4.1 Der Standortbegriff

Die Auseinandersetzung mit der Thematik der Bestimmung und Analyse von Standorten erfordert zunächst eine Definition des Standortbegriffs. Karl-Werner Hansmann definiert für Industriebetriebe den Standort als einen „geografischen Ort […], an dem das Unternehmen Leistungen erstellt bzw. verwertet“ (Hansmann 1974, S. 15).

4.2 Die Entwicklung der Standorttheorien

Die Auseinandersetzung mit Fragen der Standortlokalisierung hat – historisch betrachtet – ihre Ursprünge in der thematischen Betrachtung von landwirtschaftlichen Produktionsbetrieben. Als eines der ersten umfassenden wissenschaftlichen Werke auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum gilt das Buch Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie von Johann Heinrich von Thünen aus dem Jahr 1826 (Thünen 1921 (Nachdruck)). Das darin aufgestellte Standortstrukturmodell stellt die direkte Abhängigkeit des erzielbaren Ertrages an einem Standort und dessen Nutzungsintensität dar; ein theoretischer Ansatz, welcher heute noch Gültigkeit besitzt. Thünen selbst setzt sich in seinem Werk jedoch in starkem Maße mit den Untersuchungen, veröffentlicht im Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, von Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert auseinander und bezieht sich in seinen Ausführungen oft auf dessen Ergebnisse (Smith 1976 (Nachdruck)).

Mit der Entwicklung industrieller Fertigungsprozesse stellte sich auch sehr bald die Frage nach dem richtigen Produktionsstandort für die Industrie. Die Theorie für industrielle Standorte wurde in Deutschland von Nationalökonom Alfred Weber (1868–1958) eingeführt, der hierzu bereits 1909 ein erstes Werk mit dem Titel Über den Standort der Industrien veröffentlicht hat (Weber 1909). Zwar hatte sich bereits zuvor Wilhelm Roscher (1817–1894) hiermit im Rahmen seiner Arbeiten zu Standortthemen auseinander gesetzt (Roscher 1861). Dies gilt ebenso für Albert Schäffele (1831–1903), der sich als Volkswirt und Politiker insbesondere mit handels- und sozialpolitischen Fragen auseinandersetzte (Schäffle 1873). Es gab jedoch bis zu Weber keine Theorie des Industriestandortes (Kiesewetter 2000, S. 65). Weber untersuchte die Standortfaktoren und Standortdynamik, um „… den Knäuel von Orientierungsgründen, der uns überall in der Wirklichkeit entgegentritt, zu entwirren“ (Weber 1909, S. 3). Dabei wird von Weber der Versuch unternommen, seine Theorie losgelöst von der umgebenden Wirtschaftsordnung aufzustellen. Allerdings berücksichtigt er nur die Arbeits- und Transportkosten bei den Standortproblemen.

Ein erster Versuch, einen theoretischen Ansatz für einzelne Standorttypen zu finden, wurde im Jahr 1951 durch Meyer-Lindemann in seiner Ausarbeitung Typologie der Theorien des Industriestandortes unternommen (Meyer-Lindemann 1951). Darauf aufbauend, entwickelte Behrens dessen Konzept im Jahr 1960 weiter und entwarf eine verbesserte und ergänzte Systematik für die Industriestandortlehre (Behrens 1960). Dessen Überlegungen wurden in den folgenden Jahren durch Kaiser in verschiedenen Veröffentlichungen weiter vertieft, so z. B. in Industrielle Standortfaktoren und Betriebstypenbildung (Kaiser 1979). Dessen Werk entwickelte eine immer noch gültige Übersicht der Industriestandorttheorien , welche nachstehend in Abb. 4.1 dargestellt ist (Kaiser 1979, S. 19).

Abb. 4.1
figure 1

Systematik der Industriestandortlehre nach Kaiser

Grundsätzlich kann jedoch, aufbauend auf Meyer-Lindemann, heute immer noch zwischen vier grundlegenden Formen von Standorttheorien unterschieden werden:

  • Standortbestimmungslehre : Die Standortbestimmungslehre untersucht die Bestimmungsgründe, welche zu einer Standortwahl führen.

  • Standortwirkungslehre : Die Standortwirkungslehre untersucht in der Folge die Wirkungen, welche sich aus einer gegebenen Standortwahl ergeben.

  • Standortentwicklungslehre : Die Standortentwicklungslehre untersucht wiederum die historische Entwicklung von Standortstrukturen.

  • Standortgestaltungslehre : Die Standortgestaltungslehre hingegen untersucht die verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten für die räumliche Standortverteilung.

Die thematische Gewichtung ist in den jeweiligen vorgenannten Theorien sehr unterschiedlich. Die Standortbestimmungslehre ist vornehmlich von betriebswirtschaftlichen und technischen Fragestellungen geprägt. Die Standortgestaltungslehre setzt sich dagegen vornehmlich mit wirtschaftspolitischen und volkswirtschaftlichen Themen auseinander. Die Standortwirkungslehre sowie die Standortentwicklungslehre sind wiederum von allen ausgeführten fachlichen Aspekten geprägt.

Grundsätzlich ist es das Ziel der Standortbestimmungslehre, für die Wahl eines Standortes relevante Einflussgrößen herauszuarbeiten. Mit Hilfe von bestimmten Bewertungsverfahren kann auf deren Basis letztlich eine Standortentscheidung herbeigeführt werden.

Basierend auf dem (reinen) Ansatz einer Standortbestimmung gibt es in den letzten Jahren verstärkt Untersuchungen über die Entscheidungsprozesse selbst, welche zur Auswahl des Standortes geführt haben. Hierbei stehen weniger die eigentlichen Ergebnisse der Standortsuche im Vordergrund, sondern die Beurteilungsmethoden und Bewertungsmodelle, welche diese Entscheidung herbeigeführt haben. Dieser Ansatz ist ergänzend zur Standortbestimmungslehre zu sehen, welche auch in anderen Quellen als Standortfaktorenlehre bezeichnet wird (Kappler und Wegmann 1991, S. 220). Diese ergänzende, planerisch ausgerichtete Lehre zur Entwicklung von Beurteilungsmethoden kann daher auch als zusätzliche fünfte Standorttheorie – der Standortplanung – angesehen werden (Goette 1994, S. 50).

Im Rahmen dieses Buches wird die Standortbestimmungslehre gemeinsam mit der Standortplanung unter den Oberbegriffen Standortsuche, Standortanalyse oder Standortevaluierung weiterverfolgt. Die anderen Theorien der Standortwirkungslehre, Standortentwicklungslehre und Standortgestaltungslehre werden aufgrund der thematischen Fokussierung nicht weiter betrachtet.

4.3 Die standortstrategischen Konzepte

Die konzeptionelle Ausrichtung des neu zu gründenden Standortes basiert zunächst einmal auf der jeweiligen Standortstrategie, auf deren Basis die Initiative für das Projekt begründet ist. Es gibt unterschiedliche strategische Ansätze, welche eine Standortsuche begründen. Hierbei kann man im Wesentlichen zwischen zwei grundlegend verschiedenen Konzepten unterscheiden (siehe Abb. 4.2):

  • impulsbezogene Strategien und

  • umsetzungsbezogene Strategien .

Abb. 4.2
figure 2

Standortstrategische Konzepte

Impulsbezogene Strategien richten sich an den Gründen aus, welche den Auslöser bzw. den Impuls für die Standortsuche gegeben haben. Davon werden die wesentlichen Ziele für die Standortevaluierung abgeleitet.

Grundsätzlich können diese Strategien unterschieden werden in

  • kostenorientierte Standortstrategien ,

  • marktorientierte Standortstrategien und

  • regulatorisch orientierte Standortstrategien .

Die kostenorientierten Standortstrategien zielen auf mögliche Kostensenkungs- und somit Einsparungspotenziale ab. Die marktorientierten Strategien können für die zu etablierende Produktion wiederum auf den Rohstoff- wie den Absatzmarkt gerichtet sein. Dabei geht es entweder um den Zugang zu möglichst günstigen Rohstoffpreisen oder die Erschließung von Absatzpotenzialen, insbesondere in ausländischen Märkten.

Umsetzungsbezogene Strategien hingegen orientieren sich an der Umsetzungsphilosophie, welche zu einem neuen Standort führt. Dabei ist zwischen drei Arten zu unterscheiden (Glatte 2004, S. 473):

  • Akquisition

  • Kooperation

  • Eigeninvestition

Eine Akquisition kann in Form des Kaufes eines bestehenden Standortes oder lediglich einer existierenden Produktionsanlage an einem Standort (engl.: asset deal ) geschehen.

Sie kann jedoch auch als Erwerb eines ganzen Unternehmens oder von Unternehmensanteilen erfolgen (engl.: share deal ). Der strategische Ansatz einer Kooperation äußert sich zumeist in der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens (engl.: joint venture) oder aber in strategischen Allianzen (Goette 1994, S. 46).

Diese Strategie hat insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern an Bedeutung gewonnen, da sich das Vorhandensein eines lokalen Partners mit Kenntnis der landesüblichen Gepflogenheiten, mit Behördenkontakten für Genehmigungsprozesse, mit Kenntnis der bestehenden Vertriebswege und unter Umständen auch des vorhandenen Personals gerade für Erstinvestitionen in diesen Märkten als entscheidender Vorteil herausgestellt hat (Glatte 2004, S. 473). Unter einer Eigeninvestition ist die vollständig ohne unternehmerische Partner realisierte Eigenlösung zu verstehen.

Üblicherweise hat der strategische Ansatz einer Akquisition jedoch keine Standortsuche, sondern zumeist eine Übernahme von bestehenden Einrichtungen und deren nachgelagerte Integration und Optimierung zur Folge (Glatte 2004, S. 474).

Ebenso stellt die Gründung einer strategischen Allianz eher eine Grundlage für einen partnerschaftlichen, gegebenenfalls gemeinschaftlichen Umgang mit den Märkten dar. Dem entgegen kann die Etablierung eines Gemeinschaftsunternehmens jedoch durchaus eine Etablierung eines neuen Standortes nach sich ziehen. Gleiches gilt für das Konzept der Eigeninvestition.

4.4 Der internationale Markteintritt

4.4.1 Die Ansätze eines Markteintritts für Industrieunternehmen

Im Fall eines Industrieunternehmens stellt sich bei einem Markteintritt zuerst die Frage, ob Exporte oder Lizenzvergaben zur gewünschten Marktdurchdringung ausreichen oder die Marktsituation eine Investition erfordert (siehe auch Abschn. 3.6.4).

Sofern eine mögliche Investition ernsthaft in Erwägung gezogen wird, kann diese grundsätzlich im Sinne einer umsetzungsbezogenen Standortstrategie wie folgt umgesetzt werden:

  • Akquisition als Asset Deal oder Share Deal oder

  • Kooperation mit einem im Markt bereits agierenden Unternehmen oder

  • einen Alleingang, z. B. mittels einer eigenständigen Neuansiedlung

Die vorgenannten Alternativen sind in der nachstehenden Übersicht dargestellt (Abb. 4.3). Alle drei Optionen werden, sofern möglich, nach den folgenden unternehmerischen Überlegungen abgewogen:

  • Vorhandensein von entsprechenden Industrieanlagen und deren Örtlichkeit,

  • Bauzeit versus Integration existierender Strukturen,

  • Marktpotenzial ,

  • Kundenpotenzial und Vertriebsstrukturen,

  • Vor- und Nachteile von Gemeinschaftsunternehmen mit lokalen Partnern,

  • Technologie- und Patentschutz,

  • Wettbewerbssituation,

  • Übernahme von Verpflichtungen/Verbindlichkeiten (inklusive Altlasten ),

  • sonstige, unternehmensspezifische Aspekte.

Abb. 4.3
figure 3

Möglichkeiten für die Erschließung ausländischer Märkte

In einer ersten Analyse, begleitet durch Vor-Ort-Besichtigungen und einer noch recht einfach gehaltenen wirtschaftlichen Rechnung, wird über die Frage Akquisition oder Kooperation oder Eigeninvestition entschieden und natürlich auch darüber, ob sich ein weiteres Vorgehen überhaupt lohnt.

4.4.2 Fallbeispiel: Markteintritt in der VR China

Diese Herangehensweise lässt sich sehr gut am Beispiel des Markteintrittes von ausländischen Industrien in der Volksrepublik China darstellen. So war es beispielsweise noch bis Ende der 1990er-Jahre in der Volksrepublik China nicht möglich, eine ausländische Investition ohne einen lokalen Partner zu tätigen. Üblicherweise wurde dieser sogar vom zuständigen Ministerium zugeteilt.

Mittlerweile gibt es jedoch für einen ansiedlungswilligen ausländischen Investor in China drei verschiedene Möglichkeiten des Eintrittes in den chinesischen Markt, welche – wie im Folgenden dargestellt – auch wesentliche Auswirkungen auf die Grundstückssituation des künftigen Standortes haben (Glatte 2005, S. 162):

  • Anteilserwerb an einem lokalen Unternehmen bzw. dessen Übernahme

  • Gründung eines neuen Joint Venture mit einem (zumeist lokalen) Partner

  • Gründung eines zu 100 % eigeninvestierten Tochterunternehmens ( WOFIE )

Die erste dargestellte Möglichkeit ist bisher gerade im industriellen Sektor der am seltensten gewählte Weg aufgrund des Mangels an adäquaten Unternehmen. Der Markt ist immer noch dominiert von Staatsunternehmen bzw. deren Nachfolgern, welche von ineffizienten Strukturen und veralteten Anlagen gekennzeichnet sind. Darüber hinaus sind diese Unternehmen oft auch mit substanziellen Umweltproblemen im Produktionsprozess sowie Altlasten im Liegenschaftsbereich behaftet.

Die zweite und dritte der aufgezeigten Möglichkeiten sind somit immer noch die bevorzugten Wege eines Markteintritts. Neulinge im Chinageschäft, denen es an einer etablierten Organisation mangelt, finden es zumeist attraktiver, ein Joint Venture zu gründen, auch wenn die Auseinandersetzung mit einem Partner im operativen Geschäft oft zusätzliche Komplexitäten mit sich bringt. Diese ermöglicht allerdings auch den unmittelbaren Zugriff auf eine existierende Organisationsstruktur. Des Weiteren werden die Kenntnisse des ansässigen, zumeist lokalen Partners im Zuge der behördlichen Genehmigungsverfahren häufig als sehr hilfreich empfunden.

Während die erstgenannte Alternative (der Anteilserwerb) im Prinzip mit der Akzeptanz von bestehenden Standorten und damit den dafür vorhandenen Grundstücksrechten einhergeht, beinhalten die beiden anderen Alternativen üblicherweise einen Prozess der Standortwahl und des Grundstückserwerbs.

4.5 Die Standortgunst

Wird ein Markteintritt avisiert und macht dieser die Evaluierung eines oder mehrerer Standorte nötig, so hat dies auf Basis geeigneter Kriterien zu erfolgen.

Das professionelle Umfeld einer Standortevaluierung ist dabei äußerst vielschichtig und komplex. Es setzt sich zusammen aus:

  • technischen und architektonischen Rahmenbedingungen,

  • wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und

  • rechtlichen Rahmenbedingungen.

Dies ist entsprechend in Abb. 4.4 dargestellt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass jede der vorgenannten Rahmenbedingungen selbst Anforderungen und Einschränkungen für das Projekt mit sich bringt. Daraus abgeleitet, lässt sich zwischen Standortanforderungen und Standortbedingungen unterscheiden (Tesch 1980, S. 360).

Abb. 4.4
figure 4

Rahmenbedingungen für ein Projekt

Die Vorteilhaftigkeit der Standortbedingungen in Bezug auf die gestellten Standortanforderungen wird als Standortgunst bezeichnet.

Unter Standortanforderungen sind die Ansiedlungskriterien eines ansiedlungswilligen Unternehmens zu verstehen – siehe Konstellation I gemäß Abschn. 3.5 (Schulte und Bone-Winkel 2002, S. 41). Standortbedingungen wiederum stellen die vorhandenen Gegebenheiten an der jeweiligen Standortalternative dar.

Der Abgleich zwischen den Standortanforderungen eines Unternehmens und den Standortbedingungen einer Lokalität, z. B. eines Industrie- oder Gewerbegebietes, führt zur Ableitung und damit Beurteilung der jeweiligen Standortqualität (Tesch 1980, S. 525 ff.).

Als grundsätzlicher Ansatz aus Sicht eines Industrie- oder Gewerbegebietes gilt, dass jegliche Ansiedlung natürlich auf das Wohl des Standortes (Land/Region/Kommune) ausgelegt sein soll. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gilt es in erster Linie die Interessen und Absichten des Standortes zu erheben und abzuwägen. Dies dient zum einen dem Ziel, den Standort angemessen fokussieren zu können. Gründe hierfür sind beispielsweise:

  • Schaffung einer angemessenen bauordnungsrechtlichen Ausweisung

  • Gezielte Anpassung von Genehmigungsverfahren

  • Gezielte Ausrichtung auf mögliche Ansiedlungsinteressenten (Kunden) und aktive Vermarktung gegenüber potenziellen Ansiedlungskandidaten, d. h. Erstellung eines klaren Vermarktungskonzeptes

  • Eine phasenweise Entwicklungsplanung, um Ressourcen bedarfsgerecht einzusetzen

  • Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur und deren Verpreisung, z. B.

    • Straßenanbindung

    • Stromversorgung

    • Wasserversorgung

    • Abwasserentsorgung

    • Telekommunikation

    • Eisenbahn-/Schifffahrtsanbindung

    • logistische Umschlags- und Lagermöglichkeiten

    • Vorhandensein von Erdgas/Industriegasen

Prinzipiell ist es hierbei für ein Industrie-/Gewerbegebiet wichtig, die o. g. Ansiedlungskriterien der fokussierten Zielgruppe zu kennen und sich daran auszurichten. Dies bedeutet, dass ein um Projekte und Kapital werbender Standort – siehe Konstellation II gemäß Abschn. 3.5 – sich in erster Linie an den Ansiedlungskriterien eines Unternehmens orientieren muss, um Erfolg zu haben.

4.6 Die Arten von Standortfaktoren

4.6.1 Grundsätzliches

In vielen Segmenten des Immobilienmarktes kann über Qualität von Standorten und Aussagekraft von Einflussgrößen mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen argumentiert werden. Dies kann so weit gehen, dass Standorte durch Projektentwicklungen sogar erst kreiert werden (Schulte und Bone-Winkel 2002, S. 176).

Dies gilt jedoch nicht für Industriestandorte. Dieses Marktsegment zeichnet sich durch recht klare unternehmerische Vorgaben aus, welche erfüllt werden müssen. Hierbei wird unterschieden zwischen den Kriterien, welche vom operativen Kerngeschäft bestimmt werden, und jenen Kriterien, welche durch funktionale Unterstützungsprozesse gefordert werden (siehe hierzu auch Abschn. 4.6.4).

4.6.2 Die objektiven und subjektiven Standortfaktoren

Bei der konkreten Standortauswahl lassen sich subjektive und objektive Gründe unterscheiden.

Subjektive Standortfaktoren

Als subjektiv aus Sicht des Unternehmens könnte man etwa das Bestehen eines bereits entwickelten Standortes einordnen oder das Vorhandensein eines Partners (Joint Venture, Kunde, Lieferant usw.), mit welchem man bereits gute Erfahrungen gemacht hat. Die Erfahrung zeigt, dass aber auch „erste Eindrücke“ oder persönliche Kontakte und Präferenzen oft eine wichtige Rolle spielen können.

Objektive Standortfaktoren

Als objektive Faktoren werden im Wesentlichen operative Gesichtspunkte wie das Bestehen eines Marktes, die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Gelände, Infrastruktur, Energien oder Personal gesehen. Dazu kommen funktionale Rahmenbedingungen wie rechtliche, planungsrechtliche, steuerliche und zollrechtliche sowie finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Vor dem Hintergrund der Zielstellung dieser Arbeit sind vor allem diese objektiven Standortfaktoren von Interesse, auf die nachfolgend im Einzelnen eingegangen wird. Die subjektiven Eindrücke und Annahmen dürfen nicht mit den in Abschn. 4.6.6 dargestellten so genannten weichen Standortfaktoren verwechselt werden. Es ist gerade Aufgabe einer professionellen Standortanalyse , derartige weiche (also schwer greifbare) Kriterien zu analysieren und zu quantifizieren, d. h. also letztendlich messbar und objektiv vergleichbar zu machen.

4.6.3 Die einmalig und kontinuierlich wirkenden Standortfaktoren

Einmalig wirkende Standortfaktoren

Es ist ebenso zu beachten, dass es Standortfaktoren gibt, welche sich nur einmalig auf die Standortgunst auswirken. Diese Einmaligkeit bezieht sich überwiegend auf den Betrachtungszeitpunkt der Analyse oder den geplanten Investitionszeitpunkt. Diese Kriterien sind somit stichtagsrelevant.

Beispiele für einmalig wirkende Standortfaktoren sind die verschiedensten Merkmale des potenziellen Grundstücks für den Produktionsstandort:

  • Grundstücksgröße

  • Grundstückspreis

  • Erschließungskosten

  • Abbruchkosten für ggf. noch vorhandene Bauwerke

Kontinuierlich wirkende Standortfaktoren

Dem entgegen stehen Standortfaktoren, welche auch über den Stichtag hinaus für die Standortbeurteilung relevant sind. Anders als bei einmalig wirkenden Kriterien, für welche die Notwendigkeit einer Prognose über deren künftige Wirkung entfallen kann, muss für kontinuierlich wirkende Standortfaktoren eine Aussage über deren Wirkung in zukünftigen Perioden getroffen werden.

Informationen für derartige Standortfaktoren sind vergleichsweise einfach zu beschaffen und unterliegen selten dem Risiko unsicherer Erwartungen. Dies trifft für die kontinuierlich wirkenden Standortfaktoren nicht zu. Für diese Kriterien müssen Vorhersagen über deren Entwicklung und Verlauf in der Zukunft – üblicherweise über den Betrachtungszeitraum des projektspezifischen Business Planes (z. B. 10 Jahre) – getroffen werden. Auf die besonderen Probleme längerfristiger wirtschaftlicher Prognosen, z. B. in Form von Marktzyklen, veränderten Wettbewerbsbedingungen, Wechselkursschwankungen, veränderten Steuersätzen usw. wurde bereits in den vorherigen Abschnitten mehrfach eingegangen.

4.6.4 Die operativen und funktionalen Standortfaktoren

Die Unterscheidung zwischen operativen und funktionalen Standortfaktoren beruht im Wesentlichen auf einer unternehmensinternen Sichtweise und findet daher insbesondere bei der Kategorisierung von Standortanforderungen Anwendung. Diese differenziert zwischen geschäfts- bzw. produktionsspezifischen und somit für das rein operative Geschäft essenziellen Kriterien sowie Kriterien, die nicht auf derartigen (auch operativ genannten) Anforderungen beruhen. Letztere werden als funktionale Standortfaktoren bezeichnet.

Operative Standortfaktoren

  1. a)

    Marktumfeld :

    Der Standortfaktor Markt ist sehr komplex und natürlich auch stark abhängig von der jeweiligen Industriebranche. Deshalb soll dieser Punkt hier nur kurz angerissen werden. Natürlich ist das Vorhandensein eines Marktes für die betreffenden Produkte an sich eine Grundvoraussetzung für eine Investitionsentscheidung. Dessen Vorhandensein sowie dessen künftige Entwicklung sind sehr detailliert im Vorfeld einer Investitionsentscheidung zu untersuchen.

    Eine derartige Untersuchung sollte u. a. den möglichen Bedarf, die Stellung im Markt vor und nach der Investition, die Rolle von Wettbewerbern sowie eine Aussage über die Marktentwicklung und dessen Nachhaltigkeit umfassen. Beachtet werden sollten auch mögliche staatliche Ver- oder Gebote für bestimmte Industrien oder Investitionen (Beispiel: Planwirtschaft in der VR China).

  2. b)

    Rohstoffverfügbarkeit :

    Die Verfügbarkeit von Rohstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen ist aus Sicht des ansiedlungswilligen Industrieunternehmens ein Hauptfaktor. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die immer stärker global orientierten Märkte.

    Allerdings bestehen bei wichtigen Basisrohstoffen oft staatliche Monopole (Beispiel Chemieindustrie: Erdöl, Erdgas). Diese führen nicht selten zu Verzerrungen des Preisniveaus. Nur eine Verfügbarkeit von Rohstoffen zu Weltmarktpreisen kann den Aufbau eines konkurrenzfähigen Standortes sichern.

  3. c)

    Logistische Anbindung:

    Eine möglichst schnelle und kostengünstige logistische Anbindung ist ein sehr wesentliches Standortkriterium. Dabei spielen aber je nach Art der industriellen Produktion sehr unterschiedliche Faktoren eine Rolle (Verfügbarkeit und Kapazität der jeweiligen Transportmittel sowie die Transportfähigkeit der betreffenden Rohstoffe oder Produkte) und müssen dementsprechend gewichtet werden. Nicht zu vergessen sei hier jedoch auch der Umschlag von Materialien und Produkten als Kosten- und Zeitfaktor .

  4. d)

    Grund und Boden :

    Weiterhin essenziell für eine Standortentscheidung und die damit verbundene hohe Investition, die sich erst über viele Jahre amortisieren lässt, ist die Verfügbarkeit von Gelände zu akzeptablen Bedingungen. Dieses wird als Produktionsgelände, Lager oder in Form von Büroflächen benötigt.

  5. e)

    Infrastrukturelle Anbindung:

    Da Energie- und Infrastruktureinrichtungen sehr kostspielig und den privaten, insbesondere ausländischen Investoren aufgrund bestehender Investitionsregularien ohnehin nur zum Teil zugänglich sind (z. B. Lizenzerfordernisse für den Betrieb eines Kraftwerks o. Ä.), ist ein weiterer entscheidender Faktor die Verfügbarkeit von Infrastrukturen und Energien am potenziellen Standort.

  6. f)

    Personalverfügbarkeit

    Nicht zu vergessen ist als Ansiedlungskriterium die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und die Zumutbarkeit der Standortbedingungen für solche Mitarbeiter. Letzteres stellt gerade Industrieunternehmen immer wieder vor Probleme, da entweder wegen der Rohstoffnähe oder aus Umweltgründen Interesse besteht, die Produktion aus Ballungszentren heraus in dann natürlich für Personal weniger attraktive und mitunter auch unwirtliche Gebiete zu legen.

Funktionale Standortfaktoren

Nach diesen operativ orientierten Standortbedingungen sind ebenso die anderen Ansiedlungsfaktoren relevant, die unter dem Begriff funktionale Standortbedingungen zusammengefasst werden. Dies sind die rechtlichen, planungsrechtlichen, steuerlichen, zollrechtlichen und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Allein durch günstige Bedingungen der genannten Art wird sich eine positive Standortentscheidung zwar nicht ergeben, falls die bereits erwähnten operativen Bedingungen nicht hinreichend erfüllt sind. Allerdings können diese im Folgenden zu behandelnden Faktoren bei zwei ähnlich geeigneten Standorten durchaus den entscheidenden Ausschlag geben.

  1. a)

    Rechtliche Rahmenbedingungen

    Im Allgemeinen sollten im Investitionsland zumindest die grundsätzlichen rechtlichen Strukturen gegeben sein. Hierzu dürften zumindest die Beachtung elementarster Rechtsgrundsätze, ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit sowie die grundsätzliche Praktikabilität der vorhandenen Strukturen gehören.

    Weiter ist die Anerkennung internationaler Abkommen durch das Investitionsland für die Investitionsentscheidung von hoher Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Bereich des Schutzes von Patenten und Warenzeichen, internationaler Gerichtsstands-, Schiedsgerichts- und Vollstreckungsabkommen sowie von Investitionsschutzabkommen.

    Neben der Gültigkeit allgemeiner Rechtsgrundsätze und internationaler Abkommen steht auch das nationale Recht im Blickpunkt. Es erleichtert eine Investitionsentscheidung ungemein, wenn für das Projekt klare gesetzliche Regelungen Anwendung finden. Insbesondere sind hier natürlich die Bereiche des Gesellschafts- und Handelsrechts, des Konkursrechts sowie des Verfahrens- und Vollstreckungsrechts von Bedeutung, die einen möglichst effektiven Rechtsschutz gewähren sollten. Hier ist anzumerken, dass gerade in Asien das Handels- und Gesellschaftsrecht in der Regel gut ausgeprägt ist. Vielfach finden sich angelsächsische (insbesondere englische oder australische) Einflüsse, die einem westlichen Investor vertraut sind. Dagegen ist das Vollstreckungs- und Konkursrecht eher rudimentär entwickelt.

    Eine Investitionsentscheidung wird sicherlich unterstützt durch das Vorhandensein kompetenter und unbürokratischer Genehmigungsbehörden mit praktikablen Genehmigungsverfahren, Mut zu neuen, flexiblen und sachgerechten Lösungen sowie verlässlichen Vorab-Auskünften und Zusagen.

  2. b)

    Investitionsregelungen

    Ein für eine Investitionsentscheidung besonders wichtiger Aspekt der rechtlichen Rahmenbedingungen sind die Investitionsregelungen (LaGro 2008, S. 65).

    Die Investitionsregelungen sind primär darauf gerichtet, Investitionen zum Vorteil des jeweiligen Standortes (beispielsweise Land, Region, Kommune) anzuziehen (McPherson 1995, S. 130). Üblicherweise werden hierbei attraktive Rahmenbedingungen geschaffen, um Investitionen in wirtschaftlich benachteiligte Gemeinden bzw. Regionen oder aber in Regionen aus volkswirtschaftlich besonderem Interesse zu lenken. Die anwendbaren Mittel hierbei sind sehr vielfältig. Sie reichen von angepassten Genehmigungsverfahren über materielle Anreize bis hin zu Sonderwirtschaftszonen (z. B. in der VR China).

  3. c)

    Steuerrechtliche Rahmenbedingungen

    Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Investitionsentscheidung ist die Besteuerung und insbesondere auch die steuerliche Investitionsförderung (Hines 1990, S. 135 ff.). Dabei sind die verschiedenen Arten von Steuern zu beachten, die in Abb. 4.5 Übersicht dargestellt sind (Alda und Hirschner 2009, S. 107).

    Zudem ist zu unterscheiden zwischen den unterschiedlichen Steuerarten auf übergeordneter Ebene (Staat, Bundesland/Provinz) und lokaler Ebene (Kreis/Distrikt, Kommune).

    Dabei sind

    • die für die Investition relevanten Steuersätze im Allgemeinen,

    • die Geltung von Doppelbesteuerungsabkommen und

    • das Bestehen von steuerlichen Konsolidierungsmöglichkeiten zwischen Gruppengesellschaften oder steuerliche Vergünstigungen

    zu beachten.

  4. d)

    Zollrechtliche Rahmenbedingungen

    Ein zusätzlicher Gesichtspunkt ist auch die zollrechtliche Situation im potenziellen Investitionsland. Für Zölle gilt grundsätzlich, dass diese wertmäßig fixiert und üblicherweise nicht verhandelbar sind. Ausgenommen hiervon sind mitunter speziell ausgewiesene Sonderwirtschaftszonen (Abele et al. 2006, S. 80 ff.).

    Förderlich für eine Standortentscheidung ist sicherlich, wenn

    • keine Einfuhrzölle z. B. für Anlagenteile oder Rohstoffe bestehen oder

    • der Verkauf der Produkte nicht durch Ausfuhrsteuern oder -zölle beeinträchtigt wird.

    Grundsätzlich lässt sich durch eine geschickte Abstimmung innerhalb des Produktionsnetzwerkes eines international aufgestellten Unternehmens (siehe Abschn. 3.6.4) die Belastung durch Einfuhr- und Ausfuhrzölle optimieren und damit die wirtschaftliche Belastung reduzieren.

  5. e)

    Finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen

    Abschließend sollte noch kurz auf die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingegangen werden, die gerade in Zusammenhang mit den Krisen in Asien und Südamerika verstärkt in den Blickpunkt geraten sind.

    Es ist unabdingbar, dass

    • adäquate Finanzierungsmöglichkeiten für das Projekt darstellbar sein sollten,

    • der Devisentransfer, aber auch die Rückführung von Dividenden und Kapital, garantiert sind,

    • Lizenzzahlungen oder sonstige finanzwirtschaftliche Transaktionen möglichst unkompliziert umsetzbar sein sollten.

    Probleme bereiten daher Devisenkontrollbestimmungen, Auflagen zur lokalen Finanzierung oder Beschränkungen bei der Rückführung von Dividenden, Kapital oder Lizenzzahlungen.

Abb. 4.5
figure 5

Klassifizierung der Steuerarten am Beispiel von Deutschland

4.6.5 Die Push- und Pull-Faktoren

Eine andere Herangehensweise an standortbestimmende Faktoren ist die Betrachtung, welche Einflussgrößen zu einer Standortverlagerung führen oder welche Rahmenbedingungen eine Ansiedlung besonders attraktiv machen.

Pull-Faktoren

Aus Sicht des in diesem Buch bearbeiten Themas der Standortsuche sind insbesondere die Pull-Faktoren relevant, d. h. die Kriterien, welche letztlich für die Auswahl des neuen Standortes bestimmend sind. Diese sind grundsätzlich aus Unternehmenssicht für alle Formen der Etablierung eines neuen Standortes maßgeblich:

  • Neugründung

  • Betriebsverlagerung

  • Aufbau einer Zweigniederlassung

Dies gilt aber ebenso, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, für Akquisitionen bestehender Unternehmen mit bestehenden Standorten in anderen Regionen wie auch für den Aufbau von Gemeinschaftsunternehmen mit einem Partner an anderen Standorten. Die vorgenannten Einschränkungen ergeben sich aus den bestehenden Rahmenbedingungen existierender Standorte bei einem Unternehmenserwerb.

Hier können natürlich die Standortbedingungen nicht proaktiv untersucht und optimiert werden. Der potenzielle Erwerber muss die bestehenden Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des Erwerbs akzeptieren. Er kann diese jedoch im Rahmen seiner Due Diligence (Sorgfältigkeitsprüfung) bereits vor Erwerb evaluieren und die Kompatibilität des zu erwerbenden Standortes mit der bestehenden Standortstruktur des Erwerbers bewerten. Im Zuge dessen kann es beispielsweise zu Abschlägen in der wirtschaftlichen Gesamtbeurteilung des Erwerbes kommen, da im Zuge der Integrationsphase nach Erwerb eine Standortschließung oder aber eine Standortverlagerung notwendig wird, z. B. Verlagerung der Aktivitäten des erworbenen Standortes an einen bestehenden Standort des Erwerbers in der gleichen Region.

Die Standortevaluierung bei geplanten Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) kann entweder mit dem Sachverhalt einer Standortneuansiedlung oder Akquisition gleichgesetzt werden oder gilt als Mischkonstellation mit Aspekten beider Situationen.

Eine Stellungnahme des EESC (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss/European Economic and Social Committee, Publications Unit, rue Belliard, 99, 1040 Brussels, Belgium, http://www.eesc.europa.eu) zum Thema Ausmaß und Auswirkungen von Betriebsverlagerungen aus dem Jahre 2006 verweist auf vielfältige Gründe für Verlagerungen, welche im Detail in Tab. 4.1 dargestellt sind (European Economic and Social Committee, Juni 2006, S. 62).

Tab. 4.1 Gründe für Betriebsverlagerungen

Push-Faktoren

Einer der wichtigsten Push-Faktoren, d. h. Auslöser für Standortverlagerungen, ist hingegen der Mangel von Erweiterungsflächen (Kaiser 1979, S. 34). Dieser spezifisch immobilienwirtschaftliche Sachverhalt mangelnder bebaubarer Grundstücksreserven ist einer der deutlichsten Auslöser für eine Standortsuche, da in diesem Fall keine Handlungsalternativen am bestehenden Standort existieren.

Grundsätzlich ist es jedoch auch möglich, dass dieselben Einflussgrößen gleichermaßen als Push-Faktoren und als Pull-Faktoren wirken.

4.6.6 Die quantitativen und qualitativen Standortfaktoren

Standortfaktoren lassen sich auch in quantitative und qualitative Kriterien klassifizieren. Umgangssprachlich werden diese oft auch als so genannte harte und weiche Standortkriterien unterschieden.

Quantitative Standortfaktoren

Nach Hansmann sind unter harten Standortfaktoren solche Kriterien zu verstehen, deren „… Beitrag zum Unternehmenserfolg direkt gemessen werden kann“ (Hansmann 1994, S. 91) und welche somit auch einfach vergleichbar sind. Hierzu gehören beispielsweise alle Kriterien, die monetär bewertet werden können. Dies können beispielsweise das Lohniveau an unterschiedlichen Standorten (Personalkosten) oder aber auch die Entfernung zu Rohstoffquellen (Logistikkosten) sein.

Qualitative Standortfaktoren

Qualitative oder weiche Standortfaktoren sind im Gegenzug Kriterien, die nur sehr schwer quantifizierbar sind. Dabei handelt es sich oft um sozioökonomische, psychologische oder politische Aspekte.

Beispiele hierfür sowie deren Einordnung hinsichtlich ihrer Quantifizierbarkeit sowie ihrer Relevanz für die Betriebstätigkeit sind in Abb. 4.6 dargestellt (Grabow et al. 1995, S. 65). Solche Kriterien können üblicherweise gut qualitativ beschrieben werden. Dies reicht aber für einen messbaren und damit letztlich auch objektiven Vergleich nicht aus. Um eine solche Messbarkeit herzustellen, sind methodische Hilfsmittel nötig. Es kann sich aber u. a. auch um die Lebensbedingungen handeln, welche ein Standort zu bieten hat bzw. welche in seinem Umfeld anzutreffen sind.

Abb. 4.6
figure 6

Kontinuum der harten und weichen Standortfaktoren

Eine Abgrenzung zwischen harten und weichen Standortfaktoren ist nicht in jedem Fall präzise darstellbar. Wesentlich ist hierbei die jeweilige Betrachtungsweise. Beispielhaft sei hierbei auf die Beurteilung der Belastung durch lokale Steuern und Abgaben verwiesen. Diese kann sehr unterschiedlich ausfallen zwischen der einerseits quantitativ konkret herleitbaren, faktischen Belastung für ein Unternehmen und andererseits der vom Unternehmen empfundenen, generellen Einschätzung des Wirtschaftsklimas am begutachteten Standort.

Gerade die weichen Standortfaktoren werden jedoch im Vergleich zu den harten Fakten für Unternehmen immer wichtiger. Dies kann sich in unterschiedlichster Form äußern. Einerseits kann sich dies in Form von gestiegenen Ansprüchen hinsichtlich der Umweltqualität, einem möglichst hohen Standortimage oder aber der Nähe zu Forschungseinrichtungen niederschlagen. Es kann sich aber auch bei der industriellen Standortansiedlung in Aspekten wie Kriminalitäts- oder Armutsraten wiederfinden.

Grabow et al. stellten zudem im Zuge von zwei Unternehmensbefragungen fest, dass sich die Relevanz von weichen Faktoren über den Verlauf eines Entscheidungsprozesses verändert (Grabow et al. 1995, S. 147). Diese Analyse ist nachvollziehbar. Auch wenn in einer frühen Phase eines Projektes, insbesondere bei einer Standortanalyse (Grundlagendefinition , siehe Abschn. 7.4.2) die Gefahr einer Vermischung von subjektiven und weichen Faktoren groß ist (z. B. Vorurteile, siehe hierzu Abschn. 4.6.2), so ist diese Phase doch grundsätzlich noch von einem vergleichsweise geringen Grad von Informationen geprägt. Mit der Zunahme von „harten Fakten“ relativieren sich, wie in Abb. 4.7 dargestellt, im Verlaufe des Projektfortschritts derartige weiche Faktoren (Grabow et al. 1995, S. 148). Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass gerade die harten Standortfaktoren, z. B. die Topographie des Geländes oder der Grad der infrastrukturellen Erschließung eines Grundstücks, von einem einzelnen Investor noch deutlich beeinflusst werden können, während eine derartige Beeinflussbarkeit bei weichen Faktoren kaum noch gegeben ist.

Abb. 4.7
figure 7

Wechselwirkung weicher Standortfaktoren und Informationsgrad

4.6.7 Die mengenbezogenen und wertbezogenen Standortfaktoren

Standortfaktoren können ebenso in mengenbezogene und wertbezogene Standortfaktoren gegliedert werden (Schmidt 1967, S. 91 ff.).

Mengenbezogene Standortfaktoren

Mengenbezogene Standortfaktoren beziehen sich beispielsweise auf die Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren wie Rohstoffen, Transportmitteln oder auch dem Absatz von geplanten Produktionsmengen. Wichtig für diese Betrachtung sind jedoch nicht die Kosten der Versorgung und auch nicht die Erlöse, welche durch die Produktion erzielt werden.

Es wird lediglich betrachtet, ob z. B. die gewünschten Input-Mengen verfügbar sind und ob die Output-Mengen vom betrachteten Markt entsprechend aufgenommen werden können. Demzufolge können mengenbezogene Standortfaktoren nur als erfüllt oder nicht erfüllt beurteilt werden.

Wertbezogene Standortfaktoren

Wertbezogene Standortfaktoren hingegen beziehen sich direkt auf die Standortkosten, die Erlöse aus den am Standort durchgeführten Aktivitäten oder das für den Standort benötigte Eigenkapital. Sie beeinflussen somit die Rentabilität des Standortes, wobei unter Rentabilität im Allgemeinen die Fähigkeit zu verstehen ist, die aus einem Geschäftsprozess erwachsenden Aufwendungen (Kosten) durch entsprechende Einnahmen (Erträge) abzudecken.

4.6.8 Die Makrostandortfaktoren und Mikrostandortfaktoren

Die Standortanalyse untersucht die möglichen Standortvarianten. Bereits 1949 haben hierfür McLaughlin und Robock in einer Studie eine Unterscheidung zwischen Standortfaktoren einer area selection und einer site selection unterschieden (McLaughlin und Robock 1949). Diese wurde von Townroe zwanzig Jahre später noch einmal vertieft (Townroe 1969).

Heute wird stattdessen üblicherweise zwischen einem so genannten Makrostandort und einem Mikrostandort unterschieden.

Makrostandortfaktoren

Unter einem Makrostandort wird der Großraum verstanden, in welchem sich das Zielobjekt bzw. betreffende Grundstück befindet, sowie dessen Einzugs- und Verflechtungsbereich (Mayrzedt et al. 2007, S. 19). Der Makrostandort kann demnach sehr unterschiedlich sein. Er wird je nach Art und Umfang des Projektes sowie der Betrachtung hieraus definiert. Dies kann von Straßenzügen und Ortsteilen über Landkreise bis hin zu Wirtschaftsräumen und Kontinenten reichen.

Typische Makrostandortfaktoren sind z. B.

  • die Zentralität des Standortes,

  • das Image im Verhältnis zum Umfeld,

  • die heutige Wirtschaftskraft der Region und deren Zukunftspotenziale,

  • die Angebots- und Nachfragestruktur,

  • die Einzugsgebiete,

  • die klimatische Situation,

  • die Einflüsse durch Naturereignisse (Stürme, Erdbebengefahr, Hochwasser und Überflutungsgefahren),

  • weiche Standortfaktoren wie Kultur-, Freizeit-, Bildungs- und Wohnraumangebot (im Ausland auch spezielle Angebote für sog. Expatriates, d. h. ausländische Arbeitskräfte und deren Familien).

Es sind aber ebenso Eigenschaften des Umfeldes hinzuzuzählen, z. B.

  • überregionale, regionale und lokale politische Rahmenbedingungen,

  • Gesetze, Regeln und Normen,

  • Fördermöglichkeiten und

  • Konkurrenzprojekte.

Die Erhebung der Makrostandortfaktoren ist nur dann als notwendig anzusehen, wenn diese einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg des antizipierten Projektes haben bzw. das Projekt selbst Einfluss auf derartige Makrofaktoren haben könnte.

Mikrostandortfaktoren

Unter einem Mikrostandort ist das Zielobjekt bzw. betreffende Grundstück selbst sowie sein unmittelbares, direktes Umfeld zu verstehen (Mayrzedt et al. 2007, S. 486).

Typische Mikrostandortfaktoren sind z. B. in Bezug auf das Zielobjekt und sein direktes Umfeld

  • die Eigentumssituation und mögliche Beschränkungen oder Belastungen,

  • vorhandene Baurechte und Beschränkungen,

  • Zugänglichkeit,

  • Zuwegung und Verkehrsanbindung,

  • Größe und Zuschnitt des Grundstücks,

  • Lage,

  • Topografie,

  • unmittelbare Umgebung,

  • Infrastruktureinrichtungen,

  • Arrondierungsmöglichkeiten.

Eine sorgfältige und möglichst präzise Erhebung der Mikrostandortfaktoren wird als essentiell für den Projekterfolg angesehen. Bei genauerer Betrachtung können dieselben Standortfaktoren auf Mikroebene und Makroebene eine unterschiedliche Bedeutung besitzen. Dies soll mittels nachstehender Übersicht in Tab. 4.2 anhand verschiedener qualitativer Standortfaktoren verdeutlicht werden (Diller 1991, S. 48).

Tab. 4.2 Relevanz ausgewählter weicher Standortfaktoren

Darüber hinaus sind zwischen dem die Stadt oder die Region definierenden Makrostandort und dem das betroffene Grundstück und dessen unmittelbare Nachbarschaft definierenden Mikrostandort oftmals noch statistisch nicht genau eingrenzbare Zwischenräume erforderlich. Diese werden als Mesoebene bezeichnet (Mayrzedt et al. 2007, S. 19).

4.6.9 Fallbeispiel: Chemieunternehmen BASF SE

Beispielhaft sollen die in diesem Abschn. 2.6 ausgeführten Aspekte an der BASF SE dargestellt werden. Die BASF SE ist nicht nur ein global aufgestelltes Industrieunternehmen mit 411 Produktionsstandorten weltweit (siehe Tab. 4.3 und Abb. 4.8).

Tab. 4.3 Standorte der BASF SE weltweit (Stand 31. Dezember 2016)
Abb. 4.8
figure 8

Schematische Übersicht der wichtigen BASF-Produktionsstandorte

Als global führendes Chemieunternehmen zeichnet es sich zudem insbesondere durch seine so genannte „Verbundstruktur“ an Produktionsstandorten sowie ein insgesamt sehr heterogenes Immobilienportfolio aus (siehe Tab. 4.3). Unter dem Begriff Verbund versteht BASF die weitest mögliche Verflechtung und damit optimalen Ausnutzung chemischer Prozesse, Wertschöpfungsketten und Synergien (Heuser 2004).

Die BASF verfügt über substanzielle Technologien und Know-how insbesondere in Form von Experten, Verfahren, Patenten oder Katalysatoren, d. h. Substanzen, die den Ablauf einer bestimmten chemischen Reaktion erst ermöglichen. Sie kann technische Dienstleistungen sowie Ingenieurleistungen erbringen. Daneben besitzt die BASF Marktexpertisen, einen weltweiten Kundenstamm, ein weltweites Vertriebsnetz sowie sogenannten Eigenbedarf, das heißt eigenen Bedarf an einem Produkt zwecks Weiterverarbeitung und damit eine bestimmte Grundauslastung für eine neu zu errichtende Anlage. Darüber hinaus verfügt die BASF über eigene Marken, Warenzeichen und Handelsnamen.

Für die BASF stellt das Stammwerk in Ludwigshafen am Rhein nicht nur den bedeutendsten Standort weltweit dar. Die BASF praktiziert dort in besonders ausgeprägter Form ihr Verbundkonzept mit möglichst wenigen Produktionsstandorten, an denen möglichst viele Fertigungsschritte in integrierter Produktion gebündelt werden. Es ist zudem auch ein Standort, der gerade aufgrund seiner Verbundstruktur im wirtschaftlichen Sinne sehr erfolgreich agiert. Dieses Konzept hat signifikante Vorteile hinsichtlich der Logistik- und Infrastrukturkosten wie auch der Energiebilanzen aufzuweisen. Diese sind in Abb. 4.9 in einer Übersicht kurz zusammengefasst (Tillmann 2005).

Abb. 4.9
figure 9

Wirtschaftliche Vorteile des BASF-Verbunds in Ludwigshafen

Das Zusammenspiel von über 200 Produktionsbetrieben, der zugehörigen Infrastruktur- und Serviceeinrichtungen, Forschungseinrichtungen und Konzernlenkungsfunktionen machen den Standort Ludwigshafen mit einer Fläche von ca. 10 km2 in dieser Form in der Welt einzigartig. BASF beschäftigt, mit Stand 2017, am Standort Ludwigshafen ca. 39.000 eigene Mitarbeiter (BASF SE 2017).

Dabei ist zu beachten, dass diese Produktionsbetriebe am Standort u. a. außerordentlich große Mengen an Strom, Dampf und Kühlwasser benötigen. So liegt beispielsweise der jährliche Strombedarf mit 6,2 Milliarden Kilowattstunden in der Größenordnung des Bedarfs einer Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern (Heuser 2004). Dem steht oft aber eine substanziell höhere interne Komplexität durch Administration, Verrechnung und Organisationsstrukturen gegenüber.

Das Immobilienvermögen (Grundstücke und Gebäude) der BASF, welches sich in den in Tab. 4.3 genannten Standorten widerspiegelt und eine im Eigentum befindliche oder gepachtete Fläche von insgesamt 469 km2 abdeckt, belief sich zum 31.12.2016 auf EUR 5,3 Milliarden bei einem Vermögen in Sachanlagen von EUR 25,2 Milliarden und einem Gesamtvermögen von EUR 70,8 Milliarden (BASF SE 2016). Damit stellte das Immobilienvermögen des Konzerns 21,3 % des Sachanlagevermögens sowie 7,5 % des Gesamtvermögens des Konzerns dar.

Damit ist einerseits erkennbar, dass das Immobilienvermögen und insbesondere der Umgang hiermit einen wichtigen Bestandteil unternehmerischen Handelns für ein Industrieunternehmen – wie hier am Beispiel der BASF SE gezeigt – darstellt. Des Weiteren ist im Rahmen einer Standortanalyse eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, die über die Betrachtung einer einzelnen Produktionsanlage und deren zugehöriger Immobilie hinausgehen. Dies ist bei der Auswahl der Analyseverfahren und der Standortkriterien in angemessener Form zu berücksichtigen.