Zusammenfassung
„Technik, die begeistert“ – ist ein Werbeslogan, eine Marketingstrategie der Automobil-, Elektronik- und Bauindustrie. Zugleich impliziert dieser Slogan die Anziehungskraft von Technik auf Menschen und verweist auf téchne als Bedingung der strukturellen Einrichtung von Weltverhältnissen. In der Betrachtungsweise der Pädagogischen Anthropologie bedeutet „Technologisierung des menschlichen Körpers“ dass das Menschsein unaufhebbar dependent zu Technik ist, und die „Logik der Praxis“ vor diesem Hintergrund zu untersuchen ist.
Die Art und Weise, in der die menschliche Wahrnehmung sich organisiert –
das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich,
sondern auch geschichtlich bedingt
Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Diese Dimension der Habitualität (Park 2001, S. 112 ff.; Nickl 2005) wird in der erziehungswissenschaftlichen Forschung weniger fokussiert und der Habitus-Begriff wird eingesetzt, um die schwer veränderbaren körperlichen Dispositionen zu untersuchen. Dadurch wird die konstitutiv-transformative Relationalität der Körper-Welt-Relation nicht expliziert und die Dispositivität, welche der Habitualität inhärent ist und mithilfe des Habitus-Begriffs untersucht werden kann, vernachlässigt (Daryan 2017).
- 2.
Vgl. Debray (2003, S. 56 ff., 2007, S. 194 ff.). Der Begriff der Mediosphäre beschreibt sowohl ein körperliches ‚Im-Medium-Sein‘ als auch die Dominanz bestimmter Techniken und Technologien, welche mediologisch okzidentale Weltverhältnisse konstituieren. Debray beschreibt vier historisch-kulturelle Formen von Medialität, welche er chronologisch differenziert: die Logosphäre (500 v. Chr./Etablierung der Schrift – 15. Jahrhundert/Entstehung des modernen Buchdrucks), die Graphosphäre (15. Jahrhundert – 1968er/Entstehung des weltweit verbreiteten Farbfernsehens), die Videosphäre (1968er – Beginn 21. Jahrhundert/Etablierung der transnationalen digitalen Sphäre in Form der Habitualisierung (privater und professioneller) digitalisierter Praxen z. B. als Smartphone-Bild-Praxen) und die gegenwärtige Dominanz der Digitalisierung von Weltverhältnissen als Hypersphäre.
- 3.
In der vorliegenden Argumentation wird die Bezeichnung „fotorealistisch“ nicht in Bezug auf eine bestimmte malerische Praxis der modernen und gegenwärtigen Kunst verwendet, sondern diese Bezeichnung wird für die Beschreibung etablierter digitaler Bildpraktiken eingesetzt, die einen fotorealistischen Ausdruckssinn performieren und im Hinblick auf den Wahrheits- und Wirklichkeitsbezug der optischen Fotografie-Praxis behandelt werden, wie sie aktuell beispielsweise in Bezug auf Passbilder, Überwachungskameras und videografische evidenzbasierte Datenerhebung in Erscheinung tritt; diese Manifestation einer fotografischen Sichtweise (Böhme 1999, S. 119) konstituiert zunehmend in den verschiedenen hypersphärischen Bildtechnologien eine „fotografische Wirklichkeit“ (ebd., S. 127), die in einem anfänglichen Sinne als „hyperrealistischer Realismus“ bezeichnet wird.
Literatur
Ahrens, J. (2014). Technik. In: Ch. Wulf, & J. Zirfas (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Anthropologie (S. 632–641). Wiesbaden: Springer VS.
Barthes, R. (1985). Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Baudrillard, J. (1982). Der symbolische Tausch und der Tod. München: Matthes & Seitz.
Baudry, J.-L. (1994). Das Dispositiv. Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks. In: C. Pias, L. Engell, O. Fahle, J. Vogl, & B. Neitzel (Hrsg.) (1999), Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard (S. 382–404). Stuttgart: DVA.
Belting, H. (2001). Bild-Anthropologie. Entwurf einer Bildwissenschaft. München: Wilhelm Fink.
Benjamin, W. (1933). Über das mimetische Vermögen. In: Ders. (2002), Medienästhetische Schriften (S. 123–126). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Benjamin, W. (1935/36). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Zweite Fassung. In: Ders. (2007), Aura und Reflexion. Schriften zur Kunsttheorie und Ästhetik und Reflexion (S. 378–416). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bilstein, J. (2008). Lernen. Lektionen aus der Kunst. In: K. Mitgutsch, E. Sattler, K. Westphal, & I.M. Breinbauer (Hrsg.), Dem Lernen auf der Spur. Die pädagogische Perspektive (S. 133–144). Stuttgart: Klett-Cotta.
Bilstein, J. (2011). Zur metaphorischen Potenz der Kunst. In: Ders. (Hrsg.), Die Künste als Metapher (S. 13–41). Oberhausen: Athena.
Bilstein, J., & Brumlik, M. (Hrsg.) (2013). Die Bildung des Körpers. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Bilstein, J. (2014). Kunst und Künste. In: Ch. Wulf, & J. Zirfas (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Anthropologie (S. 496–502). Wiesbaden: Springer VS.
Boehm, G. (2001). Die Bilderfrage. In: Ders. (Hrsg.), Was ist ein Bild? (S. 325–343). 3. Aufl. München: Wilhelm Fink.
Boehm, G. (2008). Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. 2. Aufl. Berlin: Berlin University Press.
Böhme, G. (1995). Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Böhme, G. (1999). Theorie des Bildes. München: Wilhelm Fink.
Bourdieu, B. (1987). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1989). Antworten auf einige Einwände. In: K. Eder (Hrsg.), Klassenlage, Lebensstil und kulturelle Praxis. Theoretische und empirische Beiträge zur Auseinandersetzung mit Pierre Bourdieus Klassentheorie (S. 395–410). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1998). Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1999). Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Castoriadis, C. (1990). Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie [1975]. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Daryan, N. (2017). Bildung in Bildern – eine Mediologie. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Daryan, N. (2018): Revidierbarkeit, ein Muster der Hypersphäre. In: M. Pietraß, J. Fromme, P. Grell, & T. Hug (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik 14 – Der digitale Raum – Medienpädagogische Untersuchungen und Perspektiven (S. 75–94). Wiesbaden: VS Verlag.
Debray, R. (1994). Für eine Mediologie. In: C. Pias, L. Engell, O. Fahle, J. Vogl, & B. Neitzel (Hrsg.) (1999), Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard (S. 67–75). Stuttgart: DVA.
Debray, R. (2003). Einführung in die Mediologie. Berne: Haupt.
Debray, R. (2007). Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland. Berlin: Avinus.
Derrida, J. (1974). Grammatologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Gebauer, G. (1998). Überlegungen zur Anthropologie. Eine Einführung. In: Ders. (Hrsg.), Anthropologie (S. 7–21). Leipzig: Reclam.
Gebauer, G., & Wulf, Ch. (1992). Mimesis. Kultur, Kunst, Gesellschaft. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt.
Gebauer, G., & Wulf, Ch. (1998). Spiel, Ritual, Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt.
Gebauer, G., & Wulf, Ch. (2003). Mimetische Weltzugänge. Soziales Handeln, Rituale und Spiele, ästhetische Produktionen. Stuttgart: Kohlhammer.
Gehlen, A. (1993). Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940). In: K.-S. Rehberg (Hrsg.), Gesamtausgabe Arnold Gehlen. Bd. 3. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann.
Häußling, R. (1998). Die Technologisierung der Gesellschaft. Eine sozialtheoretische Studie zum Paradigmenwechsel von Technik und Lebenswirklichkeit. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Heidegger, M. (1938). Die Zeit des Weltbildes. In: Ders. (1980), Holzwege. Gesamtausgabe Bd. 6 (S. 73–110). Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann.
Hörl, E. (2011). Die technologische Bedingung. Zur Einführung. In: Ders. (Hrsg.), Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt (S. 7–53). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Jörissen, B. (2017): Subjektivation und ästhetische Freiheit in der post-digitalen Kultur. In: G. Taube, M. Fuchs, & T. Braun (Hrsg.), Handbuch „Das starke Subjekt“. Schlüsselbegriffe in Theorie und Praxis. München: Kopaed. URL: https://www.kubi-online.de/artikel/subjektivation-aesthetische-freiheit-post-digitalen-kultur. Zuletzt zugegriffen: 06.07.2019.
Jörissen, B., & Meyer, T. (Hrsg.) (2015). Subjekt, Medium, Bildung. Wiesbaden: Springer VS.
Kamper, D. (1986). Zur Soziologie der Imagination. München/Wien: Hanser.
Kamper, D. (1996). Zwischen Simulation und Negentropie. Das Schicksal des Individuums im Rückblick auf das Ende der Welt. In: Ders., & Wulf, Ch. (Hrsg.), Rückblick auf das Ende der Welt (S. 138–145). Augsburg: Boer.
Kittler, F. (1999). Optische Medien. Berliner Vorlesung. Berlin: Merve.
Krämer, S., & Bredekamp, H. (2003). Einleitung. Kultur, Technik, Kulturtechnik. Wider die Diskursivierung der Kultur. In: Dies. (Hrsg.), Bild, Schrift, Zahl (S. 11–21). München: Wilhelm Fink.
Latour, B. (1996). On Interobjectivity. Mind, Culture, and Activity, 4, 228–244.
Luhmann, N. (1964). Funktionen und Folgen formaler Organisation. Berlin: Duncker & Humblot.
Marotzki, W., & Meder, N. (Hrsg.) (2014). Perspektiven der Medienbildung. Wiesbaden: Springer VS.
McLuhan, M. (1964). Understanding Media. The extensions of man. New York: McGraw-Hill.
Mesermann, B. (2008). (Fern-)Verkehr der Bilder. Mediologie als methodischer Brückenschlag zwischen Bild- und Übersetzungswissenschaft. In: Dies., & T. Weber (Hrsg.), Mediologie als Methode (S. 149–167). Berlin: Avinus.
Merleau-Ponty, M. (1998). Die Verflechtung. Der Chiasmus. In: G. Gebauer (Hrsg.), Anthropologie (S. 78–99). Leipzig: Reclam.
Meyer, T. (2014). Die Bildung des (neuen) Mediums. Mediologische Perspektiven der Medienbildung. In: W. Marotzki, & N. Meder (Hrsg.), Perspektiven der Medienbildung (S. 149–170). Wiesbaden: Springer VS.
Mollenhauer, K., & Wulf, Ch. (Hrsg.) (1996). Aisthesis/Ästhetik. Zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein. Weinheim: Beltz.
Nickl, P. (2005). Ordnung der Gefühle. Studien zum Begriff des habitus. Hamburg: Felix Meiner.
Park, I.-C. (2001). Die Wissenschaft von der Lebenswelt. Zur Methodik von Husserls später Phänomenologie. Amsterdam/New York: Rodopi.
Plessner, H. (1928). Die Stufen des Organischen: Einleitung in die philosophische Anthropologie (1975). Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Plessner, H. (1948). Zur Anthropologie des Schauspielers. In: G. Dux, O. Marquard, & E. Strötzer (Hrsg.) (2003), Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften. Bd. 7 (S. 399–418). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Plessner, H. (1967). Der Mensch als Lebewesen. In: W. Schüßler (Hrsg.) (2000), Philosophische Anthropologie (S. 71–84). München: Alber.
Reckwitz, A. (2006). Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Weilersvist: Velbrück.
Ricken, N. (2006). Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung. Wiesbaden: Springer VS.
Sting, S. (1994). Schrift und Subjekt. In: Ch. Wulf (Hrsg.), Einführung in die pädagogische Anthropologie (S. 45–69). Weinheim, Basel: Beltz.
Talbot, W.H.F. (1844). Der Zeichenstift der Natur. In: W. Wiegand (Hrsg.) (1981), Die Wahrheit der Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst (S. 45–89). Frankfurt/M.: Fischer.
Waldenfels, B. (2001). Ordnungen des Sichtbaren. In: G. Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild? (S. 233–252). 3. Aufl. München: Wilhelm Fink.
Wulf, Ch. (1996). Die Zeitlichkeit von Weltbildern und Selbstbildern. In: D. Kamper, & Ders. (Hrsg.), Rückblick auf das Ende der Welt (S. 21–31). Augsburg: Boer.
Wulf, Ch. (2004). Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Wulf, Ch. (2010). Auge. In: Ders. (Hrsg.), Der Mensch und seine Kultur. Hundert Beiträge zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des menschlichen Lebens (S. 446–458). Köln: Anaconda.
Wulf, Ch. (2013). Anthropology. A Continental Perspective. Chicago: University of Chicago Press.
Zirfas, J. (2015). Arena als methodischer Begriff. Mit einem Blick auf Ästhetische Bildung. In: Ders. (Hrsg.), Arenen der Ästhetischen Bildung. Zeiten und Räume kultureller Kämpfe (S. 9–27). Bielefeld: transcript.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2020 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Daryan, N. (2020). „Technik, die begeistert“ oder Mimesis und Habitus. In: Bilstein, J., Winzen, M., Zirfas, J. (eds) Pädagogische Anthropologie der Technik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_11
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-11682-8
Online ISBN: 978-3-658-11683-5
eBook Packages: Education and Social Work (German Language)