Zusammenfassung
Geochemisch-basierte Analysen dienen zur Entwicklung von Bewertungsgrundlagen und dem Vergleich der Entsorgungsoptionen wartungsfreie Tiefenlagerung, Tiefenlagerung mit Rückholbarkeit und Oberflächenlagerung, da sie Radionuklidquellterme und Variationsbreiten von Radionuklidkonzentrationen liefern, die zu Sicherheits- bzw. Risikoindikatoren für die untersuchten Lagersysteme führen. Diese Arbeiten erfolgen in den Spannungsfeldern Risiko und Sicherheit und Sicherheit und Reversibilität, die in „ENTRIA 2014: Memorandum zur Entsorgung hoch radioaktiver Reststoffe“ (Röhlig et al. 2014) ausführlich diskutiert wurden.
In der Diskussion dieser Spannungsfelder und darüber hinaus wird deutlich, dass die Beurteilung der Entsorgungsoptionen in der Gesellschaft nicht ausschließlich einer naturwissenschaftlich/technischen Argumentation folgt; stattdessen wirken sich unterschiedliche sozio-politische Faktoren stark auf die Bevorzugung dieser oder jener Option aus (Brunnengräber und Schreurs 2015; Häfner in diesem Band, Kap. 2). Vor dem Hintergrund, dass eine Risikoanalyse neben ingenieur- und naturwissenschaftlichen auch geisteswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, ethische und rechtliche Betrachtungsweisen einschließt, bedürfen die Ergebnisse geochemisch-basierter Analysen wie auch anderer naturwissenschaftlicher Expertisen einer ausführlichen und für fachfremde Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie für die Öffentlichkeit verständlichen Übersetzung der Wissensbestände einschließlich einer Erläuterung der Ungewissheiten (Hocke 2006), die sich aus dem derzeit vorhandenen wissenschaftlichen Verständnis der Lagersysteme und ihrer langfristigen Entwicklung ergeben. Wie auch bei anderen Ansätzen zur Analyse der Entsorgungsoptionen bedarf es einer Reduktion der Komplexität, um für Fachfremde verständlich zu werden. Die Herausforderung ist, einerseits die disziplinären Wissensbestände allgemein verständlich auszudrücken, andererseits nicht in Banalität oder (Über-)Simplifizierung abzugleiten (siehe Smeddinck in diesem Band, Kap. 4).
Das Hauptergebnis geochemisch-basierter Analysen der Entsorgungsoptionen sind weniger numerische Resultate hinsichtlich potenzieller radiologischer und chemotoxischer Auswirkungen der untersuchten Entsorgungsoptionen, sondern der Vertrauensgrad in die angewendete Methodik und die untersuchten Multibarrierensysteme. Die numerischen Resultate und die begleitende Argumentation zu den Resultaten dienen als Sicherheits- und Risikoindikatoren für einen offenen und fairen Vergleich der Optionen wartungsfreie Tiefenlagerung, Tiefenlagerung mit Rückholbarkeit und Oberflächenlagerung, der im Zusammenwirken mit sozio-politischen, ethischen und rechtlichen Analysen zu erfolgen hat.
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Notes
- 1.
Zur Erleichterung der Lesbarkeit wird im Folgenden anstelle von radiotoxischen Stoffen vereinfachend von Radionukliden geschrieben.
- 2.
V. M. Goldschmidt arbeitete als Professor unter anderem an der Universität Göttingen, wo er grundlegende Studien zur Geochemie verfasste, wie „Geochemische Verteilungsgesetze und kosmische Häufigkeit der Elemente“ (1930). Da er Jude war, wurde er 1935 durch das nationalsozialistische Regime aus Deutschland vertrieben und nach der Besetzung Norwegens dort von der Gestapo verhaftet. Er konnte aber unter abenteuerlichen Umständen über Schweden nach Großbritannien fliehen. 1947 starb V.M. Goldschmidt in seiner norwegischen Heimat (nach Stolberg-Wernigerode 1964).
- 3.
Die Grundlage von Modellierungen zur Radionuklidausbreitung sind Radionuklidquellterme – Quellterme sind Abschätzungen der Radionuklidmengen die aus der Quelle (radioaktive Reststoffe bzw. aus dem Lagersystem) freigesetzt werden können.
- 4.
In Zusammenhang mit den Naturgesetzen schrieb Immanuel Kant über die Naturwissenschaftler: „Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse“ (Kant 1787).
- 5.
Diese Fragenkomplexe gelten in ähnlicher Weise auch für die geochemisch-basierte Analyse der Entsorgungsoption Oberflächenlagerung.
- 6.
Grambow und Bretesché (2014): „Principal result of such assessments is not the compliance to a numerical performance indicator (dose to human beings living some hundreds of thousands of years from now…) but the degree of confidence created.“
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Metz, V. (2016). Interdisziplinäre Analysen von Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe – der Beitrag geochemisch-basierter Analysen. In: Smeddinck, U., Kuppler, S., Chaudry, S. (eds) Inter- und Transdisziplinarität bei der Entsorgung radioaktiver Reststoffe. Energie in Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12254-6_3
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