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Wahlen als Medienereignis

Zum verfassungsrechtlichen Status der Demoskopie in der Demokratie

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Zusammenfassung

Bei der Bundestagswahl 2013 hat mit dem ZDF zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein öffentlich-rechtlicher Sender die bis dahin bestehende informelle Übereinkunft aufgekündigt, eine Woche vor politischen Wahlen keine Meinungsumfragen mehr zu publizieren und sich damit so verhalten wie zuvor schon die Presse. Für demoskopische Umfragen ist im ZDF die Forschungsgruppe Wahlen zuständig. Dabei handelt es sich um einen eingetragenen Verein, der laut Statut unter anderem die Aufgabe hat, wahlbezogene sozialwissenschaftliche Daten verwendende Sendungen des ZDF wissenschaftlich zu beraten und zu betreuen. Diese Programmentscheidung des ZDF stellt auch insofern einen Einschnitt in der Geschichte der Wahlberichterstattung dar, als durch sie allgemein sichtbar geworden ist, dass die Demoskopie zu einem politischen Faktor aufgestiegen ist. Die Demoskopie bildet nicht nur ein vermeintlich unabhängig von ihr selbst bestehendes Wählerverhalten ab, sondern interveniert in den Ablauf von Wahlen, indem sie im Wahlkampf Informationen über den voraussichtlichen Ausgang von Wahlen zur Verfügung stellt, an dem Wähler ihr Entscheidungsverhalten ausrichten. Das gilt umso mehr, als der Verlust der Bindungskraft der politischen Parteien in den letzten Jahrzehnten einerseits und die damit korrelierende massive Zunahme von Spätentscheidern andererseits (von Wählern, die sich erst im Laufe des Wahlkampfs für die eine oder andere Partei entscheiden) die Wahl mehr und mehr zu einem Ereignis machen, das als solches den Ausgang politischer Wahlen (mit)entscheidet.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. www.wahlrecht.de/umfragen/2013.html.

  2. 2.

    BVerfGE 44, 125 [139]; BVerfGE 20, 56 [97].

  3. 3.

    BVerfGE 44, 125 [140].

  4. 4.

    Lefort und Gauchet (1990, S. 89 ff., 113): „Das Überleben eines demokratischen Herrschaftssystems wäre […] unverständlich, wenn es nicht in seinem Schoße beständig den symbolischen Rahmen reproduzieren würde, in dem der Kampf der Menschen sich zivilisiert, indem er sich in ihm einschreibt, bzw. wenn sich nicht jenes Netz von Differenzen wiederherstellen würde, das die Demokratie vor ihrem Zusammenbruch bewahrt.“ Vgl. zum theoretischen Hintergrund Doll und Kohns (2014), Wagner (2013), Machart (2010, S. 118 ff.).

  5. 5.

    Vgl. etwa BVerfG, ZUM 2013, S. 793; dazu kritisch Ladeur (2013a, S. 650 f.).

  6. 6.

    BVerfGE 99, 1 [10].

  7. 7.

    BVerfGE 129, 124 [177].

  8. 8.

    BVerfGE 120, 82 [102]. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlen wird durch zwei unterschiedliche und letztlich nicht miteinander kompatible Demokratiekonzeptionen bestimmt, die man mit den Namen Böckenförde und Schmitt einerseits, Hesse und Smend andererseits verbinden und genauer konturieren könnte. Die hier vorgetragene Position versucht an die smendsche Tradition der Integrationslehre anzuknüpfen, um sie im Kontext der französischen politischen Theorie des Imaginären (Cornelius Castoriades, Claude Lefort u. a.) von ihrem Altersstaub (ihren ontologischen Resten) zu befreien und auf der Höhe der Zeit – medientheoretisch – zu reformulieren.

  9. 9.

    BVerfGE 82, 322 [337 f.]; vgl. auch Bumke und Voßkuhle (2013, Rn. 1928 ff.), wo dieser Argumentationsstrang allerdings einer „jüngeren“ Rechtsprechung zugeordnet wird. Das erscheint insofern etwas merkwürdig, als der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien bereits in BVerfGE 1, 208 [247 ff.], zumindest implizit angesprochen wird.

  10. 10.

    So jüngst noch einmal BVerfG, 2 BvE 2/13, vom 26. Februar 2014, Absatz-Nr. 54; vgl. auch BVerfGE 95, 408 [418].

  11. 11.

    Vgl. BVerfG, 2 BvE 2/13, vom 26. Februar 2014, Absatz-Nr. 54 ff.; BVerfGE 129, 300 [320 f.]; 120, 82 [111]; 95, 408 [418]; 51, 222 [236]; 6, 84 [92 ff.]; 4, 31 [40]; 1, 208 [247 f.].

  12. 12.

    Vgl. Hahlen (2013), § 32, Rn. 7. Früher galt in Frankreich wohl eine Karenzzeit von einer Woche, nach einem Urteil des Cour de cassation jetzt nur noch von einem Tag vor der Wahl (http://www.commission-dessondages.fr/competences/interdiction.html).

  13. 13.

    Dieses Argument ließe sich durch Überlegungen zur Risikovorsorge und zum Risikoverwaltungsrecht verfeinern. Vgl. zum Letzteren Augsberg (2014, S. 59 ff.): Risiko = Unmöglichkeit, Erfahrungen im Sinne prognostizierbarer Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen zu gewinnen; vgl. als Fallstudie Ladeur (2009, S. 159 ff., 178 ff.): Risikomanagement für die kulturelle Umwelt; vgl. auch Hoffmann-Riem (2009, S. 17 ff.).

  14. 14.

    Dazu allgemein BVerfGE 44, 125 [147 ff.].

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Vesting, T. (2017). Wahlen als Medienereignis. In: Faas, T., Molthagen, D., Mörschel, T. (eds) Demokratie und Demoskopie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13677-2_3

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