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Krieg und Geschlecht – Konsequenzen für die Friedensarbeit

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Gewaltfreie Männlichkeitsideale

Part of the book series: Politische Psychologie ((POLPSY))

Zusammenfassung

In der praktischen Friedensarbeit spielen Geschlechterperspektiven seit der Resolution des UN-Sicherheitsrates 1325 eine zunehmend wichtige Rolle. Im Mittelpunkt steht dabei oft das Ziel, die Teilhabe von Frauen zu stärken. Die vorliegende Arbeit bezieht ergänzend Wissen über machtvolle Geschlechterbilder in bewaffneten Konflikten auf die Praxis der Friedensarbeit. Der theoretische Rahmen der Untersuchung umfasst das Konzept hegemonialer Männlichkeit, Intersektionalität und entsprechende Definitionen von Nation, Ethnizität und Nationalismus. Darauf aufbauend werden Kriterien für eine Männlichkeitsperspektive in der Friedensarbeit entwickelt. Gute Friedensarbeit soll demnach darauf abzielen, Hierarchien zwischen Männern und Frauen nicht zu verstärken, Männlichkeitskonstruktionen zu demilitarisieren, sozial akzeptierte Männlichkeitsvorstellungen zu vervielfältigen und gleichzeitig weitere konfliktrelevante Hegemoniediskurse, wie Nationalismen, in Frage zu stellen. Die Kriterien bilden das Herzstück für ein Evaluationskonzept, das nicht ausschließlich auf kurzfristige Wirkungen von Friedensarbeit ausgerichtet ist – die theoriebasierte Evaluation anhand von Gütekriterien.

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Notes

  1. 1.

    Grundzüge des Abschn. 2.1 flossen in den Artikel „Friedenspsychologie“ im Sammelband „Geschlechterforschung und Psychologie“ von Giesela Steins ein (Schroer 2010).

  2. 2.

    Ein solcher Verständigungsversuch kann jedoch auch scheitern, wie das Beispiel der Mütterdemonstration „Wall of Love“ vor Kasernen der Jugoslawischen Volksarmee 1991 zeigt (Žarkov 2007, S. 43 ff.).

  3. 3.

    Durchschnittswerte aus den USA, Australien und Europa weisen darauf hin, dass 80 bis 90 % der Angeklagten für Gewaltverbrechen Männer sind (Breines et al. 2000a, S. 15). Der private Waffenbesitz lag in den USA bei Männern um das Vierfache höher als bei Frauen (Smith und Smith 1994 nach Connell 2001, S. 14).

  4. 4.

    Nach einer Schätzung der WHO machen Männer (bzw. männliche 15- bis 44-Jährige) weltweit etwa 60 % der Opfer von Tötungsdelikten aus (World Health Organization 2014, S. vii).

  5. 5.

    In der Bundeswehr wurden Frauen erst im Jahr 2000 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshof zu Positionen mit Kombattantenstatus zugelassen (Wasmuth 2002, S. 87).

  6. 6.

    Unter den nationalen Armeen haben die USA, Neuseeland, Australien, Lettland und Bulgarien einen Frauenanteil von etwa 15 %, in den NATO-Mitgliedstaaten sind es durchschnittlich 10,3 % (NATO 2016, S. 12), in Israel ca. 30 %, jedoch zeigt sich auch in Israel eine deutlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Militär (Seifert 2003, S. 24).

  7. 7.

    Laut World Fact Book des CIA sahen im Jahr 2016 75 von 176 aufgeführten Staaten eine Form des verpflichtenden Wehrdienstes für Männer vor. Nur in acht Ländern besteht auch ein verpflichtender Militärdienst für Frauen, z. B. in Bolivien, Kuba, Eritrea und Israel (Central Intelligence Agency 2016).

  8. 8.

    Im Streit um die Differenz, einer umfangreichen Debatte der Geschlechterforschung mit ihrem Höhepunkt in den 1990er Jahren, standen sich differenztheoretische und konstruktivistische Positionen gegenüber. Differenzfeministische Ansätze legten verallgemeinerbare Kompetenzen der Frauen in Hinblick auf Friedensförderung nahe, z. B. ein spezifisch weibliches Verhandlungsgeschick (Pearson und Babbitt 1998) oder eine Verbundenheit zum Leben durch die Mutterschaft (Ruddick 1995). Auch psychoanalytische Ansätze der Gender- und Konfliktforschung (z. B. Richter 2006) gehen von einer auf der Anatomie basierenden psychischen Geschlechterdifferenz aus. Der Anspruch der Allgemeingültigkeit differenzfeministischer Positionen wurde dahin gehend kritisiert, dass die historische, kulturelle und soziale Vielfalt geschlechtlicher Positionen nicht berücksichtigt werde. Im Zuge der insbesondere durch Judith Butler (1990) angestoßen Debatte zur Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht und der Zweigeschlechtlichkeit war die Zuschreibung weiblicher oder männlicher Kompetenzen obsolet geworden. In den Vordergrund der Debatte rückte schnell die Frage, wie konstruktivistische Grundannahmen Ausgangspunkt und Teil feministischer, friedenspolitischer Arbeit sein können. Später war wieder vom „Rätsel der Differenz“ (Knapp und Wetterer 2003) die Rede. Dabei ging es jedoch nicht um die Frage nach Geschlechtszugehörigkeit als Ursache für Verhaltensunterschiede sondern um Mechanismen der Reproduktion vergeschlechtlichter Strukturen.

  9. 9.

    Eine ähnliche Unterscheidung relevanter Geschlechterebenen finden sich z. B. bei Connell (1999, S. 91), Seifert (2004b, S. 18) und Kerner (2010, S. 36).

  10. 10.

    Früher als im internationalen Vergleich begann in Deutschland die wissenschaftliche Debatte über Täterinnen bereits in den 1980er Jahren mit der These der Mittäterschaft von Frauen an patriarchalen Strukturen (Thürmer-Rohr 1987 nach Herkomer 2007) und der Auseinandersetzung mit Täterinnen im Nationalsozialismus (Ebbinhaus 1987 nach Herkomer 2007; Mailänder-Koslov 2009).

  11. 11.

    In der Debatte wurde zugleich angemahnt, auch in der feministischen Forschung kritisch gegenüber Geschlechterstereotypisierungen zu bleiben (z. B. Žarkov 2006, S. 215). Die Kritik spiegelte sich u. a. in der Erweiterung der eingangs beschriebenen Debatte wider, so dass Erfahrungen und Rollen von Frauen und Männern im Krieg im breiteren Sinne zu erforscht wurden, z. B. auch Kriegsvergewaltigungen an Männern (Žarkov 2001, S. 71 ff.) oder Frauen als Täterinnen (z. B. Ibàṅez 2001, S. 120 ff.). In der Debatte über Kriegsvergewaltigungen wurden zudem ethnisch-religiöse Stereotypisierungen kritisiert, z. B. die orientialistische Darstellung muslimischer Frauen in Bosnien als „besonders“ durch Vergewaltigungen betroffen, auch in feministischen Texten (Žarkov 2007, S. 148).

  12. 12.

    Das Konfliktmangament ist ein auf Staaten bezogenener Ansatz, der in den IB verankert ist und Maßnahmen unter Anwendung von Zwang einschließt, während sich „conflict resolution“ und dessen Weiterentwicklungen auf Berücksichtigung der menschlichen Grundbedürfnisse beziehen und die Bearbeitung der Konfliktursachen in den Blick nehmen (Harders 2014, S. 134).

  13. 13.

    In einer breiten Debatte wurden auch militärische Friedensmissionen aus feministischer Sicht untersucht (Seifert et al. 2003; Dittmer 2007; Engels 2008, S. 47 ff.). Es wurde gezeigt, dass Friedensmissionen vielerorts negative Auswirkungen auf lokale Geschlechterbeziehungen und auf Frauen hatten, indem sie gesellschaftliche Militarisierung zu Lasten der Frauen fortsetzten (Enloe 2002) und zur Prostitution und Frauenhandel beitrugen (International Alert 2001, D. M. International Alert, Eugenia Piza Lopez 2002, Higate und Henry 2004, S. 492). Hierarchien zwischen internationalen männlichen Peacekeepern und lokalen Männern führten oft zu neuen Konfliktlinien zwischen Männern (Schäfer 2008b, S. 270 f.; Higate und Henry 2004, S. 492). Umgekehrt könne vorbildliches Verhalten internationaler Truppen und die Präsenz von UN-Soldatinnen lokale Frauen stärken (Seifert 2004c, S. 200). In Leitfäden für eine Geschlechterperspektive bei Peace Support Operationen wurde ein besonderer Schwerpunkt auf die Inklusion von Soldatinnen und die Stärkung lokaler Frauen gelegt (z. B. International Alert 2001; Spees 2004). Aus einer übergeordneten Perspektive wurde wiederum kritisiert, dass die „Befreiung der Frauen“ zu Legitimierung von westlichen Kampfeinsätzen herangezogen werde (Nachtigall 2014).

  14. 14.

    Der oft vorgebrachte Einwand, Geschlechtergleichstellung werde den Nachkriegsgesellschaften von externen Gebern aufgezwungen, lässt sich nicht immer bestätigen. Interviews mit Aktivistinnen in Burundi und Nepal legen zwar nahe, dass Gendermainstreaming häufig als externe Vorgabe wahrgenommen wurde, die nicht auf die spezifischen Kontexte und Bedürfnisse passe (El Bushra 2012). Am Beispiel Bosnien-Herzegowinas hingegen zeigt Anne Jenichen, dass die weitreichenden Gesetzesänderungen zugunsten einer stärkeren politischen Beteiligung von Frauen und zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt nicht durch externe Geber aufgezwungen, sondern durch das Zusammenspiel lokaler und internationaler Schlüsselpersonen erreicht wurden (Jenichen 2009). Auch für Ruanda wurde gezeigt, dass die Frauenbewegungen Lobbyarbeit für die Verfolgung sexualisierter Gewalt bei der Aufarbeitung des Genozids oder Reformen der Gesetzgebung zur Eheschließung leisteten (Mageza-Barthel 2011).

  15. 15.

    Den Begriff class bei Connell übersetze ich bedeutungsgleich mit Klasse oder Schicht, den Begriff race mit Rasse.

  16. 16.

    Vergleiche hierzu auch Schroer-Hippel (2013b).

  17. 17.

    Diesen Ansätzen liegt ein Machtbegriff im Foucaultschen Sinne zugrunde, nach dem Macht, vereinfacht gesagt, diskursiv, z. B. durch die Konstruktion von untergeordneten Gruppen, und durch vielfältige institutionelle Praktiken ständig hergestellt wird.

  18. 18.

    Zur Verknüfpung der gesellschaftlichen Makroebene mit der Mikroebene alltäglichen Handelns hinsichtlich der Geschlechterdimensionen in gewaltförmigen Konflikten siehe Bettina Engels und Sven Chojnacki (2007).

  19. 19.

    Eine frühere Fassung der hier beschriebenen Kriterien ist in der Femina Politica veröffentlicht (Schroer-Hippel 2011b).

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Schroer-Hippel, M. (2017). Krieg und Geschlecht – Konsequenzen für die Friedensarbeit. In: Gewaltfreie Männlichkeitsideale. Politische Psychologie. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12998-9_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-12998-9_2

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  • Publisher Name: Springer, Wiesbaden

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