Zusammenfassung
Zum Einstieg soll an einen Schlüsseltext der Prekarisierungsforschung erinnert werden, der nichts an Aktualität verloren hat: „Prekarität hat bei dem, der sie erleidet, tiefgreifende Auswirkungen. Indem sie die Zukunft überhaupt in Ungewissem lässt, verwehrt sie den Betroffenen gleichzeitig jede rationale Vorwegnahme der Zukunft und vor allen Dingen jenes Mindestmaß an Hoffnung und Glauben an die Zukunft, das für eine vor allem kollektive Auflehnung gegen eine noch so unerträgliche Gegenwart notwendig ist (…). Zu diesen Folgen der Prekarität für die direkt Betroffenen gesellen sich die Auswirkungen auf die von ihr den Augenschein nach Verschonten. Doch sie lässt sich nicht vergessen. Sie ist zu jedem Augenblick in allen Köpfen präsent“ (Bourdieu 1998, S. 97).
There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.
Warren Buffett
Warren Buffett im Interview mit Ben Stein in: New York Times, 26. November 2006.
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Notes
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Lt. Forbes 2015. Sein Privatvermögen wird auf rund 73 Mrd. US $ geschätzt. Zum Vergleich weist der Journalist Christoph Rottwilm darauf hin, dass Buffett, um das Jahresdurchschnittsbruttoverdienst einer Person in Deutschland in seine Kassen und Depots fließen zu lassen, exakt 2,1 min (sic!) benötigt, siehe http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/warren-buffett-rechner-von-pennystocks-lab-vergleicht-gehalt-a-978391.html. Zugegriffen: 15. August 2015.
- 2.
Wie Michel Serres jüngeren Datums postuliert hat, kann einzig die Orientierung an einer global zu erkämpfenden Kosmokratie, die des Menschen Ausbeutung der Natur zu beenden hätte, die globusumgreifende, wachstums- und kapitalförmige Navigation gegenwärtiger Sozio-Ökonomien in den Tod verhindern (vgl. Serres 2009, S. 78f).
- 3.
„Weder dem Bewusstsein noch dem Unterbewusstsein lässt sie jemals Ruhe. Die Existenz einer beträchtlichen Reservearmee, die man aufgrund der Überproduktion an Diplomen längst nicht mehr nur auf den untersten Qualifikationsebenen findet, flößt jedem Arbeitnehmer das Gefühl ein, dass keineswegs unersetzbar ist und seine Arbeit, seine Stelle gewissermaßen ein Privileg darstellt, freilich ein zerbrechliches und bedrohtes Privileg (daran erinnern ihn zumindest seine Arbeitgeber bei der geringsten Verfehlung und die Journalisten und Kommentatoren jeglicher Art beim nächstbesten Streik). Die objektive Unsicherheit bewirkt eine allgemeine subjektive Unsicherheit, welche heutzutage mitten in einer hochentwickelten Volkswirtschaft sämtliche Arbeitnehmer, einschließlich derjenigen unter ihnen in Mitleidenschaft zieht, die gar nicht oder noch nicht von ihr betroffen sind“ (Bourdieu 1998a, S. 97 f.).
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Wehler (2013, S. 165) nennt explizit Friedrich August von Hayek und Milton Friedman, die er polemisch als „wirtschaftswissenschaftliche Ideenspender“ für die neoliberale Politik von Thatcher und Reagan bezeichnet.
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Das Beiwort „oszillierend“ signifiziert Dynamisches, also Prozessuales. Gemeint ist der Wechsel von prekärer und nicht-prekärer Situation. So kann das Schließen eines Kindergartens in der Nähe der Arbeitsstätte oder des Wohnorts für Alleinerziehende aufgrund von zusätzlichen Mobilitätskosten, Zeitverlusten und stressbedingten Belastungen erhebliche Probleme nicht zuletzt psychischer Art (Stichwort: Burnout-Alarm) erzeugen.
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Riesinger, R.F. (2016). Prekarisierung und Prekarität. In: Hepp, R., Riesinger, R., Kergel, D. (eds) Verunsicherte Gesellschaft. Prekarisierung und soziale Entkopplung - transdisziplinäre Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12902-6_12
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