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Die Befunde der Studie im Kontext der gegenwärtigen Krise der Europäischen Union

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Part of the book series: Europa – Politik – Gesellschaft ((EPG))

Zusammenfassung

Was bedeutet die Tatsache, dass die Menschen in ihren kollektiven Erinnerungen in erster Linie auf ihren Nationalstaat bezogen bleiben für die Zukunft Europas angesichts der gegenwärtigen Krisen in der Europäischen Union? Wir argumentieren in diesem Kapitel, dass Transnationalisierungs- und Europäisierungsprozesse auf der systemischen Ebene in vielen gesellschaftlichen Bereichen sehr weit fortgeschritten sind, während die Sozialintegration in Bezug auf eine Transnationalisierung und Europäisierung von kollektiven Erinnerungen diesem Prozess weit hinterher hinkt. Die Euro- und Flüchtlingskrise der EU verschärft diese Inkongruenz zwischen Sozial- und Systemintegration noch weiter. Die beiden Krisen haben zu einer Reaktivierung nationaler Interpretationen und Stereotypenbildungen geführt. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass eine solche kulturelle Renationalisierung in Hinblick auf die kollektiven Erinnerungen der Bürger auf einen sehr günstigen Resonanzboden fällt, da diese fast vollständig im nationalstaatlichen Rahmen verharren und die Auswahl und Deutung historischer Ereignisse in erster Linie durch das Interesse an einer intakten positiven Identifikation mit der eigenen Nation motiviert ist.

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Notes

  1. 1.

    Die Akzeptanz der wirtschaftlichen und sozialen Gleichheit ist mit über 70 % am höchsten, während die Zustimmungsraten zur politischen Gleichheit etwas geringer ausfallen (vgl. Gerhards und Lengfeld 2014, S. 212).

  2. 2.

    Das Demokratiedefizit der EU besteht darin, dass der Adressat von Herrschaftsbeschlüssen der EU – nämlich die Bürger Europas – nicht oder nur partiell identisch ist mit dem „demos“, der die Herrschaftsträger ausgewählt hat: Der Europäische Rat als Versammlung der Regierungschefs der verschiedenen Nationalstaaten und der Rat der Europäischen Union, bestehend aus den Fachministern der Länder, sind nicht unmittelbar von einem europäischen Volk gewählt, sondern indirekt legitimiert über die nationalen Wahlen. Die Kommission ist weder direkt noch indirekt über Wahlen legitimiert, während aber die EU-Bürger unmittelbar den Beschlüssen des Rats und der Kommission unterworfen sind. Mit der Stärkung des Europäischen Parlaments und der Ausdehnung der Beteiligung des Parlaments an der Gesetzgebung ist das Demokratiedefizit insofern reduziert worden, als das Parlament aus europäischen Wahlen hervorgeht und von einem europäischen „demos“ gewählt wird. Das Parlament bleibt aber im Vergleich zu den anderen Institutionen weiterhin die wohl schwächste europäische Institution. Eine prägnante zusammenfassende Beschreibung des Demokratieproblems der Europäischen Union findet sich z. B. bei Dieter Grimm (2015).

  3. 3.

    Wir gehen hier nicht auf die Frage ein, welches die Ursachen der Eurokrise sind, sondern beschränken uns auf eine Beschreibung der eingeschlagenen Lösungswege. Eine sehr kurze und prägnante Beschreibung der Ursachen der Krise liefert M. Rainer Lepsius (2013).

  4. 4.

    So wurde z. B. von den Innenministern der Mitgliedsländer im September 2015 beschlossen, einen Anteil der Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilen; der Beschluss wurde erstmalig nicht einstimmig gefällt; einige der in der Abstimmung unterlegenen Länder haben in der Folge den Europäischen Gerichtshof angerufen, weil sie den Beschluss nicht akzeptieren wollen.

  5. 5.

    In der Literatur wird von einer Politisierung der EU gesprochen, wenn einerseits die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und das Bewusstsein der Bürger für europäische Themen steigt und andererseits die Themen zunehmend kontrovers und polarisiert diskutiert werden und sich die Anzahl von kollektiven Akteuren vergrößert (Parteien und Interessengruppen), die sich zu europäischen Themen äußern (vgl. Wilde 2011; Rauh und Zürn 2014; Risse 2015; Wilde et al. 2016).

  6. 6.

    Der empirische Befund einer zunehmenden Polarisierung des europäischen Projekts und der Ausbildung einer neuen Konfliktlinie wird in der Literatur recht unterschiedlich interpretiert und bewertet. Während z. B. Thomas Risse (2014) die Zunahme der Kontroverse über die Zukunft der europäischen Integration als Normalisierung und konstitutiv für demokratische Systeme interpretiert, sind andere Autoren – und dazu gehören die zitierten Edgar Grande und Hanspeter Kriesi (2015) – wesentlich skeptischer und sehen in der Polarisierung auch die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU.

  7. 7.

    Die Ergebnisse des Eurobarometers werden von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich interpretiert. Im Unterschied zu Neil Fligstein (2009) gruppieren Dieter Fuchs (2013) und Thomas Risse (2014) die vier Antwortalternativen der oben zitierten Eurobarometerfrage auf eine andere Art und Weise. Diejenigen, die sich allein als Mitglied der eigenen Nation sehen, weisen eine nationale Identifikation auf, während diejenigen, die sich entweder als Mitglied der eigenen Nation und als Europäer, als Europäer und als Mitglied der eigenen Nation oder nur als Europäer sehen zumindest partiell eine europäische Identität aufweisen. Entsprechend kommen Fuchs und Risse auch zu einer optimistischen Einschätzung bezüglich der Existenz einer europäischen Identität.

  8. 8.

    Aus dem Kontext des Zitats ergibt sich, dass hier nationale Kollektive gemeint sind.

  9. 9.

    Wir gehen hier weder auf die Frage ein, wie sich Habermas einen Umbau der europäischen Institutionen in Richtung einer Demokratisierung genau vorstellt (vgl. dazu Habermas 2014, S. 533 f.), noch diskutieren wir die Kritik an diesen Modellvorstellungen (vgl. zuletzt Scharpf 2015).

  10. 10.

    Die Forderung nach einer Demokratisierung der EU wird von Habermas um die Forderung einer weiteren systemischen Integration durch die Schaffung einer europäischen Wirtschaftsregierung zur Koordinierung einer europaweiten Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzt (Habermas 2011, S. 41 ff.).

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© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden

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Gerhards, J., Breuer, L., Delius, A. (2017). Die Befunde der Studie im Kontext der gegenwärtigen Krise der Europäischen Union. In: Kollektive Erinnerungen der europäischen Bürger im Kontext von Transnationalisierungsprozessen. Europa – Politik – Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13402-0_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-13402-0_8

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-13401-3

  • Online ISBN: 978-3-658-13402-0

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

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