Zusammenfassung
Der Beitrag führt in die Prekarisierung im akademischen Feld ein. Dabei wird akademische Prekarität vor dem Hintergrund der objektiven Beschäftigungsbedingungen sowie der subjektiven Verarbeitungsformen in ihrer Mehrdimensionalität erfasst und damit ihre Feldspezifik herausgearbeitet. Ihre Hintergründe werden in einer neuen Landnahme im akademischen Feld verortet. Diese beschreibt den Übergang zur unternehmerischen Universität und den damit verbundenen tief greifenden Strukturwandel der Steuerungs- und Kontrollmechanismen in der Wissenschaftslandschaft. Damit korrespondiert eine Restrukturierung akademischer Arbeit und veränderte Tätigkeitsanforderungen und Arbeitsrealitäten des akademischen Personals. Insgesamt wirkt akademische Prekarität dank der immens gestiegenen Konkurrenz als ein Disziplinierungs- und Kontrollregime zur Verstärkung der Ausbeutung der academic workforce. Abschließend geht der Beitrag auf die Widerständigkeiten, Reibungen und Gegenmobilisierungen ein, die die unternehmerische Universität als umkämpfte und prinzipiell überwindbare Formation zum Vorschein bringen.
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Zur Kenntlichmachung einer geschlechtergerechten Sprache gehen wir nach dem stochastischen Prinzip vor und verwenden in unterschiedlichen Kontexten nach dem Zufallsprinzip entweder die weibliche oder die männliche Form.
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Unter academic workforce werden alle Gruppen von Beschäftigten an Hochschulen und die durch sie repräsentierte Arbeitskraft verstanden. Eingeschlossen sind auch nichtwissenschaftlich Beschäftigte.
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„What we are calling ‚academic capitalism in the new economy‘ is a regime that entails colleges and universities engaging in market and market like behaviours“ (Rhoades und Slaughter 2004, S. 37).
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Ein Denken, das die gesamte Lebensführung an der Zukunft ausrichtet, ist erst oberhalb einer „Schwelle der Berechenbarkeit“ möglich, die „wesentlich von der Verfügung über Einkünfte“ abhängt, welche „von der Sorge um die Subsistenz dauerhaft“ entlasten (Bourdieu 2000, S. 92).
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Nach Bourdieu verkörpern Biografien Laufbahnen im sozialen Raum (Bourdieu 1981, S. 180, 191 f.). Wenn eine prekäre Beschäftigung beispielsweise aus der Langzeitarbeitslosigkeit hinausführt (Aufwärtsmobilität), wird sie anders wahrgenommen als ein unsicherer Job, der mit sozialem Abstieg verbunden ist.
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In der Realität decken sich die Vertragslaufzeiten häufig jedoch nicht mit realistischen Zeithorizonten für Qualifizierungsarbeiten. Hierin kommt auch zum Ausdruck, dass das deutsche Wissenschaftssystem den Beruf eines nicht-professoralen Wissenschaftlers im Grunde nicht vorsieht und daher alle Beschäftigten unterhalb der Professur als wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Qualifizierungspfad hin zur Professur betrachtet.
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Castel (2000) unterscheidet eine „Zone der Integration“ mit sozial geschützten Beschäftigungsverhältnissen und halbwegs intakten sozialen Netzen, eine ‚Zone der Prekarität‘ mit unsicherer Beschäftigung und erodierenden sozialen Netzen sowie eine ‚Zone der Entkoppelung‘, in welcher sich der Ausschluss von regulärer Erwerbsarbeit mit relativer sozialer Isolation verbindet (Castel 2000, S. 360 f.).
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In der Forschung wird Prekarität wahlweise als eine Spezialform atypischer Beschäftigung, als eine soziale Lage zwischen Armut und ‚normalen‘ Einkommen, als Exklusion am Arbeitsmarkt oder auch als eine Form sozialer Verwundbarkeit definiert, die im Zentrum der Arbeitsgesellschaft entsteht und gegenüber Phänomenen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung abgegrenzt werden muss. Eine begriffliche Präzisierung und Operationalisierbarkeit ist zwingend nötig, sobald es um empirische Forschungen geht. Sie ist aber auch nützlich, um zu vermeiden, dass alle Spielarten von sozialer Unsicherheit oder sämtliche Belastungen in Arbeitswelt und Lebenszusammenhang mit Prekarität gleichgesetzt werden.
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Diese Entwicklung spiegelt sich sowohl in den Finanzierungs- als auch in den Personalstatistiken der Universitäten und Hochschulen wider. In den Jahren 1995 bis 2014 sind die Grundmittel um 53 %, die Drittmittel dagegen um über das Vierfache (249 %) gestiegen und deren Anteil an den Gesamtmitteln ist im selben Zeitraum von 12 % auf 23,7 % gewachsen (Statistisches Bundesamt 2016a, S. 18; Statistisches Bundesamt 2013, S. 16). Analog dazu steigt der Anteil des drittmittelfinanzierten hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals. 2014 war deren Anteil mit 28 % rund zehn Prozentpunkte höher als noch 2004. Im Jahr 2014 wurden 38 % aller wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen über Drittmittel finanziert (Statistisches Bundesamt 2016c, S. 28 f.).
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Kodifizierter Ausdruck dieses Wandels ist die in vielen Hochschulgesetzen umgekehrte Zuständigkeitsvermutung. Zuvor waren die zentralen Gremien immer dann entscheidungskompetent, wenn das Gesetz nichts anderes vorsah. Nun sind es die Hochschulleitungen, die im Falle gesetzlich ungeklärter Entscheidungsspielräume zum Zuge kommen. Die Aushandlung der Zielvereinbarungen mit den zuständigen Ministerien sowie mit den Fachbereichen fällt der Hochschulleitung ebenso zu wie die Verteilung von Ressourcen. Diese Konzentration von Entscheidungsmacht folgt einer doppelten Zielstellung: Sie soll die Hochschulen strategiefähiger machen und ihre internen Entscheidungsabläufe rationalisieren (Banscherus et al. 2009, S. 41).
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Mit empirisch nicht geprüften Kausalitätsvermutungen sollte man dennoch vorsichtig sein. Ob Professorinnen aufgrund eines forcierten Statuswettbewerbs tatsächlich erfolgreicher Aufgaben an von ihnen abhängig Beschäftigte delegieren können (van Dyk und Reitz 2016, S. 5 f.) als in der überkommenen Ordinarienuniversität, ist keineswegs sicher. Auch prekär beschäftigte Wissenschaftler besitzen strukturelle Macht. So sind Professoren beispielsweise zwingend darauf angewiesen, dass Mitarbeiter ihre Projekte möglichst gut bearbeiten. Geschieht das nicht, wird Arbeit in Richtung der Projektleiter umverteilt. Die institutionalisierte Umverteilungsdynamik ist jedoch das eine; ob und inwieweit die Umverteilung von Tätigkeiten zulasten des Mittelbaus tatsächlich durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
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„Empirisch ist hinreichend belegt, dass die Tätigkeit als StuMi [studentischer Mitarbeiter; d.A.] besondere Chancen für eine akademische Karriere eröffnet […]. Entsprechend wird in der Ratgeberliteratur für Nachwuchswissenschaftler*innen suggeriert, dass ein Einstieg in die Hochschulkarriere idealtypisch über die Anstellung als studentische Hilfskraft gelingt […]“ (Schneickert und Lenger 2016, S. 266 mit Verweis u. a. auf BMBF 2006; Lenger 2008; Jaksztat 2014).
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Steuerungsarbeit ist nötig, um die Beanspruchung der unterschiedlichen Arbeitsvermögen in eine – möglichst lebenswerte – Balance zu bringen (Negt und Kluge 1993, S. 106 f.).
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Noch schwieriger ist die Situation der Lehrbeauftragten. Ursprünglich dazu geschaffen, das Lehrangebot durch Veranstaltungen außeruniversitär tätiger Praktiker zu ergänzen, sind Lehraufträge inzwischen im Kernbereich der Studiengänge angesiedelt. Entgegen der Modellvorstellung stellen Lehraufträge für einen erheblichen Teil der Betroffenen die Haupterwerbsquelle dar. Die Vergütung deckt zumeist nicht die Vor- und Nachbereitungszeit der Lehrveranstaltungen ab. Monatliche Einkommen von unter 1000 EUR sind bei Lehrbeauftragten die Regel (Clemens und Schlosser 2006). Ihr externer Status verwehrt Lehrbeauftragten eine Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung und erschwert die soziale Integration am Arbeitsplatz und Arbeitsort. Insgesamt leben Lehrbeauftragte materiell wie institutionell in prekären Verhältnissen (Banscherus et al. 2009, S. 38 f.).
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Nadine Sander identifiziert vier Varianten subjektiver Bewältigung, die sie als den Kompensations-, den Akzeptanz-, den Delegations- und den Stabilitätstypus bezeichnet (Sander 2012, S. 338 ff.).
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Es handelt sich um eine aus dem akademischen Mittelbau neu gegründete Basisgewerkschaft; vgl. https://unterbau.org/.
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Dörre, K., Rackwitz, H. (2018). Mit der Geduld am Ende? Die Prekarisierung der academic workforce in der unternehmerischen Universität. In: Laufenberg, M., Erlemann, M., Norkus, M., Petschick, G. (eds) Prekäre Gleichstellung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11631-6_8
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