Zusammenfassung
Betrachtet man die Praxis der frühkindlichen Ernährung von der griechisch-römischen Antike bis in die unmittelbare Gegenwart, wird man alles andere als eine lineare und homogene Entwicklung antreffen. Die sich spätestens unmittelbar nach der Geburt stellende Frage „Brust oder Flasche?“ ist – soweit sich die Geschichte zurückverfolgen lässt – eine durch und durch kulturell bestimmte, durchwirkt von zahlreichen religiösen, sozialen, politischen, ökonomischen, mythischen und oft auch ideologischen Interessen. Es geht dabei nicht nur um die sachliche Wahl des der frühkindlichen Ernährung am meisten angemessenen Mediums, sondern vielmehr um Emotionen, Imaginationen und Überzeugungen, die sich mit der (natürlichen) Mutterbrust oder der (künstlichen) Säuglingsflasche verbinden oder nicht verbinden.
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Neben dem kritischen Buch von Elisabeth Badinter (1981) über das kulturgeschichtliche Konstrukt der Mutterliebe ist es vor allem auch die Untersuchung von Sarah Blaffer Hrdy (2000), welche auf erhellende Art und Weise versucht, die evolutionäre Genese der „Mutterliebe“ aufzuzeigen. Sie macht dabei kein Geheimnis daraus, dass sich Mutterschaft nach wie vor – sowohl im gesellschaftlich-praktischen als auch im wissenschaftlich-theoretischen Bereich – als ein „Minenfeld“ erweist, auf dem hoch explosive Themen und Ansichten höchst kontrovers behandelt werden, wie beispielsweise das Stillen. So ist bis heute längst nicht einhellig geklärt, ob die Frauen über eine Art Mutterinstinkt verfügen, und wenn ja, weshalb es dann dennoch zu Kindesvernachlässigung und -misshandlung kommen kann.
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Seichter, S. (2020). Technisierte Natur vs. naturalisierte Technik?. In: Bilstein, J., Winzen, M., Zirfas, J. (eds) Pädagogische Anthropologie der Technik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_3
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