Zusammenfassung
Der deutsche Diskurs über Bevölkerungspolitik dreht sich im Wesentlichen um die als zu niedrig befundene Geburtenrate, die daraus resultierenden prognostizierten Probleme und die hiervon abgeleitete Notwendigkeit einer aktiven Geburtenförderung durch den Staat. Bevölkerungspolitik ist jedoch keine Staatsaufgabe. Im freiheitlichen Staat ist die Entscheidung den Einzelnen überlassen, ob sie Eltern werden wollen oder nicht. Familienförderung hat dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für die Kinder, die es bereits gibt – und deren Eltern – adäquat sind, unzulässig ist es hingegen, Anreize für die Geburt möglichst vieler Kinder zu setzen. Die Demographie-Debatte ist gefährlich, da sie häufig ideologisch gegen emanzipative Politik im Geschlechterverhältnis eingesetzt wird. Familienfördernde Instrumente müssen kritisch daraufh in befragt werden, ob sie gute Sozialpolitik darstellen. Denn eigentlich gleichberechtigungsfreundlich gemeinte Maßnahmen können antiemanzipative Effekte entfalten. Einige Förderungsmittel kommen überproportional den ohnehin relativ wohlhabenden Familien zugute. Im bevölkerungspolitischen Diskurs kommen häufig sexistische, rassistische, ableistische und klassenspezifische Aspekte zusammen, da familienpolitische Maßnahmen diesbezüglich oft selektiv wirken.
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Sacksofsky, U. (2017). „Produktive Sexualität“: Bevölkerungspolitik durch Recht. In: Lembke, U. (eds) Regulierungen des Intimen. Geschlecht und Gesellschaft, vol 60. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11749-8_5
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