstwertgefühl der Autoritätsabhängigen gesteuert wird; unter datensetzender Macht versteht er das Eingreifen in die Lebensbedingungen Anderer durch technisches Handeln.
- 10.
Weitere Informationen und alle Dokumente zum Download unter http://www.aog.ruhr-uni-bochum.de/iniKAB.html.
- 11.
Dabei wurden acht Schwerhörige mit Assistenzerfahrung, zehn Schwerhörige ohne Assistenzerfahrung, sieben ArbeitsassistentInnen und 15 ExpertInnen aus Beratungs- und Versorgungsinstitutionen (davon sechs ExpertInnen mit Schwerhörigkeit) interviewt.
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Explizite Gründe für das geringe Einverständnis (von nur 8 von 40 Personen) wurden seitens der Interviewpartner nicht aufgeführt. Einen Grund sehen wir in der Sorge, dass Interviewdaten im Projektkontext an andere Träger (u. a. Interessenverbände) gelangen könnten. Zudem gehen wird von sprachlichen Hemmnissen und Scham aus, die im Interview thematisierten beruflichen Herausforderungen und Defizite, mit denen die Befragten konfrontiert sind, auf einem bleibenden Medium speichern zu lassen. Daher könnte auch in diesem Zusammenhang die Angst vor dem Verlust von Informationskontrolle ein zentrales Motiv darstellen, die Audioaufnahme zu verweigern.
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Inhalte bildeten u. a. Theorien und Methoden der Kommunikation und Gesprächsführung, Hören und Hörschädigungen, EDV- und Schreibtraining, Stimmbildung und Atemtechniken, Techniken des simultanen Dolmetschens, Rechtsgrundlagen der Assistenz sowie Selbstmanagement, Gesundheitsförderung und berufliches Rollenverhalten in Organisationen. Das umfassende Tätigkeits-, Anforderungs- und Kompetenzprofil sowie das Curriculum der ini.KAB-Qualifizierung steht unter www.aog.rub.de/iniKAB.html zum Download zur Verfügung.
- 14.
An die Erhebungs- und Entwicklungsphase schloss sich die Evaluation der von einem Bildungsträger mit 20 Berufsrückkehrerinnen und Langzeitarbeitslosen durchgeführten 9-monatigen Pilot-Qualifizierung zu Arbeitsassistenzen mit Praktikumsphasen an. Dabei wurden leitfadengestützte Kurzinterviews mit den Teilnehmenden durchgeführt, zu Beginn der Qualifizierung über ihre Erwartungen und in der Mitte der Qualifizierungsphase über ihre Erfahrungen, v. a. im Rahmen der Praktika., und zum Ende der Qualifizierung im Rahmen eines Survey-Feedbacks.
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Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den „Glückungsbedingungen“ von Konversation sei erneut auf Goffman (2005) verwiesen.
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Eine sozialräumliche und zeitliche Trennung der widersprüchlichen Erwartungen und Situationen, wie sie aus der Rollentheorie bekannt ist, ist aufgrund der auf die räumlich und zeitlich dichten Dyade theoretisch denkbar, nicht aber für die Alltagspraxis realistisch.
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Richter, C., Mojescik, K. (2017). Stille Post: Vertrauen und Aktionsmacht in der personellen Assistenzdyade. In: Biniok, P., Lettkemann, E. (eds) Assistive Gesellschaft. Öffentliche Wissenschaft und gesellschaftlicher Wandel. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13720-5_6
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